… Kuchen, Siedler und Herr Krause

Osorno im Abendlicht

Südamerikas schönster Vulkan: der Osorno im Abendlicht

Puerto Varas/Los Lagos, 23.10.2016

Zona Sur, „der kleine Süden“ Chiles. Noch nicht ganz Patagonien, aber ganz nahe dran. Der Nachtbus von Santiago nach Puerto Montt war leider nur ein semi-cama, manchmal kriege ich Dinge im Gespräch mit Chilenen wohl nicht mit. Entweder gab es keinen Bus mit richtigem 180° Bett, oder er war voll, oder die Dame hat mich an jenem verregneten Sonntagmorgen nicht verstanden… aber halbliegend durch die Nacht geht auch. Im Morgenlicht schiebe ich die Vorhänge ein bisschen zur Seite – ooh! Schneeberge zur Linken! Vulkane! Um 10 Uhr rollen wir nach Puerto Montt hinein, und mein erster Gedanke ist: ein bisschen Harz (Walmdächer mit Rundbögen), ein  Schuss Irkutsk (braune Holzhäuser), durchmischt mit Schweizer Alpenarchitektur. Fast alle Häuser sind Holzhäuser, mit Schindeln verkleidet und gedeckt.

Puerto Montt, Unsere Fähre wartet schon

Puerto Montt, Unsere Fähre wartet schon

Man tritt aus dem Busterminal, schneebdeckte Vulkane glitzern in der unerwartet scheinenden Sonne, der Pazifik wird seinem Namen gerecht und plätschert friedlich auf den gerölligen Strand; nicht schwer für den Stillen Ozean, denn hier bildet er eine tiefe, geschützte Tasche. Daunenjacken undGummistiefel sind in der Überzahl, aber einige Mutige lassen sich auch die Sonne auf entblößte Arme und Beine brennen. Auf der Molenmauer erfreuen sich ein paar fröhliche Fischersleut‘ des schönen Tages, sie fischen nach Münzen von Passanten (O-Ton Eigner: …. und neigen zur Geselligkeit). Hunde gibt es zuhauf, alle recht entspannt. Kleines Zimmer in einem netten Hostel, viel Radebrechen ; einigermaßen erfolgreiche Spanischbemühungen erzeugen stets Wortsalven von und Gelächter bei Marisol, die den Laden schmeißt.

Ceviche und Wein

Ceviche und Wein

Ein Orientierungsspaziergang – wir wollen wissen, wo wir unsere Fährtickets nach Puerto Natales bestätigen lassen können – endet bei Robben und Pelikanen im alten Marktviertel Angelmo, und anschließend bei Ceviche, Wein und Fischspeisen auf einer wackeligen Bank in Don Juanitos Fischbüdchen – ein Büdchen von vielen, vielen, und jedes möchte einen der wenigen Spaziergänger hereinlocken. Unsere Lockvogelin jedenfalls reckt die Faust: „Si! Si!“

Landeanflug

Landeanflug

Draußen schweben die Pelikane vorbei – schade, dass man diese Landungen nicht so gut fotografieren kann. Bilderbuchreif.

