Südwärts

Patagonische Kanäle

Patagonische Kanäle

Punta Arenas, 17.11.2016

1.-3.11. Drei Tage Gedödel in Puerto Montt. Zur weiteren Patagonien-Eingewöhnung ist das Wetter nun nicht mehr strahlend, sondern drieselig und grau, gerade recht zur Aufrüstung in Sachen Klamotten. Der Eigner kriegt Socken und ein Sweatshirt, die Schipperin beglückt sich im zweiten Anlauf – nämlich in Vollzeug, also Funktionshemd, Fleecepolo plus Fleecejacke „zum Unterziehen“ – mit einem 2XL Hoodie von einer der neuen Lifestyle-Ketten.  Die Firma heißt CAT, wie Caterpillar, von der ich bislang nur Rapper-Stahlkappenschuhe kannte. Die Damen Verkäuferinnen gucken etwas fragend, aber was soll’s – vielleicht kriege ich damit ja einen Job auf einem Grader oder einer Dampfwalze. CAuf der arretera Austral oder so. Oder vielleicht als Dampfwalze, wenn ich alles übereinander ziehe. Immerhin ist das Ding knallrot und färbt ab, nicht rot, aber rap-mäßig, ich neige seitdem zu „was geht?“ Und „jooo!“.

Am Freitag war’s dann so weit: morgens Abgabe des Gepäcks im Büro der Navimag, mit Verwirrspiel. Dass das Büro umgezogen ist, wussten wir schon vom Bestätigungsvorgang, während es andere Mitreisende zunächst mal bei der alten, jedoch noch im Internet notierten Anschrift probierten. Allerdings wurden wir vom Büro in den Busbahnhof, 1.Etage, verwiesen, wo umherirrende Rucksackträger und Rollenkofferer das einzig sichtbare Zeichen sind, dass hier irgendwo das Check-in für die NAVIMAG sein müsste. Dass sich die Abfahrt um 4 Stunden auf 1600 am Nachmittag verschoben hatte, kriegte man zuvor per Mail mitgeteilt – wohl dem, der Zugang dazu hat. Jedoch: Ende gut, alles gut, ein Schalter tut sich auf, wir checken ein, müssen nur das Gepäck selbst buckeln. Um 1300 wird die Gesellschaft mit Bussen zum Anleger geschafft, 10 km außerhalb der Stadt. In Kabine 165 ernten wir die fragenden Blicke unserer Mitreisenden: „…which language?“ fragt der Eigner kryptisch. „Russian, english and german!“ Na gut, also deutsch, moin moin dann. Einweisung in die Bord-Basics (Essenszeiten!) und die Sicherheit, natürlich; eigentlich eine Fährschiffsreederei ist „die Navimag“ für Touristen auch Synonym für die Schiffsverbindung zwischen Puerto Montt und Puerto Natales, es bleibt aber eben doch eine Fährverbindung ohne Kreuzfahrtanspruch. Noch dazu behält sich die Reederei vor, in der Wintersaison ohne Gäste zu fahren, und so waren wir das erste Schiff der Saison „mit“. Das war es dann aber auch schon mit Gemecker. Die ganze Reise, um das vorweg zu nehmen, wird sich als entspannt und nett herausstellen, prima Versorgung, saubere Kabinen, funktionierende Sanitäreinrichtungen (dagegen muss man mal die Tiraden auf Tripadvisor lesen…).

