Die Sache mit dem Mehl

Cienfuegos

Cienfuegos, 14.4.2019 (harr, harr – heute ist Ostersonntag, der 21.4. …)

El Ché und El Benny – Revolution und Musik überall

Ein bisschen Geduld braucht es schon hier in CIenfuegos. Und Geduld mit dem Internet! Das geht nämlich so: man kauft sich eine Wertkarte über 1 Stunde (oder besser gleich mehrere, sofern…), sucht sich einen Hotspot (die sind so selten, dass sie in den Stadtkarten eingetragen sind!) und loggt sich ein. Wenn das Netz bröckelig ist, dann passiert es schon mal, dass man sich nicht ausloggen kann und dann tickt die Wertkartenuhr, ohne dass man davon nutznießen könnte. Drum sind auch 5-Stunden-Karten nicht gar so günstig. 1 Stunde kostet 1 CUC, das ist ungefähr 0,8€ –  aber auch die Karten zu kreigen ist ein Abenteuer mit gelegentlicher „no hay tarjeta“-Enttäuschung. Bis morgen, oder übermorgen oder so. Dann heißt es eine freundlich gesonnene Hotelrezeption zu finden, die Karten bevorratet. Mal mehr (zwischen “ woll’n se 5 oder 10?“ und „… na gut, weil Sie so nett sind – ich zwacke eine ab!“). Der Betreiber heißt ETECSA, hat ein Hauptbüro in der Stadt, das gerade renoviert wird („Geschlossen bis auf Weiteres!“), einen Kiosk in unserer Nähe, dem gern mal der Strom ausgeht und der daraufhin schließt und ein Büro im Busbahnhof. Das war eine weitere Begegnung mit solzialistischer Reglementierung: in diesem Glaskubus ist Platz für mindestens 5 Kunden, aber man wird dennoch vor die Tür gewiesen, damit man die Meldung „no hay hasta manana!“ einzeln empfangen kann. Cubanisimo, wie man sagen möchte (also, um gleich allen den WInd aus den Segeln zu nehmen, wir finden es hier schön!).
Ach ja. Kuba. Mal wieder so ein Land, wo man sich überlegen muss, wieviel Verwirrung man/frau zulassen möchte (ich habe gerade begleitend Oliver Stones Buch über den US-Imperialismus gelesen, passt wie Faust auf’s Auge…). Fangen wir in Jamaika an:
Die letzten entspannten Tage in Ocho Rios gingen zwischen Entspannung pur (Wasserfallklettern an den Dunn’s River Falls!) und der spannenden Frage dahin, was man denn tunlichst mit nach Kuba schleppt. Ocho Rios ist nicht das Einkaufsparadies, obwohl es schon ein bisschen bessere Supermärkte bietet als Port Antonio, also gestaltet sich die Auswahl schwierig und ist ohnehin nur in mehreren Gängen zu verschiedenen Supermärkten zu bewältigen. Wir haben halt unsere Rentner-Riten, also muss es „irgendwie“ was Wurstiges geben. Oder so.
Wie sich jetzt herausstellt, sind wir aber gut gerüstet, noch haben wir von der kubanischen Mangelwirtschaft nur ein paar Mangos und Tomaten abgezweigt, und selbst das fühlt sich seltsam an. Die Markthalle in Cienfuegos – zumindest am Sonnabend ein rechtes Trauerspiel. „Trauerspiel mit Auberginen“ muss man anmerken.

