Geschichten vom Ahu

Kerle mit Mana...

Kerle mit Mana…

Hanga Roa, 13.10.2016

Da war noch was! Die Sache mit dem Ahu! Ich sitze gerade auf einem, obwohl das Sitzen auf einem Ahu eigentlich ganz fürchterlich „tapu“ ist, ein Sakrileg. Ahus sind Zeremonialterrassen. Aber wir folgen nur unserem ureigenen Ritual, dem Café latte-Schlürfen, und unser Ahu ist ein Kaffee-Ahu, die Bohlenterrasse des Eco Taina-Cafés. Ihr seht, für den Touristen ist gesorgt, und wir danken es den Rapa Nui.

Klar. Was alle Welt mit der Osterinsel verbindet, muss nicht nur nebenbei erwähnt werden, sondern war unser Ziel. Stichworte wie Kontiki, Aku Aku, Thor Heyerdahl kommen immer sofort. Und eben Moai. Meine Schwester schreibt, dass ihr diese riesigen Steinfiguren immer unheimlich waren – mir auch. Heyerdahls Bücher standen natürlich im heimischen Bücherschrank, aber das meiste davon hatte ich vergessen oder niemals verstanden. Wir befanden uns also auf einer Tour der Ahnungslosen, das Rapa Nui-Thema wollte ganz neu beackert werden.

Weit läuft man nicht in Hanga Roa, bevor man über die ersten Steinfiguren stolpert. Gleich hier auf der Terrasse steht eine ansehnliche Nachbildung. Am Fischerhafen steht ein Moai, der auf’s Meer schaut, und einer ins Inland. Letzterer guckt richtig, und meine Schwester hatte recht: unheimlich sind sie, und so waren sie auch gemeint. Leere Augenhöhlen, die Lippen zusammengenkniffen, was manchmal fast verschmitzt aussieht. Niedrige Stirn, ausgeprägte Nase und langgezogene Ohrläppchen. Wirklich markant. Sie stehen immer auf einem Ahu, und sie schauen, den Rücken dem Meer zugewandt, immer auf den Clan der Siedler, die vor ihnen ihrem Alltag nachgingen. Ein Archäologe, den ich belauschte, sagte zu seinen Gästen:“… they do not look at the sea, because they are not on vacation!“ Moai zu sein war kein Urlaub. Die Siedlungen, die sie beobachteten, waren hierarchisch geordnet: erst die Hauser der Noblen, eigentlich große Terrassen für das Alltagsleben mit einem schmalen, langgezogenen Schlafhaus dahinter, geformt wie ein Kanubug. Je weiter vom Wasser und dem Ahu weg, umso niederer der Rang der Bewohner, die Grundstruktur dieser Gesellschaft. Von den Häusern sieht man nur noch wenige Fundamente, dafür sind viele hare moa erhalten: komplette, geradezu riesige Hühnerhäuser aus Vulkanschlacke. Klingt einfach, aber es ist doch besonders: das Leben drehte sich zu einem gewaltigen Teil um diese Figuren, um ihre Anfertigung. Als zwischen 800 und 1000 a.d. die ersten Siedler, wahrscheinlich aus den Gambierinseln, eintrafen, brachten sie außer allem Überlebensnotwendigen. also Hund, Schwein, Taro, Ratte, auch polynesische Traditionen mit, wie zum Beispiel ihre Rituale auf Terrassen (marae) zu feiern und kleine Steinfiguren zu fertigen. Nur entwickelte sich hier in der völligen Abgeschiedenheit der Osterinsel eine Art  Bildhauerwahn: die Figuren, die immer nach dem Tod von wichtigen Männern angefertigt wurden (es gibt ungefähr 10 Figuren mit weiblicher Anmutung!), wuchsen. Anfangs klein und rundlich und von normaler Körpergröße, streckten sie sich, wuchsen auf 2, 3, 4m an  und mehr, sie wurden feiner in der Darstellung und bekamen einen Kopfschmuck aus rotem Tuff aufgesetzt. Fast alle kamen aus dem zentralen Steinbruch Rano Raraku, wo der beste Vulkanstein zur Verfügung stand, und dort liegen und stehen noch heute über die Hälfte der insgesamt 900 Figuren. Wirklich umwerfend, wenn man da im scharfen Vormittagslicht hindurchstreift. Halbfertige Moai und solche, die zum Abtransport bereitstehen. Einige, die bei Transport oder bei den Abschlussarbeiten am Rücken beschädigt wurden – Ausschussware. Vielleicht sind auch dem einen oder anderen Clan die Mittel ausgegangen? Ein unfertiger Gigant von 20 m Höhe, ohne „Pukao“, dem Haardutt, der sicher noch einmal über 10 Tonnen gewogen hätte, die Figur selbst über 250. Und damit sind wir eigentlich bei der Tragik der ganzen Geschichte angelangt: die Figuren wurden in gar nicht so langer Zeit aus dem Fels gehauen, bergab gezogen, aufgerichtet und fertiggestellt, sodann mühsam von 50 bis 500 Leuten vom Steinbruch zum Ahu ihres Auftraggebers transportiert, wozu man Holzschlitten und Seille aus Pflanzenfasern brauchte. Übrigens erfolgte der Transport ohne Augen – Sinn des Moai war, sein mana auszustrahlen, eine übernatürliche Kraft, und das mana wäre durch die Augen auf die falschen Menschen gefallen. Das Aufrichten auf dem Ahu war entsprechend mühsam, es gibt da die kühnsten Theorien, aber all das ist und bleibt wohl rätselhaft. Erst mit der Blickrichtung auf die heimische Siedlung wurden Augen eingesetzt und strahlten nun streng. Je größer der Moai, umso mana… je größer der Moai, umso aufwändiger auch Produktion und Transport, umso mehr Ressourcen wurden verbraucht, als Bezahlung für die Arbeiter und Transporteure und für die Transportmittel. Je größer die Not der Clans, umso mehr mana wurde gebraucht. Umso größer müssten die Moai sein. Und umso mehr Bäume gefällt, für Seile und Schlitten und Hebelapparate. Alles klar? Das Ende vom Lied nennt Jared Diamond „Ökozid“, Mord an der Umwelt für rituelle Zwecke. Als 1722 erstmals Europäer die Insel beschrieben, war sie schon baumlos. Als Cook 50 Jahre später kam, waren viele Moai schon umgestürzt – möglicherweise hatte man den Verdacht, dass vielleicht zu viel mana das Elend brachte, also fort mi den unheimlichen Geistern. Aber es ging mit der nun schlecht versorgten Bevölkerung weiter bergab: Unterernährung wegen der Verkarstung der Landschaft, ansteckende Krankheiten von den Besuchern, und Sklavenschiffe dezimierten die Rapa Nui weiter. Man wandte sich einer anderen Gottheit zu, dem make make , aber auch dieser Wechsel zum Birdmankult half nicht mehr. Zu spät. Abgewirtschaftet.

