Standort: Cascais, Marina
Wir haben uns darauf verlegt, die portugiesische Hauptstadt in angenehmen Portionen zu genießen – mal ein Häppchen Schiffstechnik, mal ein Häppchen Kultur, zwischendurch einen Happen Alltagsleben.
Alltagsleben, das hat man ja schon, wenn man den Zug zwischen Cascais und der Stadt benutzt: Bürogänger, Schüler, Hausfrauen, Musikanten, Fischer. Am normalen Leben teilhaben, oder es zumindest beobachten können, das habe ich schon immer geliebt, und das lässt sich in der Bahn trefflich tun. Mittlerweile sind wir im Besitz einer 5-Tageskarte für den Suburbano: Sehr schlichte Streckenführung, nämlich geradeaus an der Küste entlang, ohne Verzweigung, nur an 3 Bahnhöfen gibt es Umsteigemöglichkeiten. Der einzige Unterschied zwischen den Zügen besteht in der Anzahl der Haltestellen. Es gibt nämlich die Sorte „todas“, die hält an allen Haltestellen, „SRAP“, das steht für semi-rapido, und dann noch „RAP“, rapido, das heißt Cascais/Estoril bis zum Cais do Sodre im Herzen der Stadt mit nur 3 oder 4 Stopps. Es fahren alle diese Züge hintereinander und überholen sich nicht, also alles ganz einfach. Oder auch nicht – es ist nämlich Taktik gefragt: Fahre ich mit RAP in Cascais los und will nach Belem, muss ich irgendwann in „todas“ umsteigen, sonst fahre ich möglicherweise am Ziel vorbei. Und manchmal, tricky, tricky, steigt man von einem Mittelgleis um, an dem sich die Türen an beiden Seiten öffnen – rechts geht’s stadteinwärts, links in die Gegenrichtung. Und so passiert es dann doch: die Verwirrung wird so groß, dass frau kurz hinter Oeiras auf das Haltestellenschema schielt und in Santo Amaro mit einem „…oh, Scheiße! Wir fahren in die falsche Richtung!“ aus dem Zug springt, der Eigner solidarischerweise hinterher. Leider war die Richtung goldrichtig und Santo Amaro eine der „todas“-Stationen.
So kommen wir in den seltenen Genuss, auf einem Vorortbahnhöflein auf der Bank in der Sonne zu sitzen, ein Eis zu schlecken und einen SRAP nach dem nächsten RAP in die richtige Richtung durchrauschen zu sehen. Aber irgendwann hielt dann ein Zug, und wir kamen auch genauso „irgendwann“ wohlbehalten in Belem an.
Tags drauf wieder: Alltagsleben. Tagelang hatten wir unseren TO-Stützpunktleiter telefonisch genervt, ob denn unser Postpaket angekommen sei. Nein, leider nicht, leider nicht, leider nicht… Am Mittwochabend eine SMS von Pedro Katzenstein: “ … Paket endlich angekommen!“ DHL hatte sich den kleinen Scherz erlaubt, den Eingang des Paketes in der Zentrale als „ausgeliefert“ zu verzeichnen. Da muss man erst mal drauf kommen. Also auf nach Lissabon! Nach einer ereignislosen Bahnfahrt – von Endstation zu Endstation kann einem nicht soo viel passieren 😉 – machen wir einen langen Gang durch „Lissabon zur Mittagszeit“. Vom Cais do Sodre, Flussfährhafen, Bahnhof und Metrostation in einem, zur Praca de Commercio, derzeit mit schönen Fotografien aus dem letzten Jahrhundert geschmückt. Die „deutsche Kolonie“ bei der Ankunft von Kaiser Wilhelm 1905 – kleine Jungs in Matrosenanzügen inklusive. Oder des Königs Pferd im Trauergewand… bis zur Nelkenrevolution und darüber hinaus. Sehenswert. Durch den Triumphbogen die Rua Augusta entlang, im Slalom durch’s Touristengewühle, mitten darin eine große Gruppe älterer Niederländer mit ihren Rennrädern – „Madrid-Lissabon 2007“. Kleine Verbeugung. Dann tiefer hinein in die Seitengassen, in denen der Lissabonner Büromensch seine Mittagspause verbringt, im Straßenlokal. Vom „Rossio“, eigentlich „Praca Dom Pedro“ aus die Avenida Liberdade hinauf – allerfeinste Allee, allerfeinste Adressen rechts und links, Cafés unter Platanen auf dem Mittelstreifen, moderne Gebäude, alte Gebäude, Entkernungsprojekte, bei denen nur noch die mit Azulejos, den berühmten portugiesischen Kacheln, besetzten Aussenwände stehen bleiben. Allein diese schwarz-weiß gepflasterten Gehwege sind eine Augen- und Fußweide. Am Marques Pombal, bei EdP, Energias de Portugal, sind wir am Ziel. Mal wieder äußerst zuvorkommende Portugiesen am Empfang und dann ein noch netterer Pedro Katzenstein mit unseren Paketen. Nochmals vielen Dank, Pedro, für den Service – aufbewahren, telefonieren, SMS schreiben, Paket jagen, wirklich keine Selbstverständlichkeit. Hilfsbereitschaft, das gilt sicher für alle diese ehrenamtlichen TO-Stützpunktleiter, aber wir hatten mit Pedro Katzenstein einen besonders geduldigen gefunden – es war eine riesige Hilfe, vom ersten Kontakt bis zur Abholung. Dass in der aufgelaufenen Post kein (null, in Zahlen: 0!) privates Schreiben war, mal abgesehen von Heiners Begleitbrief und zwei Gaben, die erst später Erwähnung finden werden, dafür konnte ja Pedro nix ;). Wie wird Daniel am Abend dazu sagen: Sie vermissen Euch eben nicht! Stimmt.
