Yah, mon!

Tja, ja… One love, one heart

Ocho Rios, 29.3.2019

Ein historischer Tag!  Die Briten treten aus! Oder nicht… oder doch… oder nur ein bisschen oder vielleicht doch, aber ohne Deal. Oder so. Gerade schickt mir die ZEIT auf Facebook die Eilmeldung, dass das Parlament den Deal abgelehnt hat, aber noch scheint nicht aller Abstimmungen Abend zu sein..
Für uns läuft heute ein historischer (hysterischer, siehe unten) Nordschwell in die Bucht von Ocho Rios. Ach, wie kuschelig wäre es jetzt in der Marina in Port Antonio! Ja, das haben wir genossen! George, der Manager, bot schon den Kauf eines Grundstückes an, aber wie kann man einer täglichen heißen Dusche widerstehen –  dazu mit richtigem Wasserdruck?! Wann gab es das zuletzt? In KAPSTADT, anno 2016. Aber seit einer knappen Woche sind wir in Ocho Rios. Urteil: ist in Ordnung!
Was den Schwell betrifft: fast eine Woche war es hier ententeichmäßig, Ochi, wie es genannt wird, ist auch recht windgeschützt. Als wir gestern Abend vom Tagesausflug nach Montego Bay zurückkamen, sahen wir AKKA allerdings schon von Weitem tanzen. ui, ui, ui… Schlechtes Wetter in Jamaika! Und dann kommt man an Bord, im Cockpit alles nass (geregnet), und es regnet immer noch. Schnell die Biminituch-Seitenteile einhängen, was bedeutet, dass man und frau richtig schön nass werden. Drinnen wandert ein Glas Sauerkraut, eigentlich auf dem Weg ins Schapp, glücklicherweise unversehrt zwischen Salontisch und Sofakante. In der Pantry hat sich das Brot von der Ablage ins Spülbecken gestürzt, und, weil AKKA so schön und tief von einer zur anderen Seite schaukelt, saugt die Spüle Seewasser an. „… das schöne Brot! Mein schöner Roggenmehlvorrat“ kreischt die Schipperin und pfeffert es entnervt ins Cockpit. I am sorry, lieber Eigner! Der rettet derweil an Brot, was zu retten ist und gibt mir großzügig ein trockenes Kissen von seinem „Prinz auf der Erbse“ Polsterberg. Allerdings nur schein-trocken – zwei nasse Buxen in 30 Minuten, das ist Grund genug, sich entnervt in die Koje zu hauen und die Nacht mit Roll- und Verkeilübungen zu verbringen. So ist das Leben!

