Alltag am Fluss

Blick von unserer Terrasse

Puerto Fronteras, Rio Dulce, 28.6.2020

… da schreibt jemand aus Deutschland, ob man irgendwo lesen könne, wie es uns geht und wie wir derzeit so leben.  Nanu?! Da war doch schon mal was?
Am 12.5. wollte ich schon mal über unser Leben hier am Rio Dulce berichten, aber wie das so ist: der Beitrag schmorte im eigenen Saft, hier ist er, ergänzt mit Aktuellerem.

Durchs Küchenfenster geschaut. Nähplatz

Alles wie immer, die Schipperin hat eine Nähmaschine geliehen bekommen und näht, der Eigner mault, dass die Terrasse nun aussieht „wie Dein Vorschiff“. Die Schipperin amüsiert sich, dass der Eigner ebenfalls das tut, was er immer tut: technische Zeichnungen zu Papier bringen. Im Moment zwar nur für Interessierte aus der Facebookgruppe für Hallberg-Rassy 42-Eigner, aber immerhin. Nur eine ist nicht dabei: Akka. Wir hoffen, dass sie sich mit der Crew schöne, geruhsame Tage macht.

Seglerwelt Rio Dulce – im Hintergrund die beiden größten Boatyards. Ram und Nanajuana

Als Ziel übrigens ist der RioDulce nur bedingt geeignet für Akka – mit mehr als 1.80m Tiefgang hat es jeder Segler schwer, über die Barre vor Livingston zu kommen, es lauern allerdings immer Fischer auf Ankömmlinge, die sich gegen Entgelt über den Sand schleifen lassen wollen (Methode: Fall vom Masttopp zu einem Helfer, der die geschleppte Yacht krängt, bis es schwappt. Geschlossene Luken sind Ehrensache!).

Ich hatte ja schon berichtet: in Puerto Fronteras, in Seglerkreisen auch etwas verkürzt als „Rio Dulce“ bezeichnet (was ja eigentlich der Fluss ist), tanzt der ganz gewöhnliche mittelamerikanische Landbär. Eine enge, zweispurige Straße ist gesäumt von Läden und Verkaufsständen, gern Chinakram, Obst, Gemüse, Tortillabuden, die Passanten drängeln sich auf den wenigen, verbleibenden Zentimetern, die sie vom Verkehr trennen, der sich durch den Ort quetscht. Minen-LKWs, Chiquitalaster, Viehtransport (Letzterer fordert eine Diskussion heraus, warum die Kühe in beide Richtungen fahren – meine Idee: All-inclusive-Touren. Zwei Tage lang entspanntes „Muuh!“ am Atlantikstrand? Oder vielleicht eine honduranische Kuhexkursion nach Belize oder Mexiko? Wer weiß… die Wahrheit ist: nach Süden geht’s zum Schlachthof. Traurig.). Eine besondere Art Langfristwettervorhersage gibt es auch: hier wird es im Sommer heiß. Sehr heiß. Man sieht es an den Asphaltwülsten, die die LKWs zur Seite gedrückt haben **. Hellseherischer Kommentar, Anfang März: „…aber wenn es hier so heiß ist, segeln wir schon längst nach New York.“ Unsere erste Unterkunft hatten wir damals anhand von Bildern  ausgesucht, Croissants, Baguette und Café au Lait, das Etablissement heißt Café de Paris, und von unserem (glücklicherweise doppelverglasten Kasten)fenster aus kann man den vorbeibrummenden  LKWs aufs Dach hauen. Aber der Kaffee und die Croissants sind gut. Es dauert nicht lang, bis wir Bekannte treffen – am schönsten eigentlich dieses Ereignis: Frühstück. Ein zufälliger Blickwechsel zwischen Andreas und „Dame mit Hund“ auf der Straße. Yeah! Bon jour, Chantal. Pantalan 17 in Las Palmas, Dezember 2007, und Grenadinen 2009. Aus der damaligen, kleinen Aluyacht  „Chamicha“ war vor ein paar Jahren ein größerer Kat gleichen Namens geworden, und als man sich entschlossen hatte, hier zu siedeln, starb leider Jean Claude. Was tun? Das geplante Haus trotzdem errichten –  und so lebt

