Back in the USSR

Abraham L.!

Deltaville, 7.10.2019

… you don’t know how lucky you are, baaack in the US, baack in the US, baack in the USA-haha. The Beatles (USSR). Und wir (USA). Die Anmutung an der Grenze zwischen Fort Erie/Kanada und Buffalo hatte durchaus etwas UDSSR-mäßiges. Oder DDR oder ähnlich. Wir haben jedenfalls noch lange gelacht und auch einen neuen running gag gewonnen: „CITIZENSHIP!“ „WHY!“ Bölk. Keine Fragezeichen.

… gleich bölkt’s!

Wir nähern uns an diesem grau-regnerischen Morgen der kanadisch/US-amerikanischen Grenze. Bisschen Schlangestehen. Vorziehen „nur wenn die Kontrollstelle frei ist“. Sicher doch. Wir flöten „good morning“, darauf: „CITIZENSHIP“ Kein Fragezeichen in der Stimme. Umm. Siehste doch, german. Hast ja den Pass in der Hand. „WHERE?“ Wie bitte? „WHERETO?“ Naja, nach Hause. Virginia. Deltaville.  „WHY?“ Ich fange an zu gackern, der Eigner

Gegen-Protestierer am Weißen Haus.

haut mich – die Lage ist ernst. Bei „WHEN DO YOU LEAVE“ fehlt nur das „endlich“. „What goes into the US“ als Abschiedsfrage, ebenfalls nicht auf Anhieb klar – Antwort „nüscht, nur Persönliches“, dann sind wir wieder drin. Schade, Kanada war netter. Ich weiß, total subjektiv, aber der Brüllaffe tat seinen abschreckenden Dienst (wieso hatte der eigentlich dicke schwarze Lederhandschuhe an beim Passblättern? Muss das? Gegen vergiftete Pässe oder so?). Der Eigner meint, es sei gut, dass wir durch die DDR-Grenzkontrollen in Marienborn geschult seien. Mit Brüllaffen und Grenzbeamten scherzt man nicht. Und außerdem: Build the wall!
Ich wäre auf unserem Heimweg gern noch ein bisschen durch die etwas ländlicheren und merkwürdigeren Gegenden der USA gefahren, West Virginia, wo sie die Bergkuppen für offene Kohleminen absprengen, und wo die Opioidkrise Gesichter kriegt. Noch lieber vielleicht noch weiter nach Westen, aufs Ozark-Plateau – das teilen sich Missouri, Arkansas und Oklahoma. Viel zu weit weg für uns, und ich hatte es nach den vielen Meilen nach Nova Scotia sowieso mit dem Autofahren. Wir werden uns schadlos halten, indem wir demnächst mal wieder den Ozark-Film „Winter’s Bone“ einlegen. Schuhuu. Hinterwald, die Crystal Meth-Küchen, Familienelend. Fällt natürlich nicht unter die höchstpräsidentielle Kategorie „shithole countries“
Wir fahren stattdessen auf ziemlich geradem Weg durch Pennsylvania, an den Alleghennys entlang, stoppen für eine Nacht in Altoona – Auswahlkriterium: irgendwie klingt der Ortsname vertraut. Im total leeren Macy’s dort gibt es frische Unterwäsche, toll. Gespenstisch, leere amerikanische Malls…

