Unter’m Nasenaffenbaum

oder: Tragödie mit Kulleraugen

Kumai, 17.10.2014

Unterwegs zum Camp Leakey

Unterwegs zum Camp Leakey

Ein enger Wasserlauf durch den Tanjung Puting Nationalpark im Süden Borneos. Unser „Klotok“, ein Holzboot, das in Fahrt das typische „tok-tok“-Geräusch von sich gibt, ist an Blättern und Ästen festgebunden, Zikaden sirren unablässig. Auf dem Boot klappert das Kochgeschirr, es riecht ein bisschen nach Kerosin und Knoblauch, denn unten im Boot bereitet Masniah unser Abendessen.  Wir sind unterwegs, „colonial bastard style“ – das Oberdeck ist für uns, ein Tisch, zwei Stühle, Matratze, Moskitonetz.  Über uns ist „Affentheater“ – eine Gruppe von Proboscis (Nasenaffen) genießt ihr Abendvergnügen. Der Patriarch hockt in einer Astgabel, Kinder springen und hangeln in schwindelnder Höhe von Ast zu Ast, wenn sie nicht gerade von ihren Müttern gelaust werden.  Ab und zu Geschrei, wenn mal wieder jemand von ganz oben einen waghalsigen Sprung gewagt hat und auf einem schon besetzten Ast landet. Borneos Süden, im Regenwald.

Unsere Tour war ganz auf den Besuch bei den Orang Utans gerichtet, und das ist auch das Hauptziel für die Agenten, die sich in in Kumai den Touristen widmen, und davon gibt es nicht zu knapp. Während allerdings die meisten Touristen von Java in die nahegelegene Provinzhauptstadt Palangkan Bun fliegen, treffen wir am Samstagnachmittag auf die exotischeren unter den Touristen – 14 àachten liegen hier, wir haben den Schwanz der ersten Rally wieder erreicht. Keines der Boote ist „belebt“, alle sind schon im Wald, also sind wir Freiwild für die erste Agentenattacke. Adi braust mit dem Speedboat heran „… aah! Ihr seid AKKA, Andrea and Andreas, right?!“

Suhardi, unser Captain.

Suhardi, unser Captain.

Richtig. Adi scheint ein guter Geschäftsmann und hat sich unsere Namen von der SANUK geben lassen, die vor ein paar Wochen auch „individuell“ hier war.  Allerdings hatten wir von unterwegs schon Kontakt mit Harry Roustaman aufgenommen und über Kerstin „LopTo“ seinen Bruder Jenie Subaru erreicht – und alles via Funk festgeklopft.   Versucht dieser Adi doch glatt, uns wegzulocken, mit Preisfeilscherei und immer dünner werdenden Argumenten wie „viel Wind und Strom“, Yachtklau bis hin zu „3 Tage ist langweilig“.  Sag‘ mal… ich verschwinde lieber unter Deck, ehe ich einen veritablen „Hals“ kriege, ich möchte auf jeden Fall 2 Nächte wegbleiben.  Und „… falls Jenie nicht

Gute Seele für alles  - Anang!

Gute Seele für alles – Anang!

auftaucht, Ihr wisst schon…“  Jau, danke. Kaum ist Adi weg, kommt das nächste Speedboat: Yomie. Den hatte uns jemand von der Sail2Indonesia-Organisation in Lombok genannt (man beachte die „2“, die andere Rally hat diese Ziffer nämlich nicht…). Netter Typ, er ist der Anführer der ortsansässigen Guides und zeigt sich erfreut, dass wir beiJenie gebucht haben. Es ist tatsächlich so, dass so ein Adi Zweifel säen kann, aber die sind nun ausgeräumt.

Am Sonntagmorgen kommt Jenie angefahren, und wir halten einen langen Schwatz, lachen schon mal viel, servieren kühles Wasser und bekommen dafür einen Aus-

Masdiah kocht!