Casa Chamicha

C. Camicha unterm Dach

Chantal hier mit Katz und Hund in einem wunderbaren Anwesen am Fluss. Die Casa Chamicha – eigentlich nur ein riesiges Palmblattdach auf Stelzen. Die Entstehungsgeschichte des Hauses ist sehens- und anhörenswert und wirft ein Licht auf die traditionelle Baukultur am Fluss. Viele Meter lange Pfosten werden mittels eines von Hand betriebenen, hölzernen Rammgestells in den schlammigen Grund getrieben, darauf werden die Dielenböden gesetzt. Dann kommt die Bauherrin und sagt: „… ach, hier hätte ich gern noch einen Meter mehr und dort, und hier ein Fenster und da ne Tür.“ Diese Geduld würden deutsche Baugeschäfte und -behörden sicher nicht aufbringen, aber hier: Plan ändern, hier einen Meter dran und dort -ach, nein, dort ein Fenster! – die Guatemalteken sind geduldige Leute. Palmblattdach drauf und fertig. Das Ergebnis ist beneidenswert luftig und schön.

Punta Bonita – schön waldig, unsere Insel

Das geschah noch vor der Tour nach Tikal Mitte März. Inzwischen wohnen wir  – nach einem 2-tägigen Interim auf einer 32-Fuß Etap – schon über drei Monate in der Punta Bonita, einer winzigen Marina/Lodge, fast direkt an der Brücke über den Fluss – und hier erfahren wir mehr vom Bau solcher Gebäude von unserem Vermieter, Jim, der köstliche Anekdoten zum guatelmaltekischen Bauwesen beisteuert – zum Beispiel von der wundervollen Elektroinstallation, als er das Haus und Grundstück vor 10 Jahren erwarb: der Strom schwang sich per Klingeldraht von Baum zu Baum, mit grandiosen 30 A abgesichert, die Pontonanlage so zart, dass eine Katze sie zum Schwingen gebracht habe. Die vom Schiffsbohrwum perforierten Pfähle… Von all dem kann heute natürlich nicht mehr die Rede sein, wir sind hier besser versorgt als in der Hannoveraner Erdwohnung – Mikrowelle, Gasofen, Tiefkühlfach, gleichwohl schimmert durch die Bodendielen der Fluss. Nur am Arbeitseifer der Belegschaft kann man ablesen, dass dieser Baugrund stete Aufmerksamkeit erfordert, der dicke Schlammgrund bedeutet, dass die Häuser mit der Zeit einsinken. Wenn sie richtig tief sitzen und Hochwasser kommt, wird’s lustig. Und es kam eines Tages. Noch wird darüber gelacht, wie Jim in Gummistiefeln am Herd stand und Schildkröten um seine Beine paddelten. Was tut man da? Natürlich! Die Häuser anheben! Also werden neue Pfähle gerammt, die ersten 2, 3  Meter flutschen ganz gut, dann wird eine abenteuerliche Bambus-Plattform geriggt, von der aus per Handramme die restlichen 7 m in die Matsche getrieben werden. Jim kann seine Bauleute nicht genug loben – denn sie wissen, was sie tun. Hinter unserm Haus, der Nummer 6, wird gerade die Nummer 7 darauf vorbereitet, ein Stückchen angehoben und auf größeren Betonplatten gestellt zu werden. Richtig – das ganze Haus. Wir haben zu gucken…

Königin der Nacht

Unsere Punta Bonita ist mit viel Umsicht um die Natur herum gebaut worden. Alles ist übersät mit Epiphyten. Orchideen knapp über der der Wasseroberfläche oder in den Baumwipfeln. Wir haben Leguane, kleinere Echsen, Geckos. Schmetterlinge tropischen Ausmaßes. Bremsen, vor denen wir gern ins Haus flüchten. Blattschneiderameisen haben seit langer Zeit Erlaubnis, das Haus No. 1 zu durchqueren, so lange sie sich