Anderentags marschieren wir die Bucht nach Westen entlang „nur mal auf den Hügel, gucken, wo die Marina liegt“. Wir sehen deren zwei, von ferne, nur die Hoffnung auf einen Kaffee treibt uns um die ganze Bucht;  zur Belohnung für den Gewaltmarsch  gibt es weder Kaffee noch Zugang zur Marina, sondern nur ein Schwätzchen mit dem Wachmann. Macht nix. Fahren wir halt mit dem Bus zurück und belagern die Hostelküche. Und dann werden Pläne gemacht. Zwei Wochen bleiben bis zur Abfahrt der Fähre Evangelista nach Puerto Natales – Gelegenheit, ein Auto zu mieten und sich im Kleinen Süden umzuschauen, und als das Auto da ist, fahren wir doch noch einmal zur vielleicht etwas  weniger streng gehandhabten Reloncavi-Marina. Die vorgetragene Geschichte vom Segelboot in Brasilien tut ihre Wirkung, und die Atmosphäre der Marina wiederum wirkt auf uns. Zwar sind wenige Segler im  Wasser  und auch die an Land stehenden sind zumeist unbewohnt, aber irgendwie erfasst uns der Geist vom „… in 20 Jahren wirst Du nicht bedauern, was Du getan, sondern was Du nicht getan hast…“. So viele, die sich um die Südspitze von Südamerika gequält haben. Beaglekanal, Magellanstraße, Kap Horn. Ein bisschen Neid kommt auf, aber dann treffen wir auf die Schweizer Yacht Robusta, und Anja weiß unsere Zweifel zu zerstreuen. Doch, sagt sie, im Nachhinein war es toll, auch der Winter in Patagonien, aber… ab Mar del Plata war es eigentlich anstrengend bis hin zum K(r)ampf. Beidrehen, Sturm durchlassen, weiterfahren. Höhe wieder gutmachen,  wenn es einen unverhältnismäßig in den Atlantik rausgeblasen hat, beidrehen… und so fort. Frohgemut ziehen wir von dannen und freuen uns auf Kap Horn mit dem Rucksack. Basst scho‘!

Das Erbe

Das Erbe

Zwischenstopp in Puerto Varas. Das Deutsch/Österreichzentrum hier im kleinen Süden. Nach einem Ausflug zum „schönsten Vulkan Südamerikas“, dem Osorno, umrunden wir den Lago Llanquihue, bestaunen Gutshöfe, die ihr europäisches Erbe nicht verhehlen können und versuchen, auf alten Friedhöfen Familien- und Integrationsgeschichte nachzuvollziehen. Das mit der Integration hat hier sehr gut geklappt, wobei sich chilenisch-deutsche Mischehen schon früh ergeben haben,  nämlich unter den katholischen Familien. Die protestantischen Siedler blieben, so sagen es die Grabsteine, fein unter sich, auch wenn sich die Sprachgewohnheiten schon lange in Richtung Spanisch geändert hatten – spanischer Vorname, zwei deutsche Familiennamen. Insgesamt sieht man viele Spuren. Die Biere. Der „Kuchen“ ist ein chilenisches Wort. Deutsche Schulen, gern auch Berufsschulen. Und die volle Ladung davon kriegen wir bei Sr. Krause im Museo Antonio Felmer zu sehen, ein wirklich schönes Stück bäuerlicher Zeitgeschichte, inklusive Vorführung des Polyphons, einem Exponat, das man den Besuchern nicht mehr allzu oft vorführt, aber wir kriegten von einer großen  gekrümmten Messingplatte das dort eingravierte „Muss i denn“ zu hören und einen schmalzigen Walzer. Darauf gibt es noch einen kleinen Abriss über die Siedlungsgeschichte; wenn man die unglaublich fruchtbare Gegend mit all ihrer Milch- und Fleischviehwirtschaft heute betrachtet, die fetten Weiden im lichtem Baumbestand, mag man gar nicht glauben, dass viele der ersten Siedler die Anfangsjahre nicht überlebten. Allerdings waren wir zuvor am Lago de Todos los Santos gewesen, und angesichts des  Waldes in der dortigen Gegend versteht man, was für eine Knochenarbeit es gewesen sein muss, auch nur eine kleine Parzelle zu roden. Dem auswanderungswilligen Hessen oder Pfälzer oder – um die Österreicher nicht zu vergessen – Salzburger hatte man wohl gesagt, dass sie ein Stück Land bekämen, eine

Kuh, Ochse und 200 Bretter...

Kuh, Ochse und 200 Bretter… dies sind 196.

Kuh, einen Ochsen und 200 (!) Bretter  und Nägel, allerdings nicht, dass das Land gar nicht erreichbar war… Aber sie haben sich durchgeschlagen, und nicht schlecht. Auffälliger Unterschied zu Namibia: die deutsche Gemeinde ist zwar existent, aber es sind Chileno-Alemanes, die sich gut assimiliert haben. Was nicht heißt, dass sie nicht um ihre Tüchtigkeit und ihre Erfolge beneidet werden. Sagt Herr Krause – auf Spanisch. Sein Schuldeutsch rostet seit 50 Jahren.

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