Latzhose mit Bügelfalten

Santa Cruz de la Sierra. Neuehrwürdige Kathedrale von 1906

Santa Cruz de la Sierra. Neuehrwürdige Kathedrale von 1906

24.9.2016.  Santa Cruz de la Sierra, Bolivien

Mal wieder Schwein gehabt. Der Taxifahrer am Flughafen in Santa Cruz hatte keinen Schimmer, wo das von uns gewünschte Ziel, Hotel 360° liegen könnte. Wie meistens in letzter Zeit hatten wir über booking.com gebucht und Adresse und Anreiseplan irgendwo in den Beitaschen unseres Gepäcks vergraben.

Unsere Aussicht. Die 360 Grad gibt es nur vom Dach

Unsere Aussicht. Die 360 Grad gibt es nur vom Dach

Es ergab sich auch gleich die erste Sprachverwirrung – mal abgesehen davon, dass das automatisierte „obrigada“ auch noch nicht verschwunden ist! – der Taxifahrer regelte meine 360 Grad auf „trenta y seis“ herunter. Nein, nein, nicht Außentemperatur. 360°! Rundumblick! Mit Funkhilfe und Graben nach dem  Adresszettel ging’s dann. Calle Avaroa. Neu, simpel, sauber. Esteban, ein des Englischen mächtiger junger Besitzer. Nett. Die Lage am „beware of pickpockets“ Marktviertel Los Pozos garantiert: die volle Dröhnung Bolivien fängt gleich vor der Tür an. Schwein gehabt, gut ausgesucht, Herr Haensch.

Santa Cruz ist gewachsen, eindeutig. Graffitti, die 2008 noch nach dem Tod des indigenen Präsidenten riefen, fehlen oder sind übermalt, unterm Strich geht es nämlich Bolivien so gut wie nie zuvor. Was nicht heißt, dass vielen Betroffenen die Entwicklung – Schulbildung, Armutsbekämpfung, Verbesserung der Arbeitsbedingungen – schnell genug ginge, und unruhig ist es hier daher nach wie vor. Ebenso nach wie vor sieht man Evo mit Blumen gekränzt  und fröhlich winkend auf den Bildschirmen. Recht so, er hat schließlich die Vision. Und die Zweidrittelmehrheit. Ich bin gespannt, ob es da eine 4. Amtszeit geben wird. Auch in Sachen Analphabetismus geht es voran. Der Typ Dame, wie sie  im Flugzeug von Sao Paulo neben uns saß, ist wohl dem Untergang geweiht: weite Röcke, schwarze Zöpfe, Strohhut, jedoch kein typischer Bowler, und ein buntes Bündel Handgepäck. Hochanden unterwegs Als die Einreisepapiere verteilt werden, muss sie die Nachbarin um Assistenz bitten – Lesen und Schreiben ist an ihr vorübergegangen, aber das ist dem Selbstbewusstsein keineswegs abträglich, eine „Andenmütterchen“ ist das nicht.  Ich hatte mit ihr das übliche Warteschlangenpositionsgerangel. Ha! Gringo! Und auch noch Tourist. Paah! So ist das hier. Mir gefällt’s.

Son Pablo verkauft ein Busticket.

Don Pablo verkauft ein Busticket.

