Slow Motion

Chaguaramas 20.0.2018

Der äußerste grüne Klecks unten rechts – Das ist Trinidad! Ziemlich hurrikanfrei!

September in Trinidad. Besorgte Bürger in Europa, auch in unserem Postkasten: „… geht es Euch gut? Wie sieht es mit den Hurricans aus, sind die weit genug im Norden?“ Ja, es geht uns gut, und die Hurricans benehmen sich so wie wir es wünschen – drum sind wir ja hier, knapp außerhalb der Hurricane-Alley. Zur Illustration ein Bild, von NOAA, wo in Bezug auf die Zugbahnen Trinidad liegt.

Das Leben geht seinen ruhigen Boatyard-Gang. 14 Stunden nach dem Hauptbeben ein kurzer Wackler im hohen 5er-Bereich, danach nichts Berichtenswertes mehr in dieser Hinsicht, sehr nett von Dir, Mother Earth! Wenn AKKA jetzt zittert, dann vielleicht wegen der passierenden LKWs oder weil der Wind unter das Sonnensegel fasst. Oder weil der Grund vielleicht doch mal wackelt, aber das ist Normalität. Weitere Überraschungen dieser oder anderer Art schließen wir natürlich nicht aus – eine war zum Beispiel, dass frau in der Nacht von einem merkwürdigen Geräusch aufwacht: hat da jemand gerade Kies auf’s Deck geschmissen? Raus aus der Koje, vorsichtig den Kopf rausgesstreckt. Nix. Nix außer Hunderten von Sicherheitsglasscherben. Unsere gute alte Cockpitfrontscheibe – ohne jeden Anlass hat sie den inneren Halt verloren; gut dass wir das Schiebeluk zugeschoben hatten, sonst hätten wir den Glassalat im Salon gehabt. Ob es vielleicht doch ein Erdbeben-Spätschaden war? Erzählenswert ist so etwas eigentlich nicht, aber daraus ergibt sich eine etwas ausgiebigere Aktion – mit offener Frontscheibe ist schlecht segeln. Kriegen wir Sicherheitsglas, und dann auch noch in entsprechender Dicke? Nö. Kein Sicherheitsglas, nur Verbundglas, und das einen Tick zu dick für den existierenden Rahmen. Ausschwärmen… Und dann die Beschläge… 33 Jahre alte Beschläge müssen ersetzt werden, weil sich das Alugehäuse innig mit den Edelstahlschrauben verbunden hat. Da hilft nur Sägen und neue finden. Aber klaro – Hallberg Rassy hat das Zeug noch liegen. Wir platzen zwar mit der Bestellung in die September-Inventur, wie ich bei einem etwas ungeduldigen Telefonat mit Ellös erfahren – der moderne Mensch bestellt online und erwartet natürlich eine sofortige Bestellbestätigung. Verwöhntes Volk. Aber als ausgezählt ist, gehen unsere „Bjerg Crowns“ auf den Weg. Seit vorgestern sitzt die Scheibe, nicht ganz so schön wie gewünscht, denn das Einsetzen und Anpassen war ziemliches Gewürge, aber es wird gehen.
All solcher Kram will erledigt werden. Wir vermissen auch etwas… die Kuhlen in unseren Kojen! Ungemütlich plan und auch recht hart sind unsere neuen Matratzen. Klingt dem Nicht-Segler zwar auch nach einer einfachen Aktion   – in den Laden, Probeliegen à la Loriot/Evelin Haman und zack! – aber für den Yachtgebrauch hat das seine Tücken. Die alten Matratzen waren 5- oder 7–Punkt-Kaufmatratzen, von zarter Hand in Arnis (yes! Die Matratzen waren etwas angejahrt…) in Form geschnitten – es ist ja nicht nur so, dass die Kojen zum Ende konisch zulaufen (wegen der V-Form heißt das im Yacht-Jargon Vee-berth), sondern zu allem Übel ist die Bordwand gerundet. Nicht so einfach. Zuvor schon die schlichte Frage: wer hat guten Schaum?! Standardmatratze kaufen? Wer hat gute Fertig-Matratz… Es ergibt sich neuerlicher Expedtionsbedarf. Mr. Robert, Seniorchef der Firma Lensyls in Macoya empfiehlt uns von ihnen maßgeschnittenen, hochdichten Qualitätsschaumstoff, ein Verkaufsgespräch inklusive Yacht-Geschnack und Firmenrunde mit Probeliegen, sehr empfehlenswert. „…believe me! Good for 15 years – come, I show you around!“ Total nett. Leider ergibt sich nach Lieferung Nacharbeit bei der Bordwandschrägung, genau das, was ich , nur mit einem Filettiermesser ausgetattet, vermeiden wollte. Nächstes Mal (also in weiteren 12 Jahren) kaufe ich ein elektrisches Fleischmesser, das wollte ich schon anno 05. So ein Gesäge und Gehampel und Geschnibbel da unten in unserer Garage. Wir müssen mal ein Bild machen, unsere Werkstatt befindet sich nämlich zwischen den Rümpfen von „Sundog“ aus Kanada. Hoffentlich kommt der Besitzer nicht so bald zurück… wir haben noch zu tun. Sundog hatte allerdings just zum Eintreffen und Nacharbeiten der Matratzen einen Scherz für uns auf Lager: in der Abendsonne baute sich Druck in seinem Tanksystem auf, und so pullerte Benzin im dicken Strahl auf die Arbeitsfläche. Pfui.
Ihr seht, wir wissen uns zu beschäftigen. Dies sind nicht die einzigen Projekte, und wenn man nichts zu tun hat, macht man sich Arbeit. Frau reinigt zum Beispiel die mit Plastikscheiben versehene Anschlusspersenning für das Cockpit und legt sie zum Trocknen auf die Arbeitsbretter in die Sonne. Schön warm, dem Holz wird heiß, und austretendes Harz klebt vortrefflich an der Plastikscheibe… Neue Folie kaufen, raustrennen, einpassen – und Folie mit Sunbrella vernähen ist sowieso mein Liebstes.

