Erinnerungstrunken

St. Georges/Grenada, 21.1.2018

Es regnet Hunde, Katzen, Bindfäden, alles zusammen, und eigentlich wollten wir heute 5 Meilen weiterrücken – aber nix da. Vor die Abfahrt hat das AKKA-Bastelkommitee das Verschrauben der Radarschüssel gesetzt, und das macht bei diesem Wetter keinen wirklichen Spaß. Die Schüssel war offen… naja, Ihr ahnt schon. Der für-uns-neue (das ist eine neue Sitte aus dem Englischsprachigen für Gebrauchtes, dort „new-to-us“) Plotter versieht wunderbar seinen Dienst, aber warum nun das Radargerät plötzlich seinen Dienst einstellt, das weiß der Geier. Der Eigner schiebt ein paar Tage vor sich her, was die Schipperin vorschlägt, nämlich die Verbindung zwischen Geräteanschluss und dem Kabelverteiler im Mast durchzumessen (alles in Butter) und auch in den Besan zu steigen und zu schauen, ob irgendwas zu sehen ist. Natürlich ist die Schipperin nicht schlau genug zu wissen, dass das dort oben alles ziemlich gut verpackt ist (hat ja auch 13 Jahre ohne Mucken funktioniert!), aber vielleicht hängt ja ein Kabel lose… Er lässt sich erweichen. Wir öffnen die Schüssel – stimmt, alles gut verpackt und nix Loses in Sicht. Er kommt runter, er schaltet das Radar ein… und die Antenne fängt an zu drehen. So ist das mit den vibrations der Schipperin. Dann machen wir die Schüssel provisorisch zu. Und das Radar steigt wieder aus. Die Stimmung sinkt. Wir machen einen Ausflug zum örtlichen Raymarinevertreter, der will – frühestens – am Mittwoch kommen, freut sich aber über des Eigners Wochenendlektüre, ein DIN A4-Blatt, dicht beschrieben mit der Abfolge der Fehler. Checking Hardware, antenna not rotating, no data, Antenne dreht aber kein Signal – eine veritable Kurzgeschichte, aufgepeppt mit vergeblichen Versuchen, dem Problem durch Softwareupdates beizukommen. Auf dem Rückweg – die Stimmung steigt wegen einer extrem lustigen Busfahrt wieder auf den Normalpegelstand – entscheiden wir schon, die Verabredung abzusagen. Es geht auch ohne. Nur noch die Schüssel wieder verschrauben, und das machen wir Sonntag, vor der Abfahrt. Und jetzt ist Sonntag! Wir schicken die Katzen, Hunde und Bindfäden rauf in den Besan, sollen die sich kümmern. Ach, Nachsatz: gestern konnte der Eigner es nicht lassen und hat mal das Radar angeschmissen. Läuft.

Während wir also das Wetter misstrauisch beobachten, kommt von einer Freundin über Facebook das Link zu einem Blog, der mir diesen griesen Tag gleich bunter gestaltet: die Unterschiede zwischen den verschiedenen Robbenarten. Nicht, dass es unzählige Robben in der Karibik gäbe, aber ich weiß, dass die Bezeichnung der Seelöwen und Seebären auf unserer Reise – Galapagos/Neuseeland/Südafrika/Argentinien… – nie wie aus der Pistole geschossen kam, und hier gibt es ein paar eingängige Erklärungen. Steffi schrieb dazu: „… schöner Blog!“ und ich sofort zurück: „… ich will keine schönen Blogs mehr!“  Tatsächlich, das ganze social media-Gebell und die vielen mehr oder weniger wertvollen Verlautbarungen gehen mir zunehmend auf die Nerven. Aber weil der verlinkte Artikel so schön ist,  habe ich doch gelinst. Bei vielen Blogs ist sofort klar, dass man mit den Inhalten nichts anfangen kann – meine Schublade dazu heißt: „und dann hat die Oma Apfelkuchen gebacken“-Blog. Was unseren eigenen betrifft, begegnet mir immer wieder, letzte Woche erst „massiv“, dass Leute beteuern, unseren Blog zu kennen und zu schätzen. Dann wird mir immer ganz mulmig, und ich frage mich, wer das alles liest. Meine Antwort dazu später, aber erst zum „Passenger on Earth“: der hat mich gleich gefangen genommen, nicht nur wegen der uns bekannten Robben, sondern auch wegen des Titelbildes von einem der Namibia-Highlights, der Spitskoppe, und vielen anderen „kennen wir doch“. Oodnadatta Track. Patagonien. Galapagos. Schließlich fand ich eine Erklärung zur Intrusion an den Torres del Paine… – o.k., dies ist ein Blog mit Inhalt, den möchte ich öfter mal anschauen; und hier bin ich als Leserin sicher willkommen, denn er wird explizit für die Leser geschrieben.
Und unser Blog? Meiner? Der wird vorrangig für uns geschrieben, und für ein paar Familienmitglieder, ein paar Freunde, alles andere mag ich gar nicht wissen. Weil er für uns geschrieben wird, muss ich ihn natürlich auch lesen, und heute ist die Gelegenheit günstig, mal über die Suchfunktion nach Seelöwen- oder Seebärenfehlern zu suchen! Los geht’s. Und dann passiert, was mir öfter passiert – ich tauche in eine Reiseretrospektive ein, ganz tief. Heute die zwiespältlige Wahrnehmung von Südafrika. Und unsere Bahnreise nach Zim. Und die Victoriafalls. Als unser Zug längst in Dar es Salaam angekommen ist und wir über Zanzibar in der Serengeti gelandet sind, ist es Mittagszeit, und ich muss mich losreißen. Haben wir tolle Sachen erlebt und gesehen? Haben wir. Und doch: mit den Erinnerungen ist das so eine Sache! Als ich neulich ebenfalls über Facebook Kontakt zu einem Segler hatte, der sich gerade anschickte, von Reunion nach Kapstadt zu segeln und sich Sorgen machte, verfiel ich in meine „Geduld-und-Spucke“-Routine. Und dass für uns der Indische Ozean, aber insbesondere die Strecke nach Südafrika nicht besonders aufregend gewesen sei, Betonung auf „besonders“. Ich erinnere mich bis auf die letzte dicke Front mit den langanhaltenden Gewittern tatsächlich nicht an Extremes, aber die Nachfrage ließ mich das alte Logbuch aufschlagen. Neben des Eigners immer schönen Zeichnungen steht da doch: „… A. ist schlechter Laune. Das Salzwasser ist bis in die Pantry geflogen!“  Habe ich tatsächlich vergessen. Verdrängt?! Verdrängt. Also lese ich meinen moderat formulierten Blog und weide mich an den schönen Erlebnissen. Wenn die schlechten erwähnenswert waren, wird es schon da stehen. Warte mal, was steht denn da für den Tag mit der schlechten Laune, südlich von Madagaskar?! Steht da was?  Klar. Klingt munter, es ist ordentlich Wind und Welle, und wir hatten Besuch von den „Madagascar Jumping Dolphins“, die eine gigantische Schau für uns abgezogen haben. Erstens: daran erinnere ich mich sonnenklar, denn nicht nur wir, sondern auch die Damen und Herren von der Delfinshow hatten ein unglaubliches Vergnügen. Zweitens: bis zum Zeitpunkt des Blogschreibens war ich wohl schon wieder trocken. Und drittens: es ist gerade wieder passiert – ich lese meinen Blog und bin erinnerungstrunken.
Schön so. Mögen unsere Erinnerungen uns noch lange erhalten bleiben.

Schreibe einen Kommentar