Dann dauert’s eben…

Daaa ist die AKKA!

Daaa ist die AKKA!

 

 

Réunion, 12.11.2015

… bis zum Knick ’n Tag länger! Zitat Eigner von soeben. Also vielleicht Montag?! Die Abreise nach Südafrika nämlich. Im Moment zuckt der Wind um die 5 Knoten, was vergleichsweise wenig Spaß macht – und vorhin sind zwei französische Yachten ausgelaufen, die hoffnungsfroh ihren Code-Zero hochzogen und ansonsten auf volle Dieseltonnen vertrauen; morgen will die CHESAPEAKE los. Diese Unruhe!. Nicht, dass ich nicht eben auch 120 l Diesel von der Tanke geholt hätte, 120 l mit dem Radel. Natürlich nicht in einer Tour, sondern in 3 – die Jungs an der Tankstelle hat’s gefreut, hilfsbereit wie sie sind. Und kommunikativ sind sie – wir üben uns in französischer Sprache, so gut es geht. Neben dem kolonialen Unterton, der hier schwingt, ist halt doch vieles sehr französisch. Wann, bitte, hat uns zuletzt jemand angebölkt, wenn man in einem äußerst verkehrsarmen Städtchen eine Einbahnstraße falsch herum befährt?! „C’est interdit!“ schallt es uns gleich mehrfach entgegen… L’Europe hat uns zurück – es sind nämlich die weißen Franzosen, die bölken, der Rest ist „relaxed“.

„Bölken“ oder anpreien, das konnten übrigens auch die Mauritianer – als der letzte Blogbeitrag rausging, fuhren wir ja nächtens um die 5 Meilen vor der Südküste von Mauritius entlang, die Schipperin hocherfreut, weil wir Orange Mauritius empfingen und segelnd surfen konnten. „Krackel-krackel-krackel. AKKA, AKKA, this is Mauritius Coast guard!“  Wat’n nu‘ schon wieder?!  „Bleiben Sie außerhalb der 12 Meilenzone!“  Huch?! Das ist neu; haben die doch tatsächlich unser AIS-Signal aufgenommen!  Ich bestätige, dass ich, da mit 2 ausgebaumten Segeln platt vor dem Wind fahrend, den Kurs sutsche Richtung Süd ändere.  Der Eigner schreckt aus dem Schlaf auf: „… wenn die Dich nochmal anrufen, dann hören wir einfach nix!“  Wird gemacht, Monsieur, wir müssen doch das Orange-Guthaben auch noch leeren, wie soll denn das außerhalb der 12-Meilenzone funktionieren? So ist das mit dem Surfen auf See!

Tags drauf erhebt sich gegen Abend die beeindruckende Bergsilhouette von La Réunion am Horizont, in der Nacht kommen die Lichter immer näher – und was für Lichter! Im Norden von Réunion liegt der Hauptort, St.Denis, und die Berghänge hinauf, in die Schluchten hinein ziehen sich die orangefarbenen Lichter der Straßenbeleuchtung. Erste Welt, ganz klar. Wir tuckern die Küste entlang, machen ein paar Segelspielchen, die uns die Abwinde der Berge bescheren, Motor aus. Genua backbord, Genua weg, Genua steuerbord. In der Ferne sehen wir einen anderen Segler, der wohl vom Norden Mauritius‘ hereinkommt – ähnliche Spielchen. Im Morgenlicht passieren wir eine gewaltige Baustelle direkt vor der Küste – was ist das denn?! Na, die neue Umgehungsstraße. Ins Wasser gebaut. Um die Pointe des Galets herum ist schon „Le Port“, der Haupthafen für Réunion und unser Ziel. Hafeneinfahrt, Peilen, Marinaeinfahrt, Funkkontakt. Jérà´me empfängt uns – wir legen unser gewohntes Ein-Leinenmanöver hin, oh-là -là , das freut den Marinamanager, schon sind wir fest. Das ist doch, wie wir später sehen, recht ungewöhnlich – wir sehen am Morgen gleich mehrere Hafenmanöver mit „Stützleine vorn zuerst“.  Dabei kann es so einfach sein, wenn man in die Spring fährt…