Zur Entspannung gibt es aber auch gelegentliche Ausflüge – den Unabhängigkeitstag feiern wir auf dem Panyard des Starlift-Orchesters, die Veranstaltung nennt sich „Independence Brunch“ und ist eine Trini-Tradition – andere nehmen derweil im strömenden Regen Paraden in der Innenstadt ab. Wir kriegen echtes Trini-Essen. Extrem lecker: Souse. Nicht lecker. Schweinefüße in Irgendwas. (ich stehe auch der beliebten Cow Heel Soup skeptisch gegenüber, ich habe immer den Verdacht, dass die Kuh, die ihren Huf opfern musste, zuvor in einen Fladen getreten war). Dafür waren die Pies und Doubles (das ist Singular, EIN DOUBLES) wirklich gut. Das Publikum ist – abgesehen von uns Handvoll Yachties – lokal und stellt sich als eine Flut von Rot und Weiß im strömenden Mittagsregen dar, die Gastgeber haben einen Regenschirm-Shuttle zwischen den überdachten Sitzplätzen und den Essensständen eingerichtet. Wir hatten uns offengelassen, ob man vielleicht frühzeitig abhaut, aber das wäre ein Fehler gewesen – das Starlift Orchestra (in kleiner Besetzung) und ihre Jugendformation hätten wir verpasst und die alten Herren von den Brimblers, zwischendrin noch „Lord Relator“, eine alte (!) Calypso-Ikone. Ein schöner Independence Day war das.

Und weil ich die Nase nicht voll kriegen kann, werden wir gleich zu „Big 5“ abgeholt. Same procedure as ervery year – die 5 großen Pan-Orchester, die den jährlichen Steelbandwettbewerb am häufigsten gewonnen haben. Immer wieder ein toller Lärm. Selbst der Eigner, der der Musik sonst nicht so extrem zugetan ist, lässt sich von der Exaktheit der Orchester faszinieren.
Anbei ein schönes Beispiel von Exodus – ich finde die  Bässe hier besonders gut, zumal der Künstler an der vorderen, linken Ecke keinen „6-Bass“ spielt, sondern einen 8-Bass.  Ein YouTube.Zuhörer hinterließ einen Kommentar, der genau sagt, warum ich da gern hingehe: „Ich habe Bands mit nur 4 Mitgliedern gehört, die ihren Kram nicht zusammenhalten können. Dies ist das kontrollierte Chaos..“
I’ve seen bands with four members who can’t keep their shit together. This is just controlled mayhem. And that rhythm section! Oh my God!

Und morgen sind wir mal wieder taub! Bis demnächst.