Anna ist da!

Rodrigues. Am Kai

Rodrigues. Am Kai

Port Mathurin, 26.10.2015

Ein aufwühlender Morgen. 05:30 aus’m Bett, um 06:00 wollen wir los:  Anna kommt, nein, sie ist schon da. Der Versorger aus Mauritius legte sich gestern vor die Insel und machte sich einen netten Sonntagnachmittag. Und weil Anna kommt, mussten wir am Freitag schon einmal kurz den Kai von Port Mathurin verlassen, denn es wurde ein Großreinemachen veranstaltet. Man verlegt sich dazu 100 m weiter in die von Riffen umgebene Hafenbucht – nur eben nicht, wenn Anna hier herein will, dann müssen alle Yachten das Hafengebiet verlassen, Anna braucht Platz zum Drehen. Draußen vor dem ersten Tonnenpaar schmeißen wir kurzfristig den Anker in den Sand – man ist da ja in Riffgebieten immer etwas zögerlich, aber es ist wirklich Sand, auch wenn die Seekarten allerlei anderes verzeichnen. Der Käpt’n von Anna wütet auf dem Funk – erst kann er den Lotsen nicht erreichen, ziemlich „rodriguais“, der laxe Umgang mit dem Funkverkehr, dann schmipft er, dass er schon „anchor aweigh“ um 7 war, was der Lotse wieder nicht versteht…. Wir lauschen dem kleinen Hörspiel und schauen wir uns derweil diese Insel beim Frühstückskaffee mal im Morgenlicht an. Die Busse mit den selbstgedengelten Aluaufbauten zickzacken die Serpentinen ins Städtchen hinunter, zartes Motorradknätern, etwas Hundegebell. Wenig Aufregendes, und das genau macht den Zauber von Rodrigues aus.
Schon am ersten Morgen geht mir das auf: es hieß, der Bäcker habe nur bis 7 Uhr Croissants, und nach der langen Passage waren Croissants gerade recht. Man verlässt das Hafengelände und wandert die frühmorgendlichen Straßen entlang, es ist so um die 6 Uhr. Blaumänner (in Grau) sammeln sich vor einem Lagerhaus und schwatzen. Eine Straßenfegerin, schwarz und sehr rund, fegt den stolpersteinigen Gehsteig. Beim Bäcker trödeln eine paar Kunden vorbei und legen Brot in ihre – stets mitgebrachten – Taschen; Plastiktüten sind hier verboten! Außer Baguette, besagten Croissants (eine, wie sich herausstellt, Massivversion) gibt es noch ein paar Küchlein und frische Eier und Bananen. Die Baulichkeit – eine dunkle Backstube mit eindeutigem Malerbedarf – erinnert mich an den Bäcker in Nuku’alofa. Oder den in English Harbour, anno dazumal. Bescheiden, könnte man sagen. Brot kostet so gut wie nichts – is‘ ja auch nicht viel dran, an so einem Baguette.
Der erste Montag bringt ein paar behördliche Besorgungsgänge: wegen Ankunft am Sonntag ist beim Zoll zusätzlich zur Bearbeitungs- eine Overtimegebühr zu entrichten, die Gesundheitsbehörde möchte auch Geld. Gelegenheit durch den Ort zu streifen, der mir immer karibischer erscheint: die kreolische Bevölkerung, die kleinen Holzhäuser, die französisch durchmischte Sprache – nur alles nicht so lauthals wie dort. Der Zöllner – wie viele andere Leute später auch – fragt, wie die ersten Eindrücke seien. Ich lache: „… gestern, am Sonntagabend, war ja der Hund begraben…“  Das, lacht  er zurück, ist hier jeden Tag so, wart’s nur ab, um 16 Uhr legt sich Rodrigues schlafen. Stimmt! Dann machen nur noch die unwirschen Vögel auf der Suche nach einem Schlafplatz Lärm. Nicht mal die Flughunde streiten sich hier…