Auf dem langen Fußweg zum Bahnhof – wir müssen Bustickets nach Argentinien besorgen – durchlaufen wir die ganze Bandbreite des hiesigen Bevölkerungsgemisches: Guaranà­s aus dem Pantanal, die Indios aus den Bergen. Afro-Bolivianer aus den Amazonasniederungen, die Sklaverei lässt grüßen. Hochhackige, aufgetakelte Damen mit Boutiquengepäck. Alt-Caballeros schlürfen Kaffee und erhitzen sich über Politik. Und rund um unser Hotel eine  Mennonitenkonzentration. Die Frauen schauen teilweise offen befremdet auf meine kurzen Haare und die Bermudas in unbescheidener Knie-Länge. Die Männer schauen… irgendwie gar nicht. In schwarzen Latzhosen schreitet man wie in einer Blase durch’s allzu Weltliche, dabei sind die Mennoniten, die man hier trifft, schon halb säkularisiert und von viel zu viel Tand umgeben (nie habe ich so viele pfuschneue Latzhosen mit eitler Bügelfalte gesehen!), manche, man stelle sich vor, haben sogar des Teufels Sprache gelernt, das Spanische. Aber man kauft low tech in eigenen „Menno Deposito“s und schläft im Menno Alojamiento. Wir haben durch die Fenster gelinst. Es gibt… einen FERNSEHER! Wie mag es wohl in den Missionen draußen im Chaco zugehen? Immerhin geht die Besiedlung des bolivianischen Chaco durch Mennoniten auf die 50er Jahre zurück, als es in Paraguay einfach nicht mehr auszuhalten war: es wurden Straßen gebaut und die Dörfer mit Elektrizität versorgt. Nichts wie weg…

Wir holen uns jetzt eine weitere Portion Bolivia. Märkte, Churrasqueria, Säcke mit Kamille. Letzteres könnt ich brauchen, die Klimaanlage auf der Post in Intermares hat mir den Rest gegeben…  Bis dann! Bilder folgen!

Rentner unterwegs

Jacaré, 14.9.2016

Gestern gab es eine Lautäußerung zu diesem verwaisten Blog, also soll  wieder ein bisschen Unwesentliches mitgeteilt werden. Voilà .
„Voilà “ ist ein gutes Stichwort, wir üben fleißig unser Französisch in dieser Umgebung – die gesamte Marinabelegschaft „parliert“, und ein Großteil der Segler ebenfalls. Schweiz, Frankreich, Belgien, wobei „Belgien“ aber, wie üblich, auch noch fließend Englisch, Deutsch, Flämisch, Niederländisch spricht… bisschen peinlich, so eine Sprachfülle.  Wir arbeiten uns also an den sprichwörtlich fremdsprachenfaulen Franzosen ab, die müssen unser Radebrechen nun ertragen; und die meisten freut’s, faulheitshalber. Ansonsten habe ich mich für diesen gestückelten Brasilienaufenthalt mit mir darauf geeinigt, dass ich bis auf die absoluten Basics keine Portugiesischbemühungen starte, denn das Spanische ist ebenso tief vergraben, und das werden wir in den nächsten Wochen benötigen. Das zunehmende Alter verlangt einen sparsamen Umgang mit den schwindenden Geistesgaben…  ja, ja – kann man für kontraproduktiv halten, aber das stete, vielfältige Bemühen ist so anstrengend! Und unser Bemühen gilt hauptsächlich den immer schwieriger werdenden Computerinhalten. Ich fürchte, Windows10 wird unsere letzte Betriebssytemversion werden, die wir noch selbständig bewältigen; ich habe noch nie so viel Googeln oder nachschlagen müssen, und jetzt kommt auch noch diese Android-Smartphonerei obendrauf: die beiden Systeme wollen miteinander spielen, wo ich nicht mitspielen will und sollen es manchmal, aber dann kann ich sie nicht dazu bringen (jaul! Gestern war so ein Tag mit allzu kryptischen Installationsanleitungen für eine Bank-App.  Dat duurt…)