Kaum ist der Zoll da gewesen, watzen wir ins Städtchen, und da es auch schon bald Mittag ist, fängt uns das französische Flair ein: „La Petite Brasserie“. Außer ein paar Touristen vor allem Geschäftsleute – wir hängen die Ohren zum Nebentisch und lauschen dem „heeein!“  und lang gezogenen, im Ton abfallenden nasalen „ööööö“. Fluppe im Mundwinkel, Gläschen eiskalten Rosé in der Hand, die Terrine de Campagne auf dem Teller. Ja, wirklich, so isses! Alle Läden sind dicht – bis auf den Bäcker, denn Männer mit dem lässig in der Hand balancierten Baguette sieht man mehrere. Nur Baskenmützen braucht es hier nicht.  Trà¨s franà§ais.  Wir laben uns an einer Salade Berger, mit meinem geliebten Chà¨vre Chaud. Eine Charcuterieplatte „Corse“ zum Teilen, der Eigner kriegt einen Salat mit Gänsemägen. Mit Perrier, falls sich jemand fragt, ob wir uns schon am Mittag einen Rosé reinpfeifen.  Die Marina füllt sich, die UHAMBO trifft ein und einige andere. So vergeht der Rest der Woche – wir schreiben Dienstag! – rasch; übrigens teilweise mit Fleecejackenpflicht, denn der kalte Süder bläst hier manchmal herein. Als am Freitagabend ein Potluck für die Samstagsabfahrer anberaumt wird, sind wir mitten im zentralen Thema: Wetter. Das Wetter nach Südafrika. Geschichte reiht sich an Geschichte. Aber da kann man so viel reden wie man will – hier ist man dem einfach ausgeliefert. Rezept: wenn die Front kommt, da unten vor Madagaskar, dann muss man durch oder man dreht bei. Hauptsache man ist nicht mitten im Agulhasstrom, wenn es losgeht.

Ein bisschen wundern wir uns über die, die nach uns kommen und gleich weiterreisen – es ist nämlich ganz augenscheinlich wunderschön hier, auch wenn der Industriehafenort „Le Port“ nicht extrem attraktiv ist – eine Reihe kleiner Läden, viele Wohnhäuser für die hart arbeitende Bevölkerung. Ein Leader Price, ein Score, ein LeClerc, und eine ganze Reihe guter Bäcker! Eines Tages radeln wir hinaus zum Einkaufszentrum Sacré Coeur, ergötzen uns im „Weldom“ an europäischen Baumarkststandard – und als ich hinübergehe zum Supermarkt, haut mich der Blick um: die Abendsonne bescheint ein Bergrelief direkt hinter dem Ort. Vulkanisch, tief eingeschnitten, hohe Berge im Hintergrund, grün bewachsen. Da muss man einfach mal hin. Tun wir auch.