Auch der Markt ist bescheiden, wochentags – nur am Samstag ist der Bär los. Früchte sich fast ausschließlich Importfrüchte, „banana are difficult to come by“ steht irgendwo, drum ist das Angebot beim Bäcker auch so beliebt. Die eine oder andere hiesige Papaya findet sich, und sehr gute, unreife Mangos für den Salat. Alles besser als nix und eigentlich doch eine ganze Menge, Tomaten, Gurken, Rote Bete, Kürbis, grüner Salat, was begehrt das Herz mehr nach so einer Passage. Fisch ist nicht zu bekommen, sagt auch Sue von der Yindee Plus. Merkwürdig. Dafür hört man die Hühner bei der Hühnerfrau quasi noch gackern – und obendrauf gibt es die üblichen witzigen Verkaufsgespräche, die überall ähnlich sind.

Refugium für Riesenschildkröten

Refugium für Riesenschildkröten

Am Mittwoch ist Ausflugstag. Busfahrt mit einem der schönen lokalen Busse Richtung Airport, danach 50 Minuten Fußmarsch Richtung „Franà§ois Leguat“. Das ist da, wo die Schildkröten wohnen.  Einsam ist diese Asphaltstraße am Westende der Insel. Wir bespaßen ein paar Rinder und Ziegen am Straßenrand, die um ein paar einsame Gehöfte herum grasen oder ziegengemäß auf irgendwelchen Buckeln lagern. Eine karge, steinige

Ein sehr beliebter Herr!

Ein sehr beliebter Herr!

Hügellandschaft, die zum Meer abfällt und den Blick auf die grüne Lagune mit ein paar Lateinersegelbooten freigibt. Dann biegt der Pfad durch den Karst zur Schildkrötenstation ab. Schwein gehabt, besser: Schildkröte gehabt! Wir rutschen in eine etwas verspätet startende Führung, ein bisschen viele Leute vielleicht, überwiegend Mauritiusurlauber, die einen Ausflug nach Rodrigues gebucht haben, doch gut so, denn unseren Freunde von der Uhambo, die sich etwas in der Anmarschroute vertun (sie brauchen 2 1/2 Stunden statt 50 Minuten), wird der Zutritt zu den Schildkröten ohne Führer versagt.  Aber wir haben unseren Spaß. Warum auch immer der Eigner beteuert, er wolle keiner Schildkröte den faltigen Hals kraulen, er tut es trotzdem (das macht Hoffnung!), auch lässt er sich von achtern heimtückisch ins Bein zwicken. Ich finde Schildkröten traditionsgemäß faszinierend, entspannt, wundervoll langsam und stressbefreit, und diese sind dank täglichen Besuches auch noch wirklich zutraulich. Bis auf die eine, aber die wollte wohl nur spielen…  Gewiss, die Schildkröten, wenn sie denn nicht noch als Jungtiere oben in der Aufzuchtstation leben, fristen ihr Dasein in einem tiefen Canyon, dem sie rein topografisch kaum entkommen können, aber es ist dennoch ein relativ freies Leben.  Und es sind leider keine Rodrigues-Riesenschidlkröten mehr, sondern ein paar Hundert Strahlen- und Aldabra-Riesenschildkröten, die man vor etwa 10 Jahren hier wieder eingeführt hat – sie sind übrigens mit 1200 kg deutlich kleiner als die wahrhaft riesigen Seychellenschildkröten. Die Nachzucht ist recht erfolgreich, aber zur Zeit sind es doch eher niedliche Krabbeltiere. Die richtigen Brocken haben dagegen schon den zweiten Weltkrieg gesehen und mehr – Patriarch Henri ist so um die 90!

Tach! Bitte streicheln. Unverzüglich!

Tach! Bitte streicheln. Unverzüglich!

