Zwischen Punta und Rio

Rio de Janeiro, 23.1.2017

Wir nähern uns dem Ende dieser Rucksackreise. 4 Monate haben wir die Sachen gepackt, gebuckelt, Hostels gesucht, gebucht, ausgepackt, Wunder der Welt bestaunt, wieder eingepackt. Bis auf die Woche um Neujahr, und da möchte ich eine kleine Danksagung aussprechen:

Dear hosts – That quiet week over New Year€™s Eve was pure bliss. Sleeping on a big,  comfy bed, using a dance hall of a bath room and taking a splash in the pool from time to time – just great. We were truly lazy, because sometimes you need a rest from being on holidays.  Thanks again for your kind invitation to use that splendid house – and next time, it would be nice to have you around, somewhere in this world!

Richtig – der Eigner war frech genug, Freunden ein Mail, zu schicken: „€¦ wir wissen, dass Ihr nicht in Punta seid, aber wenn der Schlüssel unter der Fußmatte liegt, könnten wir mal nach dem Rechten schauen€¦“ Er kann so peinlich sein! Und so gute Ideen haben – nach all dem Rumfahren und den ganzen Stadt- und Naturschauspielen kamen uns 5 Tage „nix“ im mondänen Punta del Este gerade recht. Und es wurden 8 Tage draus, so sehr hatte es mir der Pool angetan. Nicht wirklich unsere Welt, eine Villa, in der man 7 Schritte zwischen  Kühlschrank und Arbeitsfläche läuft, und wo wir es uns, ganz Bootscrew, am eher kleinen Küchentisch gemütlich gemacht haben (8 Schritte vom Spülbecken). Zum Füßevertreten konnte man gelegentlich mal eine Runde durch den Wohnzimmerbereich drehen oder die Wanderung ins Schlafzimmer dazu nutzen. Ihr seht, wir waren schwer beeindruckt. Sowieso – „Punta“ wird als Klein-Monaco bezeichnet, bisschen humpeliger Vergleich, zumindest was die Motorbootgrößen betrifft, aber schee war€™s scho€˜. Viele hohe Appartmenthäuser (wenn nicht schön, dann architektonisch interessant), noch mehr luxuriöse Villen in weitläufiger Wald- und Parklandschaft. Wir hingen mehrfach an der Mole herum und starrten unverhohlen die ESCAPADE an, eine Schweizer Sloop unter Vanuatuflagge, eine alte Bekannte aus Puerto Williams. 124 Fuß moderne Yachttechnik, besonders das gebogene, gläserne Niedergangsluk, das sich hydraulisch zur Seite bewegt, rief kindische Begeisterungsstürme hervor. An Silvester wurde der ESCAPADE allerdings der Rang abgelaufen, von ebenfalls einer  alten Bekannten, der Doà±a Francisca aus Montevideo. 173 Fuß altmodischer Schoner. Wir hatten die schöne, alte Dame schon in Buenos Aires aus der Ferne bewundert, aber in Punta waren wir mit der Nase dran. Der Riss von 1868, Beschläge in klassischem Glanz, hochglanzlackiertes Holz. Und doch, siehe oben, alles moderne Yachttechnik, Kohlefaser von oben bis unten im Vintage-Kleid, und hier haben wir dann so frech herumgelungert, dass sich ein Gespräch mit dem Käpt€™n ergab. Franciscas Eigner grüßte lediglich huldvoll€¦ Beide Boote aus dem Jahr 2014, die Doà±a Francisca in  Montevideo gebaut (auf der eigenen Werft, der Besitzer ist Herr „Buquebus“, der den Fährdienst zwischen Argentinien und Uruguay unterhält, und sicher nicht nur das€¦) Die ESCAPADE wurde für ihre Schweizer Eigner – ihr erstes eigenes Schiff, ein mutiger Einstieg! –  in Neuseeland gebaut (dort ging die Werft dann Pleite, shit happens€¦). Beide Yachten ganz knapp außerhalb unseres Budgetbereiches. AKKA, wir kommen – Du bist die Beste!
Nach dem Erholsamen und  Mondänen stiegen wir wieder ganz profan in den Bus, fuhren eines Abends die 2 Stunden nach Montevideo zurück und um Mitternacht weiter nach Salto am Rio Uruguay. Frühmorgens ist man dort, lungert etwas herum um den dritten Bus innerhalb 16 Stunden zu erreichen, ins argentinische Concordia, das direkt gegenüber am Flussufer liegt, aber nur über einen 1 1/2stündigen Umweg via Staudamm zu erreichen ist. Und dann ein taktischer Fehler von uns: weiter ging die Reise erst um 21:00, wir laden am Vormittag das Gepäck bei der Busgesellschaft ab und dackeln in die Stadt. Es ist grotten-grottenheiß, wir sind ausreichend müde und der Tag zieht sich. Am Abend – spannender Moment: schließt noch einmal jemand das Gepäcklager auf? – sind wir froh, als  wir ungeduscht und ermattet in  die Semicamasitze vom Bus nach Pousadas sinken können. Beim nächsten Mal gibt es in dieser Situation ein Zimmer für den Tag. Wie die Anfänger…
Von Pousadas sehen wir nicht viel. Am frühen Morgen fallen wir aus dem Bus und stolpern wenige Meter daneben über einen, der mit „San Ignacio“ beschriftet ist, da wollen wir hin, und er nimmt uns für ganz kleines Geld mit. Schick! Die Arbeiter der Matefabrik auf dem Weg zur Sonntagsschicht. 2 Stunden hoppeln wir durch weites Grün und laden Dorfpolizisten und andere Landbevölkerung  an entlegenen Posten ab. Und alles  mit€¦ja klar, Mate.

