Wie an der Oertze

Wildes Wasser

Wildes Wasser. Devils Cataract – hier schneidet sich der Zambezi neu ein.

 

Livingstone / Zambia, 4.3.2016

Der eine oder andere mag sich wundern, in welcher Eile wir Zimbabwe hinter uns gelassen haben, aber weit ist es nicht weg. Im Moment sind wir noch in Livingstone, und Vic Falls un Livingstone bilden das Touristenzentrum am Ende des Caprivizipfels: Namibia, Botswana, Zim und Zam stoßen hier zusammen.

NRZ. Oder auch "Rhodesian Railways"

NRZ. Oder auch „Rhodesian Railways“

Nach Vic Falls hatten wir eine erinnerungswürdige Bahnfahrt. Wir hatten dem Internet schon entnommen, dass es auf dem Zug keinerlei Versorgung gibt, auch kein Wasser, also war sonntagnachmittägliches Einkaufen angesagt. Wir sind übrigens gespannt, wie weit die südafrikanischen Handelsketten ihre Tentakeln strecken: in Bulawayo jedenfalls ging’s zum Pick’nPay für’s Pick’nIck. Äpfel, Scheiblettenkäse, Bierwürstchen, Wasserkanister – was man halt bewältigen kann, wenn man außer einem „Spork“ nichts mitführt. Um 16 Uhr macht der Kartenschalter auf, wir bekommen ein first-class-Abteil! „… ohne Bettzeug!“,  keine Decken oder gar Laken. Darüber hatte es unterschiedliche Aussagen gegeben. Die Schipperin eilt zurück zum P+P und kehrt mit vergleichsweise teuren Bettüberwürfen zurück, kuscheliges, weinrotes Acrylzeugs, auf Florales als Rucksackschmuck mochte ich nicht zurückgreifen. Schöner Gang durch das langsam dämmrig werdende Städtchen, zwischen „trostlos“ und “ doch interessant“ anzusiedeln. Mittlerweile sammelt sich am Bahnsteig eine bunte Schar Reisender: zum wiederholten Mal enttäuschen wir Fußballfans mit null Ahnung zum Thema, oder erfreuen sie mit meinem „World Championship? I wasn‘ t there, I didn’t care!“ Applaus für den Reim. Überhaupt scheint unsere Anwesenheit allgemein für Heiterkeit zu sorgen. Nonnen auf dem Weg zur Missionsstation, schwerst bepackte ältere Damen, aus den obligatorischen Tragetüchern auf dem Rücken (sehr) junger Mütter schauen großäugige Babys auf die weißen Monster. Ein paar schick hergerichtete Bürotanten, eher bäuerlich ausschauende Männer mit großen Säcken… Maismehl? Ob das hier kostengünstiger ist? Autoersatzteile erspähen wir, Motorölkanister.  Alles was des Urwäldlers Herz begehrt. Oder auch nicht begehrt, auf einer der Bänken, die man zu einem kommunikationsfördernden Haufen zusammengeschoben hat, liegt ein in Hoodie und Decken gewickelter Mann. Schaut nicht so extrem gesund aus…Gegen 19:30, fast pünktlich, ist der Service am Zug beendet, wir ziehen in langer Karawane zum Gleis 5; Bulawayo hat einen riesigen kolonialen Bahnhof, dessen Gleise aber eher von Waggonleichen besetzt sind. Einsteigen! Im Abteil 1119 C wird sofort klar, dass sich der Service nicht auf Äußerlichkeiten bezogen haben kann, sondern mehr darauf, etwas angejahrte Technik am Laufen zu halten. Die Bahngesellschaft heißt NRZ,  National Railways of Zimbabwe, und hier und da sieht man dieses Logo. Der Rest – Waschbecken, Spiegel (ja, gibt’s!), Fensterglas sind anders geätzt: RR!  