Ein Wochenende in Guatemala

Punta Bonita, Nummer 6
Das Corona-Heim

Rio Dulce/Guatemala, 24.3.2020

Da sitzen wir nun! Kleine Hütte. Kleine Insel. Ein kleines, dschungelartiges Gehölz, 20 m vom Festland entfernt im Rio Dulce. Papageien, Reiher, Schildkröten. Zwei verfressene Labrador Retriever und ihre 2 Mix-Kumpels. Zwei weitere Seglerpaare aus Deutschland und Frankreich mit uns in den umliegenden Hütten, vor unserer Terrasse zwei dauerbebewohnte Einsiedler-Yachten. Dazu der Besitzer der Anlage und der Manager. Morgens kommen drei  Arbeiter mit dem Kanu, und ein Gemüseboot bringt 3x die Woche Frisches. Alles perfekt für social distancing (die Hunde halten sich nicht dran, die wollen durchgekrault werden). Da wir im Rahmen unserer Backpackermöglichkeiten gehamstert hatten (6 Packungen Quasi-Knäckebrot, Milchpulver und eine Tüte Mehl), haben wir nichts auszustehen.  Kurz: alles den Umständen entsprechend prima. 

Die letzten Wochen fingen lustig an, man mag in der derzeitigen Situation, die sich auch für uns  explosionsartig verschärft und verändert hat, gar nicht darüber berichten, aber wenn wir dereinst im Altenheim sitzen, wollen wir es ja doch rekapitulieren… also:

Buuh! EIn roter Bus!

Guatemala City gibt sich als gewöhnliche mittelamerikanische Großstadt, wir haben allerlei Warnungen im Ohr, von Trickbetrügern und Fake-ATMs, von no-go-Stadtvierteln und k.o.-Tropfen. Und ganz böse: die roten Stadtbusse – Du brauchst nur hinzugucken, da bist Du Deine Habe schon los (die Leute im Bus, den wir in der Tat meiden, schauen aber gelassen aus der Wäsche). Auf dem Weg zu unserem Hotel

Posada Museo Belen. Ein guatemaltekisches Stadthaus

fährt neben mir eines Nachmittags ein SUV langsam, der Fahrer öffnet das Fenster und vom Beifahrersitz beugt sich ein fein gekleideter Herr herüber: “ … hier sollten Sie nicht laufen, das ist gefährlich!“ Er lässt sich erst beschwichtigen, als wir beteuern, dass wir nur wenige Schritte von der Posada Museo Belen entfernt sind. Und Francesca, die rührige Besitzerin vom „Museo“, entkräftet die Aussage auch gleich, sowohl was

Posadas Museo Belen. Innenhof

die Gegend, die Zona 1, wie auch die Tageszeit betrifft – während des Tages kein Problem. Die Warnung war sicher nett gemeint und mehr generalisiert zu betrachten. Gewiss, der Parkplatzverwalter, der in unserer Straße, der Calle 13A, für die Anwohner tagsüber allerlei alte Kanister, Eimer und anderes Absperrmaterial auf den wenigen Parkplätzen als Platzhalter hin- und herschiebt, wohnt selbst auf einem der Parkplätze in einem schrottreifen Kastenwagen, Armut ist nicht weit. Ob die Pappen-Isolierung, die wir durchs Fenster sehen, wohl kuschelig ist?   

Wir machen eine Weile die Stadt unsicher – oder machen wir sie etwa sicherer? Plaza de la Constitución, durchaus sehenswert mit den alten Arkadenhäusern, dem Nationalpalast und der erzbischöflichen Kathedrale, und da Letztere auch historisch interessante Nischen hat, gefällt das sogar der Schipperin (die sonst eine Religionszoo-Aversion hegt). Natürlich fallen die Augen auf viel Prunk – zum Beispiel auf den Erzbischofsthron, ganz in Lila – oder im Gegensatz dazu auf ein Maya-Hutzelweibchen, das sich von Heiligennische zu Heiligennische betet. Die mittelalterliche Verknüpfung von weltlicher und kirchlicher Gewalt fasziniert mich sehr. Der heilige Sowieso, König von irgendwo. Und nicht nur einmal.

