Regenzeit

Domburg, Suriname, 30.4.2017

Es regnet! Was für eine Überraschung – und die gute Nachricht ist: die Regenzeit hört im August auf. Nun diskutieren ja derzeit alle über den Klimawandel, wir auch, und bis sich das Klima gewandelt hat, hängen wir in Domburg mitten im Suriname Rivier an einer Mooring und warten. Warten zum Beispiel darauf, dass es aufhört zu regnen, damit man Wäsche waschen kann, im Moment ist Dauerspülgang angesagt – nicht so schlecht, eigentlich, aber es hat hier keinen elektrischen Trockner. Und selbst unter Dächern Wäsche aufzuhängen ist bei dieser Luftfeuchtigkeit wie Trocknen im Aquarium.
Es ist dennoch lustig – der Suriname Rivier ist ein Schlammfluss ohnegleichen, der Hoang Ho ist nichts dagegen. Immer wieder treiben kleine Urwaldinselchen vorbei, wir stellen uns vor, wie darauf Käfer und Eidechsen eine Reise flussabwärts machen. „Fahrt in den Mai“, wahrscheinlich mit Spinnentanz und anderen Vergnügungen – eine Fernreise wird das jedoch nicht, denn nach 6 Stunden tritt die Insel mit der gekenterten Tide die automatische Heimreise an. Vom gegenüberliegenden Ufer halten die Brüllaffen abends ein Konzert, und AKKA dreht sich dazu im Strom. Allem Regen zum Trotz lässt es sich aushalten, zumal die River Breeze Bar, zu der unser Mooring gehört, WiFi an Bord schickt. Nun gut, wir holen uns das WiFi herüber, das ja normalerweise mit einem Bier (oder zwei) abgerufen werden soll.

