La Ilustre Communidad de Cabo de Hornos

Die berühmte Gemeinde Kap Horn...

Die berühmte Gemeinde Kap Horn…

El Calafate, 2.12.2016

Immer dieses Rückwärts-Bloggen. Ich wollte, bevor wir nach Norden aufbrechen, eigentlich up to date sein, aber mitnichten: wir haben schon die Pampa erreicht (schlimmer noch, wir sind sogar schon in El Chaltén, und hier nun endlich gibt es so gut wie kein Internet…).

Puerto Williams. Gelegen auf der Insel Navarino, in deren Süden das Kap-Horn-Archipel liegt – La Illustre Municipalidad de Cabo de Hornos (als ilustre Municipalidad, ehrenwerte Gemeinde, firmieren hier in Südamerika alle Kommunen, also nichts Besonderes). Das Hostal Pusaki hat 3 Zimmer, 2 davon Doppel, ein 5-Bett-Dorm, und letzteres war unseres. Mit 5 Leuten, 2 mal 2 Doppelstockbetten, ein Einzelbett, das verdächtig danach aussieht, als könne man es noch zum Doppel konvertieren – mehr geht dann definitiv nicht mehr, es ist so schon eng. Ich hatte Patti, die Besitzerin, aus Punta Arenas angerufen und mit ihr ein sehr lustiges telefonisches Radebrechen abgehalten, und, hurra, wir konnten zwei Betten ergattern .Motto: im Bus oder im Flugzeug geht das ja auch so dicht beieinander.  Die Nachbarn stellten sich als sehr verträglich heraus, ein weitestgehend stummer, junger Chilene und 2 Berliner, die wir schon auf der YAGHAN kennengelernt hatten, und wenn man die weiteren Begleiterscheinungen der Unterkunft betrachtet, war es ein echter Glücksgriff: die gemütliche, holzgeheizte Wohnküche hatte ich ja schon erwähnt. Frühstück gut, Kochgelegenheit auf Wunsch, allerdings kochte Patti an zwei Abenden für uns, und es gab, ganz patagonisch, Centolla, dazu ganz unpatagonisch diverse Gemüse- oder Salatsachen, das war für uns – nach der Vorbereitung durch andere Segler und Toruisten – eher eine Überraschung.

Micalvi. Der Yachtclub am Ende der Welt

Micalvi. Der Yachtclub am Ende der Welt

Der erste Spaziergang durch diesen grau-grau-grau-feuchten Novembertag führt  „natürlich“ zur Micalvi, einem alten Rheindampfer, der seit den späten 50ern in einer Seitenbucht auf Grund liegt und als Hauptponton für die vielen Segler dient, die Puerto Williams anlaufen – fast zwangsläufig tun sie das, weil man aus Argentinien kommend und um’s Horn herum zunächst mal das 30 Meilen weiter östlich im Beaglekanal liegende Ushuaia anläuft. Dort klariert man aus und läuft die 30 Meilen zurück nach Puerto Williams, dem ersten Einklarierungshafen in Chile. Hier liegen diverse Yachten, die Segelinteressierte durch die Gegend schippern, sei es durch die patagonischen Kanäle oder auch in die Antarktis – wir fühlen uns hin- und hergerissen zwischen Faszination und dem intermittierenden Glücksgefühl, nicht hierher gesegelt zu sein. Zum Frühstück im

Hundeheim Pusaki.

Hundeheim Pusaki.

Hostel hatten wir einen Franzosen getroffen, der auf der YAGHAN am Abend abreisen sollte, nachdem er von Uruguay aus Puerto Williams als Crew auf einem der Touristensegler erreicht hatte. Tenor: tolle Erfahrung, bescheidene Reise. Wozu man sagen muss, dass dies wohl wieder einmal so ein Terminding war, sie waren 2 Tage vor Eintreffen der ersten Gäste angekommen, und so ein Terminplan gestaltet sich öfters mal turbulent. Andererseits hörten wir viele hohe Töne der Begeisterung,

Hostel-Essen der besonderen Art: Centollas

Hostel-Essen der besonderen Art: Centollas

à  la „… man nähert sich dem Eisberg langsam an, lehnt sich leicht an und kann dann schieben…“ oder „… der ganze Trip war völlig easy, völlig problemlos…“ (dass der Mast dieser Yacht zu diesem Zeitpunkt noch zur Reparatur an Land lag ist nebensächlich. Oder? Irgendwie scheint einen die Gegend high zu machen).
Also wenden wir uns den Schönheiten an Land zu. Spaziergang mit den beiden Haushunden Jacinta und Flo, durch