Die Königin am Tag danach…

nicht ansiedeln wollen. Der wundervolle, goldgelbe Hubschrauber, der kürzlich an unserem Kaffeetisch landete, entpuppt sich als Goldener Riesenholzbock – gefahrlos für’s Bauholz, gut zum Abbau von allem Modrigen, das hier für Dschungelatmosphäre sorgt. Vögel, vom Kolibrii bis zum Pelikan, vergnügen sich vor der Tür, über allem schweben Fregattvögel. Und auf dem Schiff

Gestatten? Butorides virescens, der Grünreiher

von Nachbar Dave, dem 85jährigen Einhandsegler, haben Social Flycatcher eine Nisthöhle mitten auf dem Anker gebaut. Der deutsche Name ist besonders schön: Maskentyrann  – und als Nestlingsflugtag ist, machen sie mit  ihrem Namen alle Ehre. Zierlich, aber energisch und wehrhaft, diese Eltern. Unsere Flugshow zum Frühstück.

Wir haben es gut hier – die Tage

No. 6

Buddy. Happy. Chiquita

Esperanza und Elias – das Veggieboot der Casa Guatemala

vergehen gleichförmig, aber dank Internet und Hundebesuch ist es nie langweilig. Alle 8-10 Tage nehmen wir eines der Boote und tuckern ins Dorf zum Einkaufen; es gibt zwei Supermärkte, von denen einer sehr neu und gut sortiert ist. Die Leute sind ziemlich diszipliniert, was das Anlegen der Masken betrifft, selbst unterwegs auf dem Fluss… der ist ja „öffentlicher Raum“. (Nicht so diszipliniert, aber doch bemüht sind die Guatemalteken beim Abstandhalten.) Am Mangoauto gibt es die dicksten Mangos zum kleinen Preis, und 3x pro Woche kommen Esperanza und Elias mit ihrer Lancha und bringen, was die anderen Flussanrainer uns übrig gelassen haben (jedes 4. Mal sind wir ziemlich am Anfang der langen Tour, dann gibt es vieles, was das Herz begeht, vom Hühnchen bis zum Griechischen Joghurt). Super Service und zugleich eine gute Tat, weil ein Teil des Erlöses an ein hiesiges Waisenhaus fließt.

Aufregend ist hier nur das Brotbacken. Ich backe nämlich Sauerteigbrot (Hefe gibt es selten in Tortilla-Land). Schon das Ansetzen des Starters ist bei der Wärme toll, im ersten Versuch schien der Teig mit dem Deckel auf die Flucht gehen zu wollen, und gerade ist es ganz akut aufregend, denn was ich schon lange befürchte, ist nun eingetreten: der Sauerteig mickert. Ich glaube, das wird heute die letzte Charge aus diesem Ansatz, ein neuer ist schon unterwegs. Aber wenn es heißt, dass Sauerteig in manchen Familien von Generation zu Generation weitergereicht werden, kann es sich bei uns wohl nur um Eintagsfliegengenerationen handeln. 2 1/2 Monate bis zum schnöden Ende. Ist es zu heiß? Erschöpft sich Sauerteig trotz regelmäßiger Fütterung? Hat er die Tage im Kühlschrank nicht gemocht oder die ohne Kühlung? Dein Sauerteig, das unbekannte Wesen. Sehr spannend. Alltagsfreuden eben. Zu denen gehört eine Sonnenuntergangssitzung auf dem Ponton, um Fischer und andere Einbaumfahrer beobachten und die frechen bis unverschämt lauten LKWs auf der Brücke beim Motorbremsen belauschen. Chiquita-Bananenlaster tun sich besonders hervor (und Ihr seid schuld, weil Ihr billige Bananen wollt). Wir finden es witzig. Meistens.

Zum Tagesabschluss noch eine kurze Gymnastiksitzung, und schon ist ein weiterer Tag im Paradies um. Wieviele es davon für uns noch geben wird? Unsicher. Das hängt von der Infektionsentwicklung hier im Land ab, von den Transportmöglichkeiten und von der Situation in den USA… noch ein Monat? Wir sind natürlich ein bisschen bootswehkrank und strecken gerade die Fühler vorsichtig aus. Virginia und unser Middlesex-County machen uns weniger Sorgen – aber wie kommt man hin?

Wir lassen es Euch wissen.

** P.s.: mittlerweile ist es Sommer, und mächtig heiß. Die Asphaltwülste wachsen…