Die Mayas

Maya…

Puerto Fronteras/Rio Dulce, 21.4.2020

Dienstagnachmittag (mittlerweile der Donnerstag der Folgewoche, frau kommt zu nix….  10.5. – ich erhöhe um weitere 10 Tage!).

Uns geht es, das vorausgeschickt, gut. Wir können überhaupt nicht meckern in unserer Coronabehausung am Rio Dulce. Eigentlich witzig – wer hätte gedacht, dass wir ohne Akka mal so lange an einem Seglerbrennpunkt ausharren?

Rio Dulce. Der Landbär

An einem regnerischen Montag treten wir in Guatemala City die „Reise nach Mexiko“ an, die geplante Route führt in die Mayawelt, mit kurzem Zwischenhalt am Rio Dulce – die Segler in uns müssen ja wissen, wie es am Seglerzentrum in Guatemala zugeht. Des Eigners „ich glaube, da bleiben wir nicht lang, da ist außer Yachtbetrieb wenig“ wird gleich bei Ankunft Lügen gestraft: es ist der zentralamerikanische Land-Bär los. 

Wir bleiben dann doch ein paar Tage. Am Mittwoch sitzen wir mit den Segelyachten Tasman (Suriname 2017) und Svea (Dominika 2018) beim Abendessen, als im Hintergund Donnie T. seinen Reisebann für Europäer (minus Briten, da war Boris J. noch nicht erkrankt!) ausspricht. Hm. Das Gesprächsthema wechselt von „Pazifik“ zu „was mag da auf uns zukommen?“. Business as usual? Wohl nicht. Aber die Mayas können wir uns nicht entgehen lassen – nur dass wir ab jetzt unsere Planung auf Sicht fahren. Tikal, und von da über die mexikanische Grenze – danach aber ein bisschen zügiger durch das Reich der Azteken. Akka ruft etwas früher, dafür umso lauter.

Tikal Backpackers. Dauergast

Wir packen, der Bus rumpelt uns in ein paar Stunden nach Norden. In Flores  richten wir uns im Tikal Backpackers ein – der junge Manager fragt, was wir von Corona halten, und er meint nicht das Bier. Er habe da was läuten hören – und schaut erschreckt, als wir es als echte gesundheitliche Gefährdung beschreiben. Dabei scheint die Epidemie auch für uns noch weit weg zu sein.

Für den nächsten Morgen buchen wir ein Shuttle nach Tikal. Abfahrt um 4 Uhr 30, genau unser Humor… . Es hätte zwar auch Unterkunft direkt in Tikal gegeben – die alten Archäologenunterkünfte, Panther- und Affengebrüll inklusive, waren leider ausgebucht, und die Luxusherberge nicht ganz unsere Preisklasse. Alternative: Shuttlebus, und der Aufenthalt im Städtchen im Lake Petén Itza ist ja auch nicht zu verachten.

Im Morgengrauen erreicht man das Tor, stellt sich nach Tickets an, die ab 6 verkauft werden, und schnackt derweil mit den umstehenden Globetrottern und Jetsettern. Alles pre-social-distancing – nicht jedoch pre-Corona. Der britische Nachbar, eher Globe-worker als -trotter, berichtet, dass sein Sohn seinen Job als Mikrobiologe an einer südostasiatischen Uni nicht antreten kann. Die Pandemie! Aber das ist ja wirklich weit we… weg? Ist es das? Es beschleichen uns Zweifel, und sowieso beäugt man neuerdings Mitreisende im Bus, gerade hier an touristischen Brennpunkten: sind sie blass? Schlechtes Zeichen, da möglicherweise frisch aus Europa eingeflogen. Und dann ein ganzer Bus von Studiosus-Reisenden… Händewaschen, Abstand halten!

Nebel

Der Morgen ist wie erwartet: nebelig.  Brüllaffen geben ihr Bestes, dazu Vogelgekreisch. Eine Gruppe von Guatemalteken steht abseits – ganz augenscheinlich keine Touristen, die haben irgendwas anderes vor. Eine kurze Busfahrt später stehen wir im Informationszentrum  vor einem riesigen Modell der Ausgrabungsstätte – und verfallen zunächst in Demut bei der Vorstellung, dass hier nur ein Bruchteil der eigentlichen

