Norfolk

Kein Witz. Oder doch?

Deltaville/Virginia, 23.7.2019

One night in Bangkok makes a hard man humble… 6 nights in Norfolk allerdings auch. Nicht wegen der (mangelnden) Exotik in Virginia, sondern – ha, puuh: man ist von der Navy umzingelt, und das färbt jeden anderen Eindruck. Angefangen hatte der Eindruck schon diverse Meilen vor dem Great Bridge Battlefield, als uns die Jungs und Mädels vom Navy

AKKA umschwärmt. AWACS Schulflugzeug

Airfield mit ihren Übungs-AWACS-Flugzeugen umkreisten, ein paar  Akzente lieferten dazu startende Kampfjets; das war nur ein kurzer Spuk, danach war bald wieder Ruhe.

In den Docks

Aber Norfolk – das ist die größte Marinebasis der Welt, es  lässt sich nicht leugnen. Amerikanische Stadt mit Navy, Navy und Navy. Im Rundblick vom Ankerplatz: nach Süden liegen in den Docks 8, 10, 12 Werft-Restaurationsobjekte auf einen Blick, und alles in „battleship gray“ (so nannte sich das Grau der alten Jaguars… Briten halt). Auf dem Westufer des Elizabeth River ist Portsmouth, ein Ort mit Marine-Schiffsbau in der harmlos-hübsch anzusehenden Historie, denn hier wurde das erste Kriegsschiff mit Eisenarmierung gebaut, in den 1860er Jahren. Ging auch nicht immer gut mit diesen schweren Dingern. Was umzingelt noch? Wir liegen vor „Hospital Point“, das heißt vor Amerikas ältestem und immer noch größtem Marine-Hospital. Nach Norden werden gerade zwei saudische Eisenbahntransporter (?!) in „Battleship Gray“ umgebaut. Auf der Norfolkseite staht das „Nauticus“, ein großes Schifffahrts- und Meeresmuseum, dessen Kernstück gleich hinter dem Hauptgebäude um die Ecke lugt: No. 64, auch bekannt als „The Wisky“. Die Wisconsin, das letzte amerikanische Schlachtschiff der „IOWA“-Klasse. Ein Monster aus dem Jahr 1943 –  und Navy-Skepsis hin oder her: das müssen wir natürlich angucken.

Ein Schlachtschiff in der Stadt. Die Wisconsin

 

Zur Orientierung gibt es eine „Naval Rover Tour“, was nichts anderes ist als eine Hafenrundfahrt mit Schwerpunkt Militär. Wer Glück hat, läuft wie wir zur Einstimmung über das „Armed Forces Memorial“: um den Flaggenmast am Town Point liegen 20 in Bronze gegossene Briefe verstreut, teilweise scheinen sie vom Wind angehoben zu werden – das sieht hübsch und „leicht“ aus, ist aber schwere Kost zu lesen. Keiner der Briefschreiber hat den jeweiligen Krieg überlebt – Revolutionskrieg, Sezession, die beiden Weltkriege, Korea, Vietnam, erster Golfkrieg. Nur wenige heroische Worte findet man, dafür viel Nachdenkliches zum Sinn und Unsinn der Situation, in der sich die Schreiber (inklusive einer Krankenschwester) befinden, auch offen Kritisches, das nimmt uns sehr für die Macher des Memorials ein.
So „gebrieft“ steigen wir auf unsere Barkasse – schönes Wetter, der Guide hüllt uns in eine Wolke von Superlativen. Es beginnt eher harmlos mit Zahlen zu den Trocken- und Schwimmdocks und den Containeranlagen für den zivilen Teil des Hafens. Ein paar große Containeranlagen später wird es dann richtig militärisch. Und unheimlich. Gigantische Versorger, genannt „Navy-Walmart“ sind da noch harmlos anzuschauen. Zerstörer, Ro-Ro-Transporter für schweres Gerät, Landungsboote, Spezialschiffe für ganz flache Gewässer. Die U-Boot-Pier, wo zwei von diesen immer bedrohlich ausschauenden Viechern über das Dock schauen. Die Route führt an einem endlosen Zaun entlang, vor dem gelegentlich Militärpolizei mit Maschinengewehr am Bug Wache schiebt –  besonders lustig eine Geheimpier, die so geheim ist, dass man außer der Absperrung für ein Boot nichts sieht. Stealth-Kampfschiffe mit merkwürdig verformten Aufbauten. Bemerkenswert auch, dass die Anlagen leer erscheinen – der Guide preist, dass man so auf jeden Fall von jeder Kategorie ein Schiff zu sehen bekäme, der Rest sei leider unterwegs. Wo um alles in der Welt sind die alle? Iran? Korea? Vielleicht ja auch in Europa, um Boris zu unterstützen und Emmanuel M. und Angela vors Bein zu schießen… Der Umkehrpunkt auf der Tour ist der Flugzeugträger John C. Stinnis, bei dem man gerade den Atomreaktor auswechselt, nach 25 Jahren ist das ein Routineeingriff (man weiß gar nicht, wie lange die durchhalten würden).  Alles natürlich in weitem Abstand, und, nachdem alles gesagt ist, werden wir unter Abspielen diverser America-the-Beautiful-Hymnen zurückgeschippert. Eindruck: überwältigend im negativen Sinne. Mir kommt der Gedanke, dass allein der Anschein dieser Übermacht jeden Gegner davon überzeugen muss, dass da nur eines hilft, nämlich „die Bombe“. Wirklich zum Gruseln. Finde ich. Der Eigner ist mit seiner Luftwaffenvorbildung ein bisschen gelassener (Hauptausbildungspunkt außer Fallschirmpacken war wohl Luftraumbeobachtung, kurz: LRB = Liegen, Ruhen, Bräunen –  solcherlei Scherze bleiben mir hier eher im Halse stecken).

