Eine Frage der Asche

Unterwegs nach Chaitén. El Corcovado

Unterwegs nach Chaitén. El Corcovado

Puerto Natales, 10.11.2016 (Tag 2 der Trumpiade)à±

Mitten drin in Patagonien, und schon wieder so viel passiert… ich bin wohl des Bloggens ein bisschen müde. Dazu noch all dieser Politwirbel. Das tut mir leid, denn eigentlich tut es mir, vor allem meinem Kurzzeitgedächtnis und dem späteren Erinnerungsschatz, doch gut. Also ran an die Tastatur.

Mitreisender nach Chaitén

Mitreisender nach Chaitén

5 Stunden dauerte die Fahrt von Quellon nach Chaitén,  ab 7 konnten wir mit der Hundertschaft reisender Scouts den wunderbaren Corcovado vor blauem Himmel näher rücken sehen, und um 8 in der Frühe waren wir da. Ein eher trauriges Plätzchen, zumal unsere Suche nach einem Frühstückskaffeelokal vergeblich verlief. Nicht nur, dass Totenstille im Dorf herrscht, auch das Straßenbild präsentiert sich lückig, allerdings ohne Zahnlückencharme. Eingebrochene Dächer, Schutthaufen auf baren Grundstückennzwischen frisch Repariertem. Was geschehen ist, wissen die meisten, der Vulkanausbruch des Chaitén ging 2008 ja durch die Medien – klar, wenn Aschewolken den Touristen wie den Businessman am Fliegen hindert, geht das durch die Presse.. Am frühen Morgen des 8. Mai 2008 weckte eine Vulkanexplosion die Bewohner des Städtchens – der Blick aus dem Fenster ließ zunächst den Michinmahueda als Bösewicht vermuten, aber mitnichten, es war der (seit 9000 Jahren!) totgeglaubte, eher unscheinbare Chaitén. Die Aschewolke gewaltig, bis 20 km hoch, die nachfolgenden Eruptionen ebenso gigantisch. 20 cm Asche legte sich auf Chaitén. Aber es war nicht die  Asche, die so viel Schaden anrichtete, sondern nach einigen Tagen trat der durch Asche und Bimsauswurf verstopfte Rio Blanco über die Ufer und riss den größten Teil der Siedlung mit sich. Noch heute sieht man leere Hausgerippe mit funktionierendem Dach stehen, der Fluss ist einfach durch das Untergeschoss gelaufen, am Strand hat sich Vorland gebildet, auf dem Baumstämme und Bauteile liegen. Zunächst hatte man geplant, die Stadt zu verlegen, aber die Bewohner wollten das nicht, haben tapfer geräumt und in bescheidenem Umfang wieder aufgebaut. „… ach, wir müssen halt lernen, mit dem Vulkan zu leben…“ heißt es. Seit 2013 schweigt der Vulkan nun. Wie lang? Nobody knows.