In San Ignacio müssen wir zwar länger auf unser Zimmer warten, aber es gibt einen Pool, eine Dusche, alles fein. Das Reiseziel San Ignacio hatte ich mir gewünscht, weil ich gern ein bisschen von den Ursprüngen der Besiedlung dieses 3-Länderecks Paraguay/Argentinien/Brasilien sehen wollte, das ist nämlich etwas Besonderes.
Nach der Eroberung Amerikas durch die Conquistadores machte man – schon 1604 gab es dazu eine päpstliche Synode! – sich Gedanken, wie denn mit den Einheimischen in Südamerika umzugehen sei. Die Siedlungspolitik nannte sich „Encomienda“, ein hübsches Wort dafür, dass, wer erobert, auch das Sagen hat und freie Hand, Hauptsache die erwarteten Gewinne, vor allem in Form von Bodenschätzen, fließen. Das „Menschenmaterial“ war dabei wilkommene Hilfe und wurde zwangsverpflichtet – und es gab viele Menschen. In manchen heute argentinischen Provinzen lebten im 16. Jahrhundert Zehntausende, und man machte Gebrauch von der Arbeitskraft, die sie zur Verfügung stellten – bis man (verwundert?!) feststellte, dass es eigentlich immer weniger wurden.  Neue königliche Idee, eigentlich ganz löblich: die Einheimischen sind von den Conquistadoren zu trennen, um ihnen die Abscheu vor den Eroberern und deren Religion zu nehmen. Kurz nachdem Ignacio de Loyola seine „Jesusgesellschaft“ gegründet hatte, warb der portugiesische König dort erste Priester an, die sich in den südamerikanischen Weiten um die Ortsansässigen kümmern und sie natürlich missionieren sollten. Es dauerte noch ein paar Jahre, aber dann begannen diese Jesuiten-Priester Siedlungen zu gründen, im Spanischen „reducciones“ genannt. Die Einheimischen waren ein bisschen entgeistert, denn wer will, wenn er eigentlich halbnomadisch lebt, schon in Siedlungen europäischen Stiles ziehen? Der Druck von außen machte die Entscheidung allerdings leicht, denn in den Reduktionen war man den Angriffen durch Conquistadores und Sklavenhändlern nicht mehr ganz so wehrlos ausgesetzt, und so nahm ein merkwürdiges Siedlungsmodell seinen Anfang, es entwickelte sich ein kleines Utopia: 2 Jesuitenpatres lenkten zwar die Reduktion, sicher nicht besonders zimperlich, aber die Gemeinschaft der Bewohner war im Rahmen der überkommenen Traditionen organisiert – es gab einen Ältestenrat, die Kaziken, die Medizinmänner behielten ihre Funktion. Eines der Hauptanliegen der Jesuiten war und ist die Bildung also wurden Kinder ab dem 6. Lebensjahr schulpflichtig – Mädchen mussten zwar nur Lesen und schreiben lernen, aber immerhin. Kleine Jungs durften dagegen auch Rechnen und andere Künste erlernen. à€ propos Kunst: gerade die Guaranà­, in deren Lebensbereich San Ignacio liegt, waren sehr kunstsinnige Leute, mit Farb- und Formensinn, und es ergab sich eine ansehnliche Mischung, eine christlich-sakrale Indiokunst, von beiden Seiten sehr geschätzt. Nur wurde die Utopie immer wieder gestört, denn Conquistadoren und freie Sklavenhändlertrupps griffen die Reduktionen, von