Dinnervorbereitungen

Dinnervorbereitungen

Matsch und Regen und Bäche, mit entsprechendem Spaß. Der Sonntag hat strahlendes Wetter für uns bereit, eine ellenlange Wanderung entlang der Küste mit vielen, vielen Stopps für Vögel, Moospolster, Flechtengebilde, mit dem Besuch in den südlichsten Wäldern der Welt und alten chilenischen Besfestigungen aus der Zeit der Beaglekrise. Am Hafen ist ein nettes Café namens Puerto Luisa (der alte Name der Ansiedlung), wo man sich durch die großen Fenster die Sonne auf den Balg schienen lassen kann, auf die gut gekühlten Berge auf der argentinischen Seite schaut und eine heiße Schokolade zu sich nimmt. Draußen sind es an diesem Tag unglaubliche 16 ° Celsius und die Besitzerin stöhnt unter der Sommerhitze; ist ja auch fast unerträglich – für mich beschränkt sich das Unerträgliche eher auf das stete An- und Auskleiden. Segeljacke aus. Schatten? Segeljacke an. Schattenfreier Strandspaziergang? Segeljacke um die Taille geknotet, Fleece ausziehen. Windig –  Segeljacke wieder an. Sonne weg? Jacke aus, fleece an, Jacke drüber und tortzdem gefroren. Ein Freund schreibt: “ … so lieben wir unser Patagonien – 4 Jahreszeiten an einem Tag!“  Naja.
Am Montag reisen unsere Berliner Mitbewohner ab, was sich ein bisschen kompliziert gestaltet – in der einfachen Variante kauft man ein Ticket für das „Zodiac“ nach Ushuaia, nimmt einen Minibus nach Puerto Navarino und wird in halbstündiger Fahrt über den Kanal geschifft. In der heutige Version allerdings werden bedenkliche Blicke auf den Beaglekanal geworfen, der kleine Schaumkronen trägt; zuviel Wind gegenan für das vermeintliche Schlauchboot. Die amerikanischen Mitfahrer werden nervös, denn sie haben am gleichen Tag einen Anschlussflug nach Hause via Buenos Aires. Die Abfahrt wird verschoben und verschoben – aber am Abend scheint die Lage bereinigt. Als wir am Mittwoch die gleiche Route nach Ushuaia nehmen, stellt sich das alles ganz anders dar – die 1-stündige Fahrt zum Westende der Insel ist ein Landschaftstraum im Sonnenschein, dazu ein Sonderprüfungstraum für alte Rallyehasen, der Beaglekanal ein Ententeich, man blickt meilenweit, mit der fantastischen Darwinkordillere auf der einen Seite und ahnt auf der anderen den Ausgang in den Atlantik. Kommentar von den Berlinern: „… da hattet Ihr dann wohl eine nettere Überfahrt als wir…“ Klingt wenig verlockend. Schwein gehabt.

Willkommen in Argentinien! Straßentango

Willkommen in Argentinien! Straßentango

Auch in Ushuaia haben wir Schwein: die Formalitäten nach Argentinien hinein sind fix erledigt. Wir buckeln die Rucksäcke bergan, steil ist es hier in Ushuaia. Schon in Punta Arenas hatten wir manchmal vertrautes Spikereifen-Geräusch von Autos vernommen, hier nun haben die Nägel der Winterbereifung tiefe Furchen in den Asphalt gefräst. Beii einem Anstieg bleibt es nicht: dies ist altes Gletscherland, also geht es bis zu unserem Hostel noch zweimal auf und ab –  glücklicherweise nicht wieder hinunter bis auf Meerespiegelhöhe. Die Unterkunft ist ein kleines Familienhaus, die Besitzer, ehemals Tourguides, haben sich im Erdgeschoss eingerichtet und vermieten 3 Zimmerchen im oberen. Familienanschluss garantiert! Und die Wohngegend bietet unbegrenzten Hundespass, wobei in einem Fall doch eine Grenze gezogen wird, ein völlig durchgeknallter Großhund kann sich endlos über uns ereifern und begeifern. Er ist an einem alten Lieferwagen angekettet, den er am liebsten hinter sich her zerren würde. Wir erwägen eine Würstchenspende beim nächsten Vorbeigang. Andere Hunde sorgen auch für Aufsehen – an einer Kreuzung sprechen wir zwei professionelle Reifenbeißer an, die an diesem verkehrsarmen Sonntagnachmittag eher Langeweile haben und unsere freundlichen Worte und das Gekraule als Einladung auffassen, uns zu folgen. Ganz schlecht, denn für mindestens eine halbe Stunde laufen wir nun zu viert durch falsche Reviere. Hundeprotest von allen Grundstücken, Beißattacken auf Kreuzungen. Hier herrscht Ordnung, ganz klar.