Siedlungsfläche sichtbar wird – zehntausend Gebäude sind noch nicht ausgegraben, vermutet man, und es sind womöglich mehr zu entdecken, Lidar-Aufnahmen* legen das nahe. Die Hochkultur der Maya dauerte fast das gesamte Jahrtausend vor Christus bis ins 9 Jahrhundert unserer Zeitrechnung, und hier ist eines der Zentren. Unser Führer ist Maya und liefert auch persönliche Einblicke in die jüngste Geschichte und Politik –  nämlich, dass er selbst keinen Mayanamen trägt und wenig Maya spricht. „Ich habe meine Kultur gegen Bildung eingetauscht!“. Wer in Mayakreisen etwas für die Kinder tun wollte, schickte sie in meist konfessionelle Schulen (wenn private nicht erschwinglich waren), oder gleich ins Ausland – Mayas sind über Jahrhunderte abgewertet worden, von Hispano- und weißen Guatemalteken, auch von Besuchern… „…befreit wurden wir erst mit dem Ende des Bürgerkrieges 1996!“ sagt Xavier. Seitdem wird an den Schulen die Mayasprache unterrichtet, es gibt auch Fachunterricht in Maya. Mit der abweisenden Haltung gegenüber Mayas sind wir auch schon nahe am Rätsel, warum die Bauwerke den Spaniern verborgen blieben – die modernen Mayas der Kolonialzeit wussten sehr wohl davon, haben die Geheimnisse aber sorgfältig gehütet und nur manche Dinge mündlich verbreitet; die wenige schriftlichen Dokumente, die noch im Hochmittelalter erstellt wurden, haben die Spanier, insbesondere ein eifriger Priester, selbst auf dem Gewissen: nur vier Rindenbast“papiere“ sind übrig geblieben (eines davon übrigens liegt in Dresden!). Die spirituelle Mayakultur ist trotzdem gut erhalten und mischt sich noch immer mit dem modernen Katholizismus, zu Zeiten der Inquisition war das ein echtes Kunststück. Mitte des 19. Jahrhunderts kamen die ersten Briten und Amerikaner zunächst in Mexiko darauf, den geheimnisvollen Geschichten zu folgen, und wurden dann auch hier fündig: ein Zentrum der Mayakultur, vom Regenwald überwachsen. Wald übrigens haben die 200.000 Einwohner von Tikal weniger gesehen, die Region war mit bis zu 2 Mio. Menschen – das ist eine Schätzung nach den Lidar-Messungen – völlig überbevölkert, was sicher einer der Sargnägel dieser Kultur gewesen ist. Jared Diamond hat dazu ein interessantes Kapitel in seinem „Collapse“ geschrieben.

Tempel 1

Gut. Wir laufen also morgens in einem nebligen Wald, bis vor uns eine Mauer aufragt. Mauer? Der Blick schweift nach oben – es ist ein riesiges, pyramidenartiges  Gebäude, die Spitze noch vom Nebel umwabert, wir befinden uns an der Rückseite von Tempel I, dem „Tempel des großen Jaguar“. Nicht sonderlich alt, ungefähr 1.300 Jahre, erbaut vom König Jasaw Chan Kawiil oder  „Ah Cacao“, als seine Grabstätte. Kurz danach steht man auf dem Zentralplatz, zwischen Tempel I und II (Grabstätte vo Lady Kalajun U’ne, Ah Cacaos Frau) , wo uns die ersten architektonischen Wunder beschrieben werden, zum Beispiel die Akustik – der zentrale Punkt des großen Platzes sammelt Klang, verteilt und verstärkt ihn. Findige Köpfe , diese Mayas. Nach Fakten steht einem aber am Tagesanfang noch gar nicht der Sinn, es ist mehr die Stimmung, die einen gefangen nimmt; das Licht ist gebrochen, und man kann sich leicht vorstellen, wie beeindruckend es gewesen sein muss, hier zu leben, beeindruckend im Guten wie im Bösen. Mir ist nach dem Guten, ich genieße das Affengebrüll, das Geschrei der Tukane und der Amazonen. Von der Balustrade des Tempels der Lady Kalajun (12-schwänzige Makakin, wieso auch immer…) ist man mit der Viecherei auf Augenhöhe und kann  gleichzeitig beobachten, wie die steigende Sonne die Nebelschwaden über dem Jaguartempel auflöst. Oropendolas fliegen umher, Flechtenbärte und Tillandsien hängen in den Baumkronen, tief unter uns wilde Truthähne und Nasenbären – wunderbar. Weiter durch den Wald zur „Lost World“- der ältesten und größte Zeremonialstätte, Baubeginn ca. 700 vor Christus. Mehrfach dürfen wir über steile Holztreppen auf Tempelhügel steigen und bewundern die grüne Landschaft, mittlerweile

Tempel im Grünen

sonnengeflutet, aus der diese riesigen Gebäude ragen. Wir bewundern, wie unglaublich exakt, mathematisch wie baulich, die Pyramiden ausgeführt sind, und wieviel astronomisches Hintergrundwissen zu ihrer Anordnung geführt hat – man möchte eigentlich mal einen solchen besonderen Tag miterleben, wenn der erste Sonnenstrahl mehrere Tempel miteinander verbindet. Die Berechnungen lagen außer der Himmelsrichtung die Sonnenstände an Sonnwendtagen und Tag- und Nachtgleichen zugrunde, die auch die Basis für die  3 Kalender der Maya ergaben – ein zeremonieller von 260 Tagen, ein Alltagskalender, der ähnlich unserem

