Zwei Ausflüge

English Harbour, 26.4.2018

Wie verdient man sich ein französisches Mittagessen?! Indem man versucht, ankerauf zu gehen und bemerkt, dass der Anker hängt. So geschehen im Norden von Guadeloupe. Alle suchen in der Bucht von Deshaies eine Mooring – wir auch, denn wir wollen AKKA für einen Landausflug allein lassen, und bei so viel Ankerei ringsum ist das Liegen an einer Mooring etwas übersichtlicher. Da kommt kein Vollpfosten gefahren und lässt seinen auf unseren Anker fallen oder Ähnliches. Am Montagmorgen sind  zwei Bojen frei. Wir dödeln  rum, da ist es nur noch eine – andere hatten die gleiche Idee. Schnell! Schnell! Was allerdings nicht schnell hochkommt, ist unser Anker. Nun gut – Rennen verloren, erst mal schauen. Badekleid, Schnorchelbrille. Herrje. Wir haben eine Uraltkette eingefangen – alle suchen eine Mooring, wir finden eine versteckte. Mittlerweile ist auch das zweite Objekt unserer Begierde schon besetzt, wir haben also Zeit. Manövrierübungen, Theoretisieren, Hilfsleine scheren, den Nachbarn beruhigen, dass wir gar nicht näher kommen können… Es hilft nix – „hol mal den Tiefschnorchler aus dem Vorschiff!“ Wassertiefe ca. 7 m, das heißt, mit 13 m Atemschlauchlänge wird es etwas knapp, denn der Kompressor steht maximal mittschiffs – der muss ja auch noch Elektroanschluss an die Batterien haben, und der ist im Achterschiff. Ein Riesengewurstel!  Runtertauchen, Druckausgleich und die Lage sondieren. Wieder rauf: „… ich brauche mehr Länge!“  Der Eigner tut, was er kann. Runter. Mittlerweile war AKKA fleißig, hat sich im Strom gedreht und schon 3 Lagen von der dicken, rostigen Kette aufgesammelt. Und „blubb!“ bleibt mir die Luft weg. Aufstieg. „… was war das denn jetzt?“ Manchmal schaltet der Eigner mir kurz die Luft ab, wenn er ein Zeichen geben will (à  la „es reicht, mach‘ Schluss“), aber heute war die Kabellänge so ausgereizt, dass die Kabelschuhe nachgaben. Auf ein Neues. Im dritten Versuch gelingt es mir, die dicke Kette von der Ankerfluke zu schaufeln. Ein bisschen Fluchen (unten)  und Geschrei (an der Wasseroberfläche) war dabei. Wir hatten im Internet kürzlich eine schöne Diskussion über Bordgeschrei und „…ein gutes Team weiß, was es zu tun hat…“ Gilt offensichtlich nicht für alle Situationen, obwohl wir ein gutes >Team sind, aber es hat dafür Unterhaltungswert für die umgebenden Boote, insbesondere wenn Deutsche in der Nähe sind  (bei dieser Gelegenheit hallo an die diskrete Alisea und danke, dass Ihr „nix gehört“ habt!).   Unterm Strich: AKKA lag wieder sicher vor Anker, ich war mit der Leistung  und meinem Ausflug nach „deep blue“ sehr zufrieden. Manöverkritik: nächstes Mal mit Bleigürtel, ohne treibt der Hintern auf und man arbeitet über Kopf! Der Eigner nicht minder zufrieden und das Belohnungsessen in Deshaies „AMER“ köstlich: Accras de Morue als Vorspeise, dann Magret de Canard und ein Duet von Thon à  la Polynesienne und Tartare de Thon. Überaus lecker.

Nach diesem Ausflug in Unterwasserwelten fand der richtige dann doch noch statt, wir hatten uns eine Busfahrt nach Pointe a Pitre ausgedacht. Morgens um 06:30 macht der Bäcker auf, also Café au lait und Croissant auf der Straße, danach „Bus ohne