Warnung in Trinidad

Ab dort sind es nur noch 2 Stunden bis Washington. Quartier im Ortsteil Trinidad, sehr lustig: ein „Self Check-in“. Strenge Regeln: 3 Zahlenschlösser gilt es zu überwinden. Wer zu früh eincheckt, dessen Reservierung erlischt. Seltsam. Wir sind pünktlich, die Zahlenschlösser funktionieren, dafür liegt der Zimmerschlüssel nicht wie verabredet auf dem Türrahmen. Alternativ käme das frei zugängliche „de luxe“-Zimmer infrage, es handelt sich dabei um ein mit Vorhängen abgetrenntes Kingsize-Bett im Flur, aber es ist leider belegt, das Zimmer (nicht das Bett, wie wir beim Vorhanglüften sehen können). Unser Schlüssel kommt allerdings umgehend von Gastgeber Jarryd („I am the Yoga-guy“; wir sind hier in Yuppie-Land…). Gutes Quartier –  in Laufentfernung mehrere Supermärkte inklusive ALDI. Und eine kostenfreie Straßenbahn zur Union Station, Washingtons Hauptbahnhof, gleich neben dem Kapitol. Zum ersten Mal in den 4, 5 Monaten, die wir hier sind, habe ich das Gefühl im richtigen US-Leben gelandet zu sein. Trinidad ist ein Mix aus heruntergekommenen Miethäusern, wo abends die (afroamerianischen) Bewohner auf der Straße sitzen, Musik machen, Domino spielen und irgendwelche „Geschäfte“ tätigen. Straßenschilder warnen, dass, wer mit Drogen handelt oder welche besitzt, strafrechtlich verfolgt wird – die Gegend erinnert mich an Donnie T.s Ausbruch zum rattendurchseuchten Baltimore. Wahrscheinlich war er noch nicht in dieser – seiner – Stadtregion, aber nach der Frequenz der überfliegenden Hubschrauber zu urteilen, wird er das von oben betrachten. Auf dem Hügel, auf dem wir wohnen, ändert sich das Bild, die Häuser werden zunehmend bürgerlicher, es wird viel um- und ausgebaut, Gentrifizierung (genauer gesagt: Re-Gentrifizierung!) überall. Die dusseligen Touristen von der AKKA schlagen am nächsten Morgen an der Straßenbahnstation auf, wissen natürlich nicht, wie das mit der Bezahlerei geht, da ein Ticketautomat fehlt, und fragen herum. Ha, sagt die ältere Dame mit der dicken Struma, das ist das einzige in Washington, was kostenlos ist… und schon sind wir mitten im Gespräch, an dem sich gleich mehrere Fahrgäste beteiligen. Wir reden über Mietpolitik und Arbeitslosigkeit, es wird überraschend offen über die derzeitige Regierung gelästert, wir werden befragt, wie das denn im sozialistischen Deutschland mit der Krankenversicherung geregelt ist. Bis die Bahn kommt. Es gibt auch andere Bewohner in diesem Viertel –  die sieht man  am Samstag auf dem Farmer’s Market (sehr schön aussehende!) Roggenbrote und organische Gemüse kaufen. Beförderungsmittel: statt Straßenbahn wahrscheinlich ein SUV vor der frisch renovierten Tür. Trinidad war bis in die 60er Jahre ein streng rassengetrennter Stadtteil, in dem zum Beispiel schwarze nicht ins gleiche Kino gehen durften wie weiße Einwohner – ich finde es unvorstellbar; das ist ja nicht lange her. Nach dem Mord an Martin Luther King war Trinidad ein Brennpunkt der aufflammenden Rassenunruhen, es folgte ein Total-Exodus der weißen Bevölkerung, Gangkriminalität kam auf, bis ab 2008/09 langsam Ruhe einkehrte. Aber wir waren ja nicht wegen eines „mixed feelings“-Stadtteiles gekommen: in Wahsington kann man sich für Sehenswürdigkeiten die Beine stumpf laufen.

Bitte recht freundlich! Das Kapitol.

Das Kapitol ist unser erstes Ziel, da nahe an der Endhaltestelle „Union Station“ (sehr schön anzuschauender, prächtiger Neoklassik-Bahnhof). Gucken. Unvorbereitete Besucher wie wir trappeln natürlich ins Besucherzentrum des Kapitols, bzw. die Schipperin tut’s, während der Eigner draußen fotografiert. Ich versuche Informationen zu bekommen, eigentlich nur über das Besuchsprozedere, aber davor hat die US-Regierung eine Sicherheitskontrolle gesetzt, wie doof! Ich stehe unschlüssig herum und werde dann auch gleich (un)freundlich hinauskomplimentiert, entweder rein oder raus. Zu zweit entscheiden wir uns dann für „rein“, was auch immer kommen mag. Sicherheitskontrolle mal gründlich, der Eigner hat etwas Metallisches im Schuh, ich frage, ob ich den Bügel-BH ablegen soll (siehe oben, mit Grenzposten und militärischem Sicherheitspersonal scherzt man nicht!). Dann sind wir drin und schließen uns einer kostenfreien Führung an – ach, wie war es doch vordem im „Capitolio“ von La Habana so bequem, mit nur 8 Leuten und einem enthusiasmierten Führer. Nett und begeisterungsfähig ist unsere Führerin auch, aber sie hat mindestens 30, 40 Schäfchen zu führen und diese durch mehrere weitere Hundertschaften von Besuchern zu schlängeln. Immerhin – Rassismus hin oder her! – sie ist afroamerikanisch und freut sich ihrerseits, als ich mich unzweideutig über die Statue von Rosa Parks im Alten Sitzungssaal freue; den Platz teilt Rosa sich mit Leuten wie Eisenhower, Reagan, Ford und anderen Geistern  der

Zu Nancy Pelosi hier entlang.

