Hinter Kairo…

Beaufort/North Carolina, 20.6.2019

Hinter Kairo, sagt Trudy Culross* , wird es besser! 
Hinter Florida auch, finde ich.  Die Sonne scheint, ein frischer Wind weht vom Atlantik. Sommermorgen im Cockpit, der Kaffee ist schon fertig, der Eigner ist noch fertig und schlummert, und Supertramp spielt derweilen „Breakfast in America“. So muss es sein.

Weiße Häuser mit viel Grün

Gestern haben wir einen ersten Spaziergang durch’s Stadtchen gemacht, und das besänftigt die US-Skepsis etwas. Donald, the biggest T. ever, hat zwar vorgestern in Orlando seine Wahlkampagne 2020 ausgerufen  und wir sehen, dass auch die demokratischen Kandidaten langsam zur Offensive aufgaloppieren, Cory Booker bat gestern um 1-Dollar-Spenden, um das vorgeschriebene Kampagnenbudget von 130.000 Dollar sicherzustellen (herrje, dieses System hier…) , mit Amy Klobuchar habe ich heute schon Kaffee getrunken, virtuell; aber hier ist alles beschaulich und ganz angenehm. Gewiss: Stars & Stripes gibt es reichlich vor den niedlichen Holzhäusern aus dem 18.(!) und 19. Jahrhundert, und die allgemeine Flaggeninflation erzeugt ein bisschen Gänsehaut, aber vielleicht ist das zumindest in Beaufort auch dem verordneten Faktor „hübsch muss es sein!“ geschuldet –  und hübsch ist es.

Alte Pracht…

Weiß gestrichene Holzhäuser ducken sich unter üppig grünen Bäumen, die „Historical Society“ hat ganze Arbeit geleistet, und es gibt noch viel zu schauen.
Nein, nein – es ist nicht so, dass wir es ganz schrecklich in Florida fanden, wir waren sogar in Orlando. Einen Tag im Premium Outlet Center. Der Verschleiß an den immer wieder geflickten und geänderten Bürohemden aus den 80er und 90 Jahren (erst gehen die Ärmel, dann die Kragen, dann werden die Säume kürzer…) nahm doch groteske Züge an, einige wurden nun der Putztuchbrigade zugeordnet, und Columbia und Co. boten Ersatz. Gut. Das Liebäugeln mit einem weiteren Tag bei Minnie und Mickey (Eigner) und Fozzy Bear und Miss Piggy (Schipperin) nahm nach einem Blick auf die zu erwartende Endsumme ein rasches Ende.  Sagt mal, wer leistet sich so etwas, möglicherweise noch als Familie? Das Muppets 3D-Kino wäre schon Klasse gewesen,  mit Statler und Waldorf, und Gonzos langer Schnabel fummelt mitten im Publikum; der Eigner wäre sicher nochmals in den Tower of Terrors gegangen und wir zusammen mit Aerosmith durch die Stadt gefahren, achterbahnmäßig, aber einmal im Leben reicht dann doch, und das war in den 90ern. Punkt.