Rhodesian Railways… Das nennt wohl man lebendige Geschichte. Der Zug ruckelt los, wir halten unser Picknick ab. Andreas checkt kurz, ob der Restaurantwagen vielleicht ein Bier… Doch, gibt es, so einen Waggon. Heißt Dining Car und ist mit Brettern vernagelt. Wir breiten unsere mitgebrachten Sarong/Pareos als Betttuch aus (klebt gut auf dem Kunstleder!), improvisieren ein Kopfkissen und hüllen uns in Acryl. Gute Nacht. Für die 450 km sind 14 Stunden veranschlagt, das verspricht in jedem Fall eine bessere Nacht zu werden als die letzte an der Grenze, und wir schlafen in der Tat gut. In der Früh stelle ich fest, dass ich die (wasserfreie)  Toilette liebe, denn im Gegensatz zu anderen Zugtoiletten ist diese altenglische Brillenkonstruktion mit einer Feder betrieben und wird so aufgeklappt gehalten… was bedeutet, dass Stehpinkler nicht auf die Brille pieseln können. Dicker Pluspunkt für Rhodesian Railways! Ich verspreche unserem netten Abteil dann auch, beim nächsten Besuch mit  Ata, Bürste ( und natürlich Waschwasser) und ein bisschen Autosol anzurücken, um die Antiquitäten zu pflegen. Der Schaffner ist ebenfalls ein netter. Am Vormittag, der Zug hat auf freier Strecke gehalten, steckt er den Kopf zu uns herein: „… sorry, they have cut off the engine…“ Na, das kann dann wohl dauern: unsere Lok dient gerade mal als Abschlepp- oder Schubsmaschine für einen Zug, der vor uns den Geist aufgegeben hat; aber der Ort des Zusammenbruchs war so gut gewählt, dass nicht allzu weit entfernt ein Nebengleis verfügbar war. Was sind schon 1 1/2 Stunden. In Südafrika waren es 6 und mehr. Wir schwatzen mit den Zim-Frauen, die mit dicken Taschen rüber nach Zambia machen, um dort „things“ zu verkaufen, und mit dem Fischer, der die Regenfälle der letzten Tage an einem wilden Nebenfluss des Zambezi zum Fischfang nutzt, um umgekehrt „frischen Fisch“ nach Bulawayo zu schaffen. Relativ frisch, würde ich angesichts der Zugverbindung sagen, aber alles erster Klasse. Der Schaffner kommt mit einer Schüssel Okras vorbei: „… my lunch!“ Ob er vielleicht doch im Speisewagen kocht? Nur wenige Giraffensichtungen später sind wir da: Victoria Falls. Ein Zimbabwesches Touristenmekka, und nach einem kurzen Fußmarsch in den Ort – nein, vielen Dank, keine geschnitzten Big Five, keine 20 Milliarden Sim-Dollarnoten – lassen wir uns auf den Stühlen des Shearwater Café nieder und werden unserem Status als Tourist gerecht: „2 CaffਠLatte, please!“. Da sag‘ noch einer, dass Tourismus schlecht sei…

