Kuba – der Nachklapp

AKKA in Cayo Levisa

Marathon/Florida Keys, USA – 22.5.2019

Vorbei, vorbei, die schöne Zeit in Kuba.  Was frau so „schön“ nennen mag. Eine gemischte Wundertüte. Vorhin habe ich die erste politische Diskussion in den USA begonnen, ganz harmlos, weil ich den Publix-Supermarkt dafür gelobt habe, dass er Eier (!!) gehabt habe. Die Fake-News-Trulla von der AKKA, die uns erzählen will, was in Kuba abgeht („… I have not been there but I would like to go before they open it!“ Was wird geöffnet? Kuba-Disney?).
Kuba verwirrt, daran hat sich aus unserer Sicht nichts geändert. Zwischenzeitlich dachten wir, wir hätten ein bisschen mehr verstanden, aber nun kamen die – auch in Europa in der Presse kommentierten – neuen Rationierungsmaßnahmen. Es ist wirklich unfassbar. Bei aller Fähigkeit der Kubaner, das Leben zu nehmen wie es ist, das heißt: so positiv wie möglich, hörten wir in den letzten Tagen doch ein paar Mal, dass man sich ein bisschen vor den kommenden Monaten, wenn nicht Jahren, fürchtet – gewiss ist die Lage nicht so umfassend schlecht wie Anfang der 90er, als der Ostblock auseinanderbrach, aber die Abhängigkeit von Venezuela als Öl- und damit Devisenlieferant ist doch extrem, sodass wir die Befürchtungen nachvollziehen können. Ich hoffe nicht, dass meine Ahnung wahr wird: jetzt haben sie sie am Schlaffittchen, und zwar sowohl Venezuela wie Kuba, zwei auf einen Streich.
Nein – ich pflege keine Kuba-Romantik. Oder wenn, dann nur ein kleines bisschen.

Wir haben tatsächlich unseren Kubaaufenthalt ohne Einkäufe in den Läden hinter uns gebracht –  zugegebenermaßen sind wir jetzt entsprechend knapp mit Vorräten (Zitat Eigner beim Blick ins Kühlschapp: „…hier ist immer noch mehr Butter drin als in ganz Havanna!“). Wir haben uns auf den gelegentlichen Kauf von Gurken, Zwiebeln, Tomaten und Obst vom Straßenhändler beschränkt, besonders jetzt, nachdem die Rationierungen verschärft wurden. Erinnert Ihr Euch daran, dass ich in Los Roques/Venezuela nach einem Eiskrem zum Kaffee gefragt hatte und der Kellner haltlos zu lachen begann?  Ähnliches passierte in der Marina Hemingway im „Caracol“ , ein Supermarkt der Marke: 10 m kolumbianische NestaFit-Kekse und 20 m Wasserflaschen. Und viel Rum zum Betäuben…  Ich frage nach Eiern, ganz schlicht. Da gehen die Augenbrauen schon hoch: „Huevos? EN DIVISA?“ Wat? Eier im freien Verkauf? „Noooo!“ Als Beispiel für die (ziemlich umfassende) Schieflage: Kuba hat im März, wie wir hörten, 900.000 Eier weniger produziert als sie gebraucht hätten, das sollten 5,8 Millionen sein,  woran die Tourismusbranche sicherlich nicht unschuldig  ist (man möchte den all-inclusive-Touristen „immer schön aufessen!“ zurufen). Der April war mit nur 600.000  Stück weniger etwas besser, aber man kann sich vorstellen, dass da eine Bedarfslücke klafft. Ich glaube nicht, dass die Legehennen nun alle gemeinsam in die Mauser gegangen sind und daher das Legen eingestellt haben. Wie genau der Fehlbestand zustande kam, vermochte niemand genau zu sagen (der Kubaner ist vielleicht auch zu fatalistisch veranlagt, um das zu hinterfragen ?!) – ich glaube jedenfalls weniger an eine Hühnergrippe als an einen Mangel an Futtermitteln, siehe meine Embargoklage. Vielleicht hat man auch in vorauseilendem Gehorsam den Hennen den Garaus gemacht, um der Nachfrage nach Hühnchenfleisch gerecht zu werden, das gab es in den letzten Tagen nämlich auch nicht mehr.
Ach je, ich weiß es nicht – irgendwie hat uns diese Lage den Abschied von Kuba ein bisschen leichter gemacht, dabei war es doch wirklich schön.  8 Wochen sind allerdings für den durchreisenden Segler ein bisschen kurz, zumindest für die ganze Insel, noch dazu, wenn er so lahmarschig ist wie wir. Wir haben 6 davon für Cienfuegos und die Umrundung des Westens gebraucht, und dabei ging die Segelstrecke zügig vor sich.