Seit 2 Wochen sind wir wieder in Regionen, in denen man Landfreuden erleben kann, und ich merke, dass ich das wahrlich genieße.
àŽles du Salut, Französisch-Guyana. Der leicht moderige Duft, als wir vor der àŽle Royale in den àŽles du Salut vor Anker gingen – der erste Landgruß. Ein ohrenbetäubendes Zikadenkonzert. Totenkopäffchen rufen aus den Bäumen – uh, uh! Fregattvögel über uns, kleine Schwalben wippen auf unseren Schoten. Der Ankerplatz in der Baie des Cocotiers ist sehr ruhig, wenn man vom Strom und dem gelegentlichen, tidenabhängigen Schwell absieht – und daher hört man auch das Geplätscher der Wellen, äußerst friedlich, äußerst entspannend. Etwas anders dann der erste Landgang – friedlich ist es schon noch, aber die Inselgeschichte als Deportationslager, als so genanntes „Bagne“, verfolgt einen auf Schritt und Tritt, und dabei ist dies nur die Insel der Lagerverwaltung. Als wir auf der Windseite entlang spazieren, erwische ich mich bei dem Gedanken, wie viele Insassen es hier wohl in den Wahnsinn getrieben hat mit dem unaufhörlichen Gedonner der Wellen und pausenlosen Wind. Von wegen „friedlich“.
Heute ist das aber Nebensache: es ist Osterwochenende, Französisch-Guyana befindet sich seit 4 Wochen im Generalstreik, also haben die Leute vom Festland frei-frei-frei; die Stimmung schwankt zwischen hurra und „es reicht“. Eine Gruppe von ortsansässigen Franzosen – Guyana ist der Franzosen ärmstes Département, siehe Generalstreik! – feiert den Abschied einer Freundin und hat eine alte, zum Massenlager umgewidmete Werkstatt in Beschlag genommen – und schon werden wir befragt, woher, wohin und bekommen etwas von der guyanesischen Osterspeise angeboten. Das ist die Bouillon d‘ Arapua (oder so, rein phonetisch). Ein Eintopf aus Vielem, aber mit einem großen Anteil an Palmfrüchten. Und Fisch. Und Huhn. Und Speck. Und Knoblauch. Und Zwiebeln. Sieht, da stundenlang gekocht, ein bisschen örrgs aus, wir werden auch nicht gezwungen, aber es schmeckt uns ganz gut, zumal uns das auf frischem Röstbrot dargeboten wird. Dunkles Sauerteigbrot? Hatten wir schon Ewigkeiten nicht mehr, köstlich! Nicht im Streik sind die drei Katamarane aus Kourou, die die Tagesgäste heranschaffen, also ist daran kein Mangel, und genau darum mochten die Wirte der „Auberge“ auch nicht streiken. Money makes the world… Was seine Vorteile hat – gegen ein paar Euro bekommt man das Tagesmenu und die AKKA-Pantry bleibt kalt. Das lobe ich mir generell, und dann ist die Fischsuppe – mit Rouille und Röstbrot! – auch noch absolut lecker. So sitzt man etwas losgelöst vom geschichtlichen Hintergrund hoch über der Brandung im Passatwind, schaut auf die Teufelsinsel, wo Dreyfus 4 Jahre einsamster Haft verbracht hat und freut sich frecherweise auch noch über französische Desserts.
Zur Abkühlung allzu angenehmer Gefühle geht es dann umgehend in den Block der zum Tode Verurteilten. Wirklich schlimm jedoch ist der Besuch auf der àŽle St.Joseph, der eigentlichen Gefängnisinsel. Die Inseln sind durch eine Meerenge mit starker Strömung getrennt, ganz schlecht für fluchtwillige Gefangene und auch ein bisschen kitzelig für unseren kleinen Dinghymotor. Ein Rundgang am Ufer entlang – ungefähr eine halbe Stunde Bummeln – ist noch einigermaßen idyllisch, Palmen, alte Befestigungen, der Friedhof. Beerdigt wurden hier nur die Bediensteten, wer einsaß, wurde den Haien überlassen (von denen es angeblich nicht so viele gab, wie man Fluchtkandidaten weismachen wollte). Aber die steilen Stufen zur Inselmitte hinauf enden am eigentlich Gefängnis. Hohe, grobe Steinmauern, ein eisernes Dachgerüst über den Massenzellen/-hallen. Lange Schienen zum Anketten der Fußfesseln. Nebenan Blocks mit Gruppen- und Einzelzellen. Schaut man in die kleineren, sieht ebenfalls rostige Beschläge zum Anketten und denkt sich nichts weiter – das ist alles lange her und dem Verfall preisgegeben; in den 60 Jahren seit Schließung des Bagne hat die Natur vieles überwuchert. Über uns knallt die tropische Sonne durch’s Blätterdach – und dann gewahrt der Blick nach oben, was hier ablief: die Decke ein Eisengitter, auf der Mauer zwischen zwei Zellenblöcken ein langer Laufgang. Diese Zellen waren nach oben nicht geschlossen, die Gefangenen wurden von oben bewacht – und all das ohne den heutigen Baumbewuchs. Schatten? Keinesfalls – dazu hatte man die Inselkuppe, auf der die Gebäude stehen, gerodet. Ziemlich grausam, und kein Wunder, dass ein hoher Prozentsatz an Deportierten das erste Jahr nicht lebend überstanden.   Was stand in der kleinen Ausstellung auf der àŽle Royal ? Das Bagne auf den Inseln war „gegenüber den Gefängnissen auf dem Festland noch das angenehmste“. Das lässt Schreckliches für Cayenne oder St. Laurent vermuten. Wir verkriechen uns dann mal an Bord – da steht einem nicht mal mehr der Sinn nach „Papillon“ , der übrigens nicht hier eingekerkert war, sondern drüben, in Cayenne. Nach einem Pastis kehrt der Sinn für die friedliche Umgebung zurück. Zikadengebrüll, Affengeheul. Schön… doch, ziemlich schön ist es hier. Später, beim Aufräumen der Bücherschapps fällt mir eine Broschüre zum Tuol Sleng, dem Stadtgefängnis in Phnom Penh in die Hände. 140 Jahre, 40 Jahre – so richtig viel gelernt haben wir nicht, wir Menschen. Wir sind eine merkwürdige Spezies.

Nach 10 Tagen (Halb)idylle auf den àŽles du Salut lupfen wir an einem Montagmorgen gleich nach Sonnenaufgang den Anker. Mit Strom sollten wir am Dienstagvormittag vor der Einfahrt zum Suriname Rivier stehen, denn den geplanten Ausflug in den Maroni, den Grenzfluss zwischen Frankreich und Suriname, haben wir uns abgeschminkt. Keine Lust auf Straßensperren und geschlossene Einrichtungen – auch die Versorgung soll schon ein bisschen löcherig geworden sein. Eine junge Italienerin, die im Bereich des Raumfahrtzentrums arbeitet, hatte erzählt, dass sie sehr gut verstehen, warum gestreikt werde – die Infrastruktur im Land sei so schlecht, dass sich viele potenzielle Mitarbeiter 3-mal überlegen, ob sie nach Guyana gehen; vor allem sei die medizinische Versorgung ziemlich lückenhaft. Dabei ist ein Job im Centre Spatiale wohl grundsätzlich ein sehr beliebter und natürlich interessanter Arbeitplatz, gegen den die ärmliche Umgebung massiv abfällt. Die Streiklust sei allerdings ziemlich geschwunden, nun vermuten die Mitarbeiter dort, dass für eine Weile nur noch das Raumfahrtzentrum blockiert werden soll. Und wirken genervt – „…wir haben 12 Starts geplant und sind schon 3 im Rückstand…“ Wir sind gespannt, wie das ausgeht – und vielleicht bekommen wir noch ein bisschen landseitig zu sehen; ein Trip mit dem Leihwagen ist geplant.