In den 60er Jahren begann die Forschung zu diesen wundersamen, wundervollen Steinfiguren, Mitte der 60er wurde die ersten wieder aufgerichtet, am Strand von Anakena. Ein Japaner spendete einen Kran, um ab 1996 die moai auf dem größten Ahu in Tongariki wieder aufzustellen. Jared Diamond sagt, dass ihn die Abkehr vom Moai-Kult an die Wut der Rumänen und Russen beim Umstürzen der Statuen von Ceaucescu oder Stalin erinnert. Unsere Rapa Nui-Führerin Emilia hat da eine andere Meinung: keine gebrochene Nase, das muss heißen, dass man die Figuren sanft aufs Gesicht gelegt hat. Lass‘ das mana in die Erde strahlen… Geholfen hat es nichts. Eine Kulturtragödie nach kollektivem Größenwahn.

Ein denkwürdiger Ausflug für uns, mir fielen noch viele kleine Dinge ein, aber wir fliegen dann mal zurück. Wer Jared Diamond (natürlich gibt es andere Autoren zu Thema….) lesen will: „Collapse. How societies decide to succeed or fail“. Interessant.

Der Nabel der Welt

und AKKA oben rechts

und AKKA oben rechts

Hanga Roa/Osterinsel, 13.10.2016

Te pito o te henua, der Nabel der Welt, so sagt man hier. Allerdings gibt es viele solcher Nabel in Polynesien, und eigentlich kann es auch heißen: Ende der Welt. Oder Ecke… Alles ganz richtig. 3 Ecken hat die Osterinsel – es ist, bis auf ein paar Felslein tatsächlich nur eine, also „die Osterinsel“ in der Einzahl – und vielleicht war auch jede dieser Ecken einstmals ein Nabel und jeder Nabel ein eigenes Ende der Welt. Eines ist klar: die Insel ist entlegen. Südöstlichste Ecke des polynesischen Dreiecks, das im Norden in Hawai’i endet und im Südwesten in Neuseeland. Polynesien, das riesige. Ich freue mich unglaublich, noch einmal hier gewesen zu sein – schon diese vokalreiche Sprache finde ich toll. Der Hang zur Blume im Haar, zu dicken, schönen Tatoos. Und auch wenn vom  Erbe Rapa Nuis nicht so schrecklich viel übertragen ist, man lehnt sich an Tahitianisches oder Marquesanisches an. Ansonsten: Lebensgrundlage Tourismus. Das wurde schon vor einer Woche klar, als wir in der Früh den Check-In-Schalter von LAN bzw. LATAM erreichten – es wird derzeit täglich ein Flieger voll nach Rapa Nui geschaufelt, und zurück,  je 300, 400 Leute. Einige davon natürlich Einheimische, so dass sich die neugierige Rucksackreisende an dem einen oder anderen Haardutt oder dem „Regen“-Tattoo am Hals erfreuen kann. Der Flug selbst geht, siehe oben, Ende der Welt, auch nicht gerade mal um die Ecke, 5 Stunden dauert der Spaß, aber danach gleitet man eine Weile im Sinkflug über pazifisches Wasser, bis die Landebahn von Matavere aus dem Nichts auftaucht. Warm und feucht ist es. Blumenkranz zur Begrüßung. Ein Minibus, leicht polynesisch, holpert uns ein paar hundert Meter zum Hotel, das den Namen des ersten Siedlers trägt: Hotu Matu’a. Weiträumig ist es hier jedenfalls nicht.