Auf der Ebene um den Piton des Neiges

Auf der Ebene um den Piton des Neiges

Zum Beispiel, indem wir das Rad nehmen und nach La Possession fahren – der Nachbarort bietet eine Bushaltestelle für den Car Jaune, den Überlandbus. Ziel St. Pierre, an der Südwestecke der Insel. Wir bestaunen die überaus dichte Bebauung der Insel, ein französischer Badeort am anderen, teils noch mit alten kolonialen Häusern, insgesamt aber sehr modern. Und EU-finanziert, wie man allenthalben feststellt (zum Beispiel hier in der Marina!). Zur einen Seite das blaue Meer, das eigentlich zum Surfen laden sollte, während zur Bergseite der Himmel voller Touristen hängt – in der Nähe von Grande Ravine jedenfalls schweben zahllose Gleitschirmflieger in der Thermik. Gegen Mittag sind wir in Saint Pierre – und ich bin ganz froh, dass wir mit AKKA in Le Port liegen: St. Pierre ist eine richtig große Stadt, voller Läden, voller Touristen, voller Geschäftigkeit. Wir legen nur eine kurze Pause bei SIRENA ein, essen ein Stück Geburtstagskuchen und besingen die 4-jährige Vera, schon geht der nächste Bus in Richtung St. Benoà®t. Das hatten wir uns schön ausgedacht: eine Busfahrt durch die Mitte der Insel, zwischen Vulkan und Pic des Neiges durch. Schön gedacht und schlecht getimed. Mittlerweile hat sich die Tagesbewölkung aufgebaut, und je höher der Bus sich schraubt – und er muss tüchtig schnaufen! – umso dichter wird der Nebel. Von Sicht auf die 3.000er Gipfel keine Spur – immerhin stellen wir fest, dass es wohl jeden Tag so sein muss, denn die Vegetation besteht aus Baumfarnen, Riesenericaceen, und alles ist voller Bartflechten. Hier müssen sie hinauf, die Passatwolken. Eine Ähnlichkeit zu den Kanareninseln ist durchaus gegeben, nur dass wir hier noch richtig in den Tropen sind.
In St. Benoà®t steigen wir wieder um, in St. Denis nochmals und gegen Feierabend haben wir die Insel mit dem Bus umrundet und sind zurück bei den Rädern. Ja, schöner Mist… – ich denke, erstmalig auf dieser Reise bin ich beklaut worden: mein schönes, schönes Sattel-Gelpad von Giant aus Phnom Penh hat einen Liebhaber gefunden. Wir sind zurück in Europa. Die paradiesischen Zeiten ohne Klau sind vorüber…

Am Dos d'à‚ne

Am Dos d’à‚ne

Paradies hin oder her – ein Tag mit klarer Sicht war uns dann doch noch beschert. Bus vom „Pà´le d‘ échanges du Port“, dem örtlichen Busbahnhof, nach Dos d’à‚ne. Noch so einer, der sich mühsam den Berg hinaufschraubt, diesmal frühmorgens; gefühlsmäßig eine Mixtur aus Skiferien in den französischen Alpen mit ein bisschen Peru und einem Schuss Tropenvegetation. In Dos d’à‚ne – übersetzt: Eselsrücken – geht ein als leicht bezeichneter Wanderweg los, nur 4 km Rundweg zum Roche Verre Bouteille, aber bis wir am Beginn des Weges angelangt sind, haben wir schon ein paar Asphaltserpentinen in den Waden. Und nochmals haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht: prima Wetter, aber was machen die ganzen Leute hier? Alles voller Autos! Es ist doch mitten in der Woche. Alles Touristen?! Es ist Mittwoch, der 11. November. Es klackt! Kapitulationstag 1918… Jour férié, und daher nur ein Bus am Nachmittag zurück nach Le Port. Mit unserem 4 km-Programm wird das ein langer Tag – also suchen wir auf dem Tablet (empfehlenswert: WIKILoc offline Wanderkarten, weltweit!) nach Erweiterungsmöglichkeiten für den Gang.  Nicht ganz einfach, so dicht sind die Wanderwege dann doch nicht gesät, denn dazwischen liegen immer wieder tiefe Schluchteinschnitte. Schau’n wir mal. Der Weg geht über Stock und Stein, leicht bergauf bis zum Aussichtspunkt Cap Noir – eine

Alles easy!

Alles easy!