Auf Beobachtungsposten

Auf Beobachtungsposten

Das Ablegemanöver ist beim herrschenden Wind und Strom spannend, wir nehmen schon mal unsere „Rentner beobachten andere bei der Arbeit“-Grundstellung ein, Oberdeck vorn, wo man ein endloses Ankermanöver verfolgen kann, danach zieht EVANGELISTA langsam aus dem Seno Reloncavi nach Süden. Und weil der interessierte, zur See fahrende Rentner sofort die Brücke belagern muss – die junge Frau Chiefmate lässt sich erweichen und lädt uns ein – kriegen wir gleich den ersten Vortrag zum Reiseverlauf nicht mit, den  für die Touristen ist ein Guide geheuert, Percy. Wir hatten wohl doch nur bis „Essenszeiten“ zugehört, aber auf der Brücke gab es viel zu fragen – die Instrumentierung ist ein bisschen umfangreicher als auf unserer, die Redundanz der Funkgeräte (UKW und Kurzwelle) beträchtlich, entsprechend der Antennenwald oben auf Deck. Die chilenische Armada ist ja bekanntermaßen recht streng mit der Überwachung ihrer seefahrenden Schäfchen, drum werden zusätzlich zu UKW und Grenzwelle alle DSC-Kanäle auf mehreren Kurzwellenfunkgeräten gescannt. Dann segeln wir dem Abend entgegen, das Essen ist überraschend gut, die Gesellschaft nett. Von den Matratzen, die wir bald aufsuchen, erweist sich meine als grottig durchgelegen, dort oben im zweiten Geschoss, dafür wird an der Leseleuchte der technische Fortschriit sichtbar: jede hat einen Stromanschluss, NAVIMAG denkt an seine stets irgendein Gerät ladenden Gäste. Nicht dass jemand denkt,dass Smartphones auf dieser 3-tägigen Reise viel nützen: bis auf eine Stunde in Puerto Eden schweigt das Netz. Kein Wunder in einer derart dünn bis unbesiedelten Ecke des Globus.

Der Käptn und Percy

Der Käptn und Percy

Zeitvertreib an Bord sind die Mahlzeiten, ganz kreuzfahrtgerecht, die Vorträge von Percy, dem Guide, und natürlich „gucken“. Wale (vor allem Minkwale, aber auch zwei nicht identifizierte größere), Riesensturmvögel, Schwarzrückenalbatrosse, die uns ständig begleiten (und sich überhaupt nicht auf „Platte“ bannen lassen). Wir gucken uns die Augen aus nach der „flightless steamer duck“, einer kurzflügeligen Ente, die dank fleißiger Fußarbeit aber dennoch schneller vorankommt als manches Schiff, die Flügelstummel machen dazu putzige Flatterbewegungen; es gibt auch eine fliegende Art „Dampfschiffente“, die ganz ähnlich aussieht, nur eben ausgebildete Flügel hat, aber sonst sind diese Enten flugunfähig. Witzig übrigens der Gattungsname: Tachyeres – schneller Ruderer. Muss wohl vor der Erfindung der Dampfschiffe benannt worden sein.

Stopp in Puerto Eden

Stopp in Puerto Eden

Solche und ähnliche Geschichten erzählt uns Percy, dessen Begeisterung für seine Aufgabe und für seine Heimat nie erlahmt. Fauna, Flora, Wanderwegtipps, alles in Spanisch und dann noch einmal in  Englisch. Deutsche Darbietungen gibt es nur in  der Hauptsaison, aber auch die wären sprachlich perfekt, schließlich kam Opa oder Uropa aus Wuppertal. Ein bisschen Agitation ist auch dabei… die Lachsfarmen! Da gerät er richtig in Fahrt. Lachs kommt ihm nicht mehr auf den Teller, sagt er, und gibt seinen Beschreibungen zur Umweltbelastung durch chilenische und vor allem norwegische Lachsfarmen  reichlich Raum. Auch die Evangelista transportiert Lachsfutterpellets (aus Schlacht- und Fischabfällen, baah!), davon gehen auf den Aquakulturfarmen täglich Tonnen ins Wasser, damit die armen eingepferchten Lachse recht schnell fett werden. Allerdings fressen die natürlich nicht alles davon, die Reste sinken samt der Kacke auf den Boden, daraus resultiert Sauerstoffarmut. Und Antibiotikaanreicherung. Was für ein Käse. Der größte Ķäse dieser Art war allerdings die letzte red tide-Algenblüte aus den ersten Monaten dieses Jahres. Mehr als 20 Millionen Fische verendeten am Toxin und verseuchten ihrerseits die umliegenden Gewässer, sicher war diese Algenblüte auch eine Folge des El Nià±o-Phänomens, aber die Überdüngung der hiesigen Gewässer tut ein Übriges. Mal gucken, wann ich den nächsten Lachs zu mir nehme. Einen frisch geangelten, vielleicht.

