Limbo Teego!

Domburg, 26.5.2017

Freitagmorgen. Leben im Fluss:  da muss man schon mal frühmorgens das Schiff von einer Insel entlasten, die mit dem Strom flussabwärts gereist ist. Ich gucke aus dem Cockpitfenster, da steckt das Dinghy – steuerbords in Deckshöhe hängend – in einem Wald fest. Na, so was. Nach kurzem Überlegen, ob sich das Problem im demnächst kenternden Strom von selbst lösen wird – der Eigner leidet an den Folgen des Leberwurstverzehrs vom Vorabend! –  fangen wir gemeinsam an zu stochern und zu schieben. Gut Ding will Weile und auch Kraftaufwand haben, aber die Sicherheit der Mooring ist uns in diesem absolut unsichtigen Gewässer wichtig, und so eine Insel hat ja die Tendenz, sich maßlos zu vergrößern und schwerer zu werden.  Wenn die Mooring dann nachgibt, geht es flussab mit der AKKA – Ziel: Paramaribo – oder flussauf. Wenn wir Glück haben, bleiben wir im letzteren Fall an COOL CHANGE hängen oder der IMAGINE. Nö. Nach etwas Frühsport winken wir der Insel hinterher. Wir haben ihr eingeschärft, auf dem Rückweg, das ist am frühen Nachmittag, woanders Stopp zu machen…

Ein schöner Fluss ist das. Am vergangenen Wochenende haben wir ihn in vollen Zügen genossen. Am Freitagmorgen ging es los, mit dem Auto nach Atjoni, am oberen Suriname Rivier. Die Anfahrt… naja. Die Straße ist in Höhe der aufgelassenen Aluminiumschmelze derartig schlecht, dass wir schon Plan B im Kopf haben – wenn das für die nächsten 100 km so weitergeht, machen wir ein Wochenende zuhause, denn um das Ziel Botopassie zu erreichen, muss man nochmals 2-3 Stunden mit der Piroge fahren. Allerdings ist die üble Strecke hinter der Aluschmelze rasch zu Ende. Gegen Mittag Atjoni – Endhaltestelle für Pirogen auf dem Suriname, das große Bootstaxigewühle. Säcke, Kinder, Mama, Opa – alles wird vom Einbaum auf klapperige Kleinbusse umgeladen und umgekehrt. Das Auto lassen wir, wie empfohlen, auf einer Wiese neben der Polizeistation stehen – wobei sich die Frage stellt, wer ein Auto wie unseres klauen will, das höchstens noch zu Ausschlachten taugt. Wir fragen nach Sando und werden mit einem Abfahrtzeitpunkt um 13:30 beschieden; Zeit für gebackene Bananen und eine Portion Bami aus „Nancy’s Eetwinkel“. Ringsum alles bunt und laut und wirbelig, stets ein Genuss; wo immer es nur noch mit dem Boot weitergeht, macht sich bei uns ein „Outpost“-Gefühl breit. Mit zwei holländischen Krankenschwesterschülerinnen hopsen wir auf die schaukelige Piroge, es kommen noch ein paar Kästen und Taschen und die dazugehörigen Menschen hinzu, und dann knätert der 40PS Yamaha – sehr beliebt! – los, bergauf. Man sitzt auf Brettern und etwas angejahrten Schaumgummikissen auf dem Einbaumboden und schiebt so durch kleinere Stromschnellen. Mal öffnet sich die Landschaft, mal ragen Regenwaldriesen einzeln aus dem Sekundärwald, dann wieder hat man den Eindruck eines echten Urwaldes. Außer Vögeln gibt es nicht viel zu schauen – ab und zu eine Siedlung, ein Waschplatz, eine Taxihaltestelle, eine Gesundheitsstation. Unter Gequackel – nicht verständlich! – werden Taschen abgeladen. Fummel-fummel, das vor dem Wind und Regen schützende Schultertuch wird zum Polsterring, auf den Kopf damit und den Korb mit Einkäufen obendrauf, die Passagiere verschwinden im Grün. Wir haben Regenzeit, der Wasserstand ist hoch, die Untiefen – reichlich dicke, rundgewaschene Granitklötze – ragen nur noch wenig aus dem Wasser. Ein trügerisches Gewässer – zu Trockenzeiten kann die Fahrt 4-5 Stunden dauern, im Zick-zack um die Untiefen.   Weitere Stromschnellen der moderaten Art, vorbei an mehreren kleinen Lodges (was man so „Resort“ nennt – hübsch, aber doch eher unauffällig) und unter Regenwolken hindurch. Gut, dass wir einen Schirm dabei haben… 2 1/2 Stunden dauert die Reise, aber ehe der Hintern vollends platt ist, sind wir da.