wirklich tolle Aussicht. Drüben, auf der anderen Seite der Schlucht windet sich ein in den steilen Hang eingeschnitten der Weg nach Ilàªt Lantanier bzw. Mafate entlang – das sind Dörfer, die, man mag es kaum glauben auf dieser durchzivilisierten Insel, nur zu Fuß erreichbar sind. Toll! Da müsste man entlang laufen… leider eine 2-Tagestour, bezeichnet als „sportif“. Sportlich. Na gut. Mein Blick geht bergauf. Oops, dieser Flaschen-Felsen, den wir erreichen sollen auf diesem leichten Wanderweg, liegt aber recht senkrecht über uns?! Und wie gehabt… unter Fluchen und Schnaufen marschiere ich bergan. Und überlege, dass ich hier mal eine Liste der „Anstiege einer Reise“ veröffentlichen sollte*.  Das Schlimme ist halt, dass man, in diesem Falle frau, nie genau weiß, wie weit es einen noch nach oben treiben wird. Der Roche Verre Bouteille war jedenfalls nicht das Ende, denn der Weg geht astrein genau über den Grat des Eselsrückens. Wenigstens war ich nicht allein, denn trotz aller Flucherei – die ich mit hilflosem Gelächter zu kaschieren weiß! – war ich noch die fröhlichere der beiden Seglerinnen, die dort oben herumkrauchten. Unsere französische Nachbarin machte einen geradezu unglücklichen Eindruck. Als wir sie im Tal wiedersahen, sahen wir eigentlich wenig: nur zwei am Bushaltestellenschild in die Höhe gestreckte Beine…
Nun gut. Selbst der Eigner bestätigte, dass diese Art von „facile“ durchaus ausreiche. Oben auf dem Eselsrücken gab es Wasser und Äpfel und das Bedauern, dass wir keine netten Baguette mit Käse oder Paté belegt mitgebracht hatten. Andererseits zog mittlerweile auch die schon bekannte Mittagsbewölkung auf – und das wird hier richtig kalt!  Abstieg (auch gut für die Knie!). Unnötig zu erwähnen, dass uns ein leichtfüßiger Einheimischer in Laufschuhen und Funktionshemdchen gleich zweimal überholte…
Eine Erweiterung der Wanderung haben wir nicht weiter diskutiert, die paar Abwärtsserpentinen ins Dorf taten den Rest. Aber dann! Gleich eines der ersten Häuser von Dos d’à‚ne ist das Poz’o Cap Noir. Carré de Pieds de Porc. Schweinsfüße mit Beilagen. Das Huhn mit Gemüsen war aber auch nicht schlecht… und alles gekrönt von einem Café Longue. So grässlich lang mussten wir auf den Bus dann gar nicht mehr warten, der uns wieder in die Sonne hinunterfuhr…

Urteil?! Schöne Insel!  Sehr schöne Insel! Eine Insel zum Wiederkommen und noch-mehr-Wandern.

Aber erst einmal ist die Strecke nach Südafrika dran. Um mit Patricia Kaas zu sprechen (wir werden hier mit veritablen Chansons beschallt!): „Mon mec à  moi il me parle d’aventure…“  Allzu abenteuerlich haben wir es nicht bestellt, aber wer weiß. Und wenn’s bis zum Knick im Süden von Madagaskar einen Tag länger dauert, ist es in Ordnung. Spannend wird’s hinter dem Knick!

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* hier sind Auszüge aus der Liste:
2007. Madeira – Wanderung zum Caldeirao Verde und Caldeirao do Inferno . Beine?  Hatte ich hinterher keine mehr
2008 – Anden, vor allem in der Gegend um Sorata. Aber auch der Anstieg zum 3. Stock des Hotels in La Paz war herz-kreislaufmäßig nicht von schlechten Eltern: Und der Pachamama auf der Insel Amantani im Titicacasee… Pfui Deibel
2009 – keine besonderen Vorkommnisse. Denke ich. Vielleicht trügt die Erinnerung
2010 – der Vulkan auf Isabela/Galapagos. Rückweg gemeinsam mit Sven von der MOJO. Rückwärts, wegen Kniebeschwerden
2011 – das 4-tägige Meisterstück: Kepler Track, Südinsel Neuseeland. Ha! Ich habe ein TShirt zum Beweis, dass ich das geschafft habe!
2012 – Der National Pass in den Blue Mountains, das war meine persönliche Spitzenleistung im Bergauf-Fluchen! Kings Canyon, Northern Territory/Australien, auch nicht schlecht. Die Olgas waren pillepalle!
2013 – nochmal ein Jahr Pause (geflucht habe ich sicher irgendwo?! Richtig. In Vanuatu. Vulkane habe es immer in sich)
2014 – zum Beispiel der Anstieg zur Chinesischen Mauer in Jinshanling. Eigentlich war auch das Umhersteigen auf der Mauer selbst des Fluchens würdig!
2015 – Mae Hong Son – Anstieg zum Tempel…

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