Nächster Punkt: Nauticus-Museum. Schön gemachtes Museum mit allerlei zivilem und militärischem Exponat, nachgebaute Schiffsbrücken, das normale Leben an Bord eines Schlachtschiffes, Pazifik-Kriegsstories und Meeresnatur obendrein. Und eben… Wisky. Was ist das für ein Monster! 1934 vom Kongress genehmigt, mit der kostensparenden Maßgabe, dass alle 4 Schiffe durch den Panamakanal passen müssen –  diese Schlachtschiffklasse stellte quasi die ersten Panamax-Schiffe dar. Je eine Handbreit am Bug, am Heck und an den Seiten muss in der Schleuse reichen. 1941 auf Kiel gelegt, nach Pearl Harbour dann beschleunigt weitergebaut, ging sie 1943 in Dienst und nahm an den schrecklichsten Schlachten des Pazifikkrieges teil; Stichwort Iwo Jima, zum Beispiel –  wirklich furchtbar anzuschauen und sich vorzustellen. Die drangvolle Enge eines zwar gigantischen, aber überbelegten Schiffes mit 2800 Mann Besatzung. Keine Klimaanlage, dafür wurde gern an Deck geschlafen und auch mal ein Teakdeck-BBQ agehalten, wenn nicht gerade der Feind mit Kamikaze drohte.  Diese riesigen Kanonen. Natürlich klettern wir durch einen engen Einstieg in einen der Geschütztürme. Bevor wir uns versehen ist der Tag um, wir werden mal wieder aus einem Museum geschmissen. Kurze Verhandlung an der Kasse, jammer, jammer – wir waren so spät, und können wir nicht vielleicht morgen wiederkommen?  Dürfen wir, wir bezahlen allerdings für eine erweiterte Navy-Show ordentlich drauf, dafür ist es sicher interessanter als ein Tag in Disneyland. Wir buchen nämlich die „Engine Room Tour“ und anschließend noch „Command & Control“. Engine Room ist klasse, man vergisst ein bisschen, wo man ist – es könnte halt jedes dampfturbinengetriebene Schiff sein, aber die Ausmaße schmeißen einen um. Im

