Saint Helena

St. Helena, 21.6.2016

… oh, nein, oh! Kein Blog, keine Positionsmeldungen, oder letztere nur bedingt in Form einer Satellitenmail. Jetzt aber mal!

Donnerstag, am 16.6. um 5 Uhr früh krackelt das Radio – eine britische Frauenstimme führt ein britisches Radiogespräch mit einem anderen Schiff, 40 Meilen draußen: „St. Helena Radio, St. Helena Radio, St. Helena Radio! Station calling St. Helena Radio, this is St. Helena Radio!“ Als sie fertig sind – ich höre nur die Landstation – hänge ich mich dran; ich hätte sie so früh nicht geweckt, aber so können wir unserer Pflicht, die Ankunft 20 Meilen vor Jamestown anzumelden, geschickt nachkommen. 2 Leute an Bord, alles gesund. „Did you say five-zero tons?“ Nein, wir haben nur one-five tons. „That’s good! Contact the harbour master on channel 14 when you ar 1 mile out! Welcome to St. Helena“. Wir sind fast da. Wir halten Frühstück mit Delfinen, grüßen die ersten Tropikvögel, Tölpel und Feenseeschwalben kreisen in der Luft, und als wir um die Ecke biegen, kommen uns der Begrüßungs-Buckelwal entgegen – er hält sich allerdings etwas bedeckt und scheint in Eile.
Wir auch, wir müssen noch rasch die Bäume wegnehmen, ehe es ein allem Anschein nach komplizierteres Mooringmanöver gibt: wir sollen vorn und achtern an je einer der ausgelegten, gelben Moorings festmachen, und das wird in mehreren Quellen explizit beschrieben: eine Person signalisiert dem Steuermann, wohin er fahren muss. Eine Person besorgt zwei Festmacherleinen an den vorderen Klampen und eine steht im Bug und wirft eine lange Festmacherleine „aufwärts – vorwärts“ in einem Lassowurf über die Mooring. Wir scheinen ein Crewdefizit zu haben – unser Steuermann muss selbst gucken, wohin er fährt, und ich übernehme die anderen beiden Jobs. Und überhaupt, Lassowurf. Wir haben unseren alten Schwedenhaken herausgekramt, das muss auch gehen. Und es geht, allerdings dauert es eine ganze Weile, bis wir – Festmacher aneinanderstecken um sich zurückfallen lassen zu können, Balanceakt auf der Badeleiter etc. pp. – tatsächlich vorn und achtern fest sind.
Landgang! Einklarieren! Der „Ferryservice“ bringt uns hin – macht 1 Pfund pro Nase und Fahrt. Der Schritt an Land ist legendär und wird überall eingehend beschrieben, es kann, je nach Wellengang und Tidenhöhe, ein bisschen feucht, glitschig und bewegt sein. Anno 82 befand sich Prince Andrew auf dem Weg zu Kampfhandlungen in den Falklands und besuchte die Insel – die BBC berichtete live, und während His Royal Highness, wohl gut gebrieft, die bereithängenden Leinen ergriff und auch den Zeitpunkt gut erwischte, in dem das Bötchen gerade oben auf einer heranrollenden Wellen schwappte, und er elegant und trockenen Fußes an Land trat, gab der Gouverneur in vollem Ornat den „routinierten Local“, entschied sich für die freihändige Variante, sprang – und verschwand prompt in den Well en. Es wird gesagt, dass er kurze Zeit später an einen trockeneren Platz des Britischen Empire versetzt wurde – nach British Guyana. Da regnet es einem höchstens auf die Schärpe. Das Leben auf St. Helena – übrigens mit der Betonung auf dem zweiten „e“, mit einem klitzekleinen „i“. Heleeina! Wir eilen zum Harbour Master, der freundlicherweise vor dem Büro auf uns wartet und uns per Handschlag begrüßt. Wir halten den Inselbetrieb auf, er muss zu einer Besprechung „at the castle“, the governor trommelt schon mit den Fingern. Während er sich aufmacht, belästigen wir den Zoll. Ach, ja. Mindestens 12 unterbeschäftigte BeamtInnen füllen den Raum, das erste Symptom einer schlechten wirtschaftlichen Lage tritt zutage. So richtig voll ist es ja im Hafen nicht – die Lop To liegt neben uns, der Rest ist lokaler Fischereiverkehr, plus ein Überraschungsgast namens Don Baldo, eine alteRoRo-Fähre von Chile auf dem Weg zu ihrem nächsten (letzten?) Einsatzort in Äquatorial-Guinea, und Lop Tos und der Don haben schon vor Tagen eingecheckt. Also sind wir schnell durch, und nett, nett, supernett ist man, und nach kurzem Gang durch dieses historisch anmutende Städtchen – Immigration ist auch in der Besprechung „at the castle“ – plumpsen wir im Hof des Consulate Hotel auf die Stühle. Lunchtime mit Fußballfernsehen, es spielen England gegen die Waliser. Ganz normales Inselleben also.