Dockmaster Abel und die Fischersleut‘

Schöne, unbewohnte Inselchen vor der Südküste, ein total nettes Willkommen am Cabo de San Antonio in der „Marina Gaviota Los Morros“, beim herzlich-freundlichen Dockmaster Abel und seinen Fischersleuten. Ein paar Tage im kleinen Tropenstrandparadies Cayo Levisa, das wir uns tagsüber mit Touristen vom Festland teilen mussten, aber wo man abends bei den Fischern Grenada-Bier gegen Mangos tauschen kann. Zum

Stillleben mit Geschossen

Picknick das Dinghy in den Mangroven festbinden. Mit den Kanadiern Rui und Leeza (Kanadier genießen Sonderrechte in Kuba, die dürfen sogar 2 x 3 Monate bleiben!) schnacken und Erfahrungen austauschen und Hundekraulen: ein interessanter, absolut netter Bordhund, ein Australian Shepherd/Koyote-Mix!. Eine junge amerikanische Familie auf der Rückreise nach Utah und Gelegenheit zum großen Politikaustausch (definitiv ohne

Das? Das war ich nicht!

MAGA-Mütze). Damit hatte sich die Seglergemeinde auch schon erschöpft, obwohl diese beiden und 2 weitere Yachten in Los Morros auf den letzten 500 Meilen sich schon fast wie „Überfüllung“ anfühlten. Eine sehr genussvolle Reise trotz mehrerer Nachtschläge.
Unsere letzte Station in Kuba sollte die Marina Hemingway werden – ein etwas dereliktes Überbleibsel der späten Batista-Aera, 10 km westlich von Havanna gelegen. Hier wurden 4 lange Kanäle in die Korallen gesprengt, mit reichlich Platz für je 100  Yachten und viel, meist unbewirtschafteter bzw. meist unbelebter Infrastruktur: Restaurants/Hotels/Swimmingpools auch für die Havaneser Wochenendbespaßung; unter anderem mit einem großen, grauen Hotelklotz names „El Viejo Y El Mar“, ehemals gern genutzt für Medizintouristen aus Venezuela. „Der Alte Mann und das Meer“ ist sowieso weit verbreitet, als Skulptur, als Wandmalerei, gern wird auch das Bild vom überaus geschätzten Ernesto (Hemingway) und Fidel gezeigt, die sich hier ein einziges Mal in ihrem Leben getroffen haben, beim Angelturnier (das Fidel gewonnen hat – man ließ ihn ebenso gewinnen wie Ché ihm beim Golf den Vortritt gelassen hat).
In dieser Marina geben sich während unseres Aufenthaltes im Kanal 1 ein paar Segler – 2 Handvoll?! – die Klinke in die Hand; „Hemingway“ ist Absprungort für sowohl unsere Richtung nordwärts wie für die, die nach  Mexiko-/Guatemala/Panama zielen. Zum Beispiel die „Luna Mare“, eine nun schon langjährige Internetbekanntschaft, bayerisch-hessisch, mit denen ich mich schon vor Monaten für „Bohnen-mit-Reis-Essen in Kuba“ verabredet hatte. Hat geklappt. Das Treffen resultierte allerdings in einem kleinen Missklang. Oh, je…  – eine Episode aus der Serie „The Confessional“ und ein Kunststück vom Fuchs: Anlegemanöver. Marion nähert sich dem Dock sehr suutsche, ein Leinhandler geht achtern an Land, die Schipperin nimmt die Vorleine und schaut nicht, was sonst passiert, vor allem nicht nach achtern – also belege ich die Vorleine zu früh, der Bug der Luna Mare schwingt herum und „bäng“. Orangefarbener Stahl auf Beton. Glücklicherweise erweisen sich Paul und Marion als ausreichend stressresistent (vielen Dank dafür! Der hässliche Aufprall klingt mir noch immer in den Ohren!) – sie zücken noch am gleichen Tag den Lacktopf für die Schmarre; wenigstens habe ich keine Beule erzeugt. So etwas Dusseliges, aber es ist mir eine Lehre. Dafür tauschen wir dann Bücher aus und schwätzen über gewesene und angepeilte Ziele; mein Neid auf die, die in den Pazifik gehen, wird mit jedem solchen Gespräch signifikant größer… . Gute Reise, Luna Mare! Wir sehen uns in Arrecife!
