Rio!

So sieht es aus in Rio!
Pareoangebot am Strand

Jacaré. 27.2.2017

Jetzt ist Schicht. Kein Blogeintrag über einen ganzen Monat, und dabei fehlt Rio noch.  Leider ist das Netz in Jacaré intermittierend schwach, das hat mich die letzten Tage abgehalten.

Hier also ein paar Erinnergungsfetzen an Rio und den Abschluss der Rucksackreise.

Unsere Reiseenergie war schon in Iguassu weitgehend erschöpft. Ursprünglich war die Idee, durch den Staat Paranà¡ nach Osten zu fahren, vielleicht Brasiliens grünste Stadt (farblich und politisch) anzuschauen, das ist Curitiba, und dann der Küste entlang nach Norden bis Rio und weiter nach Salvador zu reisen. Plan… Das hätte viele Stunden Bus bedeutet, immer lustig, aber immer auch anstrengend: man ist ein bisschen unausgeschlafen, verdödelt am Ziel mindestens einen Tag… – und GOL und andere Fluggesellschaften bieten ab Touristenmekka Iguassu günstige Flüge. Gesurft, geguckt, gestaunt, gebucht.
An einem sonnigen frühen Nachmittag kratzt unser GOL-Flieger nach 2 Stunden mit der Tragfläche knapp am Zuckerhut vorbei, das Häusergewirr von Botafogo und Flamengo zur Linken, das Mooringfeld vor Urca… eine weitere, schneidige Kurve und mit „bumm“ und einem fetten Rückwärtsschub landen wir auf dem Innenstadtflughafen Santos Dumont, den man in die Bucht von Guanabara gebastelt hat. Ziemlich kurze Landebahn! Das olympische Segelrevier 2016 glitzert, hübsch warm ist es, wir haben die Tropen erreicht. Der Taxifahrer macht ein bisschen Sambamusik und wühlt sich durch den Verkehr Richtung Stadtteil Laranjeiras. Das Hostel ist ein schöner, etwas angenagter Belle Epoque-Bau und nennt sich Redentor (nei-enn, nicht „Reden-Tor“! „Hedschentschor“!)  Jetzt geht es los mit dem Brasilianischen – der Wirt in Iguassu hatte in England gearbeitet und war des Englischen für brasilianische Verhältnisse übermäßig mächtig gewesen, aber hier hat jetzt „Google Translate“ via Smartphone Dauereinsatz – wie einen übergroßen Löffel hält uns Wirtin ihr Telefon hin und füttert uns ihre Antwort oder lässt uns sprechen. Sehr witzig, und sehr effektiv. Mit den kleinen Übersetzungsschwächen von Google Translate muss man leben und man lernt, keine komplizierten Sätze zu bilden. „Hallo Marisa!  Schau mal, meine Bermudas lösen sich auf, ich brauche einen Kurzwarenladen, wo ich Aufbügelflicken kaufen kann!“  – so etwas geht gar nicht. „Meine Hose ist kaputt- Punkt –  Wo ist ein Kurzwarenladen?“ muss reichen. Es ist eine rechte Sprachwurschtelei, aber das ist ja auch genau schön so.
Wir laufen viel und sehen viel… toll. Laranjeiras („Orangenbäume“) ist ein schönes, altes Wohnviertel, direkt unter den Millionen Jahre alten Felsen, neben dem Hostel ein altes Stadtpalais, ein paar Schritte weiter ein nettes Café mit Buchladen – oder umgekehrt, oder vielleicht doch ein Biersortenverkauf mit Kaffeeangebot und Büchern… Supermärkte nach Belieben und normales, bürgerliches Brasilianertum. An der Straßenkreuzung Straßen-Leben. Die „Bewohner“ unter der Brücke ziehen manchmal mit ihren Karren um, um ihren Müllfernseher an die Straßenbeleuchtung anzuschließen und dann Fußball zu schauen: Samstagnachmittag zu Hause. Dahinter erinnert ein Denkmal an den ersten italienischen Flieger, der hier (etwas unglücklich) gelandet ist, gleich daneben ein Hundepark, wo sich Dogwalker und andere Hundehalter zum Schwätzchen und die Hunde zum Kämpfchen treffen. Weiter die Rua dos Laranjeiras hinunter kommt man auf den großen Largo de Machado, an dem man abends unter Brasilianern beim Portugiesen sitzt und sich von den benachbarten Ingenieuren von PetroBras was über die Wirtschaftslage erzählen lässt; ob die nun schlecht ist oder nicht, lässt sich nicht entscheiden, aber die verworren ist sie „… eigentlich geht es der Firma gut, aber wie sicher unsere Arbeitsplätze sind, wissen wir nicht!“).  Wir erregen eindeutig Neid mit unserer Lebensweise. Wendet man sich am Hostel zur anderen Seite, vorbei am beschriebenen Café (immer schwer dran vorüber zu gehen!) winkt ein Herr mit ausgebreiteten Armen durch das Platanenlaubauf uns herab. Richtig, der Redentor, Namensgeber unseres Hostels und von Beruf Touristenmagnet – die Erlöserstatue. Müssen wir natürlich auch rauf, obwohl wir das in den 80ern schon mal getan haben. Die Zahnradbahn picke-packe voll und oben… freie Bahn dem Selfiewahn. Mit Erlöser, ohne Erlöser, mit Panorama, ohne Panorama, aber wohl meistens die immer gleiche Fratze, bildfüllend. Für die etwas kunstsinnigeren Fotografen sind Gummimatten am Boden ausgelegt, so dass man zwischen Hunderten von Beinen die totale Froschperspektive einnehmen kann, ohne sich vollends einzusauen.  Aber eines ist es schon: schön! Wenn man sich einen Platz an der Brüstung erkämpft hat, kann man ausdauernd auf diese immense Stadt, die vorgelagerten Inseln, den in der Sonne glitzernden Atlantik schauen, den Horizont bildet eine durchgehende Kette von Bergen. Sehr schön! Übrigens: als wir am nächsten Tag die Innenstadt unsicher machen, sieht man ab und an mal ein ausgestrecktes Händchen des „Erlösers“ durch die Wolken lugen, sonst hüllt sich alles in Grau. Wetterglück muss der AKKAnaut haben!