Masdiah kocht! Besser als jeder Warung…

blick auf die Dinge, die am Dienstag kommen sollen. 3 Feeding Stations werden angelaufen, plus ein Nachtspaziergang. Einer seiner Brüder (9 an der Zahl) wird die AKKA bewachen, er wird im Cockpit nächtigen.  Klingt alles gut.  Und ist gut, wie sich erweisen soll.
Am Dienstagmorgen sind wir gestiefelt und gespornt, als um 10:30 „unser“ Klotok längsseits geht und wir rasch davon tokkern.  Hermas, Jenies Bruder, ist unser Führer, Suhardi unser Captain, hinzu kommt der Boat Boy Anang und Masniah, die Köchin.  Wenn das nicht colonial bastard style ist…

Gespräch über Natur oder Technik? Unser Guide Hermas

Gespräch über Natur oder Technik? Unser Guide Hermas

Die ersten Kilometer geht es den Kumai River hinunter, bis man in den Sekonyer einbiegt. Ein großer Pappmaché-Orang Utan begrüßt uns. Das Flusswasser ist milchig-schlammig, Hermas rät von einem Bad ab: Quecksilberbelastung, und was Goldabbau am Oberlauf alles so mit sich bringt.  Peter, unser Gastgeber in der Medana Bay, hatte erzählt, dass er vor 30 Jahren in Kalimantan im Bergbau gearbeitet hat und damals, wenn ihr Außenborder wieder einmal muckte, vielfach erlebt hat, dass neugierige Orang Utans von den Bäumen stiegen um zu schauen, was da für eine Fuhre lautlos den Fluss abwärts treibt.  Das ist wohl länger her – die Orang Utan-Population ist in den letzten Jahrzehnten zu mehr als 50% geschrumpft und der Lebensraum innerhalb von 20 Jahren um 80%.  Das muss man sich mal vorstellen – allein diese Fakten treiben einem wirklich die Tränen in die Augen, aber viel schlimmer noch ist, dass das Roden nicht nur ungehindert weitergeht, sondern eher noch zunimmt – die Palmölindustrie ist wirklich gnadenlos. Natürlich spielt auch die Bevölkerungsexplosion bei der einheimischen Bevölkerung eine Rolle: in knapp 100 Jahren von 10 auf 240 Millionen Menschen.  Politische Modelle haben ihren Teil beitragen – Suharto mit seinem „Mega-Reis“-Programm zum Beispiel, das in die Hose ging, aber unendlich viele Hektar Wald gekostet hat – der Boden ist, tropentypisch und noch dazu als Moorboden, so arm, dass er einfach keine großen Reiserträge bringt. Dann gibt es Umsiedlungsprojekte von unzähligen Einwohnern, transmigrasi genannt, das schon die Holländer begannen, um Java von seiner Überbevölkerung zu entlasten – Sukarno und Suharto trieben es weiter voran, bis Suharto endlich aus dem Amt schied. Natürlich stellt man sich die Frage, was sonst mit diesen Menschen passiert wäre, aber man muss sich auch fragen, was alle diese Menschen, die sich unablässig ausbreiten, ohne Natur anfangen werden…  Wir sind das Problem… auch weil wir unkritisch Palmölprodukte nutzen oder – Asche auf unser Haupt – Teakholzmöbel oder  -decks kaufen. Ich glaube, es spielt eine geringe Rolle, ob es Plantagenholz ist – ökologisch gesehen ist beides „crap“. Nebenbei ist Korruption ein riesiges Problem – so hat zum Beispiel Jenie Wald gekauft, um ihn von der wirtschaftlichen Nutzung zu bewahren; nun kämpft er darum, dass er tatsächliche Besitzrechte bekommt, weil Behörden und Dorfchief sich querstellen ; aber seine Hoffnung ist noch nicht dahin. Wie auch seine Hoffnung, doch eine kleine Ecke für die Orang Utans zu bewahren.
Nun denn, wir waren da, in einer dieser kleinen Ecken. Sichtung von Orang Utans in der Wildnis sind selten geworden, obwohl Hermas ab und zu welche beobachten konnte – das hat auch teilweise damit zu tun, dass diese großen Menschenaffen solitär leben, nicht in großen Gruppen wie Schimpansen oder kleineren Familien wie Gorillas. Wir fanden ja schon das Auffinden „unserer“ Gorillafamilie in Ruanda damals schwierig, umso schwieriger also, einen einzelnen Orang Utan auf einem Baum zu entdecken. Wie gut, dass es also Rehabilitationsprojekte gibt wie hier im Tanjung Puting National Park. Louis Leakey hat das als Forschungsvorhaben angestoßen, Biruté Galdikas als drittes seiner „3 Mädels“ (Jane Goodall/Schimpansen in Gombe und Diane Fossey/Gorillas in Ruanda) hat es hier vorangetrieben. Orang Utans, die verletzt oder krank aufgefunden oder aus Gefangenschaft befreit werden – der reiche Indonesier hält sich gern einen kleinen Orang Utan als Haustier… – werden aufgepäppelt und dann in die Freiheit entlassen. Natürlich haben sie einen psychologischen, einen „Menschen“schaden, die natürliche Scheu ist gemindert, je nachdem, wie lange sie in Gefangenschaft oder Behandlung waren, und so suchen sie gern noch die Nachbarschaft der Ranger Stationen, wo sie auch in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Futter erhalten.  Feeding Station nennt sich das, und es fühlt sich ein bisschen merkwürdig an: bei der ersten Station dachte ich an die 50 Touristen, die auf Isabela/Galapagos um eine Landschildkröte herum stehen. Nun sind Orang Utans keine „langweiligen“, langsamen Landschildkröten, und das macht den Unterschied, der einen seine direkte Umwelt sofort vergessen lässt: es menschelt einfach unglaublich. Schon auf dem Weg verschlug es uns den Atem, weil ein ausgewachsener Affenmann vor uns auf dem Weg entlang ging, ehe er sich auf Aussichtsposition in eine Astgabel schwang. Großes, eindruckvolles Gesicht, ausdrucksvolle, aufmerksame Augen plieren von oben. Um die Fütterplattform ist eine Absperrung mit Leinen gelegt, so dass tourist nicht allzu nahe kommen kann.

