Going west

17°2S – 002°10 W 14.6.2016
Tag xy unserer Passage nach St. Helena. Tag 9? Tag 9! Irgendwann verliert die Zahl ihre Bedeutung.  Es sind noch genügend Zwiebeln, Äpfel, Kartoffeln an Bord, und die Kühlbox ist auch noch ausreichend beschickt. Wir haben noch ungefähr 220 nm zu bestreiten.
Noch eine kurze Bemerkung zu Lüderitz: vielleicht habe ich das Schwergewicht meiner Schilderungen zu sehr auf die Deutschtümelei gelegt. Nein, Lüderitz ist kein „deutsches Nest“ in Namibia, das ist Swakopmund schon eher. Es gibt vielleicht noch 100 deutschsprechende Einwohner, und es gibt zwar einen „deutschen Club“, aber der wird fast ausschließlich von nicht-deutschen Namibiern frequentiert; eine zusammenhaltende „deutsche Gemeinde“ gibt es weniger. Beate, die Wirtin der Alten Loge, meinte, dass das Clubinteresse hauptsächlich im Knobeln und Jägermeistertrinken läge, und das geht auch ohne deutsche Zunge. Auffällig im Stadtbild ist lediglich, dass deutsche Gebäude, deutsche Beschriftung liebevoll gepflegt wird – das ist halt Ortsgeschichte, und Geschichte zu bewahren ist löbliches Tun, denn sonst wäre es ein ziemlich gesichtsloser Wüstenplatz.
Gestern haben wir zum zweiten Mal auf unserer langen Reise „nach dem Westen gemacht“. Längengradmäßig sind wir also definitiv „rum“, ein seltsames Gefühl – ich muss mal schauen, wann wir das erste Mal über den Nullmeridian geholpert sind. Klar, im Kanal, aber wo war das? OpenCPN sagt: auf dem Weg von Dieppe nach Cherbourg; mei, war mir da schlecht! Bei solchen Wegmarken drehen die Gedanken gern Ehrenrunden: Äquator. Datumslinie. Die Wendekreise. Und diese Ehrenrunden werden immer nostalgischer – und meine Spannung, was kommt, kriegt leicht skeptische Züge. Ein anderer Segler schrieb neulich aus der Karibik, dass es schwierig sei, an solchen (überfüllten) Plätzen wie in der Karibik die Erlebnisse einer Weltumsegelung zu toppen. Muss man vielleicht auch nicht – wenn wir uns weiter in der Kunst des „auch ganz schön hier“ üben, sollte eigentlich nichts schief gehen. Trotzdem frage ich mich, ob man wohl besuchte Plätze gern noch einmal sehen würde (Bonaire fällt mir ein, Blanquilla, die Roques), aber vielleicht sollten wir lieber die unglaubliche Menge an nicht besuchten Plätzen ansteuern; wir haben ja noch gar nichts gesehen. Die großen Antillen, allen voran Kuba, auch wenn die alten Buena-Vista-Knacker wahrscheinlich nun alle dahin sind. Mittelamerika! Die Bahamas? Kommt Längengrad, kommt Idee. Jetzt erst einmal kommt etwas, wovon Helmut „Lop To“ heute früh auf dem Funk sagte: „… super Ziel…“. Wir freuen uns auf St. Helena. Wir freuen uns auch auf die Queen, die muss dort sein, denn gestern wurde ihr Geburtstag gefeiert, ebendort, da wird sie ja wohl anwesend gewesen sein, oder? Und sie muss dort definitiv feststecken, denn Her Majesty’s Ship, The Royal Mail Service „St. Helena“, ist in London, und sowieso ausgebucht für die nächsten Monate. Und, Überraschung: eigentlich sollte – BER lässt grüßen! – der Flugplatz schon letztes Jahr fertig sein, dann im Januar, nun im Mai, aber Helmut meinte: „Airport is‘ nich‘!“ Wie nett für uns. Ich hätte zwar nicht erwartet, dass sich mit einsetzendem Flugverkehr das Inselflair am gleichen Tag um 180° dreht, aber so werden wir St. Helena noch im Urzustand betrachten können. Irgendwas ist mit der Landebahn. Uns wurde auch schon heute Crew nach Brasilien angedient – ein Kanadier ist als Gast mit einer Yacht auf der Insel „gestrandet“, will sagen: im Unfrieden ausgestiegen, und versucht seit Wochen, egal wie zu irgendeinem Festland zu kommen. So ist das auf St. Helena. Ich lese gerade mit Vergnügen das Buch „Outposts – Journeys To The Surviving Relics Of The British Empire“ von Simon Winchester. Die „Journeys“ sind zwar auch schon ein paar Tage her, aber es macht großen Spaß, über Ascension (ein Kurzfrist-AKKA-Ziel?!), Diego Garcia oder Tristan da Cunha zu lesen, und besonders Letzteres hat mich in seiner Abgeschiedenheit schwer beeindruckt, ein Ziel, das man in jedem Fall einen Traum bleiben lassen sollte. So hätten es damals wohl auch gern die Einwohner gehabt – ob das heute noch ist? Aber St. Helena ist ja auch ausreichend abgeschieden – drum hat man Herrn Bonaparte dort ja auch untergebracht. So abgeschieden, dass Lop Tos heute mahnten, wir mögen doch bitte mit unserem Frischproviant sehr sorgsam umgehen, die Inselregale seien weitgehend leer. Siehe oben – HMS St. Helena auf Abwegen, da kommt nichts nach. Insofern ist es nicht so ganz unwesentlich, dass wir noch genügend Zwiebeln an Bord haben. Die Karotten muss man leider von der schwarzen Pilzschicht befreien, und von den Tomaten haben nur die südafrikanischen, nicht die grünen aus Namibia überlebt. Die Kürbisse müssen auf die Brasilienpassage warten, und die Kohlköpfe muss ich mal pflegen. Ansonsten gibt es halt mal wieder Dosengemüse mit Zwiebel. Kennen wir ja schon. Damals. In San Blas… Oder in der Lau-Gruppe. Schöne Zeiten, also fügen wir ein weiteres Kapitel an. Es soll in St. Helena günstigen, frischen Tunfisch geben! Wenn das nichts ist – we are going west!

2 Gedanken zu „Going west

  1. Weht jetzt schon der Passat von Portugal kommend an der afrikanischen Westküste entlang und dreht dann nach Westen ab? Sodass Ihr vor dem Wind segeln könnt.
    Wir starten erst im Dezember nach Westafrika denn vor 50 Jahren waren meine frühere Freundin und ich mit dem VW T1 beim Standesamt in Braunschweig. Wir starten unsere Hochzeitsreise einen Tag später am 3. Dezember vom Motorpark Oschersleben wo der Welfenpokal seine Siegerehrung und das 50. Gründungsjahr feiert. Alle Gewinner, Sportleiter und Vorstandsmitglieder der letzten 50 Jahre (ich darf also 3x erscheinen) sind dazu eingeladen.
    Euch eine angenehme und nicht zu lange Überfahrt nach Brasilien.
    Gruß Gerolf und Gisela

  2. Hallo, und herzlichen Glückwunsch schon mal zum „Ereignis“!
    Schöne Grüße aus St. Helena – und nein, hier weht kein Passat von Portugal, höchstens der der Südostpassat aus der ehemaligen portugiesischen Kolonie Angola…
    Aber den werden wir nutzen!
    Mal gucken, vielleicht führt uns der Weg doch noch nach Ascension.
    Nachrichten aus St. Helena folgen in Kürze. Schöner Felsen!

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