Vulkankegel Chaitén

Vulkankegel Chaitén

Wir verlassen das Örtchen und beschließen ein Frühstückspicknick mit kaltem Kaffee zu halten, irgendwo, wo es uns gefällt. Und es gefällt, je tiefer wir in den Parque Pumalà­n hineinfahren, immer wieder mal mit Blick auf den schneebedeckten Michinmahueda (boah-wow…), eine Schotterstraße durch undurchdringlichen Wald – Teil von Pinochets „Carretera Austral“. Jaja, andere Diktatoren können auch „Autobahnen“ bauen, nur dass diese hier knapp zweispurig ist. Null Verkehr. Dann öffnet sich der Blick auf eine Lichtung, ein Parkplatz mit geradezu englisch gepflegtem Rasen rundum. Ha! Picknick! Sehr hübsch, wenn auch insgesamt etwas kühl. Ach, da steht ja auch eine Informationstafel… wir sind solche Blindhühner –  dies ist der Parkplatz für den Aufstieg zum Vulkan Chaitén. Der Eigner sagt gleich: „…finde ich sehr attraktiv!“, die Schipperin liest, leicht zweifelnd vor: „3 Stunden, 2,6 km, 660 m Höhenunterschied…“. Na gut. Frau kann ja anhalten, wenn sie nicht mehr steigen mag. Das  Wetter ist herrlich, die Landschaft ebenso. Viele vulkangeschädigte Baumstämme liegen und stehen umher, aber die Natur bekrabbelt sich fleißig. Man überquert ein Flüsschen und steigt einen recht gut gepflegten Pfad bergan. Diese Riesenrhabarber! So schöne Wegbegleiter überall. Andreas rennt schon mal vor, ich behalte mir vor, nicht mit aufzusteigen, und so kommt es auch: auf den letzten Höhenmetern hören Stufen und Wurzeln auf, die den Weg befestigen, es wird aschig-rutschig, und mir fällt der qualvolle Abstieg vom Tafelberg ein – Mensch, hier muss ich auch wieder runter… Pause. Allerdings gestehe ich, dass mir nicht wohl in meiner Haut ist – der Kerl da oben, wenn der sich einen Fehltritt leistet… was macht man da? Wir sind hier allein! Allerdings erspähe ich unten im Tal unser Auto, und da hat sich ein zweites hinzugesellt. So allein dann doch nicht. Entsprechend fröhlich kann ich den Vulkanbezwinger nach einer 3/4 Stunde wieder in Empfang nehmen. Man kann bis zum alten Kraterrand aufsteigen, sagt er, und darin befindet sich dann der unerreichbare, neue Vulkankegel, nochmals 200 m höher. Kurz nachdem wir eine kleine Trink- und Apfelpause gemacht haben, kommt uns die andere Autobesatzung entgegen, die Andreas mit Zeit- und Schwierigkeitsangaben beglückt. Wir steigen ab, ich freue mich, dass das so problemlos, wenn auch langsam, geht. Wir bereiten ein Zweitpicknick vor und sitzen kaum, als unsere zwei Mitwanderer bergab stürmen. „… hey, that was quick! Did you go up to the rim?“ Ja klar sind wir bis hinauf gestiegen, aber dann den ganzen Rückweg gerannt. Ja, sagt der Eigner, vor 40 Jahre hätte ich das nicht anders gemacht. Ich schweige peinlich berührt, so richtig trittsicher war ich noch nie. Ein grässlich fittes, israelisches Pärchen, sicherlich dem ertüchtigenden Wehrdienst noch nicht lange entkommen. Diese dschungen Leute…

Caleta Gonzalo

Caleta Gonzalo

Noch haben wir keine Unterkunft für die Nacht, also treibt es uns weiter. In Caleta Gonzalo soll es an einem alten Bauernhof ein paar Hütten zu mieten geben. Gibt es und schön an einen Fjord gelegen! Allerdings haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn in Chile ist langes Wochenende, der Allerheiligentag naht, die Hütten sind ausgebucht, wir haben keine Campingausrüstung, und so ist die einzige Option: zurück nach Chaitén. Was keine Strafe ist, denn der Wald ist wunderschön, man gondelt am Lago Blanco und am Lago Negro entlang. Bei Don Carlos finden wir ein Zimmer, und auch das nur für zwei Nächte, was unsere Pläne für den Parque Pumalà­n etwas durcheinander schmeißt. Am Folgetag laufen wir – leider wird es kalt und trübe – den Sendero Ranita Darwin, einem 2 km kurzen Pfad, der  aber wirklich die Schönheiten dieses nördlichen Endes von Patagonien zeigt. Scheinbuchen, Alerce, viele Epiphyten, tolle Ausblicke auf die umgebenden Vulkane, frisch und feucht und grün, und zum Abschluss ein gurgelnder Bergfluss, randvoll mit Wasser. Ach, dieser Park. Ein tolles Stück Natur. Parque Pumalà­n ist, wie man am Namen erkennt, kein Nationalpark. Bis vor kurzem – die Ländereien wurden gerade der chilenischen Wald- und Naturschutzbehorde CONAF übergeben – war er reiner Privatbesitz und ein ziemlich umstrittener dazu: ein reicher Kalifornier, Douglas Tompkins, hatte ab 1990 angefangen, zahlreiche Ländereien aufzukaufen, teils ehemals bewirtschaftete, teils eben nativen gemäßigten Regenwald.

