Ach, Luise…

21°19 S und 005°28 E
10.06.2016

Tag 5 unserer Passage nach St. Helena. Alles gut an Bord. Die Anfangsmüdigkeit ist der Passagegrundmüdigkeit gewichen, will sagen: man muss sich drauf konzentrieren, auch zwischendurch ein Nickerchen zu machen, damit die Nachtwachen nicht allzu schwierig sind. Der Wind ist leicht, leichter als wir aus den Langfristvorhersagen erhofft hatten, aber es geht doch immer noch mit ungefähr 5 Knoten voran, „platt vor den Laken“ in die richtige Richtung. Das südliche Afrika versinkt im Kielwasser. Und damit die Erinnerung nicht vollends mit versinkt, noch ein paar abschließende Kapstadt-Noten. Fällt mir nicht ganz leicht…

Der Abschied von Südafrika war ohne Wehmut. Keine wirkliche „Yachtheimat“ ist uns Kapstadt geworden, und die anderen Häfen, Richards Bay, Durban, Port Elizabeth auch nicht, aber das waren ja auch eher Stippvisiten. Und doch war es gerade in Kapstadt schön. Der kleine Yachtclub mitten im Industriehafen, nette Menschen, guter Kaffee auf der Restaurantterrasse, eigentlich eine kleine, westkap-typische weiße Blase – und alles gekrönt von diesem fantastischen Tafelberg. „Landschaft“, das kann Südafrika einfach, und Kapstadt ist keine Ausnahme. Am besten fand ich den Blick, wenn man ermattet vom Einkauf im Builders Warehouse in Paarden Eiland kam und ein ganzes Stück auf den Berg zu radeln musste. Muss man gesehen haben – atemberaubend, und der knappe Atem lag nicht an der Radelei. Zum Schluss, als es schon auf den Winter zuging, tauchte die flach stehende (und unermüdliche!) Sonne die Stadt in ein milchiges, melancholisches Herbstlicht – das hieß: schöne Sonnenspaziergänge und zur Kaffee(= Café)-Zeit schöne Dramaschatten. Pelzrobben wälzen sich im Hafenwasser, tausende Touristen sorgen für Trubel ründ um meine Einkaufsecke an der V&A-Waterfront und am Nobel Square, alte Herren spielen fetzige Jazzstücke – überhaupt war dort immer für gute Musik gesorgt: traditionell-Schwarzafrikanisches (a-humm, a-humm, The Ladysmith Black Mambazo lassen grüßen), jugendliche Bläsergruppen, Marimbaplayer. Schick.
Genau diesen Ausschnitt sieht man halt auf Kurzbesuch in Kapstadt, aber es gibt ja auch den Alltagsaspekt. Und immer wieder diese dämlichen Sicherheitsfragen. Wenn ich über die Fußgängerbrücke zum Woodstock-Bahnhof gehen wollte, kam mit Sicherheit jemand aus der Yachtie-Gemeinde, der ein „da kann man nicht langgehen!“ einwandte (siehe: weiße Blase), und die Sicherheitsleute am Gate rufen fröhlich: „… take care, auntie!“. Fährt man mit dem Hausmädchenbus morgens zum Tafelberg hinauf – wir haben den Ausflug wiederholt, weil es einfach unvergesslich schön ist! – kriegt man die ganze Pracht der besseren Wohngebiete vor Augen geführt. Western Cape – die einzige Provinz, wo man noch „leben“ kann, sagte jemand. Nebenan aufgepeppte alte Wirtschaftsviertel oder solche, wo es mit dem Aufpeppen noch nicht ganz so weit ist, zum Beispiel Woodstock. Und vom Tafelberg in die „falsche“ Richtung geguckt präsentiert sich einem die ganze Bescherung: die Cape Flats. Townships, Wellblechbuden (wenn man Glück hat) oder Plastikplanendächer. Und drunter duckt sich wieder Constantia, allerfeinst, die soziale Schere könnte nicht weiter klaffen. Gegen Ende unseres Aufenthaltes schickt uns ein Freund eine befreundete Familie, die uns zum Italiener ausführen, in einem der ganz alten Gebäude der Stadt. Das Volvo-SUV wird von einem der nigerianischen „Parkwächter“ eingewiesen, der lustigerweise sein eigenes Auto auf immer andere Parkplätze stellt und so immer ein Plätzchen für einen solventen und – wie er hofft –  großzügigen Parkplatzaspiranten bereit hat („Thanks, my brother!“, sagt der Fahrzeugbesitzer dann. Das muss man auch mit angehört haben…). Bargeld führt die Familie lieber nicht bei sich, nur eben für Trinkgeldjobs. Der Abend ist schön, das Essen gefällt uns sehr, am besten gefällt mir allerdings die Aussage der Mutter, die von ihrem Zuhause in Franschhoek erzählt und schließt: „… eigentlich sollten wir da nicht mal wählen dürfen… wir leben in einer Blase!