Rio ist so bunt, so interessant, dass wir ziemlich rasch Salvador – und die Busfahrt dorthin – vom Zeitplan streichen, um noch ein paar Tage hier zu verbringen. Erinnerungswürdig: die Fahrt mit dem Bus von Urca in die Innenstadt. Wir hatten ja schon mal erwähnt, dass wir den schwindelerregenden Straßenverkehr vermissen – hier ist er wieder, die Busfahrer geben sich gegenseitig nichts und den Passagieren alles, dazu „hängen“ die Straßen teilweise und so geht es im Drift durch die Kurven. Das freut den alten Rallyebeifahrer! Wir haben auch Gelegenheit, mit der schicken UBahn (Olympia und Fußball-WM lassen grüßen!) durch die Stadt zu zick-zacken, in abgerissenen Vierteln zig Stoffläden nebeneinander zu finden, gefolgt von zig Sanitärfachgeschäften. Mit der Logik ham sie’s hier nicht so – zwischen Stoff und Klo müssten doch irgendwo auch Knöpfe, Fäden, Nadeln… und Aufbügelflicken zu finden sein? Nö. Das Kurzwarenladenviertel muss irgendwo anders sein. Dafür kriegen wir keinen Platz in der altehrwüdigen „Confeitaria Colombo“ (in einem späteren Versuch dann schon, wat mutt, dat mutt!). Gleich gegenüber ist ein „Café Pawelka“, die Europäer sind hier in Rio wirklich gut vertreten. Wir sehen die scheußlich-schöne moderne Kathedrale – die von Brasilia hat uns besser gefallen, diese hier erinnert entfernt an den „Bee Hive“ von Wellington und ist sowas von „Un-Kathedrale“, zumindest von außen. Mit der alten Straßenbahn fahren wir hinauf ins alte Sommerviertel Santa Teresa und speisen salvadorianisch zu Mittag.
Und dann die endlose Strandpromenade von Leblon nach Copacabana, gleich mehrfach müssen wir da lang.  Der Eigner findet, dass die Girls von Ipanema ziemlich in die Jahre gekommen sind, und überhaupt sind die aufregenden Bikinis aus den 80ern nicht mehr zu sehen. Die nannten sich damals aus gutem Grund „Zahnseide“. Ach, naja – „ziemlich knapp“ ist immer noch modern. Mit der olympischen Modernisierungswelle sind leider die schönen alten Recks verschwunden, die Banco de Santander hat dafür edelstählerne Multifunktionsfitnessstationen aufstellen lassen, die zwar auch gern genutzt werden, aber mir fehlen die starken Männer mit ihren weithin sichtbaren Imponier-Klimmzügen. Dafür wird ausdauernd Beachvolleyball gespielt und auch Beach-Fußball. Wir würden keine 3 Minuten ohne Zusammenbruch durchhalten – was die Cariocas (beiderlei Geschlechts) hier am Sonntag an Fitnessprogramm abliefern, ist wirklich sehenswert. Ich mache mich übrigens auch mal ein bisschen lächerlich: indem ich Plastikmüll aufsammele. Extrem komische Vorstellung!  Alles in allem: es ist der Strandbär los! Am Ende der Copacabana gibt es eine alte Befestigung aus dem 19. Jahrhundert, die man besichtigen kann und wo wir reichlich „Krupp“-Kanonen finden. Danach sitzen wir auf der Festungsmauer und lassen Moqueca und Picadinho servieren. Sehr gut, da stört auch nicht der Blick auf den kleinen Plastikmüllstau unter uns.
Am Tag vor der Abreise genehmigen wir uns noch eine kleine Pflichtveranstaltung: Favela-Besuch. Pflicht nicht generell, eher für mich, und es ist auch nichts, was man auf eigene Faust unternimmt. Über „Free Walking tours“ verabreden wir uns mit Mariela, einer hyperblonden Einwohnerin der Favela Vidigal, die eigentlich aus Santa Catarina stammt, in der Favela im Kindergarten jobbt und eben neugierigen Touristen das Stadtviertel zeigt. Vidigal zieht sich über dem Luxusviertel von Leblon (und über dem dortigen Sheratonhotel) den Hang hinauf, wie die Favelas das so an sich haben, die Bilder kennt ja eigentlich jeder. Wir sehen so etwas