denen es schnell 40 gab, immer wieder an, und nach einer Weile erwirkten die Jesuiten, dass man eine bewaffnete und berittene Miliz bilden dürfe. Erfolgreich, nicht nur militärisch – auch wirtschaftlich waren die Reduktionen ein Erfolg, der Neid und Hass bei den Conquistadoren hervorrief und nach Macht roch, nach einem Staat im (Kolonial-)Staat. Nach etwa 150 Jahren hatte sich der utopische Spaß so weit verselbständigt, dass der König von Spanien auf Druck der Portugiesen per Dekret das Ende der Reduktionen beschloss. Im Endeffekt wurden die 7 größten Reduktionen am Paranà¡ gegen – siehe oben! – den strategisch wichtigen Hafen Colonia del Sacramento getauscht. Alle Priester wurden deportiert, die Bewohner wurden ihrem Schicksal überlassen, und das war entsprechend bald besiegelt. So sind in der Gegend um den Rio Paranà¡ von den 40 Reduktionen nur vom Urwald überwachsene Ruinen übrig. Bis auf San Ignacio Minà­ – das hat man ein bisschen restauriert. Und wir waren dort. San Ignacio selbst ist ein weitläufiges Landstädtchen, am Ankunftstag stapfen wir über roten, aufgeweichten Lateritboden zum Hostel – sonst ist nicht viel los, bis auf „Ignacio Minà­-Tourismus“. Und Mateanbau. Wir versuchen, die Reduktion zu finden und werden erst einmal fehlgeleitet… Hier muss es doch irgendwo sein? Es ist da – und wir sind vom Ausmaß der Anlage überrascht. Hier haben als 2 Jesuitenpriester mit mehreren Tausend Guaranà­ gelebt. Die Reduktionen sind streng durchorganisiert – traditionelle indianische Langhäuser, hier aus Stein, umgeben in ordentlichen Straßenzügen eine riesige Plaza, auf deren Gegenseite die Reste der gewaltigen Kirche und der Schulgebäude liegen. Werkstätten, Bürgermeisterei, alles ist da. Ein bisschen dumm ist für uns, dass wir keinen Guide erwischt haben und allein durch die Weiten der Anlage laufen – die Informationsstände, eigentlich mit Ton und ordentlichen Informationstafeln, sind teilweise außer Betrieb. Dennoch – der Eindruck sitzt. Toll war es für Halbnodmaden vielleicht nicht, in solche Verhältnisse zu ziehen, das Leben war nicht wirklich selbstbestimmt, aber es war auch nicht das Schlechteste angesichts der Bedrohung von außen. Übrigens war die Christianisierung nicht unbedingt vollständig – und das wurde in Maßen toleriert. Dass die Jesuiten dafür sorgten, dass die Guaranà­ ihre Sprache beibehalten durften, war übrigens einer der Stolperstiene in dieser Geschichte: seitens der Kolonialherren wurde vermutet, dass man dies tue, um die Erfolgsgeheimnisse der Reduktionen in einer „Geheimsprache“ weiterzureichen. Da muss man natürlich dreinschlagen.
Am Abend nahmen wir dann noch an einer Sound- und Lichtshow auf dem Gelände Reduktion teil. Ein bisschen künstlich, aber dennoch beeindruckend, weil man etwas mehr politisch korrekte Guaranà­geschichte eingebaut hatte und etwas über die Lebensverhältnisse erzählte. Jesuiten-Disney, sozusagen – aber doch ganz empfehlenswert.

