… Kuchen, Siedler und Herr Krause

Osorno im Abendlicht

Südamerikas schönster Vulkan: der Osorno im Abendlicht

Puerto Varas/Los Lagos, 23.10.2016

Zona Sur, „der kleine Süden“ Chiles. Noch nicht ganz Patagonien, aber ganz nahe dran. Der Nachtbus von Santiago nach Puerto Montt war leider nur ein semi-cama, manchmal kriege ich Dinge im Gespräch mit Chilenen wohl nicht mit. Entweder gab es keinen Bus mit richtigem 180° Bett, oder er war voll, oder die Dame hat mich an jenem verregneten Sonntagmorgen nicht verstanden… aber halbliegend durch die Nacht geht auch. Im Morgenlicht schiebe ich die Vorhänge ein bisschen zur Seite – ooh! Schneeberge zur Linken! Vulkane! Um 10 Uhr rollen wir nach Puerto Montt hinein, und mein erster Gedanke ist: ein bisschen Harz (Walmdächer mit Rundbögen), ein  Schuss Irkutsk (braune Holzhäuser), durchmischt mit Schweizer Alpenarchitektur. Fast alle Häuser sind Holzhäuser, mit Schindeln verkleidet und gedeckt.

Puerto Montt, Unsere Fähre wartet schon

Puerto Montt, Unsere Fähre wartet schon

Man tritt aus dem Busterminal, schneebdeckte Vulkane glitzern in der unerwartet scheinenden Sonne, der Pazifik wird seinem Namen gerecht und plätschert friedlich auf den gerölligen Strand; nicht schwer für den Stillen Ozean, denn hier bildet er eine tiefe, geschützte Tasche. Daunenjacken undGummistiefel sind in der Überzahl, aber einige Mutige lassen sich auch die Sonne auf entblößte Arme und Beine brennen. Auf der Molenmauer erfreuen sich ein paar fröhliche Fischersleut‘ des schönen Tages, sie fischen nach Münzen von Passanten (O-Ton Eigner: …. und neigen zur Geselligkeit). Hunde gibt es zuhauf, alle recht entspannt. Kleines Zimmer in einem netten Hostel, viel Radebrechen ; einigermaßen erfolgreiche Spanischbemühungen erzeugen stets Wortsalven von und Gelächter bei Marisol, die den Laden schmeißt.

Ceviche und Wein

Ceviche und Wein

Ein Orientierungsspaziergang – wir wollen wissen, wo wir unsere Fährtickets nach Puerto Natales bestätigen lassen können – endet bei Robben und Pelikanen im alten Marktviertel Angelmo, und anschließend bei Ceviche, Wein und Fischspeisen auf einer wackeligen Bank in Don Juanitos Fischbüdchen – ein Büdchen von vielen, vielen, und jedes möchte einen der wenigen Spaziergänger hereinlocken. Unsere Lockvogelin jedenfalls reckt die Faust: „Si! Si!“

Landeanflug

Landeanflug

Draußen schweben die Pelikane vorbei – schade, dass man diese Landungen nicht so gut fotografieren kann. Bilderbuchreif.

Anderentags marschieren wir die Bucht nach Westen entlang „nur mal auf den Hügel, gucken, wo die Marina liegt“. Wir sehen deren zwei, von ferne, nur die Hoffnung auf einen Kaffee treibt uns um die ganze Bucht;  zur Belohnung für den Gewaltmarsch  gibt es weder Kaffee noch Zugang zur Marina, sondern nur ein Schwätzchen mit dem Wachmann. Macht nix. Fahren wir halt mit dem Bus zurück und belagern die Hostelküche. Und dann werden Pläne gemacht. Zwei Wochen bleiben bis zur Abfahrt der Fähre Evangelista nach Puerto Natales – Gelegenheit, ein Auto zu mieten und sich im Kleinen Süden umzuschauen, und als das Auto da ist, fahren wir doch noch einmal zur vielleicht etwas  weniger streng gehandhabten Reloncavi-Marina. Die vorgetragene Geschichte vom Segelboot in Brasilien tut ihre Wirkung, und die Atmosphäre der Marina wiederum wirkt auf uns. Zwar sind wenige Segler im  Wasser  und auch die an Land stehenden sind zumeist unbewohnt, aber irgendwie erfasst uns der Geist vom „… in 20 Jahren wirst Du nicht bedauern, was Du getan, sondern was Du nicht getan hast…“. So viele, die sich um die Südspitze von Südamerika gequält haben. Beaglekanal, Magellanstraße, Kap Horn. Ein bisschen Neid kommt auf, aber dann treffen wir auf die Schweizer Yacht Robusta, und Anja weiß unsere Zweifel zu zerstreuen. Doch, sagt sie, im Nachhinein war es toll, auch der Winter in Patagonien, aber… ab Mar del Plata war es eigentlich anstrengend bis hin zum K(r)ampf. Beidrehen, Sturm durchlassen, weiterfahren. Höhe wieder gutmachen,  wenn es einen unverhältnismäßig in den Atlantik rausgeblasen hat, beidrehen… und so fort. Frohgemut ziehen wir von dannen und freuen uns auf Kap Horn mit dem Rucksack. Basst scho‘!

Das Erbe

Das Erbe

Zwischenstopp in Puerto Varas. Das Deutsch/Österreichzentrum hier im kleinen Süden. Nach einem Ausflug zum „schönsten Vulkan Südamerikas“, dem Osorno, umrunden wir den Lago Llanquihue, bestaunen Gutshöfe, die ihr europäisches Erbe nicht verhehlen können und versuchen, auf alten Friedhöfen Familien- und Integrationsgeschichte nachzuvollziehen. Das mit der Integration hat hier sehr gut geklappt, wobei sich chilenisch-deutsche Mischehen schon früh ergeben haben,  nämlich unter den katholischen Familien. Die protestantischen Siedler blieben, so sagen es die Grabsteine, fein unter sich, auch wenn sich die Sprachgewohnheiten schon lange in Richtung Spanisch geändert hatten – spanischer Vorname, zwei deutsche Familiennamen. Insgesamt sieht man viele Spuren. Die Biere. Der „Kuchen“ ist ein chilenisches Wort. Deutsche Schulen, gern auch Berufsschulen. Und die volle Ladung davon kriegen wir bei Sr. Krause im Museo Antonio Felmer zu sehen, ein wirklich schönes Stück bäuerlicher Zeitgeschichte, inklusive Vorführung des Polyphons, einem Exponat, das man den Besuchern nicht mehr allzu oft vorführt, aber wir kriegten von einer großen  gekrümmten Messingplatte das dort eingravierte „Muss i denn“ zu hören und einen schmalzigen Walzer. Darauf gibt es noch einen kleinen Abriss über die Siedlungsgeschichte; wenn man die unglaublich fruchtbare Gegend mit all ihrer Milch- und Fleischviehwirtschaft heute betrachtet, die fetten Weiden im lichtem Baumbestand, mag man gar nicht glauben, dass viele der ersten Siedler die Anfangsjahre nicht überlebten. Allerdings waren wir zuvor am Lago de Todos los Santos gewesen, und angesichts des  Waldes in der dortigen Gegend versteht man, was für eine Knochenarbeit es gewesen sein muss, auch nur eine kleine Parzelle zu roden. Dem auswanderungswilligen Hessen oder Pfälzer oder – um die Österreicher nicht zu vergessen – Salzburger hatte man wohl gesagt, dass sie ein Stück Land bekämen, eine

Kuh, Ochse und 200 Bretter...