Frau Patagonischer Riesenspecht

Frau Patagonischer Riesenspecht

Magellanpinguin, im Gentoo-Pinguine

Aber auch ohne Hundebegleitung lässt sich gut laufen, zum Beispiel zum Gletscher Martial, gleich oberhalb der Stadt – ein kleiner, dreiteiliger Hanggletscher mit hervorragendem Blick auf die Stadt und die Umgebung. Ohne Hundebegleitung auch der Busausflug zur Isla Martillo – es gibt einen Touroperator in der Stadt, der täglich den Besuch von 40 Gästen bei den Magallan-Pinguinen erlaubt; keine Angst, man wird 1. massiv gebrieft („…wer ‚oh, so cuuute!‘ schreit geht zurück auf*s Boot…!“) und auch als Herde von 2x 20 Leuten im Zaum gehalten, 2. scheren sich die Pinguine kaum um uns Besucher und 3. kontrollieren Biologen Verhalten und Reproduktion der Kolonie und sind stets bereit, dieser Besuchsregelung einen Riegel vorzuschieben.

Gemütlich in der Bruthöhle. Magellanpiguin

Zur Strafe sehen wir nicht, was gerade als Besonderheit passiert – es sind zwei Königspinguine gelandet; dafür schließt die Tour mit dem wirklich sehenswerten kleinen Naturmuseum auf der Estancia Haberton, das vor allem Meeressäuger  und -vogelskelette sammelt und ausstellt. Da wäre ich gern noch einmal einen Tag hingefahren, zumal die Busfahrt allein schon sehenswert war: hohe Berge, Moore – und Totholzgebiete. Die Biber leisten hier ganze Arbeit. 1938 zum Zwecke der Pelzproduktion aus Kanada eingeführt, hat sich wieder einmal ein Lebewesen im falschen Lebensraum pestartig ausgebreitet. Man stellt nämlich schnell fest, dass das gemäßigt ozeanische Klima zwar viel Schnee erzeugt und die Winter recht lang sind, aber für die ständigen Temperaturen um die 0° müssen Biber sich kein dickes und damit gut verkäufliches Winterfell wachsen lassen. Also gab man wegen der schlechten Pelzqualität die Zucht auf und ließ die Tiere frei. Und erzeugte eine weitere Ökopest, denn Raubtiere, die der Biberausbreitung Einhalt gebieten könnten, gibt es nicht; nicht mal der Beaglekanal ist eine geeignete Grenze – 1968 erreichten die Biber die Isla Navarino. Schlecht.

Ushuaia ist eine Art Touristen-Disney-Feuerland, da gibt es was für alle Geldbeutelgrößen, allen voran natürlich die Antarktisfahrer, die richtig viel Geld aufrufen. In den Straßen reiht sich Touroperator an Restaurant und das wieder an Outdoorausstatter, aber Ushuaia hat auch schöne Museen zu bieten. Das „Fin del Mundo“ zum Beispiel, das sich mit der Geschichte von Feuerland allgemein und der von Ushuaia  beschäftigt; dazu ein weiteres „Gefängnismuseum“ auf unserer Liste. Nachdem sich die völlig abgelegene und fast nicht anzufahrende Staateninsel als schlechter Deportationsort herausgestellt hatte, wurde Ushuaia dazu auserkoren. Nicht wirklich schön, aber wir haben schon schlimmere Gefängnisse gesehen.

Wracks am Kap Horn...

Wracks am Kap Horn…

... und an der Le Maire Strait.  Puuh.

… und an der Le Maire Strait. Puuh.

Viel besser ist, dass es tolle Abteilungen für die Seefahrtsgeschichte von Feuerland und für die Antarktisforschungsreisen gibt. Rings um Ushuaia machen sich Wohngebiete breit, die Stadt ist in den letzten 40 Jahren um ein Vielfaches gewachsen. Ursprünglich ging es dabei um die schon beschriebenen Gebietsansprüche gegenüber den Chilenen; um die zu unterstreichen, siedelte man Industrie an, in letzter Zeit vor allem Elektronikproduktion, und zahlte dem patagonienwilligen Zuzügler gute Gehälter. Dass der Streit mit Chile um vor allem Inseln im Beaglekanal fast zum Krieg geführt hätte, erzählt unser Hostelwirt – seine Familie wurde Ende 1978 auf den letzten Drücker ausgeflogen; in der Erinnerung von anderen Touristen scheint sich das als chilenische Aggression darzustellen, aber es war eigentlich andersherum – immerhin haben wir jetzt eine Erklärung für die alten Verteidigungsstellungen und Unterstände auf der Seite von Puerto Williams. Heute sieht man überall Monumente die die chilenisch-argentinische Freundschaft loben. Weiter so – vielleicht kriegt Ihr ja auch noch den Grenzverlauf hier oben im patagonischen Eisfeld geregelt…