Der kurze Deutschlandaufenthalt war genau das: kurz. Die Neuschülerin Eske haben wir verpasst, dafür den alten Onkel im Spreewald bewundert, dessen Geistesgaben, siehe oben, nicht wirklich einen 94jährigen vermuten lassen. Die Schwester wurde 70, hapuu. Schöne Gärten gab’s dort zu sehen und eine witzige Geburtstagsgesellschaft. Viel Museum in Berlin und umzu, schöne Stunden mit Bruder und Schwägerin, Schwatzen mit alten Nachbarn und Kollegen – und dann war es auch schon vorbei. Nachdem wir bei Ankunft in Frankfurt schon leichte Zweifel hatten, ob wir wirklich mal Vielflieger waren und Frankfurt unsere Drehscheibe – erstaunlich wie sehr man da mittlerweile auf der Suche nach dem Autovermieter herumirren kann! – waren wir für den Rückflug schon am Vorabend nach FRA gereist, zwecks Stressvermeidung. Schöne Unterkunft: Hotel Goethe, in einem Industriegebiet nahe der Messe und eindeutig von „buntem Deutschland“ gemanagt. Nett und günstig – und rein gesellschaftspolitisch lehrreich für Andersdenkende. Aber die frühe Anreise half auch nicht viel – den Autovermieter haben wir auch bei der Fahrzeugrückgabe erst im zweiten Versuch gefunden. Rentner unterwegs? Möglicherweise. Wir verpassen eine Gateänderung. Die gnädige Frau steht in einer langen Schlange von Toilettenbesuchsanwärterinnen, treu-deutsch-doof. 8 Frauen, 6 Kabinen. Es dauert, bis die angehende Rentnerin merkt, dass 5 von diesen Türen einfach nur ordentlich geschlossen, die Klos aber nicht besetzt sind. Also nee – meine Merkbefreiuung nimmt drastische Züge an. Man sollte für die nächsten Reisen einen „Unattended Senior“-Service in Erwägung ziehen…
Allen Dusseligkeiten zum Trotz sind wir dennoch heil in Recife gelandet. CONDOR hat das prima gemacht, es gab keinen Grund zu weiterer Rentnerverwirrung. Eines allerdings ging zu Herzen: wie schon auf dem Hinweg war das Flugzeug voller Brasilianer, es liefen diverse brasilianische Slapsticks in der Kabine ab: vor allem das mitgeschleifte „Handgepäck“ zu verstauen, dessen Umfang in vielen Fällen als „gepäckträgerpflichtig“ einzustufen war,  sorgte für Kurzweil, der entstehende, lautstarke Streit eindeutig „brasileiro“.  Wunderbar. Und dann: die applaudieren  tatsächlich, wenn der Flieger aufsetzt. Ich nehme jedenfalls an, dass es nicht die paar deutschen Urlaubsgäste waren, die  beim Touchdown  in Recife sogar „Hallelujah“-Rufe laut werden ließen, Dabei hätten die Flüge nicht unspektakulärer sein können.
Bernardo holt uns ab, seines Zeichens Taxifahrer mit Neigung zu abruptem Bremsen und Beschleunigen sowie wilden Spurwechseln  – wir hatten dieses Verkehrsverhalten, das wir in den 80ern in Rio so bewundert hatten,  eigentlich schon ein bisschen vermisst, aber offensichtlich gibt es Relikte, und Bernardo gehört dazu. Er singt und pfeift, vor allem aber fuchtelt er zum Schimpfen anhaltend mit beiden Armen. Taxifahren mit Bernardo ist immer spannend!
In Jacaré schaukelt AKKA friedlich und ärgert sich nun wahrscheinlich über die Ruhestörung. Wir verbreiten auch wirklich Hektik – die Rentnerunruhe treibt uns sofort weiter. Wir packen. Unser lange gehegter Wunsch war, von Brasilien aus auch dieses Mal „das andere Südamerika“ anzuschauen. 2008 ging es mit Fähren den Amazonas hinauf, dann in die peruanischen Anden und nach Bolivien. Jetzt zieht es uns nach Süden, Chile, Argentinien. Da war doch was? Richtig! Kap Horn! Da unsere Crew, allen voran der ängstliche Hauptbär Magermännchen, ein eindeutiges „Veto!“ zu einer Seglreise nach Feuerland eingelegt haben, bleibt AKKA in Jacaré. Wir fliegen! Am Mittwoch zunächst mal nach Santa Cruz de la Sierra in Bolivien, von da mit Bus und Flug und allem was sich sonst so bewegt durch Chile. Salzwüsten! Berge! PATAGONIA!
Mal schauen, wie wir Wollsocken, dicke Schuhe und Mützen in den Rucksäcken unterbringen! Rentner unterwegs.