Kuh, Ochse und 200 Bretter… dies sind 196.

Kuh, einen Ochsen und 200 (!) Bretter  und Nägel, allerdings nicht, dass das Land gar nicht erreichbar war… Aber sie haben sich durchgeschlagen, und nicht schlecht. Auffälliger Unterschied zu Namibia: die deutsche Gemeinde ist zwar existent, aber es sind Chileno-Alemanes, die sich gut assimiliert haben. Was nicht heißt, dass sie nicht um ihre Tüchtigkeit und ihre Erfolge beneidet werden. Sagt Herr Krause – auf Spanisch. Sein Schuldeutsch rostet seit 50 Jahren.

Wer macht denn so was?

Novemberwetter

Novemberwetter

Santiago de Chile, 17.10.2016

Grau ist es, und kalt. Wenn ich nicht wüsste, dass es in den kommenden Tagen und Wochen noch kälter werden wird, würde ich gern saukalt sagen; doch, so ist es – mit der Größe der Säue halte ich mich allerdings lieber zurück. Jedenfalls sind wir schon lange nicht mehr mit Schal und Mütze durch eine Stadt geirrt und haben Zuflucht in Cafés gesucht. Moskau und Irkutsk könnte ich anführen.  Jetzt sitzen wir im Frühstücksraum des Hostels und warten auf den Schlafbus nach Puerto Montt. Das Haus ist eine große alte Villa mitten in der Altstadt von Santiago, nahe dem dem Museum Bellas Artes. Schöne Gegend. Und weil es ein altes Haus ist, hat es dicke Mauern, die im Sommer schön die Kühle halten. Nur ist eben kein Sommer. Schnatter. Wir sind wirklich von der Sonne verwöhnt und in gewisser Weise abhängig.  Mal sehen, wie das weitergeht.

Was unsere Ausstattung betrifft, war ich blauäugig genug, natürlich die Wanderstiefel zu packen, dazu die ewigen Birkenstock Zehensandalen, die schon seit Kapstadt tapfer Dienst schieben (incl. 4 nicht unterbrochenen Wochen Deutschlandsommer! So warm war das!) plus Badeflipflops und ein paar ausgelatschte Trekkingsandalen. Hier oben im Zentrum von Chile naht der Frühling, und wir haben tatsächlich auch schon abends auf der Straße gesessen und in der Heladeria Mà³ ein Rieseneis geschlotzt, aber seit Sonnabend zeigt uns der Andenwettergott, wo der Hammer hängt, und nach Süden wird das kaum besser. Also rennen wir am Sonntag im April(=November)regen durch die Stadt und verbringen nach Abholung der Bustickets  einen Großteil des Tages in Santiagos größter Mall und suchen Ersatz für die ausgelatschten Trekkingsandalen. Unabdingbare Merkmale: geschlossen, wasserfest, warm, bitte – so hält das kein Schwein aus. Dazu eine Dose Imprägnierspray, ein Buff für den kleine Halswärmebedarf und eine schicke Northfacemütze (NorthFace ist Jack Wolfskin für Fortgeschrittene. Deutsche im Ausland? Deuter- oder VauDe-Rucksack. Und vor allem Rentner dazu gern mit JW-Jacke. Quechua-Sachen? Franzosen. Kathmandu? Kiwis. Die Reihe lässt sich fortführen.).   Meine neue Mütze ist international-neutral und mit Fleece gefüttert. Schönen Dank, Schwester, für den tannengrünen Irlandwolleschal, den ich zur Abreise kriegte, der kommt hier zu ungeahnten Ehren! Passt auch zu den grünlichen Chileschuhen! Wir sind gewappnet. Wahrscheinlich. Hoffentlich. Wir fahren jetzt das Valle Longitudinal südwärts, dahin, wo es im Meer versinkt und wo die Küstenkordillere die Insel Chiloe bildet. Geologisch tolle Gegend, toll bis tollkühn, Stichwort Supervulkan, Kontinentalplatten und so. Meteorologisch… bislang „naja“. Von den schneebedeckten Anden, an deren Fuß Santigao liegt, ist nichts zu sehen, aber die begleiten uns ja im Osten südwärts, drum heißt das Tal longitudinal, und sie werden vielleicht doch mal die graue Mütze ablegen. Vielleicht ist diese Hoffnung der Grund, warum man sich freiwillig in die  Kälte begibt? Wer macht denn sonst so was?

Geschichten vom Ahu

Kerle mit Mana...

Kerle mit Mana…

Hanga Roa, 13.10.2016

Da war noch was! Die Sache mit dem Ahu! Ich sitze gerade auf einem, obwohl das Sitzen auf einem Ahu eigentlich ganz fürchterlich „tapu“ ist, ein Sakrileg. Ahus sind Zeremonialterrassen. Aber wir folgen nur unserem ureigenen Ritual, dem Café latte-Schlürfen, und unser Ahu ist ein Kaffee-Ahu, die Bohlenterrasse des Eco Taina-Cafés. Ihr seht, für den Touristen ist gesorgt, und wir danken es den Rapa Nui.

Klar. Was alle Welt mit der Osterinsel verbindet, muss nicht nur nebenbei erwähnt werden, sondern war unser Ziel. Stichworte wie Kontiki, Aku Aku, Thor Heyerdahl kommen immer sofort. Und eben Moai. Meine Schwester schreibt, dass ihr diese riesigen Steinfiguren immer unheimlich waren – mir auch. Heyerdahls Bücher standen natürlich im heimischen Bücherschrank, aber das meiste davon hatte ich vergessen oder niemals verstanden. Wir befanden uns also auf einer Tour der Ahnungslosen, das Rapa Nui-Thema wollte ganz neu beackert werden.