Hamrlos. Nur riesig – der „Broadway“

Schiffsbauch gibt es den „broadway“, ein mehrere hundert Meter langer Gang mit einer verwirrenden Zahl und Anordnung von Leitungen. Die Steuerung des Schiffes ist auch so einfach nicht: für jeden Propeller gibt es Boiler und Turbine, die abgestimmt werden wollen, der Heizer heizt fröhlich, die Turbinencrew will nicht so viel Druck, der Käptn will Gas geben – das geht alles über Stockwerke… Wir waren gewarnt worden, dass ein „decent amount of ladder climbing involved“ sei. Stimmt. War wirklich gut!  Das Ganze wird von Pete vorgeführt, Pete, der bestimmt als Peter geboren ist, in der Nähe von Hamburg, und mit den Eltern gleich nach dem Krieg als Kleinstkind ausgewandert ist. Er lässt wenig von seiner Marinehistorie durchblicken, aber hat viel Interessantes beizusteuern, inklusive Anekdoten zu den Knochenjobs, Boilerreinigung (nur für die ganz jungen, ganz schlanken…), Heizer (die mussten aufpassen, dass sie nicht vertrocknen). Pete interessiert sich im Anschluss an seine Engine Tour für die unsrige („…wie macht Ihr das denn mit den Zimmerpflanzen zu Hause?!“). Sehr nett!
Kommt die Command&Control-Tour in Gestalt von Doug, da geht es schon kerniger zu – über die Gangway kommt ein Mann heran, verharrt, salutiert. Was macht der Typ da?! Ah, die Stars&Stripes am Heck!  Fahne grüßen (machen wir ja auch morgens, „Moin, Konrad!“).  O.k., das ist also Doug. Doug fragt die – mit 20 Personen ungleich größere  – Gruppe erst einmal nach Navyerfahrung ab, haben wir einige zu bieten, das macht ihn zufrieden. Junge, Alte, Aktive, Vets, alles dabei, dazu eine kleine oberschlaue Schülerin, die uns fortan die Last des „dumm Fragens“ abnimmt, und ein „Assistent“; die Führungen auf diesem verwirrend großen Schiffe bedürfen eines Wachhundes, der die Reste der Gruppe zusammenfegt und -scheucht, und dieser Assistent ist, wie die meistens Museumsguides hier, ein Volunteer und dieser ein High School-Schüler und Marinenarr. Der weiß viel Kleinkram, auch zu Waffen und hakt bei der Führung durch die Kapitänskammer gleich mal beim Unterschied zwischen „cook“ und „chef“ ein. Also, ich bin „cook“, denn ich bereite Mahlzeiten ohne Ausbildung zu, jetzt weiß ich’s!  Bei „command & control“ geht es zu einem großen Teil um Hierarchien, um nicht weisungsbefugte Admiräle, die Koordination zwischen Schiffsführung und Kampf-Koordination. Sehr beeindruckend, sehr beängstigend – will ich gar nicht so genau wissen. Riesendicke Armierung in der Zitadelle, damit die Verantwortlichen auch ja davonkommen. Ich freue mich geradezu, als es wieder an Deck geht, ein kurzer Blick in die sehr schöne, altmodische Navigation mit redundanten Sextanten, DEKKA und viel Karte und Stechzirkel;  die Wisconsin wurde nämlich zu Beginn des GPS-Zeitalters außer Dienst gestellt, nach „Desert Storm“ 1991 –  man hatte festgestellt, dass diese Kriegsschiffmonster sich überlebt hatten.  Wieder draußen genießt der Besucher die herrliche Aussicht über das Vorschiff mit seinen 2×3 Riesen-Kanonen.  Ich glaube, ich geh‘ doch nicht zur Marine, wenn ich groß bin. Aber alles in allem: anguckenswert, auch überlegens- und überdenkenswert. Wir werden, sollten wir mal in San Diego sein, noch einmal auf die „IOWA“ gehen, der Namensgeberin der Schlachtschiffklasse, allein, um Roosevelts Badewanne anzuschauen, Spezialeinbau wegen Behinderung… Die wird heute noch benutzt – man kann sich auf den Museumsschiffen nämlich zur Übernachtung einbuchen.

Der Rest von Norfolk gibt sich  eher zivil, wenn man einen Besuch im iMax in Hampton mit „Apollo 11“-Film so nennen kann – gekoppelt an das Virginia Air&Space-Center mit toller Ausstellung zur Luftfahrtentwicklung bis hin zur Mondfahrt. Wusstet Ihr, dass Apollo 12 fast schief gegangen wäre? Coole Socken, diese Astronauten… ein Blitz traf die Rakete während des Countdown, und die Besatzung berichtete daraufhin, dass sie bis zum Mond noch gelacht hätte, weil Peter Conrad in den verbleibenden 90 Sekunden bis zum noch möglichen Startabbruch in Maximalgeschwindigkeit so viel Knöppe gedrückt hätte wie nie zuvor. Naja, und dei Doku – ich bin halt leicht zu beeindrucken.  Ich fand’s gut.

Geleitschutz

Das war’s dann auch fast mit der Navy und Norfolk. Fast. Bei Abfahrt – es ist ein bedeckter Tag mit Gewitterwarnung – hören wir im Funk, dass in Höhe der Navyanlagen ein U-Boot geschleppt wird, 500 yards Abstand nach allen Seiten. Naja, bis wir da sind… Fahren los, kriegen das Gewitter voll ab, null Sicht in den Böen, waagerechter Regen, Blitzschlag direkt neben uns, als wir einem MAERSK-Frachter begegnen… , dann klart es auf und was fährt da quer vor uns?! Das UBoot. Nicht auf Kollisionskurs, aber 500 yd. Abstand waren es eher nicht, immerhin aber ausreichend für ein Militärpolizeiboot mit schwerer Bewaffnung, das sich zwischen uns schiebt und das dicke Teil abschirmt. Dabei wollten wir doch nur glotzen. Durch den Blitzschlag war unser AIS und unser Batteriecontroller ausgefallen, möglicherweise haben wir dadurch auch keinen Funk mehr gehabt, aber die Herren von der Navy haben schön aufgepasst, dass wir dem Lulatsch nicht gefährlich werden.
Zwei Tage später sind wir in Deltaville. Und hier in der Fishing Bay ist alles friedlich. Außer allgemeinem Quallenalarm. Hier geht jetzt AKKA aus dem Wasser und wir befleißigen uns wieder einmal der Landreisen. Es soll ja auch nicht-militärische Ziele in den USA geben. Wir werden es sehen.

Friedvoll. AKKA in der Fishing Bay