Schönwettersegler

 

Cape Lookout, 12.6.2021

Das Canaveral-Highlight nach der Impfung ist … die Impfung. Der rechtsaußen-orientierte Dockmaster runzelt die Stirn, als er mich zum Clubdinner lädt, und wir ein bisschen zögerlich reagieren. Viele Menschen, enger Innenraum – und wie viele Ungeimpfte? Wir gehen auch folgerichtig nicht hin. Dafür klopft es am nächsten Tag – eine namenlose Frau mit einer blauen (Wein?-)Flasche in einem Cozzie. „Sin‘ Sie doitsh?“  Hat 30 Jahre in Lampertsheim gelebt und ist nun wieder Floridian. Weil ich mein Publix-Pflaster noch wie eine Trophäe trage, kommt die Sprache schnell auf die Impfung, und sie erzählt mir eins vom Pferd. Hm. Vom Virus. It’s just a flu. Du musst die richtigen Ärzte fragen. Nicht dem Mainstream glauben. Die Absicht dahinter sehen. Deep State! Die Impfung ist tödlich!  Krebs ist die eigentliche Pandemie (langsam wird es allzu irrational).  Bei „es sind nach der Impfung mehr Leute gestorben als vorher an der Viruserkrankung!“ wird es mir zu blöd, aber ich war ein Muster an Contenance. Abgang, nicht ohne dass ich noch ein zickiges „… aber Du musst Dir ja keine Gedanken machen, Du bist ja jetzt geschützt, hahahaha“ nachgeworfen kriege. Zug aus der (Wein-)Flasche. Mit Sicherheit Wein oder Schlimmeres und davon ein bis zwei Zug zu viel. Oder eine Überdosis aus dem evangelikalen Predigtnapf.
Dafür treffen wir am nächsten Morgen vor der Abfahrt noch den Eigner der bis dato unbemannten Nachbaryacht. „Slow Dancing“ hatte bei mir was klingeln lassen, nur dass ich die Richtung, aus der es klingelt, nicht orten konnte – bis Richard sagt: „Akka rings a bell!“. Und ob wir 2009 bei Peakes in Trinidad waren. Das ist schon eher eine Unterhaltung auf unserer Wellenlänge -wir sollten uns mehr mit Leuten unserer Alterklasse unterhalten, die dauernd ihre Pläne ändern oder verkaufen oder Hüften reparieren lassen und auf Trawler umsteigen. Das tröstet! Nette, kleine Welt.
Abfahrt.

Das war nicht so einfach mit der Strecke von Canaveral nach North Carolina..  Wir sind halt Schönwettersegler. Die Gewitterlage, sofern man darauf rechnen kann, zeigt uns ein „Loch“  am Montag, mit Updateverpflichtung der Vorhersagen von unterwegs. So richtig schick sieht es nach hinten, zur Ankunft in Beaufort, nicht aus. Weil der Ankerplatz dort recht eng und strömungsbeaufschlagt ist, und die Invia von unangenehmen Schwoisituationen in Gewittersqualls berichtet hatte, fragen wir schnell bei Homer Smith nach, ob er vielleicht einen Platz für uns hat, dann könnten wir in Ruhe einkaufen radeln, sein Courtesy Car nutzen, vielleicht Frau Turecek bei der Feuerwehr besuchen (jenau, ein Jahr um, wir müssen der Rentenversicherung nachweisen, dass wir noch leben…). Wäre nett! Matt lacht am Telefon:“Crazy times!“  …und „Wir sind voll für 14 Tage. Großes Marlin-Angelturnier“. Das Towndock setzt eins oben drauf:“…freie Plätze? In Oriental“. Na gut, wir werden ankern und nicht warten.