Danke, ja. Es schmeckt ausgezeichnet!

Danke, ja. Es schmeckt ausgezeichnet!

Auftritt Herr Orang Utan 1. Lässig klettert er auf die Plattform, blickt cool in die Menge und widmet sich dem Bananengeschäft, irgendwo zwischen gierig und genüsslich, und verschwindet nach einer Weile. Oben in den Baumwipfeln ist Bewegung, junge Orang Utans, eine Mutter mit Kind, die ein wundervolles Kunststück vorführt (naja, kein Kunststück, wenn man Affe ist…)  Sie schwingt den Baumwipfel, auf dem sie sitzt, wie eine Schaukel auf – raus den Po, ran an den Stamm, raus den Po…  bis die geradezu wilde Bewegung reicht, um den nächsten Ast oder zumindest eine kleine Liane zu fassen. Jetzt: festhalten, die Schwingebewgung stoppt und schon sitzt sie im nächsten Baum. Und so fort. Klein-Orang guckt sich das alles über die Schulter an. Schwindelerregend für uns, die Schule des Lebens für’s Orangkind.  Sie klettert stammabwärts, wollen wir doch mal schauen, was da alles noch übrig ist. Alle Hände, den ganzen Mundvoll nimmt sie, der kleine angelt sich seinen eigenen Teil. Da es in den Wipfeln knackt und raschelt, verschwindet sie bald nach oben, nicht unbeobachtet von unserem knackigen Jungmann, er steigt dem Weibchen nach (jetzt wissen wir endlich, wo der Ausruck herkommt!), und wir kommen in den Genuss einer veritablen Peepshow: so richtig erkennen kann man in dem riesigen resultierenden Fellknäuel nichts, aber es schnauft und stöhnt kurzfristig, und quieken tut es auch – das Kind muss dem intensiven Körperkontakt im Wege gewesen sein.  Folgt: Blasenerleichterung aus der Astgabel und Abgang „toller Typ“, Mutter kommt noch einmal herunter für einen kleinen Mundvoll. Dieser zweite Besuch währt allerdings nur sehr kurz: es kommt Bewegung in unserem Rücken auf. Das Alpha-Männchen tritt (kracht!) aus dem Unterholz. Dieser Kerl weiß genau, was er tut und wer hier der Boss ist, also marschiert er stracks durch die Mitte der Besucher, die erschrocken zurückweichen. Und der nimmt er sich wirklich Zeit, bis die Platte geputzt ist. Abgang?!  Durch die Mitte. Orang muss ja zeigen wo der Hammer hängt. Das waren die Nachrichten von der Feeding Staion, 1. Teil.

Der Weg zum nächsten Platz, ein Stück flussaufwärts, führt weiter hinein in den Wald, und ist bevölkert von nun wirklich vielen Besuchern, unter anderem einer Gruppe älterer Mitbürger, am Rande der freien Beweglichkeit, jedoch bewaffnet mit professionellem Fotoequipment. Die Kompakte samt Belichtungsmesser etc. im Gürtelholster, Weitwinkelkamera links, und – klack-klack-klack-klack – die mit dem Ultra-Zoomobjektiv rechts. Wir sahen die armen Guides später Rucksäcke schleppen…  Den Affen macht das Fototheater gar nichts aus – vor uns breitet sich eine wunderbare Fressszene aus. Typ 1:  ich bin hier der Chef, und ich esse hier jetzt Jackfruit.  Unsere Theorie: Jack Fruit ist sehr klebrig, und das hilft beim Grabschen der Mädels! Während oben in den Bäumen Jugendliche turnen und sicher ab und zu schauen, ob noch was übrig bleibt, naht eine jüngere Mutter mit Kind. Der Mann dreht uns den Rücken zu – man braucht

Immer schön aufessen, was man in der Hinterhand hält!