Riesenrhabarber

Riesenrhabarber

Niemand wollte ihm und seiner Stiftung glauben, dass dies uneigennützig zu Naturschutzzwecken dienen sollte, die Aufregung und Ablehnung war groß. Tompkins hatte in den 60ern die Firma Northface (siehe oben, Jack Wolfskin für Fortgeschrittene) gegründet, verkauft und sich dann an der Firma seiner ersten Frau beteiligt. ESPRIT heißt die, auch nicht gerade ein modisches Leichtgewicht, und der Erlös aus dem Verkauf seiner Teilhaberschaft sollte dem Naturschutz in Patagonien dienen. Seine zweite Frau war Managerin bei PATAGONIA, Outdoorfreaks. Die Chilenen dagegen tippten auf Goldschätze der Inkas, die es zu bergen galt, auf politische Verschwörungen, denn insbesondere Pumalà­n, mit 3.250 qkm 0,5% der Landesfläche von Chile, reicht von der argentinischne Landesgrenze bis an den Pazifik, ideal, um Patagonien „abzuriegeln“. Die Fischer sind bis heute stinksaue, da man keine Lachsfarmen betreiben kann, sondern tatsächlich nur Naturschutz. Auf anderen Flächen gibt es ökologischen Landbau, große Areale werden bis heute rekultiviert Es passierten so schreckliche Sachen wie Anerkennung der Landrechte für im Gebiet ansässige Chilenen. Nicht zu vergessen Jobs und Häuser für sie und eine Schule. Uneigennützigkeit ist einfach eine unmögliche Sache. Alles eine Frage der Asche, aber hier wurde sie mal richtig verwendet. Schön hat er das gemacht. Der Park, der definitiv NP-Status verdient (allein schon für 2000 Jahre alte Alercenbäume, für Pumas und Co.) hat einen viel höheren Pflege-und Überwachungszustand als die vom  CONAF geführten. Leider ist Herr Tompkins vor einem Jahr einem Kajakunfall (nicht unpassend als Todesart) zum Opfer gefallen, aber die Sorge für seine Parks – die Gesamtsumme der von ihm geschützten Flächen ist fast 3x so groß wie Pumalin – übernimmt seine Stiftung. Gut so, denn CONAF  ist so was wie Bock und Gärtner zugleich, sie sind nämlich auch für die gnadenlose Holzwirtschaft in Chile verantwortlich, und die ist wiederum einer der großen Wirtschaftsfaktoren hier. Mit der noch fürchterlicheren Aquakulturwirtschaft und Kupferabbau steht Chile wirtschaftlich auf ziemlich naturschutzfeindlichen Füßen. Zum Lachs sage ich demnächst noch was. Auch dies: eine Frage der Asche, aber eben gegen alle Naturschutzaspekte.

Auf der Fähre nach Hornopirén

Auf der Fähre nach Hornopirén

Wir jedenfalls waren von Pumalà­n ziemlich begeistert. In Hornopirén dann – 5 Stunden entspannungsreiche Fährfahrt von Caleta Gonzalo entfernt, um die geplante Straßenverbindung durch seinen Park hat sich Tompkins bis zuletzt mit der Regierung gestritten!

Was griechischen Fähren so werden kann!

Was griechischen Fähren so werden kann!

–  war es kalt, ungemütlich, aber dennoch patagonisch schön. Wir hatten auch Gelegenheit, einen CONAF-gepflegten Wandersteig Richtung Volcano Hornopirén zu begehen (und schnell umzudrehen, das war kein Spaß). Und schon waren wir zurück in Puerto Montt, 11 abwechslungsreiche, schöne Reisetage später.

Das war: Patagonien zum Eingewöhnen.

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