Geschichte, ich glaube, sie ist die einzige Frau… nein, stimmt nicht, es steht noch Frances Willard dort, Sozialreformerin und Suffragette. Nancy Pelosi – die hat gerade das Impeachmentverfahren angestoßen – ist nicht zu sehen, aber wir sehen den Eingang zu ihrem Office und rufen: „Go for it!“. Es fällt hier leicht, nicht p/c zu sein, ich hatte schon beim ersten Anblick des Kapitols von der Bahnstation aus einen bösen Blick kassiert, als ich fröhlich: „Oh, el Capitolio! Viva La Cuba!“ rief. Dummer Scherz. Also, so richtig doll fanden wir den Kapitolbesuch nicht. Wir streifen danach die National Mall entlang, das ist die Anlage, die sich zwischen Kapitol und Lincoln Memorial erstreckt, bekannt auf der Kapitolseite als der Tatort für den traditionellen Präsidentenamtseid  (Stichwort: „biggest crowd ever“ – wenn ich Michelle Obama glauben darf, deren „Becoming“ ich gerade angehört habe, waren die Schlangen damals länger… – der Besuchermengenstreit übrigens der Anfang vom Begriff „alternative news“). Das andere Ende der Mall ist bekannt von Martin Luther King und „I have a dream“ (und von Forrest Gump, der so wunderschön als Vietnamveteran in den Mirrorpool springt und „Jenny! Jenny!“ ruft).  In der Mitte der National Mall treffen wir auf zig ordentlich aufgereihte LKW-Zugwagen, die amerikanische Sorte, monströs und chromglänzend, reichlich mit Stars und Stripes geschmückt. Was denkt der Besucher da – ja klar: Nationalstolz, Republikaner und so… Reingefallen – es ist eine Wahlkampfwerbung des demokratischen Kandidaten Andrew Yang, einem Unternehmer aus dem Staat New York, der sich um Ausgleich für sozial schlecht gestellte Arbeiterschaft kümmert und die Trucker im Zusammenhang mit einer Diskussion um Digitalisierung des Arbeitsmarkts und Automatisierung des Straßenverkehrs einbestellt hatte. An einem kleinen Infostand wird sein Programm für ein bedingungsloses Grundeinkommen beworben. Viel zu links, klaro. Interessant!

Da schließt er sich gern an…

The Wall

Unsere Beine werden schon kürzer. Noch ein Museum: das Smithsonian für Afroamerikanische Geschichte – ein weiterer Fall für „da muss man sich für jede Etage einen halben Tag nehmen“, ein Nachmittag für das Ganze reicht bei Weitem nicht.
Noch schnell zum Weißen Haus gerannt – wenig beeindruckend, da „building the Wall“ auch hier im vollen Gang ist. Michelles Gemüsegärtchen wird wohl auch planiert sein, wie die meisten Obamaüberreste. Langer Weg heimwärts.

Das Kapitol, das Washngton Monument, die Marines

Der Plan für den nächsten Tag: “ … vom Lincoln Memorial zu Fuß entlang der National Mall, Abklappern der aufgereihten Smithsonian Museen“. Den abgelatschten Beinen zuliebe nehmen wir den 1-Dollar-Bus, gute Idee. Arlington lässt die Friedhofsliebhaberin für einen späteren Besuch aus. Am Memorial die volle Dröhnung militärisch angehauchten Nationalstolzes, es sind Mengen an

Veteranen unterwegs, viele davon in Rollstühlen – Golf, Vietnam (unser Alter), Korea (älter), 2. Weltkrieg (steinalt…). Leute gehen herum und schütteln den alten Herren die Hand: „Thank you for your sacrifice!“ Auf dem Weg durch den Park hatten wir schon eine Gruppe Marines bei Exerzierübungen gesehen; das Marine-Motto: „It’s earned – never given!“ steht groß am Bus. Verdient, nicht geschenkt. Eine ziemlich „besondere“ Truppe, sagt mir das.  Die Marines üben nicht zufällig dort – wir kommen in den Genuss einer ihrer