Begeistert und mit fliegenden Ohren: Bob, der Drogenhund

Chronologisch: Mittwochs früh in Jamaika losgesegelt, waren wir Freitagmittag in Cienfuegos –  total freundliches Willkommen, wir werden gleich ans Tankdock gelotst, damit die Cubanos tun können, was sie müssen; wir waren gespannt. Zunächst einmal kommt der Mann im Kittel, el doctor, der ein bisschen Papierkram mit uns erledigt (das Übliche: Ratten, blinde Passagiere, Tote oder Schwerkranke an Bord? ). Dann schießt er auf unsere Stirn und misst die Oberflächentemperatur. Kein Fieber. Die gelbe Flagge kann runter. Vertrag mit der Marina machen –  auch für den Ankerplatz muss bezahlt werden, noch wichtiger: wir müssen einfach registriert werden.  Besuch im kleinen Zollbüro mit dem Riesen-Gepäckröntgengerät – der Diensthabende hat 86/87 ein Jahr an der „Universidad de Carlos Marx“ in Berlin studiert, ist aber des Deutschen nur sehr peripher mächtig. Er freut sich auf häufige Besuche durch uns – wer in der Marina, oder, wie wir, vor Anker liegt, muss jeden doofen Rucksack röntgen lassen – die Handhabung stellt sich aber später als eher lax heraus, sofern nicht diensteifrige Jungzöllnerinnen das Heft in der Hand haben. Abschließend die Immigration in Kombination mit eingehender Befragung zu mitgeführten Elektronik- und Frischwaren (nebst Einweckgläsern…) Und als krönender Abschluss… Bob!  Bob ist ein Toy Spaniel und dient in der Marina Marlin als Drogenhund. Was für ein Schauspiel! Wir denken, dass es ihm auch Spaß gemacht hat, in die Grifflöcher unserer Bodenbretter zu schniefen und einen tiefen Atemzug zu nehmen (ums griffloch bleibt immer eine feuchte Sabberspur). Urteil: riecht gut, aber… Mist! Leider keine Aussicht auf ein Belohnungswürstchen. Er wetzt noch einmal los, da muss doch was zu finden sein! Nein? Wo soll ich noch gucken? An Deck? Achterkammer? Was, schon fertig? Langweiliges Schiff… Alles in allem easy, und dank Bob ein rechter Spaß. Wir werden noch vergattert, das Dinghy nur am Dinghysteg anzubinden und auf keinen Fall damit in die Stadt zu fahren oder sonstwie frei schwenkend unterwegs zu sein. Auch wer andere Schiffe besuchen will, sollte „Bescheid“ sagen. Kontrolle muss sein!

Abends treffen wir auf einen Katamaran, den wir schon im vergangenen Jahr in Martinique gesehen haben. „Treib(t) gut“ heißt er, und zum ersten Mal ahnen wir, was kubanische Wirtschaft antreibt. Oder wen oder was sie ausbremst. Adel, die Schifferin, braucht Mehl, das sie vor ein paar Monaten in Puerto Rico nicht besorgt hatte. Mehl? Mehl geht an die Bäckereien, Großküchen oder an privilegierte Hotelbetriebe – im Supermarkt totale Fehlanzeige. Wobei… Supermärkte. Super aufgräumt und super übersichtlich: 5 m grüne Bohnen im Glas, 5 m Haferflocken, 5 m braune Bohnen, 5 m schwarze Bohnen, plus ein bisschen Reis. Wer Kuba anläuft, sollte gut vorbereitet sein. Weil wir aus Jamaika noch ein „man weiß ja nie“-Extrakontingent Weizenmehl mitgebracht hatten, konnten wir bei „Treib(t) gut“ aushelfen – die Suchaktion jedenfalls war denk- bis merkwürdig, denn irgendwie zeigte, wenn überhaupt, alles auf „dunkle Kanäle“. Und eines wurde bei allen Stadtgängen klar: für Brot hat man anzustehen. Und für Kerosin… und so fort. Sonnabendnachmittag in Cienfuegos: eine lange Schlange vor einem der größeren Läden – neugierig werfen wir einen Blick auf offensichtlich begehrte Ware. Öl. Schlichtes Öl zum Kochen. Hast Du einen Beutel dabei? Nein? Großer Fehler in Kuba (und, wie der Eigner nicht müde wird zu betonen, wie damals, vor 89…).