Was ein Diktator wissen muss. Friede, Verlässlichkeit, Gerechtigkeit…

Ach, und der Nationalpalast. In den frühen 40erJahren des letzten Jahrhunderts aus dem Boden gestampft, in verschiedenen Baustilen gebaut – insgesamt möchte man den Stil nach dem Diktator „Jorge Ubico“ nennen. Dessen  Frau mochte grün, also ist das Ding jadegrün. 5 seine Glückszahl, also 5 Stockwerke, in jedem Flügel 5 Portale und so fort. Unglaublich. Kurz nach Einzug war’s das mit seiner Diktatur, geblieben ist die Pracht der Wand- und Deckengemälde und der bedeutungsschweren Bleiglasfenster, Freiheit, Gerechtigkeit… sehr einleuchtende Deko, denn das muss man sich ja als Diktator täglich neu vor Augen führen. Nebenan geht es lustig zu, im öffentlichen Garten veranstaltet der Bürgermeister einen Schwoof für die Alten. Nicht dass der Eigner das Tanzbein geschwungen hätte, aber es ist herrlich anzuschauen. Man hat sich teils in Tanzkleidung geworfen – die glänzendste Anzughose aller Zeiten kombiniert mit den Ausgehhosenträgen, glitzernde Blusen, elegante Röckchen, und man meint,  so manches Knie, so manche Hüfte unter den beschwingten Bewegungen knacken zu hören. 

Wir absolvieren schlichte Gänge durch die Stadt, um zum Beispiel Busverbindungen für einen Wochenendausflug oder die Weiterreise herauszufinden. So etwas macht man im Vorfeld mit Rome 2 Rio , in diesem Fall kommt aber die Information analog aus dem gedruckten Reiseführer. Rebulí heißt der Betrieb. Wir stratzen durch die Straßen, die abseits der Fußgängerzone immer interessanter werden. Am Ziel steht nirgendwo „Rebulí“, aber hinter einem Tor rummelt ein großer Motor. Treffer! Wir sprechen mit den Besitzer, der gerade eine Dachlast ablädt und uns bestätigt, dass morgens um 7:30 ein Bus an den Atitlan-See fährt.

Der frühen Stunde wegen nehmen wir am betreffenden Morgen ein Taxi – und es schlägt die Stunde des orts- und sprachkundigen Taxifahrers: was nämlich nicht da ist, ist ein Bus – vielleicht waren wir viel zu früh, aber der Fahrer beteuert, hier sei früher Rebulí gewesen, und jetzt kein Schild, keine Beschriftung?! Er findet das merkwürdig und überzeugt uns, uns in die Calle41 zu fahren, von dort gehe es in alle Richtungen. Glücklicherweise kann der aufgeweckte Fahrgast heute die Bewegung eines Taxis in der Stadt auf Google Maps verfolgen, der Mann macht auch alles richtig (das hatte er vorher schon, denn diese lange Fahrt geht auf’s Haus, sprich: ist im Preis für die eher kurze, vorherige enthalten). In  der Calle 41 geht es wild zu,  lange Reihen von großen chicken busses, in den Seitenstraßen werden 9- oder 12-Sitzer vollgestopft und bekommen schwere Dachlast. Wir haben nur eines verstanden: umsteigen in Los Encuentros (das liegt, sagt Google, nordnordöstlich von Guate City), unser Taxifahrer führt die Verhandlungen, und der Schaffner eines leeren Busses nötigt uns einzusteigen. Hm, sind wir hier richtig? Doch, alles gut, werden wir beschieden, und wir kriegen Bescheid, wenn es Zeit ist auszusteigen. Draußen will das Nötigen kein Ende haben, der Mann ist wirklich gut, und von „leer“ kann schon bald keine Rede mehr sein (es ist erst knapp vor „social distancing“ ). Wir tuckern los, anfangs langsam durch die Stadt, der Schaffner hängt aus der Tür und wirbt mit Chimal, Chimal-Rufen um weitere Fahrgäste für einen Bus, den wir so schon für voll halten. Weit gefehlt! Chicken Busse sind ausrangierte, nordamerikanische Schulbusse (die aus Kanada heißen Blue Bird), und da passten ja auch immer 3 Schüler auf eine Sitzbank, also… sitzen zwei vollflächig, einer mit nur einer Backe und der Raum, den zwei halbe Backen im Gang lassen, ist Stehplatz. Von „social distancing“ keine Spur, aber noch kümmert das ja auch niemanden. Der Bus nimmt Fahrt auf, immer bergauf, an tapferen Rennradfahrern vorbei (hey, die Luft ist dünn hier!).  Zwar in der richtigen Richtung nach Atitlán, aber leider weg von Los Encuentros – was ist hier los? Haben wir was falsch verstanden? (Nein, immer noch alles gut, sagt der Schaffner). Und Fahrtaufnehmen ist gar kein Ausdruck… wir beginnen, den Fahrer mit Formel1-Pilotennamen zu belegen, wir klammern uns fest, wo es geht, und wo es nicht mehr geht, fliegt der Gangsitzer aus der Kurve, die Tür, wo der Schaffner ebenfalls klammert, fliegt ab und zu auf, und eine Sinneswahrnehmung umschreibt die Fahrweise besonders gut. Eigner, hinter einer Kurve : „… riechst Du den Reifenabrieb?“  Aber bei aller Fülle, bei allem Geschleuder – für eine Mayafrau bleibt genug Gelegenheit, Tortillas und Chicharrones etc. aus großen Körben unter die Leute zu bringen. Schaffner und Fahrer zuerst – das schafft Zutrauen, diese Kombination aus schmierigem Tamal, fettigen Fingern und dem Lenkrad in glitschiger Fahrerhand! In Los Encuentros (ich habe mittlerweile gemerkt, dass es zwei Los Encuentros, zu übersetzen mit „Straßenkreuzungen“, gibt, der Schaffner lacht sich eins) hupfen wir nach 3 Stunden raus, rein in den nächsten Bus nach Sololá, und noch einer nach Panajachel, fertig! 