Im Dorf begegnen uns die Bewohner mit Regenjacken und Gummistiefeln – auf das Wetter ist nicht so recht Verlass. Es kann nass von oben sein, muss aber nicht, und frischer Wind lässt einen in der schwülen Feuchte unangenehm abkühlen, dabei ist unsere Erkältung noch nicht vorbei. Pfui. An der Fischermole sitzen wir eine Weile und bestaunen den Schwell, der hereinläuft, zur großen Freude junger Surfer. Auf den vorgelagerten Felsen klettern zwei Frauen herum und angeln sich das Familienessen. Ein Segler – einer von vielleicht 30 im Jahr, die es hierher treibt – liegt an einer Mooring. Gemütlich sieht anders aus.

Hanga piko, Hafeneinfahrt

Hanga piko, Hafeneinfahrt

Im AKKAnautentempo geht es voran: noch ein Tag im Dorf, mit Kaffeetrinken, ausgiebigem Surfen (wir haben von einem Seglerkollegen in Jacaré lauter südamerikanische SIMkarten geerbt, und die chilenischen EnTel und Movistar tun’s auch im tiefen Ozeanien). Ganz langsam weichen Laufnase und Husten. Erstes polynesisches Vergleichsessen: während man auf den Sonnenuntergang lauert und außerdem die äußerst spannend anzuschauende Einfahrt zur Mole von Hanga Piko beobachten kann, gibt es Ceviche vom Kana Kana (ein lokaler Barrakuda) und vom Tunfisch. Der Kana Kana ist besser, auch in der gebratenen Version. Lokal merken und ansparen… wir halten aus Kostengründen ansonsten gern ein Hotelzimmerpicknick ab, die Minimercados geben alles her, was man braucht und eingeflogen werden kann. Im Hafen liegt eine Lederrückenschildkröte herum. Fischer klären uns über ihren Widerstand gegen den geplanten Marine-Nationalpark auf, aber da wird’s dann mit der Verständigung ein bisschen schwierig. Und mir fehlt kraft meiner Naturschutzneigung auch das Verständnis für Tunfisch-Longline-Fischen, und dafür, dass man nternationale Schutzbehörden, die wirklich tatkräftig mit den Rapa Nui zusammenarbeiten und ihnen alleinige Fischereirechte in der Region zubilligen wollen, als Kolonialisten bezeichnet. An dieser Stelle ist die Bevölkerung denn auch gespalten. Wie allerdings die Kontrolle dieses riesigen Seegebietes, nämlich 200 nm rund um die Insel, gewährleistet werden soll, ist mir auch nicht klar. Nebenan kampieren Rapa Nui-Familien dauerhaft und lassen schwarze und Inselfahnen im Protest gegen das Luxushotel Hangaroa Eco Village. Eco ist sicher fein, aber ungern auf Grund, den man den Einheimischen abgeschwindelt hat. Gleiches gilt für den Flughafen, und immer wieder blitzen Hinterlassenschaften der Pinochet-Aera durch. Da ließen sich wohl leicht Geschäfte machen, und umso erboster kämpfen die RapaNui um Rechte. Rechte übrigens, die man ihnen über viele Jahrzehnte vorenthalten hatte. Bis in die frühen 50er war die Bewegungsfreiheit der Einwohner auf den Ort Hanga Roa beschränkt, Landrechte hatten sie nicht, die Insel seit 1888 an einen britischen Schafzüchter verpachtet, sie waren nicht einmal Chilenen. Aber genau das ist auch immer noch strittig: man fühlt sich als Polynesier, nicht als Chilene. Und wieder kommt das Wort: Kolonialismus.

Aber all das schwingt eher im Hintergrund. Wichtig für uns eher, dass Maria, die Wäscherin uns am offiziellen Dia de la descubierta de las Americas, auch bekannt als Columbus Day, die Wäsche abnimmt und säubert. Maururu, Maria, für Wäsche und Schnacken und Abschiedsumarmung. Wichtig ist auch zu wissen, dass 98% der vielen Straßenhunde freundliche Kerle sind, um die die Autos Kurven fahren. Bei den restlichen 2%handelt es sich um a. Hühnermörder mit gutem Gedächtnis, die mir meine Rolle als Mordverhinderer übel nehmen und beim nächsten Vorbeimarsch eine Scheinattacke auf mich starten. Und b. gibt es den Wegelagerer, der weiß, dass in Richtung unseres eher bescheidenen Hotels am Ortsrand – sehr schön, weil im normalen Leben! – manchmal Gäste mit Plastiktüten und Picknickzubehör vorbeigehen; da kann Hund dann reinbeißen und klauen, was rausfällt. Bye, bye und adios Salami!

Das war’s dann von der Osterinsel. Oder war da noch was? Ich schick’s mal raus und denke derweil nach… Unser Rückflug sollte sich eigentlich gerade in die Luft erheben, hat aber 6 Stunden Verspätung, Zeit wäre noch. Für Bilder und … noch was.