Alte Zuckerherren-Pracht

Ein paar Tage später lassen wir AKKA allein am Ankerplatz –  was zunächst nicht so einfach zu sein scheint. Die Regel heißt: nicht länger als zwei Tage unbesetzt, die genauere Nachfrage ergibt: „… am dritten Tag wieder hier!“. Das klingt gut! Wir laufen in die Stadt (laanger Malecón, und je weiter man in die Stadt kommt umso auffälliger wird der Duft des Wassers… ganz Cienfuegos kackt hier in die Lagune!). Wir buchen Plätze für den Bus  nach Trinidad, und am

Motorradreparatur im Wohnzimmer

nächsten Tag in der Früh geht es los. Schnell noch bei der Marina und beim Immigration Officer „Bescheid“ rufen, wir sind ja nicht nur brave Staatsbürger, sondern auch nette Gäste. Nee, sagt die Diensthabende, das Schiff allein lassen? Das geht nicht. Oder, naja… „ist aber Ihre alleinige Verantwortung!“. Das versteht sich eigentlich von selbst, denken wir, aber in einem „alles unter Kontrolle“-Land alles andere als das. Dann noch der Immigration-Mann. Nee, sagt der, geht überhaupt nicht! Gar nicht? Das steht im krassen Gegensatz zur Aussage des Kollegen, dass man am dritten Tag… „… dann kommen Sie doch ans Dock, dann vielleicht!“ Kein Platz und sowieso zu spät, Senhor, der Bus, der Bus!  „… dann sagen Sie wenigstens in der Marina „Bescheid“!“ Genau, dachten wir doch, dass unser Ausflug auf voller Linie so genehmigungspflichtig wie ausnahmegenehmigungsfähig ist. Und hopsen auf den Bus, Anfahrt mit dem Mopedtaxi à la TukTuk.