Weit läuft man nicht in Hanga Roa, bevor man über die ersten Steinfiguren stolpert. Gleich hier auf der Terrasse steht eine ansehnliche Nachbildung. Am Fischerhafen steht ein Moai, der auf’s Meer schaut, und einer ins Inland. Letzterer guckt richtig, und meine Schwester hatte recht: unheimlich sind sie, und so waren sie auch gemeint. Leere Augenhöhlen, die Lippen zusammengenkniffen, was manchmal fast verschmitzt aussieht. Niedrige Stirn, ausgeprägte Nase und langgezogene Ohrläppchen. Wirklich markant. Sie stehen immer auf einem Ahu, und sie schauen, den Rücken dem Meer zugewandt, immer auf den Clan der Siedler, die vor ihnen ihrem Alltag nachgingen. Ein Archäologe, den ich belauschte, sagte zu seinen Gästen:“… they do not look at the sea, because they are not on vacation!“ Moai zu sein war kein Urlaub. Die Siedlungen, die sie beobachteten, waren hierarchisch geordnet: erst die Hauser der Noblen, eigentlich große Terrassen für das Alltagsleben mit einem schmalen, langgezogenen Schlafhaus dahinter, geformt wie ein Kanubug. Je weiter vom Wasser und dem Ahu weg, umso niederer der Rang der Bewohner, die Grundstruktur dieser Gesellschaft. Von den Häusern sieht man nur noch wenige Fundamente, dafür sind viele hare moa erhalten: komplette, geradezu riesige Hühnerhäuser aus Vulkanschlacke. Klingt einfach, aber es ist doch besonders: das Leben drehte sich zu einem gewaltigen Teil um diese Figuren, um ihre Anfertigung. Als zwischen 800 und 1000 a.d. die ersten Siedler, wahrscheinlich aus den Gambierinseln, eintrafen, brachten sie außer allem Überlebensnotwendigen. also Hund, Schwein, Taro, Ratte, auch polynesische Traditionen mit, wie zum Beispiel ihre Rituale auf Terrassen (marae) zu feiern und kleine Steinfiguren zu fertigen. Nur entwickelte sich hier in der völligen Abgeschiedenheit der Osterinsel eine Art  Bildhauerwahn: die Figuren, die immer nach dem Tod von wichtigen Männern angefertigt wurden (es gibt ungefähr 10 Figuren mit weiblicher Anmutung!), wuchsen. Anfangs klein und rundlich und von normaler Körpergröße, streckten sie sich, wuchsen auf 2, 3, 4m an  und mehr, sie wurden feiner in der Darstellung und bekamen einen Kopfschmuck aus rotem Tuff aufgesetzt. Fast alle kamen aus dem zentralen Steinbruch Rano Raraku, wo der beste Vulkanstein zur Verfügung stand, und dort liegen und stehen noch heute über die Hälfte der insgesamt 900 Figuren. Wirklich umwerfend, wenn man da im scharfen Vormittagslicht hindurchstreift. Halbfertige Moai und solche, die zum Abtransport bereitstehen. Einige, die bei Transport oder bei den Abschlussarbeiten am Rücken beschädigt wurden – Ausschussware. Vielleicht sind auch dem einen oder anderen Clan die Mittel ausgegangen? Ein unfertiger Gigant von 20 m Höhe, ohne „Pukao“, dem Haardutt, der sicher noch einmal über 10 Tonnen gewogen hätte, die Figur selbst über 250. Und damit sind wir eigentlich bei der Tragik der ganzen Geschichte angelangt: die Figuren wurden in gar nicht so langer Zeit aus dem Fels gehauen, bergab gezogen, aufgerichtet und fertiggestellt, sodann mühsam von 50 bis 500 Leuten vom Steinbruch zum Ahu ihres Auftraggebers transportiert, wozu man Holzschlitten und Seille aus Pflanzenfasern brauchte. Übrigens erfolgte der Transport ohne Augen – Sinn des Moai war, sein mana auszustrahlen, eine übernatürliche Kraft, und das mana wäre durch die Augen auf die falschen Menschen gefallen. Das Aufrichten auf dem Ahu war entsprechend mühsam, es gibt da die kühnsten Theorien, aber all das ist und bleibt wohl rätselhaft. Erst mit der Blickrichtung auf die heimische Siedlung wurden Augen eingesetzt und strahlten nun streng. Je größer der Moai, umso mana… je größer der Moai, umso aufwändiger auch Produktion und Transport, umso mehr Ressourcen wurden verbraucht, als Bezahlung für die Arbeiter und Transporteure und für die Transportmittel. Je größer die Not der Clans, umso mehr mana wurde gebraucht. Umso größer müssten die Moai sein. Und umso mehr Bäume gefällt, für Seile und Schlitten und Hebelapparate. Alles klar? Das Ende vom Lied nennt Jared Diamond „Ökozid“, Mord an der Umwelt für rituelle Zwecke. Als 1722 erstmals Europäer die Insel beschrieben, war sie schon baumlos. Als Cook 50 Jahre später kam, waren viele Moai schon umgestürzt – möglicherweise hatte man den Verdacht, dass vielleicht zu viel mana das Elend brachte, also fort mi den unheimlichen Geistern. Aber es ging mit der nun schlecht versorgten Bevölkerung weiter bergab: Unterernährung wegen der Verkarstung der Landschaft, ansteckende Krankheiten von den Besuchern, und Sklavenschiffe dezimierten die Rapa Nui weiter. Man wandte sich einer anderen Gottheit zu, dem make make , aber auch dieser Wechsel zum Birdmankult half nicht mehr. Zu spät. Abgewirtschaftet.

In den 60er Jahren begann die Forschung zu diesen wundersamen, wundervollen Steinfiguren, Mitte der 60er wurde die ersten wieder aufgerichtet, am Strand von Anakena. Ein Japaner spendete einen Kran, um ab 1996 die moai auf dem größten Ahu in Tongariki wieder aufzustellen. Jared Diamond sagt, dass ihn die Abkehr vom Moai-Kult an die Wut der Rumänen und Russen beim Umstürzen der Statuen von Ceaucescu oder Stalin erinnert. Unsere Rapa Nui-Führerin Emilia hat da eine andere Meinung: keine gebrochene Nase, das muss heißen, dass man die Figuren sanft aufs Gesicht gelegt hat. Lass‘ das mana in die Erde strahlen… Geholfen hat es nichts. Eine Kulturtragödie nach kollektivem Größenwahn.

Ein denkwürdiger Ausflug für uns, mir fielen noch viele kleine Dinge ein, aber wir fliegen dann mal zurück. Wer Jared Diamond (natürlich gibt es andere Autoren zu Thema….) lesen will: „Collapse. How societies decide to succeed or fail“. Interessant.