Zuvor hatten wir uns zu einem Nachschlag „Kuba wie es leibt und lebt“ nochmals nach Havanna verholt. Zimmer bei Hans auf der Calle Chacón,  in kürzester Laufentfernung zu unserem persönlichen Zentrum der Stadt namens „Lo de Monik“, was so viel heißt wie „Der/die/das von Monik(a)“. Das Restaurant, die Bar.  Hatten wir schon beim ersten Besuch mehrfach für Frühstückszwecke besucht, aber besonders, wenn der AKKAnaut mittags nach Erfrischung lechzt, kommt eine eiskalte Gurkenlimonade besonders gut, zumal man sich man sich auch über die Herkunft ihrer Inhaltsstoffe keinen großen Kopp machen muss. Beim Frühstück – mit Eiern! Siehe oben! – schon eher. Es ist verzwickt – wir bringen mit unserem „business“ ein bisschen Geld, gleichzeitig essen wir Touristen den Kubanern die Haare vom Kopf. Teurer machen? Machen die Touristen dann vielleicht nicht mehr lange mit, denn die gezahlte Kohle ist direkt proportional zu den Leistungsansprüchen, und das funktioniert hier höchstens bei wohlwollenden Individual- oder Alternativtouristen. Es ist ein bisschen wie in den 40er/50er Jahren: eine Haupteinnahmequelle ist der Tourismus, der im Endeffekt zu einer massiven Ungleichverteilung beiträgt. Erholen kann sich das Land eigentlich nur, wenn es Handelserleichterungen gibt anstatt den Handel zu erschweren – solange man Kuba nicht mitspielen lässt, zum Beispiel im Kreis internationaler Organisationen, oder es von internationaler Hilfe abschneidet bzw. diese erschwert, wenn  bestimmte Bedingungen nicht erfüllt sind, wird sich das kaum regeln lassen.  Wir Westler unterstützen gern mal miese Potentaten, wenn es in den Kram passt – der Kuba-Kram passt seit 60 Jahren nicht. Mit solchen Gedanken, die eigentlich mit jedem Tag mehr werden, marschieren wir ein letztes Mal die Calle Cuba bis zum Bahnhof hinunter und die Habana wieder rauf –  „morbiden Charme“ kann ich immer weniger empfinden, es schaudert mich zunehmend. Wir haben an der Situation unseren Anteil – nur: wie können wir Einfluss nehmen? Schwacher Versuch: drüber reden. Das tu‘ ich – siehe Eingangssatz – mit dem Chef der Marathon Marina hier in den Florida Keys, indem ich von unserer Ohnmacht nach dem Besuch des PUBLIX-Supermarktes berichte, sie hatten nämlich Eier! Unglaublich. Da kommt erst einmal „naja, eine Regierung mag die andere nicht! Und die haben ja ihre eigenen Hühner!“. Ich hake nach, wie die Kubaner wohl ihr Eierdefizit ohne Hühnerfutter decken können. „You mean – the embargo?“ Ha! Er ist von selbst drauf gekommen! Der Eigner, der dem Schauspiel beiwohnt, sagt, die ältere Frontdesk-Dame sei schon merklich abgerückt. Da bahnt sich eine politische Diskussion an – shoohoo! Aber vielleicht ist ja ein winziges Cent-Stück gefallen.