“ Eine Blase der Sicherheit, des Luxus, weit weg vom normalen Leben, x-fach umzäunt und bewacht und gesichert. Eine für uns unvorstellbare Art der „Normalität“. Jetzt, gerade auf dieser Passage, lese ich die Deon Meyer-Kapstadtkrimis um Bennie Griessel ganz gern; gut getroffen, das Kapstadtbild, und für mich natürlich nett, sich in der Stadt ein bisschen auszukennen, nicht nur topografisch, sondern auch im Miteinander der Leute. Ein „Heimatroman“ ist es nicht.
So war es dann ganz einfach, die Leinen loszuschmeißen. Während die Lop To sich tapfer auf den Weg nach St. Helena machten, sahen wir das Windloch in der nachfolgenden Woche, und es war rasch klar, dass wir lieber nach Lüderitz gehen, statt über Tage in die eine oder andere Richtung zu dümpeln. Sehr gute Entscheidung, hätten wir doch ein paar aufschlussreiche Gespräche und ein bisschen Diamantenrauschgeschichte verpasst. Und eine Woche namibisches Ministadtleben. Wir hingen – von der sensationellen Evoldini, der Herrin über den Hafen Lüderitz, dorthin vermittelt – an der Mooringboje des Diamantendredgers „Rachel“, der am Tag nach unserer Ankunft hinausfuhr, um seinem wirklich mühseligen Geschäft nachzugehen, nämlich 8-10 Tage vor der Küste „staubsaugen“. Die Diamanthaufen, die man Anfang des 20. Jahrhunderts noch von der Oberfläche sammeln konnte, sind natürlich längst abgeerntet – man lag dazu bäuchlings im Sand, hatte ein Sammeltäschchen um den Hals gebunden und raffte so viel zusammen wie möglich. Heute ist es lukrativer, an vielversprechenden Stellen, sprich: unterseeischen Senken und Gräben, zu ankern und einen Taucher hinab zu schicken, der den dicken „Diamantensauger“ lenkt. Was genau sie aufsaugen, ist in dem Moment noch nicht klar, und der Wert der Beute steht erst fest, wenn Crew und Schiff gründlich auf Schmuggelware untersucht sind (wie findig die Diamantenarbeiter in diesem Punkt sind, kann man im MUseum sehen!), und wenn der eingesammelte Dreck gewaschen und sortiert ist. Das macht einzig und allein die Firma de Beers, die nicht nur den Hafen Lüderitz penibel überwacht, sondern das gesamte Sperrgebiet. Früher, zu Zeiten der „Diamanteneinsacker“, war das noch anders, und es ergoss sich ein Reichtum über Stadt und Region, der schon ans Abstruse grenzte. Dies ist zwar eine harsche Sandwüstenumgebung, aber man hatte angeblich Wasser genug, um Rosen zu züchten, damit man die Tanzböden mit Rosenblättern bestreuen konnte, für die Körperpflege sei Champagnerbad billiger als eines im über zig Kilometer aus dem Inland herbeigeschafften Wasser. Ein Stadtleben, das eine gewisse Dame der wilhelminischen Zeit offensichtlich nicht wirklich goutierte. Luise hieß sie und war die Frau eines zu Reichtum gekommenen kaiserlichen Leutnants namens Hans Goerke. Hans hatte seine Luise aus Berlin nach Lüderitz geholt und, damit es ihr auch ja gefällt, ein wilhelminisches Prachthaus an den Felsen oberhalb des Dorfes geklebt. Wir waren da. Salon, Studierzimmer, geräumige Ankleide, Schlaf- und Gästegemächer, 2 (zwei!) Badezimmer. Bleiverglaste Zierfenster… Nur dass Hans Luise vielleicht doch nicht die ganze Wahrheit über das Leben in Lüderitz gesagt hat – dass die weißen Tropenkleider im ständigen Sandsturm nicht lange weiß bleiben. Dass man die riesigen Hüte nur im Haus tragen kann. Und dass vielleicht trotz aller Turnhallen und Kegelbahnen und Tanzsäle das gesellschaftliche Leben nur bedingt mit dem von Berlin zu vergleichen ist. Hat er Dir das gesagt, Luise? Hast Du, Hans? Jedenfalls: zwei Jahre hat sie es in diesem diamantenen Käfig aus gehalten. Das Haus ist interessant anzusehen, aber es atmet für mich heute noch den Geist des „Untertan“. Deiner Tochter, Luise, hat es gefallen, als sie als 80jährige das Haus der Eltern besuchen durfte. Und Hans hatte sich wirklich Mühe gegeben…