Das Leben hat aber auch noch andere Dinge zu bieten. Port Antonio war schön und „Jamaika pur“. Das heißt zum Beispiel: Ausflug nach Kingston, man, vor allem frau muss ja Bob Marley seine Ehre erweisen. Ich will niemanden mit neuen Geschichten von stets gleichen Busfahrten langweilen, aber dass wir die 3 Stunden über Stock und Stein (Port Antonio liegt an Arm der jamaikanischen Welt, das heißt, jenseits der Blauen Berge) auf den Notsitzen im Mittelgang verweilen, darf nicht unerwähnt bleiben. Auch nicht, dass es üblich ist, die vorgesehenen 3 Plätze pro Reihe auf mindestens 5 zu erweitern. Mein Nachbar ist ein stiller, asketischer Mensch, der mir in den Kurven seine Hüftknochen in die Seite bohrt. Bei Andreas bohrt nichts, die benachbarte Dame ist ausreichend beleibt, das macht die Sitzsituation weicher, aber eben auch enger. Lustig: auf der Rückfahrt erwischen wir einen Bus so frühzeitig, dass wir zwei nebeneinanderliegende Plätze in der letzten Reihe bekommen, und diese ist voll, zumindest so lange, bis eine junge Dame völlig selbstverständlich auf uns zusteuert und bedeutet, wir sollen mal ein Stück rücken. Wer sagt’s denn – es passt immer noch jemand dazwischen!
Kingston war leider verregnet und das Bob Marley-Museum ein elendes Stück Fußweg entlang einer Ausfallstraße entfernt. Immerhin gelangt man so in eines der besseren Viertel, vorbei am Devon House, das der erste schwarze Millionär der Jamaikaner sich Ende des 19. Jahrhunderts bauen ließ; sonst ist die Hope Road aber eine eher weiße Gegend. Was auch Bob Marley, als er sein Anwesen zwischen Devon House und Gouverneurspalast kaufte, zu kommentieren wusste: „I bring the ghetto uptown!“ Ist ihm sicher auch gelungen, wir hören zur Einstimmung einen seiner alten Perkussionisten demo-trommeln, unter dem Baum, wo die Rasta-Familie sich zum „Spliff“ (=Joint, Tröte…) zu sammeln pflegte, und dem so prächtig zusprach, dass die Nachbarn die Polizei holten. Total unverständlich – Passivrauchen ist doch in diesem Umfeld so angenehm. Heute übrigens ist das mit dem Marihuana anders auf Jamaika – es ist zwar so legal nicht, wie uns die Straßenverkäufer in Port Antonio beteuerten, aber immerhin darf man eine kleine Menge besitzen, man darf sich das Zeug auch vom Arzt verschreiben lassen (gute Idee, wirklich!) und die Rasta, also die, die dieser Religionsrichtung aufrichtig anhängen, dürfen immer und so viel sie möchten konsumieren. Sakrament und Meditationshilfe nennt sich das dann. Es gibt allerdings auch Sakrament und Meditationshilfe in Brownies eingebacken. Für Touristen.
Nun gut – so richtig habe ich das mit dem Rastafarianism noch nicht verstanden und der Besuch im Bob-Marley-Museum hat mich eher noch ein bisschen mehr Distanz einnehmen lassen. Spirituell-Religiöses ist mir zunehmend fremd, da helfen auch Einblicke in solche Welten wenig. Rasta ist eben nicht nur Dreadlocks & Reggae. Rasta ist alles Mögliche: eine gesunde Ernährung (überwiegend vegetarisch mit einigen alttestamentlichen Anklängen), naturnahe Lebensweise, dazu Patriarchat vom (un)Feinsten und … der Redemption Song. Sehr eingängig – ich brauche nur dran zu denken oder drüber zu schreiben, schon habe ich einen Ohrwurm. Meine Lieblingszeile war schon immer „…emancipate yourself from mental slavery, none but ourselves can free our minds…“ sofort gefolgt vom großen Fragezeichen „…have no fear for atomic energy ‚cause none of them can change the time..“ . Merkwürdig fand ich das schon immer – eine der Theorien dazu ist, dass Marley sich hier als, wie man heute sagen würde, Influencer betätigt und General Electric ihm die Strophe bezahlt hat. So richtig „natürlich“ und „ital“ kann der Umgang mit Atomenergie jedenfalls nicht sein. Auch Marleys Todesursache ist ziemlich „rasta“ –  chirurgische Behandlungsweisen entsprechen nicht der  „ital“-Lebensweise; wer es streng nimmt, lässt sich also ein Melanom nicht entfernen. Schlecht. Das alles kommt natürlich im Museum nicht zur Sprache – wir kriegen tolle Bilder zu sehen von einem Mythos. Reggaemusiker, Sportler, Familienvater, Frauen, „2nd-sexiest black man of our times“, gigantische Zuschauermengen. Die Projektileinschläge aus dem Attentat 1976. Sein Exil-Landrover aus London. Nicht zuletzt die Konterfeis der Kinder, die sein Erbe weiterführen. Musik gibt es leider nur häppchenweise (und wir mussten selber singen, na so was!  