Landleben

Deltaville, 26.8.2019

Da stehen wir also wieder an Land. Eine ganze Weile schon, und wenn es schon nicht freundlich schaukelt, dann muss man sich andere schöne Sachen suchen, um über den Nachttopf (insbesondere das Fortbalancieren desselben) und die 3 m Leiter hinwegzusehen.

Der blaue Blob sind wir. Norfolk wäre unten mittig, oben links Washington

Deltaville ist ein Ort am Arm der Welt, mitten in Trumpland, also dem richtigen Trumpland, da, wo ihn alle gewählt haben. Fast alle. Nachdem ein Mitarbeiter hier anfangs schon durchblicken ließ, was er vom Präsidenten hielt, hatte ich kürzlich ein sehr nettes Gespräch zwischen kalifornischem Wein und Einweg-Eiswürfeltüten mit Meredith, die meinte, sie sei in Virginia (oder, Gott bewahre, North Carolina!) einfach am falschen Platz.  Auch sie hatte sehr herzliche Worte der Abscheu für die derzeitige Regierung parat. Wir staunen täglich über brillante Ideen aus Washington, gerade dieser Tage kam mal wieder die Atombombe gegen Hurrikans hoch. Genial!

Will sagen: wir lernen jetzt, USA zu verstehen, so weit es geht. Wichtig sind in jedem Fall Aufsitzrasenmäher, dazu viel Platz um die Häuser. Wald, Maisfelder, Wald. Dann Rasen, Rasen, Rasen, Rasen, weißes Haus (!), Rasen, Rasen, Fahnenmast mit Stars & Stripes, Rasen, Rasen. Selbst die Gartenabteilung im Lowe’s Baumarkt heißt „Lawn & Garden Products“, nicht etwa „Gärtnern“. Rasen zuerst –  der Selfmademan von heute wäscht nicht mehr Teller, sondern mäht Rasen. Der Sonderlichkeiten sind noch mehr (wir sind wirklich meckerige europäische Landpomeranzen), zum Beispiel: für das Luftpumpen an der Tankstelle muss man 5 Quarter einschmeißen, 1,25 US$; dafür darf man beim ersten Pumpen beim Tankwart nachfragen, wie das funktioniert, denn es heißt, dass das Manometer an der Spitze des Befüllrohres angebracht ist. Da ist aber nüscht! Zumindest nichts, was man sieht. Die Tankwartin hilft uns auf die Sprünge, denn wenn man den Schlauch ansetzt, schiebt sich eine schnöde Messzunge aus dem Rohr. Landtechnik, wer denkt an so etwas.

Im Übrigen gibt sich Virginia ziemlich gewöhnlich: die Landstraßen – es ist ja recht weiträumig hier! – sind alle paar Meilen gesprenkelt mit ländlichen Geschäftszentren, bestehend aus Tanke, SevenEleven-Laden, vielleicht einer Autoreparatur oder einem Gebrauchtwagenhändler, günstigenfalls auch einem Landhandel oder Baumarkt und unfehlbar einem Dollar-Shop (um den Bedarf an Unnützem zu decken). Leider gibt es wenige Kaffeeläden, das mindert den Eindruck, und da mein persönlicher Bedarf an „Schönem“ à la Glasmöwen und Patchworkdecken äußerst gering ist, sind auch die kleinen Kunst- und Kunsthandwerkläden wenig attraktiv. Aus all dem – Tankwart, Überland etc. geht hervor, dass wir einigermaßen mobil sind, denn ohne Auto ist man hier nur aufgeschmissen. Die Segelyacht Naja hat uns für ihre Abwesenheit das Nutzungsrecht an ihrem Auto überlassen, das erleichtert Transporte und Sightseeing ungeheuer, denn ÖPNV… ist nicht. Ich bemühe mich dennoch, das meiste per Fahrrad zu erledigen, immerhin bietet Deltaville Post, Baumarkt und Canvas-Näher in der einen Richtung und Supermarkt, Gemüsestand und … jaa! einen Dollarladen in der anderen. „Hurd’s Hardware“, der Baumarkt (Haushaltwaren, Kleider, Haarpomade – also echter Landhandel)  wird öfter mal frequentiert. Frostschutz und solche uns völlig unbekannten Dinge stehen wieder auf der Liste – als ich mich bei einem der am Wochenende einfallenden Nachbarn über die maßlose Hitze auslasse, meint der trocken: „… Eiskratzen kommt schneller als gedacht!“. Pfui. Vom Regen in die Traufe.  Palmen waren mal – jetzt sind Kiefern angesagt (was ungemein gut riecht!).
Der Eigner verbiegt sich den Rücken beim Einbau des neuen Heißwasserboilers –  ich sitze im Cockpit und höre ein klägliches „… kannst Du mal zum Motorraum kommen?“ und scherze: „… und jetzt muss ich Dich da rausziehen?“  Genau, das war’s.  Ich versuche mich an mittelmäßig Feinmotorischem, indem ich das Steuerrad mit einem neuen Lederbezug versehe, im „Herringbone Stitch“. Fischgrätenstich. Handarbeitsunterreicht, 3. Klasse. Nützt allerdings wenig, wenn das Leder zu breit zugeschnitten ist, ein Fehler vom Lieferanten, der mit den Millimetern und den Zollmaßen etwas durcheinander kam. Heute kommt das Ersatzleder an…. auf ein Neues.
Mein Korrekturleser bittet um ein paar Positiva – die kann ich gern liefern: die Marina/der Boatyard bietet lecker warme Duschen (in eiskalt heruntergekühlten Räumen). Eine Terrasse mit reichlich Grillgelegenheit (die frau auch zum Brotbacken nutzt). Angrenzend ein Pool, wo man abends zur Entspannung ein paar Bahnen ziehen kann (es beginnt schon kalt zu werden, das ist gemein!). Der Boatyard ist weitgehend unbelebt, und es ist unglaublich still hier, nur die Schrecken und Frösche singen uns ihre Lieder. Und wirklich nette Leute gibt es hier – vielleicht, solange man die Politik außer Acht lässt. Ein Gespräch mit einem Herrn wäre kürzlich fast auf die schiefe Bahn geraten – einer von denen, die eine Studie eines Klimaforschers gelesen hatten, aus der hervorgeht, dass alles total prima ist… –  dabei hatten wir mit einem Konsens über die schlechte Wasserqualität der Chesapeake Bay begonnen. Die Schlüssel-Stichworte kamen von mir: Nährstoffeintrag, menschlicher Einfluss. Sag sowas nie!

Da steht sie im Gebüsch!

Gerade sitzt wieder unser freundlicher Besucher, ein leider sehr fotoscheuer Cardinal, auf dem Besan – das ist nett! Er lässt grüßen! Wie kann ein kleiner Vogel so rot sein?! Weißkopfseeadler nisten auch hier. Es gibt hier sogar Kolibris –  bis der Winter einbricht. Ich denke aber, dass unsere Begleiter seit North Carolina, die Fischadler, uns die Wintertreue halten werden, denn bei aller Kälte friert die Chesapeake Bay selten zu, und schon gar nicht für längere Zeit. Das müssen diese schreienden Gesellen dann aushalten.  Wir auch!