Und das war dann das letzte Weltkulturerbe dieser Rucksackreise. Fehlt nur noch ein Naturerbe, und das folgte auf dem Fuße. Die Wasserfällen von Iguazàº. Wie sagt man da heute? Boah! Wow! Der erste Eindruck von der argentinischen Seite war noch „ach.. da kommen die Vic-Falls in Zambia/Zimbabwe aber leicht mit!“ Kamen sie nicht. Unglaublich, diese Wassermassen! Unglaublich, das Getöse am Teufelsschlund! Unglaublich… diese Touristenmassen – nun gut, Hauptferienzeit in Südamerika, da nimmt das nicht Wunder. Von der brasilianischen Seite das Ganze noch einmal. Die großen Wasser- und Touristenmassen ganz in Greifnähe. Toll. Wirklich beeindruckend, und weil das Getpse nach Kontrast verlangt, erst eine kleine, 8 km lange Wanderung durch den Regenwald ganz ungestört zu einem kleinen Wasserfall – und am Tag drauf Wassermassen mal von der technischen Seite. Eine „special Tour“ im Wasserkraftwerk von Itaipàº, das sich mit dem Beinamen „Binacional“ schmückt, weil der Staudamm die Grenze zwischen Paraguay und Brasilien überbrückt, am „Singenden Felsen“, dem Itaipàº. Bis die Chinesen 2006 ihr Drei-Schluchten-Kraftwerk fertig gestellt hatten, stellten die 22 Turbinen in Itaipຠdas größte Kraftwerk der Welt dar, der Wasserdurchsatz ist etwa 9mal so groß wie der der Wasserfälle von Iguassu ein paar Kilometer flussabwärts. Der Stausee ist über 170 km lang und und viele Kilometer breit; ich fand ganz fansizinierend, dass es nur 14 Tage dauerte, bis die „Wanne“ voll war. Von der Leistungsausbeute bleibt Itaipຠauch weiterhin der Weltmeister und man ist darauf wahrlich stolz. Das liegt daran, dass der Wasserstand über das ganze Jahr gleichbleibend ist – in China kann nur zur Regenzeit die volle Ausbeute erzielt werden. Die Besichtigung ist noch einmal „boah“. Riesenhaft der Damm, vom Scheitel bis zur Sohle über 200 m tief, der Besucher darf auf Level 92 runterschauen. Die dicken Turbinenschäfte, die Überlaufkanäle, alles XXL. Und interessant zu sehen, wie dieses Kraftwerk wirkllich „binacional“ ist – zu gleichen Teilen zwischen Paraguay und Brasilien organisiert. In den Steuerzentralen sitzen… rechts 3 Paraguayer, links 3 Brasilianer. Der Supervisor wechselt regelmäßig – einen Tag Paraguay, einen Tag Brasilien. 15% der Ausbeute geht an Paraguay, mit steigender Tendenz, die verbleibenden 35% wissen sie gewinnbringend an die Brasilianer zu verscherbeln, und die Brasilianer wiederum schauen eifersüchtig auf den steigenden Energiehunger auf der Westseite des Paranà¡: bleibt das noch was für uns übrig?! Egal, unser Guide sagt: toller Arbeitgeber, der beste in Brasilien, wie er findet, mit Krankenversicherung, guten Schulen, Housing Projects. Und mittags fahren 2 Buskolonnen über den Damm: die brasilianische Belegschaft zur Mittagspause nach Osten, die Paraguayer nach Westen. Alles streng „binacional“.  Schon die Planung des Kraftwerkes finde ich an ein Wunder grenzend, denn in den 70er Jahren war man sich eigentlich in den drei beteiligten Militärdiktaturstaaten (im Süden hängt ja zumindest geografisch noch Argentinien dran!) alles andere als grün, aber man hat sich zusammengerauft. Die größte Befürchtung der Argentinier war übrigens, dass die Brasilianer den Stausee im Krisenfall überlaufen lassen würden und dann Buenos Aires unter Wasser stünde. So sind sie, die Staaten untereinander…

Und dann kam noch Rio. Und Donald…  Bis ganz bald, Politik und AKKA beschäftigen uns ausreichend!

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