Die ursprüngliche Riesenschildkrötenfauna wurde schon sehr frühzeitig ausgerottet, 1795 soll das letzte Exemplar gesichtet worden sein – zu gut eigneten sich die Schildkröten als Schiffsproviant, leicht zu fangen und leicht zu halten, fraßen sie doch ausdauernd nichts, die geduldigen Viecher. Zwischen 1735 und ca. 1775 sollen hier auf Rodrigues bis zu 280.000 Tiere gefangen, verkauft bzw. getötet worden sein, außer wegen des Schildpatt und des Fleisches auch noch beliebt für Ölgewinnung. Gruselig, und gleich noch ein eklatantes Beispiel dafür, wie auf einer kleinen Insel wie dieser ein solcher menschlicher Eingriff die Gesamtökologie ändert, angefangen vom Unterwuchs in den Wäldern bis zur übrigens Fauna. Nicht nur dass auch eine Rallenart gleich mit ausstarb – die ernährte sich von den Schildkröteneiern und wurde davon so fett, dass sie nicht weglaufen konnte; toll für die Schildkrötenfänger, Beifang nennt man das heute. Allerdings waren die Rallen auch derartig auf diese Diät getrimmt, dass mit dem Aussterben der Schildkröten ohnehin keine Lebensgrundlage für die Vögel übrig war. Traurig. Ebenso traurig wie das Aussterben des flugunfähigen Solitär-Vogels, eines Verwandten des berühmten Dodo. Flugunfähige, wahrscheinlich auch neugierig-freundliche Riesentolpatsche haben ja selten die Begegnung mit dem Menschen überlebt, siehe Neuseeland, die Maori und der Moa. Es gab im 18. Jahrhundert ein wachsendes Interesse an Aufzeichnungen über die Natur, so auch hier. Auf Rodrigues trieb dies allerdings eine seltsame Blüte: ein Priester hat alles minutiös notiert, unter besonderer Berücksichtigung des kulinarischen Wertes der Viecher, und er hat sich lautstark beschwert, dass der Bestand an Papageien so stark zurück ging, auch an Tauben. Tja, lieber Abbé Pingré – man muss seine Forschungsobjekte auch nicht gnadenlos auffressen!
Unserem Chief Insect Control Officer und Bordgecko – ja! er lebt noch! – mussten wir die traurige Nachricht überbringen, dass sein entfernter Verwandter, der Rodrigues-Riesennachtgecko, die Massaker des 18.Jahrhunderts auch nicht überlebt hat.
Vom Solitär fanden wir dennoch eine Spur: in einem zweiten Teil der Führung geht es in eine schöne Tropfsteinhöhle, wo man vor nicht allzu langer Zeit ein Solitärskelett gefunden und ausgegraben hat. Die Kuhle war noch zu sehen, wer das Skelett betrachten will, fahre allerdings ins British Museum nach London (oder ergötze sich an einer Nachbildung im niedlichen 2-Raum-Museum des Centre Franà§ois Leguat).
Alles in allem: lohnend!  Und zum Abschluss wieder „Rodrigues Lifestyle“. Der letzte Bus vom Airport fährt um 16:30, das ist hart an der Grenze des Tragbaren für den feierabendgesonnenen Rodriguais. Wir sitzen mit Büroheimkehrern und anderen, genießen dank der jugendlichen Besatzung (Fahrer und Schaffner) Reggae und kehren zum Sonnenuntergang ins abendliche Port Mathurin zurück; die Bürgersteige hat man schon hochgeklappt…

Längst sind wir zurück am Ankerplatz im Hafenbecken. Bei ANNA wird abgeladen, oder auch nicht. Das Leben nimmt seinen beschaulichen Gang – aber gleich werden wir einmal mehr eine Hardwareshopexkursion starten, hier gibt es nämlich (fast) alles was das Herz begehrt.
Auf geht’s – es ist gleich Mittag, da bleibt nicht viel Zeit bis zum Geschäftsschluss…

Schreibe einen Kommentar