Lustiges Gewehrewerfen

Paradevorführungen. Doch, doch, beeindruckend, so ein auf den Millimeter abgestimmter Marschtritt, und dann dieses Gewehr-Geschleuder/-Gewerfe/-Geklacker… filmreif. Sie werden sich ihren Status als Marinessicher nicht allein mit Gewehrschleudern verdient haben – „A few good men“ mit dem wunderbar ekelhaften Jack Nicholson kommt mir in den Sinn. Code Red und so.  Die Veteranen sind jedenfalls begeistert.  Eine andere Welt. Mehr von der gleichen Welt gibt es kurz hinter dem „Mirror Pond“ –  der so heißt, weil sich das Washington Monument, dieser riesenhafte Obelisk, der mal das höchste Gebäude der Welt war, darin spiegelt. Zwischen Monument und Teich das neue Weltkrieg 2-Denkmal. 

Veteranen-Nichte

Es wird uns zu viel Militär, zu viel Nationalstolz, zu viel… Übermachtstreben, denke ich. Wir eilen weiter, der Nachmittag schreitet fort. Das Washington Monument kann man besteigen, aber wir erwarten uns nicht allzuviel vom schönen Blick an einem trüben Tag (ist ja auch ziemlich platt hier…)  und lassen die 680 Stufen ausfallen, ja, ’n Aufzug gibt es auch, aber trotzdem. Umso willkommener die Reihe der kleinen Vans mit Imbissangeboten, einer der Anziehungspunkte an der National Mall. Es gibt Falafel und sonst allerlei vom algerischen Einwanderer, der uns zu unserer Nationalität befragt. Lecker – wir sind dennoch zu erschöpft für den Besuch des Air&Space-Museums, befinden es auch für zu spät (gut so!). Stattddessen im Galopp durch die National Gallery of Arts – wir müssen nämlich aufs Klo. Damit ist Platz geschaffen für einen späten Kaffee auf der „Street H“, praktisch, diese Namensgebung – gegenüber wird gerade eine Eishockeymannschaft vorgestellt, dafür ist die Straße gesperrt, die Menge ist in knallrote „Capitols“-Hemden gehüllt und bejubelt die Helden, die einzeln im SUV angekarrt werden. Danach Chinatown und endlich die Straßenbahn heimwärts. Uff.

Der Flieger der Brüder Wright. Genau der. Original.

Noch ein Tag in Washington… früh los, damit wir das Air&Spacemuseum zeitig hinter uns bringen. Kurz nach 10 sind wir da, kurz nach halb 6 sind wir wieder raus. Noch Fragen? War gut. Voll fertig, vollgepumpt mit alten und neuen Fakten. Die ersten paar Stunden sind wir allein unterwegs, trotz (magerem) Audioführer etwas verloren, danach ein super Führer in Menschengestalt –  so etwas brauchen AKKAnauten, wenn sie  nachvollziehen wollen, wie das bei den Brüdern Wright so war, oder bei Amelia Earhart. Von Wrights Flieger (der ja wirklich „Flyer“ hieß) am Strand von Kittyhawk in 65 Jahren zum Mond, sehr klasse.

Und dann heimwärts zur AKKA, 3 Stunden sind es noch. Zum Abschluss ein kleiner Spaziergang über das Schlachtfeld an der Slaughter Pen Farm bei Fredericksburg, das Bürgerkriegsgrauen schlechthin: 13.000 Tote in 3 Tagen, einfach so aufeinander zugerannt, weil sie sich über die Sklaverei nicht einigen konnten (Geschichte in einem Halbsatz…) – und eine nicht gar so kleine Unterhaltung mit einer Frau, die wir dort zufällig treffen. Amerikanerin mit britisch-deutschen Wurzeln, die nach einem Weg „aus dem System“ sucht und über die Stimmung unter den nicht-regierungskonformen Amerikanern erzählt. Ein guter Abschluss für unseren Ausflug ins „richtige“ Amerika. Irgendwo zwischen versöhnlich – weil es solche Leute gibt, die auch den Mund aufmachen – und erschreckend, weil von ihr geäußerte Skepsis mit unserer übereinstimmt. Gut.

Dann nur noch „back at the AK-KA-KA-KAA“. Eigene Koje. Kalt ist es mittlerweile. Heute (20.10., man beachte das Erstelldatum!)  heult draußen auf dem Atlantik Nestor vorbei und überzieht uns mit seiner Regenschleppe. Mal schauen, ob AKKA aufschwimmt.