Am Lago Atitlán

Genau. Fertig. Ein ziemlich von Besuchern überlaufener Ort an Zentralamerikas „schönstem See“, dem Lago de Atitlán. Da sitzt dann die Schipperin am Abend – Sonnenuntergang ist ein Muss für alle! – mit Blick auf die 3 Vulkane und denkt: „… ach ja. Osorno. Lago Llanquihue. Chile.“ Das war Südamerikas schönster Vulkan. Dennoch: nette Begegnung mit Beverly, nach Mexiko ausgewanderte Kalifornierin, mit

Mayafrauen in traditioneller Kleidung.

der man zum Kaffee trefflich über Politik herziehen kann, aber sonst… gut dass es nur ein Wochenendausflug ist; für einen längeren Aufenthalt wäre ein Dorf am anderen Seeende sicher schön gewesen. Am Sonntag Fahrt zum Regionalhighlight Chichicastenango (Maya ist eine wunderbare Sprache!), und da trifft uns der Markt-Hammer. So viele Stände mit Stoffen und Webmaterial, Tortillas und Früchte,

Chichicastenango. Sonntagsmarkt

bunte Bänder und Holzschnitzereien – und alles für die Bergbevölkerung, nur am Rande für Touristen. Wir lütten Niedersachsen überragen die Menge um mehr als einen Kopf, verlieren dafür aber in der Disziplin „Drängeln“. Da Backpacker mit Minirucksäcken keine Staukapazitäten haben, bleibt es beim Staunen und Mitdrängeln, aber ein entspannter Marktbummel ist etwas anderes.

Drangvolle Enge, nicht nur drinnen

Wir treten zeitig den Rückzug an – und der Bus, den wir erwischen, ist schon voll. Will sagen: wir haben die Stehplätze gewonnen, ganz hinten, bis Chimaltenango zumindest, sonst ändert sich zu  obiger Beschreibung nur, dass der Schaffner gelegentlich von hinten ein- und über Armlehnen und Passagiere hinweg nach vorne steigt. So ist das also in einem vollen Bus in Guatemala. Und die Frau mit den Leckereien im großen Korb erreicht uns erst gar nicht. Nur das benachbarte Baby darf sich glücklich schätzen, Nahrung gereicht zu bekommen.

Daheim im Museo angekommen, packen wir die Rucksäcke für die Weiterreise – der Plan steht noch immer auf „Mayas, Azteken und Co.“. Mexiko, wir kommen. Dachten wir.

Das war ein Wochenende in Guatemala. Vor Corona. Wie wir zu unserer Hütte gekommen sind, verraten wir in Kürze.