Die Ausfahrt ist blöd: für mich. Am Anfang 2 Stunden bolzen, bis wir auf Kurs gehen können, zieht die potenzielle Kotzgrenze vor, die ich bei ruhigem Wetter und vor dem Wind eher nach 8 Stunden erreiche, wenn überhaupt. So quält sich frau durch den Tag, auch als wir schon längst angenehm nach Norden rollen. Die Nachtwachen gehen mit „Sag mal, Du als Physiker..“ und „Spiegel Daily “ dahin, und zum Frühstück ist schon wieder alles in  Butter (und Rührei). Dass sich diese Episoden nicht vermeiden lassen!  Indes kündigt sich andere Episode an – Wetterwelt zeigt uns für den Donnerstag ein fieses Gewittergebiet für die Ankunftszeit. Baah! Gewitter auf See ist so, so… kacke, und aus  „mal schau’n“ wird  „Warum gehen wir nicht nach Charleston?“ Die Idee reift zum Sonnenuntergang (der breitengradbedingt täglich später kommt), gerade noch im rechten Moment, um nach Westen zu laufen. Zum Frühstück liegen wir vorm berühmten Fort Sumter/Fort Moultrie. Bürgerkriegsfantasien beschleichen einen. Hier ging es 1861 los, als Lincoln auf den Präsidentenstuhl gehoben wurde – so recht stabil scheint die Lage auch dieser Tage nicht, wenn man auf die verrückten Waffenfetischisten und die white supremes schaut, die die Wahlrechte einschränken wollen. Einziger Unterschied: dass damals die Republikaner die Fortschrittlichen waren und die Demokraten die Hartleibigen (Don Caron betrachtet in seiner „Battle Hymn of the Republic-Parodie“ aber beide Seiten. Hartleibig ist eine schöne, allseits gelebte Tradition hier. * ).

Wir überlegen, ob wir in Charleston bleiben sollen, die Wetteraussichten für die kommende Woche sind nicht reisegünstig, Strom gegenan, Wind gegenan oder gar Fehlanzeige. „Wir gucken uns das heute Nacht um 3 nochmal an“ sagen wir um 23 Uhr. Das ist ein kurzer Schlaf – als wir uns in der Annäherung an Beaufort gestern erinnern, stellen wir fest, dass wir uns gegenseitig gern hätten überreden lassen, den Anker in dieser mondlosen Nacht stecken zu lassen; es hat nicht viel gefehlt. Aber im Schein der Decksbeleuchtung heben wir das Ding und fahren den langen Fairway aus dem Hafen von Charleston hinaus. Nachtfahrten sind ja eigentlich ein einfaches Ding und schön dazu. Auf See. Wenn denn nicht Hunderte Lichter um einen blinken, blitzen, leuchten. Von hinten haut einem das Richtfeuer ins Genick, vorn gurkt ein Lotsenboot herum –  anstrengend. Ich steuere Akka über das – nicht wirklich enge –  Fahrwasser hinaus  „… da kommt uns was Dickes entgegen!“. BERLIN heißt die Dicke. So lang, dass das AIS-Signal noch immer voraus ist, als wir schon querab an ihr vorbeigleiten. Sehr angenehm als die seitliche Seawall endet, wir das Fahrwasser verlassen können und Kurs auf Beaufort nehmen – der Wetternavigator (aka „Eigner“) hat einen eleganten Gewittervermeidungszacken eingeplant. Es ist das Übliche: Schiebestrom kombiniert mit nicht ganz so viel Wind wie erwartet, das macht einige Stunden Motorsegeln, aber lieber Schönwetter als Unwetter! Und es wirkt. Die zweite Nacht bricht an, es wetterleuchtet  und grummelt an Backbord, es wetterleuchtet und grummelt voraus und dann an Steuerbord. Aber nicht direkt bei uns. Zu langsam wollen wir auch nicht sein, dann knallt es wieder voraus – so treffen wir leider den denkbar döfsten Zeitpunkt für die Einfahrt nach Beaufort: ablaufendes Wasser und maximaler Gegenstrom plus Wind gegenan, dazu die Vorstellung von durchgeknallten Marlinfischern, die ordentlich Welle schmeißen. Alles schon gesehen. Eklig. Augen zu und durch?  Nee – die Alternative heißt Ankerplatz am Cape Lookout. Guckt das Bild an – ist es nicht schön?!  Allerdings ein bisschen abgelegen von Eier- und Gemüsenachschub, wir werden uns lösen müssen.
Bis demnächst in diesem Theater!

Traumankerplatz. Zu dem Sailing Dinghy am Heck des Nachbarn gehört ein Terrier, der das Ding HASST!

* … sehr schön auch Don Carons The Devil went down to Georgia   . Eine Hommage an Stacey Abrams – und anwendbar auf viele Staaten, wo man auf Unterdrückung von Wahlrechten sinnt.