Bauplan… vom Guide in den Sand gekratzt

365 hat (wie sie das mit den Schalttagen gemacht haben, ist nicht gewiss…),  und dann die „Lange Zählung“. Allein die ist ein mathematisch-astronomisches Kunststück von 5200 Jahren Länge und führte am 21.12. 2012, als die Periode auslief, dann zu einer Art „Maya-Y2K“-Aufregung: in Erwartung des Weltuntergangs hatten sich Tausende in Tikal eingefunden, aber… der Mayakalender fängt einfach eine neue Periode an. Wie schnöde. Mögen die nächsten 5200 Jahre glücklich werden! Der Verlauf der Sterne übrigens war in ihrer Vorhersagbarkeit eher doof und diente nur zur jahreszeitlichen Orientierung, für Landwirtschaftliches und dergleichen (und wann man vielleicht mal wieder Regen erwarten könnte, eines der zentralen Probleme in Tikal….). Aber Planeten, die auf den ersten Blick so erratisch über den Himmel laufen, sorgten mit der Sonne für das spirituelle Maya-Korsett, das sich nicht nur in der Anordnung der Bauten, sondern auch im Inneren der Pyramiden spiegelt. Es ist umwerfend. Am Tempel 4 sitzen wir schon im prallen Sonnenschein und mit deutlich mehr Besuchern auf halber Höhe und hören den Brüllaffen zu. 

Spielplatz

Noch mehr Zeit vertreiben wir uns in den beiden Akropolen im Norden und Süden des Großen Platzes und sitzen eine Weile über dem kleinen Ballspielplatz der Nordakropolis. Ein merkwürdiges Spiel muss das gewesen sein, in jedem Fall kräftezehrend: der Spielball, der den Boden nicht berühren durfte, war riesig und mehrere Kilo schwer. Ein Spiel für Helden. Ob wirklich der Gewinner des Spiels die Ehre hatte, in Glanz und Glorie geopfert zu werden, ist strittig. Vielleicht war es doch der Verlierer…

Die Anlage hat sich inzwischen gut gefüllt, und die Mayagruppe, die wir am Eingangstor als nicht-Touristen eingeschätzt hatten, führt auf dem Großen Platz ein Feuerritual durch – für die zahllosen Mitarbeiter einer Bank. Es mutet merkwürdig an, aber die überwiegend jungen Leute sind begeistert bei der Sache, und wir stehen vor einer gänzlich fremden Kultur. Ein bisschen erinnert mich die Situation an das Erstarken der Maorikultur in Neuseeland –  ich wünsche den modernen Mayas, dass sie dauernden Kontakt zu ihren Ursprüngen halten können. Trotz Selfies. Trotz Katholizismus. Trotz Tourismus. 

Als es richtig voll zu werden droht, ist auch unsere Zeit um, gutes Timing -für einen Wiederholungsbesuch würde sich die Unterkunft vor Ort für mindestens eine, besser zwei Nächte lohnen.

Das Ende von Tikal im 10. Jahrhundert ist wohl auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Teotihuacan nahe dem heutigen Mexico City gewann an Bedeutung wie auch Caracol in Belize, andererseits war die gesamte Kultur schon im Niedergang begriffen – Jared Diamond beschreibt das wieder als Ökozid. Überpopulation, Überbeanspruchung der Böden, dazu die regelmäßigen Trockenheitsperioden. Interessanterweise konnten die Mayasiedlungen im Norden trotz der karstigen mexikanischen Halbwüste Trockenheit besser überdauern als die höher gelegenen um Tikal: obwohl die dichtere Vegetation anderes, nämlich viel Wasser vermuten lässt, unterliegt auch der Norden Guatemalas saisonalen und häufig unregelmäßigen Niederschlägen, und die unterirdischen Wasserreservoire lagen zu tief, also musste man sich hier mit Lehmzisternen behelfen – im Gegensatz zu den berühmten, leichter erreichbaren Cenotes in Mexiko.  Für 18 Monate reichten die Zisternen, wenn’s dann nicht regnete… schlecht. Und so ist es wohl gekommen im 10. Jahrhundert. Tikal versinkt in der Bedeutungslosigkeit.

Am Nachmittag sind wir zurück in Flores. Tikal macht Lust auf mehr Maya. Und Azteken… und doch: das Coronagespenst rückt näher. Was könnte man auf dem Weg durch Mexiko zur US-Grenze mitnehmen?  Am Sonntag,  dem Tag, den wir uns für geruhsames Planen freigehalten hatten, nimmt die Entwicklung Geschwindigkeit auf: Belize schließt die Grenzen und Mexiko meldet eine Zunahme der Coronafälle. Wir sitzen zwischen lauter „was tun“-Geischtern, Backpacker aus Frankreich, Großbritannien, Schweden, Israel. Die Entscheidung fällt: wir fahren  nicht direkt zur Grenze, denn der Übergang Richtung Palenque ist eher schwierig, und plötzlich ist uns auch nicht mehr so sehr nach lustigem Busgedränge. Und unterwegs nach Rio Dulce –  ich checke Flugpläne, andere rufen die neuesten Nachrichten zu Grenzschließungen aus – schwant uns: das wird möglicherweise ein längerer Aufenthalt in Guatemala: die Regierung kündigt an, ebenfalls den Reiseverkehr einzuschränken und den Flugverkehr einzustellen.

Wir suchen uns ein Versteck!


* LIDAR – eine Kombination aus Laser und Radarmessungen, um Bodenerhebungen zu erfassen.