Immer schön aufessen, was man in der Hinterhand hält!

schließlich seine Ruhe. Und eine ordentliche Portion Jackfruit.  Bananen bitte zum Nachtisch. Als das Fresstempo nachlässt, schleicht sich die Mutter an – ganz sicher eine von höherem Rang, denn sie wird gnädig zugelassen, so dass für eine Weile Mutter, Kind und mit hoher Wahrscheinlichkeit der Vater gemeinsam vor sich hin schmatzen, bis sie das Feld räumen. Keine pikante Einlage heute!  Stattdessen kommt eine andere Frau mit einem echten Kleinkind im Schlepp – deutlich unsicherer als die zuvor, sie schaut immer wieder in die Runde, ob Konkurrenz naht. Nur das Maschinengewehrfeuer der Auslöser stört sie überhaupt nicht (Frage: müssen die Verschlüsse bzw. Spiegel so klackern bei den modernen Kameras?! Ich finde das wirklich störend).
Wir rücken weiter, nach Camp Leakey, wo alles anfing…

Da geht noch was!

Da geht noch was!

Feeding Station 3.  Es regnet – der erste Regen seit wir Anfang Mai nach Australien zurückgekehrt waren!  Leider haben wir, völllig entwöhnt, unsere Regensachen auf der AKKA gelassen. Andreas kann seine Kamera mit einem geliehenen Schirm schützen, ich folge dem „jetzt ist es sowieso egal“-Prinzip. Unsere „alten Fotografen“ sind auch wieder da, und an der Stelle lobe ich mir doch mal eine schlichte Kompaktkamera; die riesigen DSLRs machen nur große Beulen unter den Regenkutten. Unsere Bilder sind allerdings auchsso bescheiden wie der Affenauftritt sich als bescheiden herausstellt, dafür war die angelieferte Bananenportion durchaus unbescheiden – der Platz hatte deutlich mehr Beobachtungspotenzial. Es ist auch einiges los im Unterholz und in den Baumwipfeln, aber sehen lässt sich fast niemand, bis auf eine Dame, die wahrscheinlich sonst nie eine Chance hat.  Da muss man sich dann den Mund mit Bananenbündeln stopfen bis nichts mehr geht. Scheuer Blick: niemand in der Nähe? Dann noch ein Bündel links vorn und eines rechts hinten.  Rauf in die Astgabel, wo erst einmal Fresspause ist. Leider stürzt ein Teil der Beute ab, was zu viel ist ist zu viel, und dann nimmt auch noch der Regen zu! So ein Affenmist! Also steigt sie eine Station weiter rauf, da gibt es ein paar dünne Ästchen mit Blättern. Kein Regenschutz?!  Natürlich Regenschutz, Ihr blöden Menschen-Zuschauer da unten!  Ich bau‘ mir einen Regenschirm! So sitzt sie dann da, mumpft mit einem Fuß und einer Hand und hält sich mit der anderen den – zugegebenermaßen etwas dünnen – Schirm über den Kopf.  Unvergesslich!

Frau Orang und das Kleinchen

Frau Orang und das Kleinchen

Wir rücken ab, triefend nass, und werfen uns an Bord in trockene Klamotten. Am Vortag war Nachtwanderung das Abendprogramm – spannend, geräuschvoll, mit vielen schönen Spinnen und Skorpionen und einem schockstarren kleinen Eisvogel – heute nur noch Nasen-Affentheater. King Fishern beim Fangen zuschauen. Hornbills und Flughunde vorbeifliegen sehen, die einen mit lauten Flügelschlag, die anderen im Schleichflug. Krokodile

Der Nasenaffen-Patriarch. Das nennÄ ich Spring-Muskulatur!

Der Nasenaffen-Patriarch. Das nenn‘ ich Spring-Muskulatur!

gab es, schwimmende Schlangen und Leguane. Von wegen „langweilig“. Man hätte noch viele Tage länger bleiben können. Bäume pflanzen zum Beispiel. Mehr nach Pflanzen schauen. Und wieder und wieder: Orang Utans. Davon kann es gar nicht genug geben.

Der WWF übrigens sagt das Aussterben der Orang Utans für die nächsten 25 Jahre voraus. Wir kriegen ihn schon hin, den Planeten…

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