Der Nabel der Welt

und AKKA oben rechts

und AKKA oben rechts

Hanga Roa/Osterinsel, 13.10.2016

Te pito o te henua, der Nabel der Welt, so sagt man hier. Allerdings gibt es viele solcher Nabel in Polynesien, und eigentlich kann es auch heißen: Ende der Welt. Oder Ecke… Alles ganz richtig. 3 Ecken hat die Osterinsel – es ist, bis auf ein paar Felslein tatsächlich nur eine, also „die Osterinsel“ in der Einzahl – und vielleicht war auch jede dieser Ecken einstmals ein Nabel und jeder Nabel ein eigenes Ende der Welt. Eines ist klar: die Insel ist entlegen. Südöstlichste Ecke des polynesischen Dreiecks, das im Norden in Hawai’i endet und im Südwesten in Neuseeland. Polynesien, das riesige. Ich freue mich unglaublich, noch einmal hier gewesen zu sein – schon diese vokalreiche Sprache finde ich toll. Der Hang zur Blume im Haar, zu dicken, schönen Tatoos. Und auch wenn vom  Erbe Rapa Nuis nicht so schrecklich viel übertragen ist, man lehnt sich an Tahitianisches oder Marquesanisches an. Ansonsten: Lebensgrundlage Tourismus. Das wurde schon vor einer Woche klar, als wir in der Früh den Check-In-Schalter von LAN bzw. LATAM erreichten – es wird derzeit täglich ein Flieger voll nach Rapa Nui geschaufelt, und zurück,  je 300, 400 Leute. Einige davon natürlich Einheimische, so dass sich die neugierige Rucksackreisende an dem einen oder anderen Haardutt oder dem „Regen“-Tattoo am Hals erfreuen kann. Der Flug selbst geht, siehe oben, Ende der Welt, auch nicht gerade mal um die Ecke, 5 Stunden dauert der Spaß, aber danach gleitet man eine Weile im Sinkflug über pazifisches Wasser, bis die Landebahn von Matavere aus dem Nichts auftaucht. Warm und feucht ist es. Blumenkranz zur Begrüßung. Ein Minibus, leicht polynesisch, holpert uns ein paar hundert Meter zum Hotel, das den Namen des ersten Siedlers trägt: Hotu Matu’a. Weiträumig ist es hier jedenfalls nicht.

Im Dorf begegnen uns die Bewohner mit Regenjacken und Gummistiefeln – auf das Wetter ist nicht so recht Verlass. Es kann nass von oben sein, muss aber nicht, und frischer Wind lässt einen in der schwülen Feuchte unangenehm abkühlen, dabei ist unsere Erkältung noch nicht vorbei. Pfui. An der Fischermole sitzen wir eine Weile und bestaunen den Schwell, der hereinläuft, zur großen Freude junger Surfer. Auf den vorgelagerten Felsen klettern zwei Frauen herum und angeln sich das Familienessen. Ein Segler – einer von vielleicht 30 im Jahr, die es hierher treibt – liegt an einer Mooring. Gemütlich sieht anders aus.

Hanga piko, Hafeneinfahrt

Hanga piko, Hafeneinfahrt

Im AKKAnautentempo geht es voran: noch ein Tag im Dorf, mit Kaffeetrinken, ausgiebigem Surfen (wir haben von einem Seglerkollegen in Jacaré lauter südamerikanische SIMkarten geerbt, und die chilenischen EnTel und Movistar tun’s auch im tiefen Ozeanien). Ganz langsam weichen Laufnase und Husten. Erstes polynesisches Vergleichsessen: während man auf den Sonnenuntergang lauert und außerdem die äußerst spannend anzuschauende Einfahrt zur Mole von Hanga Piko beobachten kann, gibt es Ceviche vom Kana Kana (ein lokaler Barrakuda) und vom Tunfisch. Der Kana Kana ist besser, auch in der gebratenen Version. Lokal merken und ansparen… wir halten aus Kostengründen ansonsten gern ein Hotelzimmerpicknick ab, die Minimercados geben alles her, was man braucht und eingeflogen werden kann. Im Hafen liegt eine Lederrückenschildkröte herum. Fischer klären uns über ihren Widerstand gegen den geplanten Marine-Nationalpark auf, aber da wird’s dann mit der Verständigung ein bisschen schwierig. Und mir fehlt kraft meiner Naturschutzneigung auch das Verständnis für Tunfisch-Longline-Fischen, und dafür, dass man nternationale Schutzbehörden, die wirklich tatkräftig mit den Rapa Nui zusammenarbeiten und ihnen alleinige Fischereirechte in der Region zubilligen wollen, als Kolonialisten bezeichnet. An dieser Stelle ist die Bevölkerung denn auch gespalten. Wie allerdings die Kontrolle dieses riesigen Seegebietes, nämlich 200 nm rund um die Insel, gewährleistet werden soll, ist mir auch nicht klar. Nebenan kampieren Rapa Nui-Familien dauerhaft und lassen schwarze und Inselfahnen im Protest gegen das Luxushotel Hangaroa Eco Village. Eco ist sicher fein, aber ungern auf Grund, den man den Einheimischen abgeschwindelt hat. Gleiches gilt für den Flughafen, und immer wieder blitzen Hinterlassenschaften der Pinochet-Aera durch. Da ließen sich wohl leicht Geschäfte machen, und umso erboster kämpfen die RapaNui um Rechte. Rechte übrigens, die man ihnen über viele Jahrzehnte vorenthalten hatte. Bis in die frühen 50er war die Bewegungsfreiheit der Einwohner auf den Ort Hanga Roa beschränkt, Landrechte hatten sie nicht, die Insel seit 1888 an einen britischen Schafzüchter verpachtet, sie waren nicht einmal Chilenen. Aber genau das ist auch immer noch strittig: man fühlt sich als Polynesier, nicht als Chilene. Und wieder kommt das Wort: Kolonialismus.

Aber all das schwingt eher im Hintergrund. Wichtig für uns eher, dass Maria, die Wäscherin uns am offiziellen Dia de la descubierta de las Americas, auch bekannt als Columbus Day, die Wäsche abnimmt und säubert. Maururu, Maria, für Wäsche und Schnacken und Abschiedsumarmung. Wichtig ist auch zu wissen, dass 98% der vielen Straßenhunde freundliche Kerle sind, um die die Autos Kurven fahren. Bei den restlichen 2%handelt es sich um a. Hühnermörder mit gutem Gedächtnis, die mir meine Rolle als Mordverhinderer übel nehmen und beim nächsten Vorbeimarsch eine Scheinattacke auf mich starten. Und b. gibt es den Wegelagerer, der weiß, dass in Richtung unseres eher bescheidenen Hotels am Ortsrand – sehr schön, weil im normalen Leben! – manchmal Gäste mit Plastiktüten und Picknickzubehör vorbeigehen; da kann Hund dann reinbeißen und klauen, was rausfällt. Bye, bye und adios Salami!

Das war’s dann von der Osterinsel. Oder war da noch was? Ich schick’s mal raus und denke derweil nach… Unser Rückflug sollte sich eigentlich gerade in die Luft erheben, hat aber 6 Stunden Verspätung, Zeit wäre noch. Für Bilder und … noch was.