Am Nachmittag wagen wir einen ersten Spaziergang in Richtung der Fälle, allerdings – nein danke, keine Milliarden Sim $-Scheine, siehe oben – gehen wir gleich noch einmal Kaffee trinken und schauen vom Gorge Café aus in die Schlucht, in der 100 m unter uns der Zambezi gurgelt, und über die sich ein technisches Wunderwerk des frühen 20. Jahrhunderts spannt, nämlich die Eisenbahnbrücke von 1905, von der man heutzutage Bungeesprünge absolviert. Man kann über und in dieser Schlucht noch allerlei anderen Unfug treiben, Ziplining oder den Flying Fox, eine andere Variante, sich an hängenden Drahtseilen über die Schlucht zu schwingen.  Tief unten lustiges Rafting, oben drüber knattern die Hubschrauber. Dennoch: der Blick hinunter ist gewaltig, und was sich in unserem Rücken abspielt, ist nicht schwer zu erraten, denn es rauscht und donnert unablässig.

Dr. Livingstone, stepping out of the jungle gloom...

Dr. Livingstone, stepping out of the jungle gloom…

Das gucken wir am nächsten Tag an. Fußmarsch. Nein danke, keine geschnitzten Big Five… Der Ranger am Eingang zum Natinalpark, mit dem wir schon am Vortag geschwatzt hatten, lässt uns ein, erklärt die Aussichtspunkte und schickt uns auf den Pfad. Erst einmal: Livingstone-Denkmal. Ich natürlich mit meinem Moody Blues- Ohrwurm im Kopfe: Dr. Livingstone, I presume? Stepping out of the jungle gloom… Dabei war das gar nicht hier, nein, hier hat Dr. Livingstone einfach nur diese Wasserfälle erstmalig erblickt. Und er muss sie von Weitem gehört und große Dampfwolken und Regenbögen gesehen haben. Entdeckt hat er sie nicht, denn die hießen schon lange auf Shona musi oa tunya, rauchendes und donnerndes Wasser. Umbenannt hat er sie… Man fängt beim Devils Cataract im Westen an, gleich hinter David, und hier bilden sich demnächst die neuen Fälle. In ca. 10.000 Jahren. Die Schlucht, in die wir gestern geschaut haben, ist, was von den letzten Fällen übrig blieb, und insgesamt sind es 5 Schluchten, die einmal Ort der Wasserfälle waren bzw. sind. Ganz schön alt, und ganz schön… boah. Wir staunen wirklich. Während wir die 16 Aussichtspunkte abschreiten, werden wir nass bis auf die Knochen, allein vom aufsteigenden Sprühnebel und dem Niederschlag, der als heftige Regenschauer auf uns niedergeht. Alles trieft, trotz Regenjacke. Und alles quatscht, bei jedem Schritt, denn die Schuhe sind einfach vollgelaufen. Wir ziehen uns zum Trocknen der Sachen ins Hotel zurück. Und das war Zimbabwe.

Bungeeee!

Bungeeee!

Nach einem Entspannungsschwimmen und geruhsamer Nacht packen wir die Rucksäcke und laufen zu Fuß über die Eisenbahnbrücke, schauen einem Bungeespringer zu (schön blöd, dieses Vergnügen), und lassen uns nach Livingstone kutschieren. Es wird zunehmend afrikanisch, ganz normales Leben, wenige Touristen, wir wohnen abseits der Hauptstraße, unser Bed +Breakfast liegt in einem normalen, afrikanischem Gehöft auf rotem Sand, so wie man es sich vorstellt. Alles ein bisschen bescheidener – bescheidener als Südafrika sowieso, aber bescheidener auch als drüben in Vic Falls. Trotzdem gibt es eine schönen Kaffee im Munila Café, es gibt ein toll gemachtes, wenn auch altes Livingstone-Museum mit lokaler Natur-und Kulturgeschichte und einer interessanten Ausstellung zu David Livingstone selbst.

Klarer Fall von: wie an der Örtze

Klarer Fall von: wie an der Örtze

Und dann sind da die Fälle, die wir heute dann noch von der Zambia-Seite betrachten mussten – fast hätten wir es wegen „kennen wir doch schon“ unterlassen. Erst einmal ganz tief hinunter zum Boiling Pot klettern, der Stelle, wo diese unvorstellbaren Wassermassen sich durch ein enges Tor drängen, und dann wieder hinauf steigen, mit Blick auf den Eastern und den Armchair Cataract. Fast noch schöner, noch beeindruckender als von der Zimbabweseite. Immer wieder frage ich mich, was David Livingstone sich so gedacht haben mag… Wir lassen den Besuch oberhalb der Fälle ausklingen, trocknen die abermals nassen Klamotten am Rande des vor sich hin rauschenden Zambezi. Ganz friedlich fließt das alles dahin, der Eigner sagt: wie an der Örtze. Naja, bisschen mehr Wasser führt der Zambezi schon. Fließt, fließt schneller und  stürzt dann donnernd zu Tal.

Unsere Reise fließt auch weiter. Morgen fährt der Bus nach Lusaka.

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