Buffalo Soldier…), das ist bestimmt marketingbedingt, denn am Ende von Marley-Disney wird man durch den Shop geschleust. 
Der abschließende Film, auf den ich mich eigentlich gefreut hatte, ist schwierig zu verstehen, die Sprache ziemlich „rasta“, grammatikalisch und phonetisch. Zum Beispiel:  „I and I“ sind nicht „wir“, wie man denken könnte, sondern das Ich und der innewohnende Gott. Hm. „I and I were taken to prison!“ „Ital“ wird als Rastafizierung von „vital“ interpretiert, die ersten Silben werden im Rastadialekt gern verschluckt, zum Beispiel das „h“ – das dann ganz unerwartet an anderer Stelle auftaucht, nämlich wenn Rasta versuchen, Hochenglisch zu sprechen. „H-Andrea“. Eine gewitzte Konstruktion ist das Wort für die – nicht erlaubte – Zigarette: blindarette; eine kühne Wandlung von cigarette über see-garette. Yah ist alles Mögliche. Aber „jah“, das ist Jehova… Und so fort.   
Umso gespannter war ich eigentlich, beim Tagesbesuch in Montego Bay (aka Mo’Bay) einen Besuch im Rastafarian Village zu machen, aber mal abgesehen davon, dass die Busfahrt auch hier wieder ziemlich lang war, hätten sich die AKKAnauten vorher dort  anmelden müssen, das war also nichts.
Daher Städtetour. Mo’Bay war so „Jamaika“ wie auch Ocho Rios es ist: man muss über die – in Port Antonio nicht existierenden – Touristenghettos und die angeschlossenen Belustigungseinrichtungen (Dolphin Show, Jewellery und überall die gleichen rot-gold-grüne Flatterkleider und Häkelmützen) hinausschauen, dann wird es spannend und sehenswert. Die Märkte, zum Beispiel. Bis dahin dringen die – festhalten! –  bis zu 6000 Kreuzfahrttouristen täglich nicht vor, und die fahren auch nicht mit dem Bus. In Mo’Bay gab es für den entgangenen Rasta-Village-Besuch aber eine Entschädigung im Kulturzentrum –  neben einer eindrücklichen Ausstellung zur Entwicklung der jamaikanischen Wirtschaft (dank Sklavenhaltung) auch ein sehr gut gemachter Raum zu… yah, mon! Rastafarianism! Hier mit besonderer Betonung auf die Gründung (in den 1930ern), viel Haile Selassie (der wiedergekehrte Messias. Was vom  Rasta-Seitenarm „12 Stämme Israels“ wiederum bestritten wird, die warten auf „Yashua“ bzw. Yesus Kritos…). Eine beeindruckende Dokumentation des „Bad Friday“, an dem sich 1963 lange aufgestaute Aggressionen gegen Rasta entluden, die in Gewälttätigkeit und langfristige Verachtung mündeten. An dieser Stelle ist sicher nicht zu unterschätzen, was der erst in den frühen 70ern konvertierte Bob Marley für die Anerkennung der Religion geschafft hat. Aber ich denke auch, besonders hoch ist das Ansehen der Rasta noch heute nicht, auch wenn man ihnen  – siehe Marihuana – ein paar Privilegien einräumt. Sie selbst sehen das (dank Marihuana?!) eigentlich gelassen. Unser Fahrer aus Port Antonio, Geoff, meinte in einem Nebensatz: „… die sind schon ziemlich regierungskritisch“. Dabei wollen sie – siehe Marley, ausgenommen vielleicht sein Engagement in Zimbabwe – mit Politik nichts am Hut haben, man könnte sagen: sie sind obrigkeitskritisch und wollen einfach in Ruhe gelassen werden. Ob ihnen gefällt, dass sich Leute in aller Welt ohne Ansehen der Hintergründe Rasta-Mützen aufsetzen und Dreadlocks züchten?
Nach dem Marley-Museumskult in Kingston haben wir jedenfalls in MoBay etwas gelernt zur Verfolgung von Gemeinschaften, die ein bisschen „anders“ sind. Sehenswert.

Yah Mon!

Demnächst dann: Kuba!

PS: heute keine Bilder, warum auch immer…