Ein Bus um 20:30

Hanga Roa/Osterinsel, 7.10.2016

… die Sache mit den Mennoniten in Santa Cruz ließ uns nicht los. Leider war der Sonnabend rein sabbatmäßig nicht dazu angetan, zu einer großen Forschungsreise auszurücken: Menno-Deposito geschlossen, auch die Latzhosendichte hatte eklatant abgenommen. Aber gerade deswegen kamen wir doch mit einem versprengten Häuflein frisch ausgewachsener Jungmänner ins Gespräch. Was man so Gespräch nennt. „Nit deitsch?“ sagt der pausbäckige blonde Schlaks mit den Sommersprossen. Ich denke, die roten Wangen waren der Tatsache geschuldet, dass man sich hier auf offener Straße mit „Weltlichen“ unterhielt. Aufregend! Das Gesprächsthema allerdings blieb beschränkt – die Frage,  in welcher Kolonie sie wohnen oder wie lange sie in der Stadt bleiben und was man hier besorgen muss, all das blieb unverstanden. Also gingen wir gemeinsam den Aushang der Witwe Ellermann durch, die ihren Hausstand zur Veräußerung bot. Trotz Zeichensprache – Butterfass, Melkschemel… – blieb die Unterhaltung einseitig. Dürfen sie nicht, können sie nicht verstehen? Fast fürchte ich, dass sie nicht dürfen, aber ich denke, wir waren trotzdem eine Supershow für 3 halbstarke Mennoniten. Samstagnachmittag (nicht) zu Hause.

Eigentlich hatten wir einen weiteren Tag in Santa Cruz bleiben wollen, aber die Auswahl an Bussen hinüber nach Argentinien war beschränkter als gedacht. Und Don Pablo von Bolipar hatte gedonnert: um 20:00 hier! O.K. Dankbar für unsere Beratung in Sachen Hotelqualität – der Akkanaut als solcher ist ein freundlich kritischer Gast mit einem Hang zu gnadenloser Offenheit – spendiert uns Esteban ein Taxi zum Bahnhof, das nun rätselvolle Schleifen durch die Hintergassen von Santa Cruz zieht. Uns egal, so lange wir diese ominösen 20:00 Uhr schaffen. Im unablässig  wuselnden Bahnhof „Bimodal“, also der Kombination aus Eisenbahn und Bus, sacke ich auf den Stuhl vorm Busbüro. Geschafft. Noch 30 Minuten. Die beiden jungen Damen die an diesem Samstagabend dort die Stellung halten, bedeuten uns mit einem Kopfnicken, dass wir die Rucksäcke ins Büro kippen dürfen und versinken wieder in ihr Smartphonekoma, aber immerhin, wir sind pünktlich Je länger wir unterwegs sind, umso lieber werden uns ausreichende Pufferzeiten, und in diesem Fall bin ich richtggehend dankbar: die Erkältung ist in vollem Aufwind, und so kann ich den Strom der doch sicher bald anrückenden Mitfahrer aus einem bequemen Sessel im Auge behalten. Eine alte Dame aus den Bergen, in weitem Rock und Kittelschürze, wird vom Sohn abgesetzt. Ein Japaner mit geringen Spanischkenntnissen, flankiert von zwei sprachkundigen Landsleuten. Sonst? Scheint ja nicht sehr voll zu sein der Bus. 20:10. Die alte Dame wird, versehen mit einem Briefumschlag und unverständlichen Instruktionen, weggeführt. 20:20: der Japaner ist weg. „Que pasa con nosotros?“ Schulterzucken, Smartphone. ¡Hola! Der Bus fährt gleich! Achso. Ja. Mitkommen! Rucksäcke schultern. In einer Abseite des Busbahnhofes kriegen wir Baggagetags und werden hinausgeleitet. Der Großteil der Südamerikaner tritt ja seine Reisen per Bus an, nicht anders in Bolivien, und Santa Cruz ist Boliviens größte Stadt, Nachtbusse sind das Hauptgeschäft, also man kann sich das Gedränge vorstellen. Wir laufen hinter unserer Smartphoneuse her, warten kurz an Plattform 48, stehen mit anderen potenziellen Fahrgästen Gepäckträgern mit schweren, klapprigen Karren im Weg und wehren Verkaufsversuche für allerlei heißes Gebäck ab, dessen Qualität man in der Dunkelheit schlecht bewerten kann. Andreas besorgt Sandwiches – no risk, no fun. Umzug – unsere Betreuerin hat sich zwischenzeitlich erkundigt: Busgesellschaft Avaroa, ganz am Ende! Geduld ist gefragt. Sie drückt uns nun ebenfalls einen Brief in die Hand: „… an der Grenze wartet Sr. Miguel xyz auf Euch!“ Wir fühlen uns völlig rundumbetreut, aber, Ende der Busreihe gut, alles gut, es kommt eine Bus der Gesellschaft TransCruz2 (von wegen Avaroa), es steht sogar drauf, dass der Bus nach Yacuiba fährt, sogar unsere Rucksäcke werden angekarrt. Passt doch. Liegesitz nach hinten schnacken lassen, Fleecedecke raus und dann schön abgehustet. Morgen früh: Argentina.

Im Morgengrauen, es ist 05:20, rollen wir in einem ärmlichen Ort an der Südgrenze Boliviens auf den Bushof. Ein Taxifahrer pickt uns auf, er scheint Eile zu haben, aber wir dürfen doch noch pieseln gehen. Der Weg zur Grenze ist weiter als gedacht. 5 km vielleicht? Jedenfalls nicht gerade in Laufentfernung, und jetzt stellt sich auch der Grund für die offensichtliche Eile heraus: das Taxi muss bis 6 Uhr wieder Heim und Hof erreicht haben, denn heute ist autofreier Sonntag. Wir laufen die restliche 200 m zur Grenzstation, reihen uns ein, grabbeln die Pässe hervor. Andreas will die Reihe der müden Grenzpassanten ablichten: „… wo ist eigentlich meine Kamera?“ Adrenalinschub. Die Kamera muss beim Graben nach den Kopflampen aus der Tasche gerutscht sein. Begeisterung macht sich breit. Und Mutlosigkeit. Die Dame, die mich kurz zuvor angesprochen hatte, ob wir einen Brief für Sr. Miguel xyz haben (tatsächlich, Rundumbetreuung!), antwortet mir auf die Frage, welche Chance wir hätten, a. am autofreien Sonntag nach Yacuiba zurückzukehren und b. den Bus samt Kamera ausfindig zu machen, ziemlich unverblümt: “ …has perdido ya!“ Die hast Du schon verloren.

Hinter der Grenze treffen wir unsere alte Dame wieder, die das gemeinsame Ziel mit einem anderen Bus erreicht haben muss, sie verschhwindet aber schnell in einem alten Auto. Uns wird, wie es scheint, ein etwas angejahrtes Taxi zum nächsten Busbahnhof bringen. Wir versehen unsere Schleuserin auf des Taxifahrers Wunsch mit einem Trinkgeld, verstauen das Gepäck zwischen Reisetaschen und Kinderspieldecke einer jungen, mitreisenden Argentinierfamilie und klappern los. Und es fährt und fährt, das Taxi. Kurz: für den Rest der Fahrt nach Salta sitzen wir zusammengepfercht, aber friedlich mit Papa, Mama und Söhnchen. Theorie: schon der geplante Bus von Santa Cruz nach Yacuiba fuhr nicht, also wurden wir irgendwie umgeschichtet. Oder vielleicht hat die Methode auch System, man verkauft ein Ticket ohne festen Platz? Und dann ab Grenze gab es auch keinen verfügbaren Bus, also: ein wildes Taxi, im Busticket inbegriffen. Vorteil: trotz Militärkontrolle an jeder Landkreisgrenze – gern im Abstand von wenigen 100 m, inklusive Herauswuchten der Rucksäcke und Öffnen derselben – waren wir nach 5 Stunden in Salta. 400 km in einem kleinen Ford.