Der Zielort ist nicht so urwaldig wie erwartet: am Ostufer liegt das Dorf Botopasi, gegenüber sitzen auf einer Lichtung 6 kleine „Wosu“ genannten Häuschen und das Hauptgebäude unseres Wochenendquartiers, das Botopassie-Hotel. Rucksäcke ins Wosu und „plumps“. Susan bekocht uns, man sitzt mit ihr und den vier anderen Gästen am langen Tisch und plaudert ein bisschen deutsch-holländisch-englisch, wobei herauskommt, dass wir alle Lust haben, am nächsten Morgen nach Botopasi hinüberzufahren und eine Wanderung ins nächste Dorf zu machen.
So geschieht es. Der Haus-Einbaum für solche Ausflüge ist ein bisschen kleiner, entsprechend wackeliger und auch nur mit 15 PS motorisiert – die Einheimischen sitzen allerdings bewundernswert locker, balancieren auf dem Rand um ihren Platz zu finden. In Botopasi erwartet uns unser erstes Saamacca-Dorf. Die Leute gucken kaum auf. Nicht unfreundlich, nur scheu. Oder der Touristen überdrüssig, die doch ab und zu herübergeschaufelt werden? Lindie wird später sagen: „… nur schüchtern!“ Eine der Dorflehrerinnen – insgesamt 9 für 150 Schüler plus Kindergartenkinder – zeigt uns die Klassen, berichtet über Schulsystem und Erfolge, erzählt vom Leben als Paramaribo-Großstadtpflanze im Wald – ihre kleine Flucht: mit dem Buschflieger am Wochenende in die Disco! Und sie führt ein kleines Umweltprojekt vor: „Limbo Teego“, „auf immer sauber“ heißt das auf Saramaccan und dient der Umwelterziehung der Kinder und der Aufklärung für Erwachsene. Nach 6 km durch den (Sekundär-)Wald erreicht man das Dorf Pikin Slee und das Saamakan Marron Museum. Der Besuch ist anstrengend, weil auf niederländisch, und es überschlagen sich so viele fremde Informationen über die Lebensweise der Saamaka, wie sie eigentlich heißen, dass die Übersetzung von unseren Mitwanderern lückenhaft bleiben muss. Wie schön wäre es, wenn man das auf Englisch nachvollziehen könnte, aber selbst die Website ist einsprachig. Ich finde, da gibt es Nachrüstungsbedarf. Jedenfalls zeigt das Museum nicht nur Pütt und Pann wie ein Dorfmuseum, sondern vermittelt einen Eindruck über das sehr autarke Leben der Maroons in Guyana.
Die Saramacca sind einer von 6 Maroon-Stämmen in den Guyanas und zugleich der größte – die Ndyuka bilden eine weitere, sehr große Gruppe, die vier anderen umfassen 30.000 Menschen zusammen. Maroon ist eigentlich ein Überbegriff für entflohene, afrikanische Sklaven der Zuckerplantagen, in den Guyanas begann die Stammesbildung schon im frühen 18. Jahrhundert. Aus der Führung im Museum geht ziemlich eindrücklich hervor, wie dieses Leben im Busch war: eine matrilineal geprägte, polygame Gesellschaft mit sehr starken Regeln – und so sind die Dörfer bis vor einiger Zeit noch organisiert gewesen. Alle Dörfer befinden sich am Fluss, dem einzigen Verkehrsweg in die Außenwelt, die Lebensgrundlage sind Jagd und Gartenwirtschaft. Der Bürgerkrieg in Suriname in den 80ern hat allerdings viel zerschlagen, nicht nur materiell, sondern auch an sozialer Bindung, viele Saramaccans sind nach Französisch-Guyana geflohen. Darüberhinaus wurden nur wenige Kilometer südlich von hier viele Dörfer umgesiedelt, weil man für die Aluminiumschmelze einen riesigen See zur Stromerzeugung angestaut hat. Dennoch werden Traditionen immer noch hochgehalten, und wenn es nur die traditionelle Kleidung der Frauen ist, mit einem ehestandsanzeigenden Tuch um die Hüfte. Oder ihre wunderschöne Frisur aus 3 oder mehr in die Kopfhaut geflochtenen, dicken Zöpfen. Lindie, der im Hotel arbeitet und Initiator der Limbo Teego-Bewegung ist, konnte uns noch ein bisschen zu diesem Lebensstil erzählen, und wusste auch zu berichten, wie schwer es für einen Jungen aus dem Wald ist, in der Stadt Fuß zu fassen. Wahrlich aus dem Wald – die Eltern hatten außer der Behausung im Dorf ein Waldcamp, das man durch stundenlanges Paddeln und lange Fußmärsche erreichte. Dass der Übergang auf eine weiterführende Schule nicht einfach ist, lässt sich denken. Weg von fest gefügten Stammesstrukturen, weg von den Hühnern, die nicht der Nahrung dienen – weder das Fleisch noch die Eier-  sondern rituellen Zwecken. Fort vom selbst gemachten Spielzeug. Fort von den Einweisungen in die Jagd. Seine Schüchternheit hat Lindie definitiv abgelegt – er erzählt offen und mit viel Fröhlichkeit, auch wenn er der Samaraccan-Kultur für die Zukunft keine wirkliche Chance gibt. Die Kinder – das wurde auch im Museum betont – werden in dem Moment, wo sie ins Erwachsenenleben eintreten und die entsprechenden Fähigkeiten erwerben sollen, weggeschickt. Weiterführende Schule… gut? Schlecht?  Rap ist bei den Kindern angesagt – die traditionelle Musik wird bald nur noch Folklore sein, sagt Lindie.   Noch ist es eine einigermaßen lebendige schwarzafrikanische Kultur in Südamerika. Von Hari, dem Taxifahrer, wird sie schlecht gemacht – uns hat beeindruckt, wie lange sich das überhaupt halten konnte.
An wie vielen Stellen in unserer Gesellschaft passiert das? Uns fällt der Aborigine-Häuptling aus dem Northern Territory ein, der sagte: „…. wenn die Jungs mit der Baseballkappe falsch herum nach Hause kommen, nehme ich sie mit hinaus in die Wildnis…“ Alles zu spät?  Vermutlich alles zu spät.