Tag 2 – wir haben Programm! Die Lop Tos haben eine Inseltour arrangiert. Ferryservice um 9, Sprung an Land (siehe oben!). Unter der Steilwand – unter der auch wir liegen, und die einem höchstens einen halben Satellitenhimmel und ansonsten wenig Funkverkehr und damit auch keine Positionsmeldungen erlaubt – reihen sich ein paar koloniale Gebäude, alte Pulverhäuschen etc., und dort wartet Robert Peter mit seinem klapperigen Bus. Wir gehen auf „Historical tour“. Und treffen Trevor Magellan…
Robert ist ein ehemaliger Schulbusfahrer, der nun seinen Lebensunterhalt mit Taxifahrten verdient, er muss Ende 70 sein. Ein bisschen schwer zu verstehen ist Robert, sein er hat fast ein bisschen Südstaaten-Tonfall – ob er das in Ascension aufgeschnappt hat, als er dort in den 50ern und 60ern gearbeitet hat? Jedenfalls – erster Punkt unserer kleinen Geschichtstour – erinnert er sich an den Knall, den 1942 ein Torpedoschuss eines deutschen U-Bootes auf ein englisches Kriegsschiff in der Bucht von Jamestown verursachte. Geschichte aus erster Hand.
Und dann geht es zunächst einmal zu dem, was die meisten mit St. Helena verbinden (übrigens sagen viele „… ach, St. Helena, das ist doch die Mittelmeerinsel, auf der Bonaparte…“). Nö. St. Helena ist eine südatlantische Insel, und das nicht ohne Grund – diesen Herrn Bonaparte wollten sie so weit vom Schuss weg haben wie möglich, und es wurde mit allen Mitteln dafür gesorgt, dass kein französischer Fan „den Kaiser, den Kaiser“ zurück nach Europa holt. Übrigens war auch Wellington hier auf der Insel, und die erste Nacht seines Aufenthaltes hat Napoleon da genächtigt, wo auch Mr. Wellesley geschlafen hat, was diesen angeblich veranlasst hat, „Bony“ eine Nachricht aus Paris zu übermitteln, in dem er ihm wünscht, dass ihm sein Quartier in Jamestown so gut gefallen möge, wie ihm der Elyséepalast in Paris. Kriegsschauplatz-Scherze…
Bekannt ist St. Helena für Napoléons Unterkunft in Longwood, oben in den Bergen – nicht nur, dass die Insel abgelegen sein musste, um den kriegerischen Herrn unterzubringen, nein, auch innerhalb der Insel sollte er möglichst abgeschieden versteckt werden. Allerdings hatte er sich ausbedungen, dass er das geplante Haus besichtigen dürfe. Deprimiert über den Zustand der kleinen, heruntergekommenen Farm ritt er mit seinem General (und sicher einem Rattenschwanz an englischen Bewachern) zurück nach Jamestown, als ihm ein kleines Gartenhaus oberhalb der Stadt ins Auge fiel – fortan Briar’s Pavillion genannt. Ich denke, der Herr verfügte noch über ausreichend Überredungskunst, den Besitzer davon zu überzeugen, dass er kaiserliche Einquartierung bekommen würde; und in der Tat, während der zwei Monate, in denen Longwood erweitert und renoviert wurde, haben sich die beiden angefreundet. Es ist ein niedliches Haus in einem idyllischen Garten; Trevor, ein älterer Herr, der uns das Haus zeigt, weiß kleine Geschichten zu erzählen, von der Tochter des Hausherrn, Betsy, die dem ex-Kaiser als Sonnenschein diente und von den Wutanfällen, die zu dem führten, was man auf dem Kaminsims neben Napoléons Büste zu sehen ist: ein Porzellanteller in Scherben. Fast noch interessanter, was Trevor zu Siedlungsgeschichte der Insel zu erzählen hat – nicht von ungefähr sieht er ein bisschen olivfarben-portugiesisch aus, er heißt auch „Magellan“ mit Nachnamen. 1502 war die Insel von den Portugiesen entdeckt worden, und für viele Jahre ein gut gehütetes Geheimnis. Dann kriegten die Spanier Wind von diesem schönen Platz, an dem man sich auf dem Weg zum Kap verproviantieren konnte, verzeichneten die Insel in den Lotsenkarten, und es dauerte nicht lang, bis eine solche Karte während der steten Scharmützel zwischen den konkurrierenden Seefahrern in fremde Hände fiel. Ende des 16. Jahrhunderts begann dann ein länger andauerndes Bäumchen-wechsel-Dich-Spiel zwischen holländischen und britischen Besatzern/Besitzern.  Trotzdem ist mir die Geschichte vom ersten Langzeitsiedler auf St. Helena die liebste: Joao Lopez. Der hatte in Goa versucht zu desertieren, weshalb man ihm Nase, Ohren, eine Hand und den kleinen Finger der linken Hand abschnitt. So entstellt, sagt Winchester, hatte er wenig Lust, Frau Lopez daheim entgegenzutreten und entschied, auf St. Helena zu siedeln. Über Jahre floh er, wenn Schiffe ankerten, vor möglicher Gefangennahme; irgendwann allerdings nahm man ihn doch mit nach Lissabon. Als Kuriosität wurde er herumgereicht, und nachdem man ihn sogar zum Papst geschickt hatte, äußerte er einen Wunsch: man möge ihn zurück nach St. Helena bringen. Was man tat – noch 35 lange Jahre lebte er hier fröhlich, züchtete Schweine und Hühner und Ziegen und erfreute sich der Dinge, die ihm seine Gärten lieferten. Und wenn er nicht gestorben wäre, würde er noch heute in diesem fruchtbaren Tal oberhalb von Jamestown leben.  Mein Napoléon heißt Lopez!

Mein Kaiser, mein Kaiser!

Mein Kaiser, mein Kaiser!

Ach ja – wann es Bilder gibt, weiß allein der Internetprovider, und dessen Mühlen mahlen langsam…