In jedem Fall: wir sind in „God’s own country“ angekommen (so sagten die Südafrikaner früher gern), die Amerikaner haben uns auch reingelassen *, Mr. Poster vom Customs and Border Patrol war so freundlich. Wir haben sogar eine Cruising License für ein Jahr bekommen, das ging automatisch. MAGA-Mützen gab es noch nicht, aber Im Supermarkt sichteten wir das erste „I proudly stand for the national anthem“-T-Shirt. natürlich alt und weiß und männlich. Wir sind echt gespannt!

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*Kleiner Schluckauf zum Beginn der Reise: Customs & Border Patrol kann man die Arbeit erleichtern, indem man sich eine App auf das Tablet lädt, die heißt ROAM. Gesagt, getan, gemacht, gefummelt, authorisiert… alles mit dem schwachen Kubanetz. Und zack! Raus mit der Arrival-Datei für AKKA. Toll! Abends noch einmal duschen und schnell gucken, ob die Behörden reagiert haben. Hatten sie! „Unfortunately, your arrival has been denied and you may not enter the US territory at this time…“  Nee, oder? Müssen wir jetzt auf die Bahamas laufen? Kurze Verwirrung und Rücksprache mit Luna Mare und den Freunden von der Kuba-Gruppe auf Facebook. Kleiner Systemfehler von der Schipperin. Man darf die Ankunft erst ankündigen, wenn man im US-Netz ist – puuh!  Der Rest der Reise war easy. 8 Stunden Motorsegeln, 12 Stunden Segelei mit Golfstrom (hui!) und noch ein paar Stunden Tuckerfahrt. Voilà – Florida!

 

Havanna, Havanna

El Capitolio – der „amerikanische Traum“

Isla del Rosario, 29.4.2019

Versprochen ist versprochen!  Es ist 17 Uhr, AKKAs Anker liegt auf 2.5 m in einem Sandfleck, mühsam angesteuert inmitten eines Meeres von Seegras, hier „turtle grass“ genannt, dickes Zeug, wo selbst unser Bügelanker nicht immer beißt… Sonst beißt auch nicht viel, weder Schildkröten noch Fische sind in Sicht, wie ich beim Kontrollschnorchelgang feststellen konnte.
Wir sind auf dem Weg zum Westkap, dem Cabo de San Antonio, von dort geht es die Nordküste entlang wieder ostwärts, dorthin, wo wir schon waren: La Habana, Kubas Haupststadt; schön, scheußlich baufällig, fröhlich und touristenüberflutet. Einfach spannend.

Für unseren Busausflug dorthin hatten wir AKKA in Cienfuegos ans Dock gelegt, schließlich wollten wir länger als die ominösen 3 Tage wegbleiben, und es ist auch ein angenehmeres Gefühl, denn als wir aus Trinidad zurück kamen, knatscht unsere Ankerkettenentlastung: kaum lässt man die alte Dame mal allein, fängt sie sich irgendwas am Grund ein und ruckt kurzstag an der Kette. Eine Premiere und eine eher unagenehme Überraschung, die allerdings schnell behoben war. Die Dockplätze werden nach dem „first come, first serve“-System verteilt, und ich hatte Glück, im rechten Moment am Marinabüro vorbeizukommen, was zum spontanen Entschluss führt, AKKA anzubinden und gleich am nächsten Tag loszufahren. Rucksäckchen gepackt und weg!