2 Stunden später ist Ankunft in Trinidad, dem ehemaligen Metropölchen der Zuckerbarone, in der sich viele Touristen stapeln. Es gießt in dicken Strömen, augenscheinlich nicht nur ein temporäres Wetterphänomen, sondern auch ein topografisch bedingtes – an den Bergen im Hinterland fangen sich die Wolken, und die Anzahl der mitgeführten Regenschirme zeigt die Regenhäufigkeit ebenso an wie die Anlage der Straßen des Städtchens: die grobe Pflasterung ist konkav, so dass in der Straßenmitte ein fetter Bach bergab läuft. Den wir überwinden, um uns vor dem benachbarten Haus unterzustellen. „… wollt Ihr hier schlafen?  Kommt rein!“ Zack, Zimmer schon gefunden, das war ja einfach, übrigens ist es ein Zimmer mit Dusche, Dachterrasse und 2 Regenschirmen! „Particular“ natürlich – das private Vermieten von Zimmern wurde nach der großen Wirtschaftskrise, die der Zusammenbruch des Ostblocks und seiner Absatzmärkte verursachte, peu à peu erlaubt, und davon wird reichlich Gebrauch gemacht –  zumindest in Trinidads „casco viejo“, der Altsadt, hat fast jedes Haus das merkwürdige, blaue Zeichen für „Arendador Divisa“. Rote gibt es auch – das sind die Unterkünfte, die man in CUP bezahlen müsste, dem Peso Cubano, auch als „moneda national“ bezeichnet, aber wir internationalen Gäste bezahlen alles ein bisschen teurer mit CUC, dem „Peso Convertible“. Recht so. Sie haben es wirklich nötig, die Kubaner. Und auch verdient.
Gegen CUC bekommen wir im „Ché Tango“  ein kleines, spätes Mittagessen. Der Ché, der Ché… In diesem Lokal ist zu Ehren seines Geburtslandes die argentinische Flagge aufgehängt, während man in Kuba ansonsten denken könnte, dass dieser allgegenwärtige junge Mann, Milizführer, Guerrillero Commandante der Armee, Chef der Nationalbank, Wirtschaftsminister, kurz: Volksheld und Märtyrer der Revolución ein Kubaner sei. El Ché, un caballero sin tacha y sin miedo, ohne Tadel, ohne Angst. Er ist einfach überall und öfter zu sehen als Fidel – ist ja auch eindeutig knackiger anzuschauen, und so kauft tourist sich unweigerlich ein schickes Ché-T-Shirt, mindestens (siehe Jamaika, Personenkult um Bob M. ).
Wir laufen dagegen Slalom um die Souvenirshops in Trinidad, schauen alte Zuckerpflanzerpracht an, lungern auf der Treppe an der Casa de Música herum, die aber dank Regen keine Musik bietet; dafür kehren wir im Café Don Pedro ein (auch „particular“, was im Gastronomiefall die Bezeichnung „paladar“ hat und meist im krassen Gegensatz zu den Angeboten in den staatlichen Betrieben steht…) und schnacken lang und breit mit zwei jungen Britinnen über der Brexit (Tenor: auch wenn viele dafür sind, bringt ein zweites Referendum nichts, weil die Leute noch so doof und uninformiert sind wie beim ersten…). Wenn Reisen nicht bildet, dann macht es unweigerlich interessante Gespräche: schon auf der Herfahrt war es heiß hergegangen, denn da war meine Sitznachbarin eine Uni-Professorin aus Floreanopolis und natürlich eingschworene Bolsonaro-Gegnerin.
Den zweiten Trinidad-Tag verbringen wir dann da, wo normal Reisende nicht hingehen (steht halt nicht im Reiseführer…): Trinidad „normal“, und das ist fast noch schöner als der alte Ortskern, da lebendig und interessant. Um zu schauen, was es in den Läden gibt, und das ist sehr, sehr wenig, das meiste auf „libreta“, Rationierungsheftchen. Die Rationen werden (noch) mit dem Gießkannenprinzip an alle verteilt, aber man überlegt, die Privilegierteren (siehe oben, particulares und paladares) auszusparen. Zu den rationierten Dingen gehören u.a. bestimmte Reissorten, bestimmte Bohnensorten, das Kerosin – und natürlich Streichhölzer (womit soll man sonst seine „purro“ anzünden?). Ach, und so vieles mehr. Und Mehl gibt es auch hier nicht, das war ja klar. In Cienfuegos waren mir tiefgefrorene brasilianische Hühnchen aufgefallen – ob Sr. Bolso jetzt groß ins Embargogeschäft einsteigt und die Hühncheneinfuhr stoppt, der alte Solzialistenhasser? Viele Dinge werden von Mini-Geschäften angeboten, entweder aus dem Wohnzimmer heraus oder auch nur 3 Möhren nebst einem Eierkarton an der Straßenecke. Ach ja… und die Wohnzimmer! Ganz prima Ort, um seine uralte russische URAL-Maschine wieder in Schuss zu bringen (fällt unter: interessante Gespräche). Eines ist sicher: bei dieser knappen Ersatzteillage wird alles pfleglich behandelt – wie sonst könnten derartig viele Autos aus den 50ern hier noch herumgurken; wobei es eindeutig ist, dass es vielen Kubanern lieb wäre, auf moderne Technik zurückzugreifen. Ich finde allerdings die Pferde-Taxis ganz charmant und irgendwie auch ganz nachhaltig.
Zum Abschluss von Trinidad noch zwei Museen: die Villa eines Zuckerbarons (prächtig. prächtig, obwohl ich selbst so viel Porzellannippes nicht herumstehen haben möchte, und ich brauche auch keine 3 Rauch-Salons) und eine interessante, ganz systemkonforme Ausstellung zum Kampf der Kubaner gegen die von der CIA geförderten Konterrevolutionäre aus den 70er Jahren, die in den Bergen um Trinidad ihr Unwesen trieben – und auch da waren die Kubaner ganz schön erfolgreich, dafür mag ich sie besonders).
Das war dann viel abzuspeichern und zu grübeln für den Heimweg.

Und weil es so schwierig ist, ümfassend über Kuba zu schreiben, verspreche ich den Bericht über unseren Besuch in La Habana für „später“!
Ich geben Ihnen mein Ehrenwort (Anleihe bei Uwe B.)