Frühstück „auf der Straße“

Fahrplan“. Wir nehmen die erstbeste Navette nach Ste. Rose (auf Créole: Sin Wooz!), die kommt, der Fahrer findet uns doof, dass wir nicht auf den direkten Bus warten wollen. „Wann kommt der denn?“ … „…weiß ich nicht!“ Na, dann eben durch die Bergdörfer mit der Navette, ist ja auch interessant. Eltern mit Winzlingen auf dem Weg zur Impfung, Bürotanten, Schüler – der AKKAnaut als solcher hat immer was zu gucken, und der Anschluss in Ste. Rose passiert in kürzester Zeit. Ab hier wird’s flach und zuckrig – Zuckerrohr ist immer noch landwirtschaftliches Erzeugnis Nummer 1.  Bis zum Busbahnhof Bergevin dauert es 2 Stunden, so dass wir berechtigterweise zum 2. Frühstück in einer Metropolenbäckerei einfallen können (Obstsalat, gut, und Pain au Chocolat für den Eigner, Urteil: „… lieber nicht!“). Ziel für heute: Lokalkolorit – gutes Stichwort mit Betonung auf „Kolorit“, denn Pointe à  Pitre ist eine eindeutig kreolisch bestimmte Stadt, viel afrikanischer als Fort de France, finden wir. Viele StraßenhändlerInnen verkaufen Obst und Gemüse. Klamotten, Kosmetikartikel. Die Schuhmacher reihen sich mit Miniaturwerkstätten – 2 Orangenkisten, 1 Hocker – aneinander.  Vielleicht ist es auch nur das Viertel, dieser Fußweg von Bergevin zum Hafen, aber es kommt uns sehr afrikanisch vor.

Das Sklavereimuseum in Pointe à  Pitre

Am Hafen selbst unser eigentliches Ziel: das Mémorial ACTe. Von Weitem sieht man eine  beeindruckende, moderne Aluminiumfassade, in deren Richtung wir uns durch Fisch- und Gemüsemärkte schlängeln. Nach einiger Wartezeit – trop des elà¨ves, zu viele Schüler! – dürfen wir rein, und was gezeigt wird, macht ein mulmiges Gefühl: die Geschichte der Sklaverei und des modernen Rassismus. Es beginnt mit den Anfängen der Menschheit, weltweit, mit allen „Hochkulturen“, Babylon, China, die Griechen… und bewegt sich von dort in Richtung der Kolonien. Plantagenstrukturen – der anfängliche Tabakanbau lief noch mit bezahlten, weißen Arbeitern! – Wirtschaftsschwergewicht Zuckerrohranbau, der Beginn des Imports von afrikanischen Sklaven. Die natürlich – wie sollte es anders sein?! – unterstützende Rolle der Kirche, die auch noch einen widerlichen Unterschied zwischen den „edlen Wilden“, nämlich den Einwohnern der Inseln, und den Afrikanern macht. Sklavenhandel als Wirtschaftsfaktor, afrikanische Geschichte und der nachfolgende Rassismus. Es ist sehr eindrücklich gemacht, den Audioguide um den Hals gehängt werden wir durch die Geschichte geführt, von Videokasten zu Videokasten, von Exponat zu Exponat. Stellenweise wirklich grauenhaft, und so wie ich mich in Dunkerque im WW2-Museum als Mitverursacherin gefühlt haben, kann ich hier die zentrale Rolle der „herrlichen“ Europäer nicht abweisen, ich fühle mich plötzlich ziemlich „weiß“ inmitten von vielen schwarzen Schülern. Ein kleines geschichtliches Detail fällt mir gerade ein: der Wiener Kongress beschloss die Abschaffung des Sklavenhandels, nicht aber die der Sklavenhaltung. Ui. Die Ausstellung bewegt sich über Abschaffungsbewegungen, die schon Mitte des 16. Jahrhunderts mit den Maroons begann – und über eine besonders grässlichen Schleife von Abschaffung durch die Französische Revolution zur Wiedereinrichtung der Sklavenhaltung durch Napoleon – zu Freiheitskämpfern und zum Rassismus des 20. und 21. Jahrhunderts.  Im letzten Raum ein Videoinstallation zur Sklavenhaltung im Jahr 2014 – Zehntausende (in Deutschland) bis vielen Millionen in Afrika, Asien, Russland. Haarsträubend. Aber der Trost ist nahe: die beiden Ausstellungsteile sind getrennt durch einen langen Gang. Betritt man ihn, beginnt im Kopfhörer Miriam Makeba „Pata Pata“ zu singen, von der Decke hängen großformatige Portraits von Widerstandskämpfern und Abolitionisten. Abraham Lincoln, Victor Schoelcher. Lumumba, Nelson „Tata“ Mandela. MalcolmX, und nicht zu vergessen Rosa Parks. Harriet Tubman und Malala Yousafzai. Es rührt mich, und es rührt mich besonders zu sehen, wie die französischen Lehrer ihre Schüler zum Abschluss durch diese Parade führen. Das macht Hoffnung! Unbedingt einen Wiederholungsbesuch wert.

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