Der Bus fuhr um 20:30. Oder etwas Ähnliches…

Latzhose mit Bügelfalten

Santa Cruz de la Sierra. Neuehrwürdige Kathedrale von 1906

Santa Cruz de la Sierra. Neuehrwürdige Kathedrale von 1906

24.9.2016.  Santa Cruz de la Sierra, Bolivien

Mal wieder Schwein gehabt. Der Taxifahrer am Flughafen in Santa Cruz hatte keinen Schimmer, wo das von uns gewünschte Ziel, Hotel 360° liegen könnte. Wie meistens in letzter Zeit hatten wir über booking.com gebucht und Adresse und Anreiseplan irgendwo in den Beitaschen unseres Gepäcks vergraben.

Unsere Aussicht. Die 360 Grad gibt es nur vom Dach

Unsere Aussicht. Die 360 Grad gibt es nur vom Dach

Es ergab sich auch gleich die erste Sprachverwirrung – mal abgesehen davon, dass das automatisierte „obrigada“ auch noch nicht verschwunden ist! – der Taxifahrer regelte meine 360 Grad auf „trenta y seis“ herunter. Nein, nein, nicht Außentemperatur. 360°! Rundumblick! Mit Funkhilfe und Graben nach dem  Adresszettel ging’s dann. Calle Avaroa. Neu, simpel, sauber. Esteban, ein des Englischen mächtiger junger Besitzer. Nett. Die Lage am „beware of pickpockets“ Marktviertel Los Pozos garantiert: die volle Dröhnung Bolivien fängt gleich vor der Tür an. Schwein gehabt, gut ausgesucht, Herr Haensch.

Santa Cruz ist gewachsen, eindeutig. Graffitti, die 2008 noch nach dem Tod des indigenen Präsidenten riefen, fehlen oder sind übermalt, unterm Strich geht es nämlich Bolivien so gut wie nie zuvor. Was nicht heißt, dass vielen Betroffenen die Entwicklung – Schulbildung, Armutsbekämpfung, Verbesserung der Arbeitsbedingungen – schnell genug ginge, und unruhig ist es hier daher nach wie vor. Ebenso nach wie vor sieht man Evo mit Blumen gekränzt  und fröhlich winkend auf den Bildschirmen. Recht so, er hat schließlich die Vision. Und die Zweidrittelmehrheit. Ich bin gespannt, ob es da eine 4. Amtszeit geben wird. Auch in Sachen Analphabetismus geht es voran. Der Typ Dame, wie sie  im Flugzeug von Sao Paulo neben uns saß, ist wohl dem Untergang geweiht: weite Röcke, schwarze Zöpfe, Strohhut, jedoch kein typischer Bowler, und ein buntes Bündel Handgepäck. Hochanden unterwegs Als die Einreisepapiere verteilt werden, muss sie die Nachbarin um Assistenz bitten – Lesen und Schreiben ist an ihr vorübergegangen, aber das ist dem Selbstbewusstsein keineswegs abträglich, eine „Andenmütterchen“ ist das nicht.  Ich hatte mit ihr das übliche Warteschlangenpositionsgerangel. Ha! Gringo! Und auch noch Tourist. Paah! So ist das hier. Mir gefällt’s.

Son Pablo verkauft ein Busticket.

Don Pablo verkauft ein Busticket.

Auf dem langen Fußweg zum Bahnhof – wir müssen Bustickets nach Argentinien besorgen – durchlaufen wir die ganze Bandbreite des hiesigen Bevölkerungsgemisches: Guaranà­s aus dem Pantanal, die Indios aus den Bergen. Afro-Bolivianer aus den Amazonasniederungen, die Sklaverei lässt grüßen. Hochhackige, aufgetakelte Damen mit Boutiquengepäck. Alt-Caballeros schlürfen Kaffee und erhitzen sich über Politik. Und rund um unser Hotel eine  Mennonitenkonzentration. Die Frauen schauen teilweise offen befremdet auf meine kurzen Haare und die Bermudas in unbescheidener Knie-Länge. Die Männer schauen… irgendwie gar nicht. In schwarzen Latzhosen schreitet man wie in einer Blase durch’s allzu Weltliche, dabei sind die Mennoniten, die man hier trifft, schon halb säkularisiert und von viel zu viel Tand umgeben (nie habe ich so viele pfuschneue Latzhosen mit eitler Bügelfalte gesehen!), manche, man stelle sich vor, haben sogar des Teufels Sprache gelernt, das Spanische. Aber man kauft low tech in eigenen „Menno Deposito“s und schläft im Menno Alojamiento. Wir haben durch die Fenster gelinst. Es gibt… einen FERNSEHER! Wie mag es wohl in den Missionen draußen im Chaco zugehen? Immerhin geht die Besiedlung des bolivianischen Chaco durch Mennoniten auf die 50er Jahre zurück, als es in Paraguay einfach nicht mehr auszuhalten war: es wurden Straßen gebaut und die Dörfer mit Elektrizität versorgt. Nichts wie weg…

Wir holen uns jetzt eine weitere Portion Bolivia. Märkte, Churrasqueria, Säcke mit Kamille. Letzteres könnt ich brauchen, die Klimaanlage auf der Post in Intermares hat mir den Rest gegeben…  Bis dann! Bilder folgen!

Rentner unterwegs

Jacaré, 14.9.2016

Gestern gab es eine Lautäußerung zu diesem verwaisten Blog, also soll  wieder ein bisschen Unwesentliches mitgeteilt werden. Voilà .
„Voilà “ ist ein gutes Stichwort, wir üben fleißig unser Französisch in dieser Umgebung – die gesamte Marinabelegschaft „parliert“, und ein Großteil der Segler ebenfalls. Schweiz, Frankreich, Belgien, wobei „Belgien“ aber, wie üblich, auch noch fließend Englisch, Deutsch, Flämisch, Niederländisch spricht… bisschen peinlich, so eine Sprachfülle.  Wir arbeiten uns also an den sprichwörtlich fremdsprachenfaulen Franzosen ab, die müssen unser Radebrechen nun ertragen; und die meisten freut’s, faulheitshalber. Ansonsten habe ich mich für diesen gestückelten Brasilienaufenthalt mit mir darauf geeinigt, dass ich bis auf die absoluten Basics keine Portugiesischbemühungen starte, denn das Spanische ist ebenso tief vergraben, und das werden wir in den nächsten Wochen benötigen. Das zunehmende Alter verlangt einen sparsamen Umgang mit den schwindenden Geistesgaben…  ja, ja – kann man für kontraproduktiv halten, aber das stete, vielfältige Bemühen ist so anstrengend! Und unser Bemühen gilt hauptsächlich den immer schwieriger werdenden Computerinhalten. Ich fürchte, Windows10 wird unsere letzte Betriebssytemversion werden, die wir noch selbständig bewältigen; ich habe noch nie so viel Googeln oder nachschlagen müssen, und jetzt kommt auch noch diese Android-Smartphonerei obendrauf: die beiden Systeme wollen miteinander spielen, wo ich nicht mitspielen will und sollen es manchmal, aber dann kann ich sie nicht dazu bringen (jaul! Gestern war so ein Tag mit allzu kryptischen Installationsanleitungen für eine Bank-App.  Dat duurt…)