Wir nehmen wieder den Viazul-Bus in Anspruch, in CUC zu zahlen und daher häufig von Touristen frequentiert –  es gibt andere Beförderungsarten, von deren Benutzung Touristen ausgeschlossen sind oder nur nach Gutdünken des Fahrers erlaubt, wie zum Beispiel die Pferdetaxen in Cienfuegos. Eigentlich macht man bei Viazul eine Reservierung (sogar online, aber das nur bis 14 Tage vor der Reise, nix für uns…), man bekommt einen Ausdruck, den man zur Abfahrt in ein Ticket tauscht (Schlangestehen ist einfach ein schönes Hobby hier, genannt „hacer la cola“), aber ohne Reservierung und 30 Minuten vor Abfahrt muss man dann schon mal ein bisschen frech sein und sich vorbeischlängeln.  „Ein Ticket? Für wann?“ fragt der freundliche Herr, der inmitten von alten Plüschsesseln vor einem Flachbildschirm hängt (das Viazulbüro in Cienfuegos ähnelt eher einem 50er-Jahre-Wohnzimmer, solche Möbel haben wir zuletzt in Zambia am Bahnhof erlebt). Jetzt gleich! Sofort! Ahorita! Er verfällt in Schweigen und hämmert auf die Tastatur ein, schüttelt den Kopf, starrt… Dann streckt er die Hand nach dem Geld (2×20 CUC) aus und reicht mir zwei handgekrickelte Zettelchen: „System funktioniert nicht!  Geht aber in Ordnung!“, und das stimmt, 4 Stunden später sind wir in Havanna. Richtig gut vorbereitet sind wir nicht. Ein Zimmer in Habana Vieja, der Altstadt, schwebt uns vor (es lebe OSMAnd, die offline-Karte für Kuba und den Rest der Welt!), also halten wir ein Taxi an (ein Lada und nicht, was Ihr denkt, Buick oder Oldsmobile…) und sagen so lässig wie ungefähr: „Capitolio!“. Der Fahrer ist nett (wie die Kubaner im Allgemeinen), fragt ein bisschen, erzählt ein bisschen und setzt uns dann am Mini-Kapitol raus. Das Capitolio, nach dem Bild des Kapitol in Washington, ist eine Ikone der Amerikanerzeit, in den 20er Jahren erbaut, zunächst vom späteren Diktator Gerardo Machado, dem „Schlächter“, als Präsidentenpalast geplant, jedoch bis in die 60er Parlamentssitz (Hintergrund ist, dass das geplante Parlamentsgebäude in seiner Marmorpracht der damaligen Präsidentengattin so gefiel, dass sie den Gatten überzeugen konnte, dort einzuziehen). Heute beherbergt das Capitolio das Wissenschaftsministerium o.ä. – Fidel hatte, wie beim eigentlichen Präsidentenpalast, eine Aversion gegen alte Prachtbauten, denke ich. Drum beherbergt der jetzt auch das Revolutionsmuseum. Unbedingt anschauen!