Ein bisschen Drama...

Ein bisschen Drama…

Aber dann kamen wieder Albatrosse und Dominikanermöwen, Sturmvögel und Kormorane vorbei und rissen uns aus der Trübsal. Und natürlich eine fröhliche Durchsage am Sonnabendnachmittag, dass, falls man das möchte, man jetzt eine Seekrankheitspille nehmen möge. Hinter dem Canal Pulluche winkt der offene Ozean. Wir stehen wieder auf dem Oberdeck und beobachten die sehr gemäßigten Wellen, die  gelegentlich das Vordeck fluten. Hm, wenn hier „Wetter“ ist, will man sicher gern innerhalb der Kanäle sein… wir sehen auch, dass einige Vorkehrungen für mehr Seegang getroffen werden, Sicherung der Ankerketten etc. Allerdings bleibt alles ruhig, jedenfalls für unseren Geschmack. Und genau für den guten Geschmack begrüßen wir die Seegangsankündigungen, es bleiben nämllich einige Lücken in der Besetzung der Abendbrottische: wir bekommen klaglos einen Nachschlag beim Salat, yeah…

So geht es dahin, morgens sind wir wieder in den teils engen Kanälen und bestaunen die hohen Felswände zu beiden Seiten. Navigation nicht immer ohne Risiko, vor wenigen Jahren ist NAVIMAG hier ein Schiff verloren gegangen, ohne größere Personenschäden, Percy kann vom Ereignis berichten, er war dabei. Steuerfehler plus Strom = Riss im Rumpf und eine Stunde Zeit für die Evakuation. Alles gut. Wollen wir nicht, u d unser cooler Käptn fährt dort auch nicht mehr lang.

Es weht! Gegebenefalls auch von den Füßen!

Es weht! Gegebenefalls auch von den Füßen!

Seine Künste kann er am Montamorgen dennoch unter Beweis stellen: wir waren in Puerto Montt schon früher losgefahren, weil für das Ende der Reise reichlich Wind vorhergesagt war, und so war es – in Puerto Natales fegt es so, dass die Hafenbehörde das Anlegemanöver untersagt und an der Mole erst einmal umräumt. Einer der kleinen Patagonier-Cruiser muss raus und  vor Anker, und dann… mal schauen. Es wird uns ein finales Mittagessen in Aussicht gestellt, wer weiß wie

Cooler Käpt'n. Anleger mit Funke und Kaffee

Cooler Käpt’n. Anleger mit Funke und Kaffee

lange wir ausharren müssen, aber dann kommt die Durchsage: “ … wir dürfen es versuchen!“ Raus mit den Rentnern auf Manöverbeobachtungsstation, und, in der Tat, das macht er wirklich cool, der Kapitän der Evangelista. Der AKKAschlauberger mosert ein bisschen, dass der Wind ihm ja eigentlich hilft, aber es ist eben doch eine große Schüssel.

Jetzt gleich steigen wir auf eine Kleinere dieser Schüsseln: YAGHAN, von der Reederei Transbordadora Austral Broom (ich liebe diesen Namen!). Fährt um 1800 los und ist Sonnabend um 0000 in Puerto Williams.  Weiter südlich führt uns unser Weg dann nich mehr. Melden können wir uns sicher erst aus dem benachbarten Ushuaia, Mitte nächster Woche, dann  gibt es auch mehr  Bilder. Bis dann!

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