Der kurze Deutschlandaufenthalt war genau das: kurz. Die Neuschülerin Eske haben wir verpasst, dafür den alten Onkel im Spreewald bewundert, dessen Geistesgaben, siehe oben, nicht wirklich einen 94jährigen vermuten lassen. Die Schwester wurde 70, hapuu. Schöne Gärten gab’s dort zu sehen und eine witzige Geburtstagsgesellschaft. Viel Museum in Berlin und umzu, schöne Stunden mit Bruder und Schwägerin, Schwatzen mit alten Nachbarn und Kollegen – und dann war es auch schon vorbei. Nachdem wir bei Ankunft in Frankfurt schon leichte Zweifel hatten, ob wir wirklich mal Vielflieger waren und Frankfurt unsere Drehscheibe – erstaunlich wie sehr man da mittlerweile auf der Suche nach dem Autovermieter herumirren kann! – waren wir für den Rückflug schon am Vorabend nach FRA gereist, zwecks Stressvermeidung. Schöne Unterkunft: Hotel Goethe, in einem Industriegebiet nahe der Messe und eindeutig von „buntem Deutschland“ gemanagt. Nett und günstig – und rein gesellschaftspolitisch lehrreich für Andersdenkende. Aber die frühe Anreise half auch nicht viel – den Autovermieter haben wir auch bei der Fahrzeugrückgabe erst im zweiten Versuch gefunden. Rentner unterwegs? Möglicherweise. Wir verpassen eine Gateänderung. Die gnädige Frau steht in einer langen Schlange von Toilettenbesuchsanwärterinnen, treu-deutsch-doof. 8 Frauen, 6 Kabinen. Es dauert, bis die angehende Rentnerin merkt, dass 5 von diesen Türen einfach nur ordentlich geschlossen, die Klos aber nicht besetzt sind. Also nee – meine Merkbefreiuung nimmt drastische Züge an. Man sollte für die nächsten Reisen einen „Unattended Senior“-Service in Erwägung ziehen…
Allen Dusseligkeiten zum Trotz sind wir dennoch heil in Recife gelandet. CONDOR hat das prima gemacht, es gab keinen Grund zu weiterer Rentnerverwirrung. Eines allerdings ging zu Herzen: wie schon auf dem Hinweg war das Flugzeug voller Brasilianer, es liefen diverse brasilianische Slapsticks in der Kabine ab: vor allem das mitgeschleifte „Handgepäck“ zu verstauen, dessen Umfang in vielen Fällen als „gepäckträgerpflichtig“ einzustufen war,  sorgte für Kurzweil, der entstehende, lautstarke Streit eindeutig „brasileiro“.  Wunderbar. Und dann: die applaudieren  tatsächlich, wenn der Flieger aufsetzt. Ich nehme jedenfalls an, dass es nicht die paar deutschen Urlaubsgäste waren, die  beim Touchdown  in Recife sogar „Hallelujah“-Rufe laut werden ließen, Dabei hätten die Flüge nicht unspektakulärer sein können.
Bernardo holt uns ab, seines Zeichens Taxifahrer mit Neigung zu abruptem Bremsen und Beschleunigen sowie wilden Spurwechseln  – wir hatten dieses Verkehrsverhalten, das wir in den 80ern in Rio so bewundert hatten,  eigentlich schon ein bisschen vermisst, aber offensichtlich gibt es Relikte, und Bernardo gehört dazu. Er singt und pfeift, vor allem aber fuchtelt er zum Schimpfen anhaltend mit beiden Armen. Taxifahren mit Bernardo ist immer spannend!
In Jacaré schaukelt AKKA friedlich und ärgert sich nun wahrscheinlich über die Ruhestörung. Wir verbreiten auch wirklich Hektik – die Rentnerunruhe treibt uns sofort weiter. Wir packen. Unser lange gehegter Wunsch war, von Brasilien aus auch dieses Mal „das andere Südamerika“ anzuschauen. 2008 ging es mit Fähren den Amazonas hinauf, dann in die peruanischen Anden und nach Bolivien. Jetzt zieht es uns nach Süden, Chile, Argentinien. Da war doch was? Richtig! Kap Horn! Da unsere Crew, allen voran der ängstliche Hauptbär Magermännchen, ein eindeutiges „Veto!“ zu einer Seglreise nach Feuerland eingelegt haben, bleibt AKKA in Jacaré. Wir fliegen! Am Mittwoch zunächst mal nach Santa Cruz de la Sierra in Bolivien, von da mit Bus und Flug und allem was sich sonst so bewegt durch Chile. Salzwüsten! Berge! PATAGONIA!
Mal schauen, wie wir Wollsocken, dicke Schuhe und Mützen in den Rucksäcken unterbringen! Rentner unterwegs.

Deutschland, ganz kurz…

Isernhagen, 14.8.2016

Nein! Es gibt noch keine weiteren Bilder, aber ich habe die Sicherungsplatte für die Bilder dabei. Ich bin jetzt zu 10-fach-Sicherungen übergegangen. falls wir uns mal wieder in Windhoek beklauen lassen müssen.

Wir sind in Deutschland, ganz kurz entschlossen und für auch nur kurze Zeit. Berlin-Hamburg-Hannover-Bremerhaven (und umzu).