Am Montag nehmen wir die Piroge zurück nach Atjoni und sehen „Saamaka“ mit etwas anderen Augen. Ich fische eine treibende Plastikflasche aus dem Fluss, der Bootsführer macht sogar einen kleinen Schlenker. Limbo teego. Forever clean. Wenigstens das sollten wir vorantreiben.

Ein Gedanke zu „Limbo Teego!

  1. Limbo teego. Forever clean. Dazu passt.
    In Marokko ist seit 1. Juli 2016 das Gesetzes zum Verbot von Herstellung, Import, Export, Verkauf und Verwendung von Plastiktüten in Kraft getreten ist. Das ist schon erstaunlich, denn Marokko hat bislang sehr exzessiv Kunststofftüten benutzt. Das Königreich des Monarchen Mohammed VI. hat zwar nur gut 33 Millionen Einwohner, war aber bisher weltweit der zweitgrößte Verbraucher von Plastiktüten hinter den USA. Der Konsum lag zuletzt bei rund 3 Mrd Stück pro Jahr, was einem Pro-Kopf-Verbrauch von rund 900 Plastiktüten pro Jahr entspricht. Ausgenommen von dem Verbot sind nur Industrie- und Agrarsäcke, Gefrierbeutel, Müllsäcke und die Fischverkäufer dürfen die Tüten vorerst benutzen. Wir halten es für eine vorbildliche Maßnahme, denn oft sieht die Landschaft richtig schlimm aus. Nun müssen sie aber auch noch das PET Flaschenproblem in den Griff bekommen. Zumindest in den Städten ist das Sammeln und der Abtransportiert von Müll seit Jahren kein Problem mehr und da überall frei zugängliche Container aufgestellt wurden gibt es inzwischen fast keine Müllecken mehr. Die Städte bieten sogar ein sauberes Straßenbild als in Deutschland.
    Euch weiterhin eine Gute Reise. Wir waren nach unserer Überwinterung kurz zu hause und kommen gerade vom 24h Rennen auf dem N-Ring zurück. Am Wochenende treffen wir uns in Obersdorf zu unserer Hof- und Hallenfete ( im Juli haben wir hier schon 10-jähriges) mit Freunden und Bekannten aus dem Bereich Reisen und Motorsport.
    Gruß Gerolf

Schreibe einen Kommentar