Mit den Paketen – das waren die gesammelte Post, die neue, externe WLAN-Antenne und ein Briefumschlag mit unserer neuen Crew, zwei Foomps 😉 (für Interessierte: www.foomp.nl!) – im Rucksack zuckeln wir wieder los, durchs warme, träge gestimmte Lissabon am Nachmittag. Wir krabbeln die steilen Gassen rauf und runter, schauen in kleine und kleinste Kramläden. Hier haben Tante Emma bzw. Onkel Joao noch Hochkultur. Obwohl uns die Orientierung zum Schluss, im Wegelabyrinth der Alfama doch etwas schwer fiel, landeten wir wieder am „Rossio“.
Ist das, was folgte, Kultur? Alltagsleben? In jedem Fall ist es Kult – die Fahrt mit der Straßenbahn No. 28 durch die Alfama. Die Portugiesen, die dieses Verkehrsmittel täglich für den Einkauf, für die Fahrt zur Arbeit oder den Besuch bei den Enkeln benutzen, werden sicher froh sein, wenn demnächst die Welle der Touristen etwas abebbt und sie mal in Ruhe und vielleicht sogar im Sitzen fahren können. Es hatte etwas Schrilles: ausnahmslos jeder, der am Fenster sitzt – mich eingeschlossen – hängt den Kopf raus, um ihn an den engen Stellen fix wieder einzuziehen. Jeder, der die Möglichkeit hat, hält seine Kamera raus… Aber diese Gefährte sind einfach sensationell, wie sie durch dichteste Wohnbebauung kreisen, die Straßen so steil wie die Kurven eng. Und die Autofahrer, die hier parken, wissen genau, was sie tun. Zentimetergenau.
Am Largo Sta. Lucia springen wir raus, bewundern den Ausblick auf Tejo und die riesige Igreja Graca, auf die Alfamadächer unter uns, ich freue mich über einen Capverdischen Sänger, der Lieder von Cesaria Evora singt. Und über das Wasser und die Kaffees, die wir schlürfen, während wir die Pakete plündern, scheel von einer Gruppe Österreicher beobachtet. Wie der Zufall es will, liegt der Aussichtspunkt unter dem Castelo Sao Jorge, das Andreas mir unbedingt zeigen wollte, also erklimmen wir diese Höhe auch noch. Und es ist wirklich beeindruckend – mag ja sein, dass es langsam langweilig wird, aber die mittelalterlichen Bauten haben es mir angetan. Noch dazu spielt im Innenhof ein Gitarrist ein merkwürdiges Potpourri aus Portugiesischem und Barockem, aber die Musik füllt die alten Gemäuer mit der richtigen Stimmung, mit Leben, und so wird nicht mal von den Besuchern gequakt. Man kann rund um die Zinnen laufen, ganz weit blicken, über den Tejo nach Süden, auf das Häusergewirr unter uns, die großen Plätze, hinaus auf den Atlantik.
Irgendwo dahinten liegt Madeira. Und da vorn um die Ecke die AKKA. Rückzug. Fußlahm nehmen wir nochmals die 28 hinunter in die Stadt, erwischen gerade so eben – die neueste Ausgabe der ZEIT in der Hand! – den Rapido nach Cascais und plumpsen erledigt auf die Cockpitkissen. Das waren ein paar ganz schöne Happen heute. Ein bisschen „Schiff“, dazu viel Alltagsleben und Kultur. Lissabon. Mehr davon…