Deutschland ist…
– Konsumstress. Ich musste mich gestern nach einem Amok-Einkauf bei Realkauf vom Fahrer unseres Leihwagens abholen lassen, mein Rucksack ist zu klein.
– Einkaufsstress. Hatte ich schon immer, aber es ist nicht unbedingt besser geworden, denn die Fülle an Waren ist umwerfend. So musste ich gestern eine Dame um Hilfe bitten, als ich schwarze Pfefferkörner suchte, „ganz normale, nicht die für 10 ‚¬“.
Die Elektronikläden – unglaublich. Wann haben wir das zuletzt gesehen? Ansatzweise in Kuala Lumpur und Singapur, aber auch nur ansatzweise.
Klamotten. Schuhe… Schwindelerregend.
– Hosenbundstress. Schokolade. Käse. Wurst. Brot. Die erste Großattacke auf Heringstopf und Matjes ist schon geschlagen.
Zum Trost haben wir uns gestern zur Feier des Sonnendurchbruchs in den Garten der Kirchhorster Kaffestuben verholt – das hilft hosenbundmäßig nicht unbedingt: Stachelbeer-Flockentorte, Quark-Himbeer, Mohn-Quarktorte und wie sie alle heißen.
– Orientierungsstress. Nicht nur, dass das Weizenfeld an der Straßenbahnhaltestelle neu und ziemlich kunterbunt-deutsch bebaut ist und wir die Gegend kaum wiedererkennen. Nein, wir stehen dann doch öfter mal auf der falschen Fahrspur, egal ob mit Fahrrad oder dem Auto, und der Fahrer beliebt mit dem Wischer zu blinken und umgekehrt. Linksverkehrjunkies. Peinlich.
– Leutestress. Unsere Wohnungsnachbarn, die unentbehrlichen Werners. Olaf in seinem neuen „Lesenest“-Lokal in Altwarmbüchen, sehr erfreuliche Wiederbegegnung und nicht nur – siehe oben, Konsumstress – wegen der Fülle der angebotenen Bücher. Altnachbarn auf ihrem Abendspaziergang, Dorfklatsch austauschen und gemeinsame Architekturkritik üben. Oder ganz unverhoffte, nette Bekanntschaft mit Menschen schließen, die nach jahrzehntelangem Auslandsaufenthalt frisch in die alte Grasdachsiedlung zurückgekehrt sind, wo wir – Architekturneugierde! – mal wieder vorbeischauen wollten. Die Projektidee scheint aufgegangen – die 2. und 3. Generation der Bewohner reißt sich um die Häuser, immer noch. Nur an der Erbteilung.wird es hapern.
– Servicestress – ein Hoch auf das Bürgerbüro Isernhagen, die schon immer (immer!) besonders zugänglich, servicebereit und nett waren. Ich habe einen neuen Führerschein, übrigens auf 15 Jahre beschränkt. Und morgen lernen wir einen Installateur kennen, der – Servicewüste Deutschland! – im Urlaub eigens zu uns kommt, um unseren nicht tropfenden, sondern rinnenden Durchlauferhitzer zu betrachten/zu reparieren/zu ersetzen.

Ihr seht – abgesehen vom Wetter ist hier alles positiver Stress. Manche Leute freuen sich sogar, uns zu sehen. Fast nicht zu ertragen.

 

Alles wie immer…

Bauwasserreise 2007 bis 2016

Blauwasserreise 2007 bis 2016

Jacaré, 2.8.2016

So richtig viel hat sich hier nicht geändert, jedenfalls sagt mein Gedächtnis mir das. Will heißen: es hat sich auch nicht viel gebessert, die Schlaglöcher sind immer noch an den alten Stellen. Nur teurer ist das Leben geworden, die Wirtschaft stottert mächtig vor sich hin – was sicher nur peripher am olympischen Großereignis in Rio liegt. Wir hoffen sehr, dass das alles glatt geht – internationale Presse-Häme haben die Brasilianer jedenfalls nicht verdient. Es sind wirklich liebenswerte Leute.
Das Trinkwasser hole ich dieser Tage glücklicherweise aus dem Mercadinho an der Straßenecke, ein großer Vorteil gegenüber dem ersten Aufenthalt 2008, wo ich die dicken 20-l-Flaschen von der Tankstelle in Intermares herankarren musste. Im Dorf fehlen mir ein paar Gesichter, dafür gibt es neue. Der Zug ist noch der gleiche, die Busverbindung nach Intermares aber kostenpflichtig, was einerseits schade ist, abdererseits die Sicherheit auf der Verbindungsstraße erhöht, denn viele Dörfler sparen sich die 3 Reais und laufen zu Fuß.  Ein neuer Supermarkt hat aufgemacht! Und die alten sind noch in gleicher Funktion, und wenn man dann im Hiper Bompreco oder Carrefour aufschlägt, fragt man sich, ob man überhaupt fortgewesen ist – man merkt schon, dass wir damals recht lang hier waren.
Die Marina hat ein bisschen angebaut, und es lebt auch eine Frau auf dem Grundstück, die abends Bier und natürlich Caipirinha verkauft; das große Menu auf der Tafel kann sie allerdings nicht bedienen (dafür steht am Wochenende aber ein BBQ-Zelt gleich nebenan mit Hühnerspießen und gefährlichen Caipis… Für die Marinaküche lohnt sich der Betrieb zur Zeit auch nicht, denn angesichts der geänderten Aufenthaltsregeln in Brasilien sind die Pontons zwar voller Boote, aber die allermeisten sind unterwegs: nehmen ihre Lückenfüller-3-Monats-Auszeit, bis sie wieder herein dürfen oder strecken die genehmigten 90 Tage um einen kleinen Auslandsaufenthalt. Wir dachten erst, die Regeln seien komplizierter geworden, sind sie aber nicht. Man kriegt 90 Tage Aufenthaltsgenehmigung, die man auf 180 Tage verteilen kann, und nach 180 Tagen hat man wieder Anrecht auf neue 3 Monate. Einziger Unterschied zu früher ist, dass man seinen Aufenthalt nicht mehr verlängern kann. Das Schiff kann 2 Jahre verweilen – aber das wollen wir nicht…  Was wir allerdings wollen, wissen wir noch gar nicht so recht. Das Planungsstadium läuft. Für den Süden Südamerikas ist es noch ein bisschen kühl dort unten, also werden wir uns allerlei sinnvolle Arbeiten an der AKKA einfallen lassen, um die Zeit bis dahin zu füllen; es wird uns nicht schwer fallen. Vielleicht komme ich so ja auch mal dazu, in Ruhe nach Bildern zu forschen. Ein kleines Großreinemachen wäre auch wieder mal fein – wie der Eigner heute sagte: „… auch mal unter den Bodenbrettern…“  Diese Aussicht liebe ich sehr. Gefährlicher Nebeneffekt der dünnen Marinabesetzung allerdings: Internet ist auf dem Schiff erreichbar, da kann man dann den ganzen lieben langen Tag über Trump, Erdogan und Co. räsonnieren.
Unterm Strich: alles wie gehabt, alles ländlich-friedlich in Jacaré. Hier lässt es sich abhängen.

Wie Ihr übrigens oben seht, habe ich die AKKA-Blauwasserreisekarte vervollständigt, und nun gefällt mir auch, dass der Kreis sich sichtbar geschlossen hat… Nun sollte ich wirklich mal mit den Fotos… aber da lege ich erst mal das brasilianische Tempo vor. Das ist nämlich laaahm.
Kleines PS noch von „unterm Cockpitgräting“: kaum zu glauben, aber wahr – unser gecko ist wieder aufgetau(ch)t.  tschak-tschak-tschak-tschak-tschak!  Es scheint ausreichend Futter vorbei zu fliegen…