Solange die Segel noch stehen, kann man’s ja probieren

Damit stand der Abreise nur noch die Wetterlage entgegen. Ein bisschen hin und her und „ui, da kriegen wir Wind auf die Nase, auch noch gegen den Strom, dann lieber am Wochenende“ – die Vorhersagen der Wetterwelt sind uns nach wie vor lieb! „Gutes Wetterfenster, ein bisschen auf der schwachen Seite“, sagt der Eigner – mir ist es recht. 10-12 Knoten raumschots geht schon, dazu ist es mit dem Strom, wenig Welle, und bei Abfahrt am Sonnabend schaut es nach wenig oder keiner Gewitterneigung aus. Toll! Noch kurz tanken und weg.. Und richtig, der Wind  ist „etwas auf der schwachen Seite“, auch ein bisschen schwächer als angesagt, aber irgendwann wird der Golfstrom schieben, denken wir. Tut er. Allerdings – Bekennerschreiben! – haben wir in unseren Planungen eben genau den Strom nicht berücksichtigt, und der nimmt uns 3-4 Knoten vom ohnehin schwachen achterlichen Wind, will sagen: es bleibt kaum etwas zum Segeln übrig. Das Ende vom Lied: 77 Stunden Reisezeit, davon 72 mit Motorunterstützung. Man mag nun sagen, dass wir dann eben 1 oder 2 Tage länger draußen bleiben sollen, aber das hätte uns die gefürchteten Gewitterzellen in den Weg geschoben, und was Gewitter betrifft sind wir wirklich furchtsame Hühner. Abgehakt (und was gelernt). Sonst war es eine prima Vollmondfahrt. Die Einfahrt nach Beaufort bietet nochmals Spannung – nach Florence im vorigen Jahr haben sich die Sände an der ganzen Küste verschoben, es wird überall gebaggert,, und wenn wir kommen, immer mitten in der Fahrrinne;  dabei kann diese Einfahrt auch ohne Bagger schon ein Abenteuer sein. Es kommt uns ein Fahrzeug der US Coast Guard entgegen, dass enorme Gischtwellen aufwirft: wir haben ablaufendes Wasser, das heißt „Wind gegen Strom“. Hier möchte man nicht sein, wenn es richtig bläst, das bestätigt auch die Historie:  wrackreiche Gegend, das. Beaufort liegt an einem der Inlets in den Intracoastal Waterway, ein Tausende von Kilometern langer Wasserweg, der den Booten früher den gefährlichen und mühsamen Weg über den offenen Atlantik ersparte – zum großen Teil natürlich, aber auch mit vielen künstlichen Kanälen und mit einem traditionellen Hang zum Versanden (auch da muss gebaggert werden… und die Yachties hier schließen gern eine Versicherung bei US-Tow ab: einfach anrufen und es kommt jemand, der einen freischleppt!) Also hinein. Ist man erst einmal im Inlet drin, ist alles ruhig, jetzt gilt es nur noch Tonnen und Pricken zu raten, auch die hat es nach Florence ein bisschen durcheinandergewürfelt. Es geht kurz im Zickzack – Kontakt zur Marina. Alles gut: „…am ersten Stegkopf hinter dem großen Motorboot in die Boxengasse. Fender und Leinen an Backbord“. Vollbetreuung. Ich spreche gerade mit Matt, der uns einweist, und sage mitten im Satz: „… and now we got stuck!“  Festgefahren. Shit, ist das flach hier! Ein bisschen geschnibbelt und schon saugt sich AKKA in den Schlick – so ist der Intracoastal Waterway. Der Eigner wühlt sie raus, die alte Gans, mit Motordrehzahl und rechts-links-Drehungen, mit Bugstrahl und viel Mülm im Wasser. Eine weitere Pricke wäre nett (sagt uns auch Clark am nächsten Tag…).
Aber: die Strecke Florida-North Carolina ist erledigt. Es ist ein angenehmes Gefühl, dass die Fluchtdistanz vor möglichen Hurrikanen deutlich geschrumpft ist. Bevor es weiter nach Virginia geht, genießen wir noch ein bisschen Südstaatenkultur in den Carolinas, Grits und Shrimps und nicht zuletzt den „Southern Drawl“, dieses Südstaatengeknödel. Wie bitte?! Say again, please…‘

Ah –   PS:   es bläst, und zwar ordentlich, der „frische Wind“ von heute früh hat zugelegt, mit dem Rad zurück von „Food Lion“ war schon eher anstrengend. Der Westen von NC und Virginia kriegen ordentlich was ab –  gut dass wir hier sind!

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Trudy Culross: Hinter Kairo wird es besser (Leaving Home – Every Girl’s guide to going it alone; )
Manche Reisebeschreibungen „von damals“ sind einfach umwerfend – ich würde gern mal die heutige Version, in Zeiten von Internet, Instagram und Tralala lesen…