wie eine Vorzeigefavela. Der alte Papst Johannes Paul hatte hier in den 80ern mit seinem Wunsch, eines der Elendsviertel zu sehen, den Vorreiter gemacht, und mit ihm kam dann auch – ein bisschen – Elektritzität und Wasserversorgung, was in den anderen Favelas noch immer nicht selbstverständlich ist. Insgesamt war der Besuch kein extremer Augenöffner, vielleicht, weil wir mit Mariela allein waren und der Funke nicht übersprang, oder Mariela vielleicht nicht die große Lust hatte, aber es trotzdem war ein interessanter Ausflug. Zuerst mit dem normalen VW-Bus-Sammeltaxi die einzige befahrbare Straße den Berg hinauf und dann zu Fuß durch die Gassen bergab. Ganz oben leben die Drogenbarone, haben wir gelernt –  weil im Fall einer Razzia die Polizei mühsam hinauf muss und man dadurch genügend Zeit hat, in die umgebenden Berge zu entschwinden. Die Drogenbarone. Nach einer erfolgreichen Säuberungswelle vor 8 Jahren sind sie leider wieder auf dem Vormarsch, nicht unbedingt in Vidigal, aber in vielen anderen Favelas, in denen ein Besuch wirklich keine Empfehlung ist. Unser Santa Teresa-Ausflug  ist ein gutes Beispiel – schick und alt und voller netter Restaurants, täglich besucht von Hunderten von Touristen, jedoch umgeben von Favelas, die die Bewegungsfreiheit der Besucher ziemlich einschränken – wer zu Fuß heraufkommt, sollte immer wissen, wo er/sie sich bewegt…  Ausbreiten können sich die Favelas im Stadtgebiet nicht mehr, zumindest nicht flächenmäßig. Zwar ist die Regel, dass „legal“ ist, was 10 Jahre Bestand hat, aber mittlerweile wird gnadenlos abgerissen, was illegal in die Fläche geht. In die Fläche – nicht in die Höhe, also werden die alten (natürlich immer statisch „gut“ gegründeten) Favelahäuser in der Höhe erweitert. Das sieht auch in Vidigal manchmal ganz schön abenteuerlich aus. Klar, und eng ist es, aus jedem Zimmer schallt eine andere laute Musik – insgesamt aber ist Vidigal ein sehr erstrebenswerter Wohnort, wie Mariela sagt: am Rand von Rio, fast alle haben Blick auf den atemberaubenden Atlantik, die Luft ist gut (wenn man von den Abwasserkanälen und den Hundehaufen absieht). Die 30 Minuten, die es braucht, um im VW-Bus bis ganz oben zu gelangen, kann man kürzen, indem man ein Motorrad benutzt, das schlängelt sich besser durch als ein Auto. Der Bus kostet 1 Real (oder weniger?! 50 Centavos?) und muss, wie in unserem Fall, schon mal den halben Berg im Rückwärtsgang zurückfahren, wenn von oben der Gas-LKW und die Müllwagen kommen. 1-spurig halt, und Ausweichstellen sind – unausweichlich – zugeparkt. Das dauert. Unnötig zu sagen, dass die Hänge, an denen die Favelas kleben, unglaublich steil sind. Ein Acai-Eis und viele interessante Graffitti später sind wir wieder unten an der Küste.  Mariela kassiert unsere Tourgebühr lieber im Schatten einer Mauer – man weiß nie, wer das sieht, sagt sie. Man weiß auch nie, wo gerade wer aus dem Fenster guckt und wegen des Drogenhandels nicht möchte, dass fotografiert wird. Unser Gefühl von „völlig harmlos“ relativiert sind nun doch ein bisschen. A propos Geld… Vidigal kriegt gerade seine erste Bank, auf halber Höhe. Eine Bank für geschätzte 30.000 Einwohner…  Es ist schon eine andere Welt in den Favelas.  Mariela schwingt sich auf den Rücksitz eines Mototaxis bergauf, wir traben zurück zur Küste und 2 km weiter hat uns das große Geld wieder: Leblon. Die höchsten Grundstückspreise von Rio. Die Grundstücke der wenigen alten Luxusvillen grenzen an… Vidigal!

Und seitdem sitzen wir wieder auf der AKKA. Also genug gequatscht. Weitermachen mit Bootsarbeit! Bis dann!