Die Rechnung für die Weiterreise haut einigermaßen hin. Wir laufen anfangs noch mit Gegenstrom in den Suriname hinein, aber nach einer Weile erreicht uns der Flutberg von achtern und zieht uns mit. Dies ist ganz andere Küste als auf den einsamen Inseln. Ist es zur Linken urwaldig grün, liegt zur Rechten Paramaribo mit all seinen Hafen- und Industrieanlagen, und danach reiht sich fettes Haus an fettes Haus, bis wir in Domburg vor dem „River Resort“ eine Mooring fischen.
Die Sache mit den „fetten Häusern“ klärt tags drauf Harry, der Taxifahrer, der uns zum Einklarieren in die Stadt fährt. Harry ist, wie viele Surinamesen, indischer Herkunft und Hindu und erläutert uns jeden einzelnen Drogenmafiabau am Ufer. Und kennt auch die Plätze mit den spektakulärsten Überfällen und Rachemorden. Eine Tour de Crime, sozusagen. Interessant? Schon. Irgendwie nicht ganz im Einklang mit dem, was wir vor ein paar Tagen aus Deutschland hörten: Frau Sägebrecht möchte gern nach Surinam auswandern, weil es hier vor allem zwischen den Religionen so friedliebend zugehe. Mit Harry ist sie offensichtlich noch nicht gefahren. Wir dagegen bringen mit seiner Hilfe die Einklarierungsprozedur, die wir von 2008 in schlechter Erinnerung hatten, binnen zwei Stunden hinter uns, zack, MAS, zack, Immigration, zack, Militärpolizei. Und kehren anschließend im Paradies ein. Das heißt TULIP Supermarket und hat alles, was wir über Monate nicht zu Gesicht bekommen haben. Dunkles Brot, Grieß, Wiener Würstchen, französischen Quark, dänische Butterkekse, Schwedenknäcke, Maille-Senf,  um nur ein paar wichtige Produkte zu nennen. Die nächsten Tage sind gerettet! Es darf weiterregnen!  Obwohl… im Moment warten wir gerade. Auf REGEN! Wir haben angesichts der Wasserqualität unseres „Hoang Ho“ eine Wasserauffangvorrichtung ersonnen. Und was macht der Himmel nach zwei Tagen Dauerregen? Nix. Man kann sich auf nichts verlassen! Nicht einmal auf die Regenzeit in Suriname!

Ein Gedanke zu „Regenzeit

  1. Da in diesem Jahr die Tage in Marokko bald zu Ende sein werden hier mal etwas zum Reiseland Marokko in Sachen Sicherheit. Unter einem Reisehinweis für den Urlaub in Marokko fand ich unter Sicherheitshinweis folgendes:
    Wenn Sie vorhaben eine Reise nach Marokko anzutreten und dieses in Ihrem Bekannten- und Freundeskreis kundtun, werden Sie immer wieder kursierende Schauergeschichten hören über lauernde Drogenhändler, Raubüberfälle, Entführungen, Vergewaltigungen von Frauen, Terrorgefahr€¦€¦€¦€¦€¦€¦..Diese Geschichten müssen eindeutig ins Reich der Märchen verwiesen werden. Der Verfasser dieser Zeilen lebt nun schon seit mehr als 17 Jahren in Marrakesch und er hat sich in keinem Land der Welt sicherer gefühlt wie in Marokko.
    In Deutschland, Italien und Spanien (der Verfasser lebte auch 15 Jahre in Spanien) ist es viel wahrscheinlicher bestohlen oder überfallen zu werden als in Marokko.

    Und unsere Sicht in punkto Sicherheit:
    Das Sicherheitsrisiko durch Terroranschläge schätzen wir in Marokko nicht höher ein als in Eu-ropa. Der marokkanische Staat bekämpft den islamischen Terror rigoros, die Präsenz der Polizei, Geheimpolizei und des Militärs in den Städten ist sehr groß. Die Polizei ist straff organisiert und nicht zimperlich. Die marokkanische Armee ist ein wichtiger Machtfaktor und zählt zu den best-ausgebildeten Truppen Nordafrikas mit einer Stärke von über 200 000 Mann.
    Marokko ist derzeit in punkto Terrorismus, Gesundheit und Kriminalität das sicherste Land Af-rikas. Der vom Auswärtigen Amt genannte Sicherheitshinweis für Nordafrika ist mehr als Vor-sichtsmaßnahme mit Blick auf Regressansprüche zu sehen, denn als Hinweis auf akut drohende Gefahren.
    Gruß Gerolf + Gisela

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