Glitzer und Glamour

Wir springen aus der Taxe, mischen uns unters reichlich vorhandene Volk, stehen Kurz-Schlange für ein Softeis (ein CUP-Eis zum CUC-Preis, was heißt, dass man 24 mal mehr bezahlt als ein Kubaner und sich dennoch nicht geschröpft vorkommt). Staunen vor dem großen Buchladen, eine Ladenkategorie, die es in Cienfuegos fast gar nicht gibt – so viel Ché! Leider darf ich mit dem Rucksack nicht hinein. Dann tauchen wir in die Altstadtstraßen ein und sehen schon, was Habana Vieja ausmacht: heruntergekommene Ladenpassagen, daneben glitzernde Hotels von Kempinski und Co., Renovierungsbemühungen (das Capitolio ist noch halb eingerüstet, strahlt aber bereits in hellstem Alabasterglanz) überragt von Mehrstöckigem, aus dessen leeren Fensterhöhlen Bäume wachsen. Und dann die „Obispo“. Calle Obispo ist quasi die Touristen-Aorta der Altstadt, viel Lärm, viel Musik, viele Besucher, viele Shops, viele Restaurants. Und viele Ché-T-Shirts… aber für die Ché-Devotionalien haben wir keinen Blick, wir müssen ja noch ein Zimmer finden – was sich als schwierig herausstellt, denn wir sind so aus der Welt bzw. aus dem Kalender gefallen, dass uns nicht bewusst ist, dass dies die Osterwoche ist. Für Kubaner nicht so wichtig, selbst wenn Johannes Paul vor 20 Jahren die katholische Kirche reinstalliert hat – aber für europäische Touristen! Die ersten Versuche, ein Zimmer zu bekommen, gehen schief – unser Prinzip ist das von Versuch und Irrtum: Arendadora Divisa-Logo ansteuern, am Haus hochgucken (Baufälligkeitsstatus, Lärmpegel, hat’s Balkon?!) und klopfen: leider nein, oder nur für eine Nacht… Bei Hans auf der Chacón sehen wir Licht, denn die klassische, kubanische Hilfsbereitschaft trifft uns in vollem Umfang. Auch Hans‘ Mutter hat keinen Platz, aber er läuft mit uns los, von Freund zu Freundin, erzählt derweil ein bisschen über die Gegend, über alte Verbindungen zur DDR (siehe „Hans“, ob es da wohl Gegenstücke names Juanita o.ä. in Berlin gab?!). Wir tüfteln schon am Plan B namens „Hotel“ als Hans uns zurück nach Hause leitet und telefonieren geht – und ein paar Minuten später landen wir bei zwei Damen auf der Calle Cuba, sehr nett. Wie viele der kubanischen Stadthäuser ab den 20er Jahren ist auch dieses geteilt, ein Raum für eine Familie; nach der Revolution hat man noch mehr Menschen in diese Wohnungen gepresst. In unserem Fall bleibt die Teilung undurchsichtig: wir wohnen im Erdgeschoss. Man öffnet die Haustür und steht im Wohnzimmer, ein kleines Nebengelass schließt sich an, weiter in die Tiefe des Hauses findet sich dann unser Raum, mit zwei großen Betten und einem veritablen Badezimmer. Küche und Abstellräumchen nebenan kann man ahnen, die 79-jährige Mutter der Vermieterin lebt in einer weiteren „Abseite“, von der wir annehmen müssen, dass sie kein Fenster hat. Das Gästezimmer ist eindeutig das größte in dieser Wohnung. Die Betten sind gut, es gibt Ventilatoren, sogar eine Klimaanlage, Steckdosen für traveller’s delight, nämlich das Laden von Kameras und Smartem… – nur werden wir vergattert, unbedingt sparsam mit dem Wasser zu sein, was uns als Bootlingen ja leicht fällt. Prima! Erkundungsgang!
Die nächsten 4 Tage verbringen wir im Wesentlichen in genau diesem Viertel, aber es ist definitiv auch besonders sehenswert. Zum Beispiel: hier beginnt der Malecón, die endlos lange Uferpromenade –  ich freue mich wirklich hier zu sein und habe sofort die Eingangsszene aus Buena Vista Social Club in Erinnerung –  ein 50er-Jahre-Auto fährt durch die Gischt, die von der Ufermauer auf die Straße wuscht. Es schwappt dieser Tage nicht so gewaltig wie im Film, aber für Teen-Vergnügen (nasse T-Shirts und Gekreisch) reicht es allemal.  à propos Buena Vista Social Club – ich hätte nicht erwartet, dass man dessen überdrüssig werden kann, aber wenn man das 50. Cover d von „El cuarto de Tula“ gehört hat, freut man sich dann doch über andere Stücke. Der Spaß am Rhythmus bleibt aber.

„Die Wiege des Daiquiri“ und Baufälliges… La Floridita (Hemingway lässt grüßen)

 

Die alten Befestigungsanlagen sind beeindruckend, die werden wir in den nächsten Tagen mehrfach unsicher machen, ebenso den alten Palast der Kapitäne an der Plaza de Armas, der jetzt ein Stadtmuseum beheimatet. Aber natürlich gucken wir nicht weg (der Eigner schon gar nicht!), wenn einer der vielen, alten Straßenkreuzer vorbeifährt oder besser noch, wenn einer geparkt zu besichtigen ist. Von diesen Oldtimern gibt es zwei Kategorien: solche, die als veritable Taxen arbeiten (uns schon bekannt aus Cienfuegos), häufig erkennbar am klapprigen Zustand und dem matten Lack und der vollen Beladung,  und daneben hier in Havanna unglaublich viele, die in pink und gelb und grün aufgehübscht sind (von Nahem erschließt sich dem Sachkundigen allerdings so mancher Spachtel-Wahn!); eine ganze Flotte, die für eine Firma namens „Gran Car – Rent a Fantasy“ Touristen durch die Gegend fährt. Letztere sind nicht gerade zimperlich im Vortrag ihrer Angebote, aber auch dadurch – und unsere freundliche, aber bestimmte Ablehnung – ergeben sich nette Gespräche.

Rentar una fantasia

Als wir das dritte Mal nahe dem Castillo de la Real Fuerza auftauchen, haben wir schon Wiedererkennungswert, aber – bis auf die Oldsmobile-Taxenfahrt zurück zum Busbahnhof, Kategorie normal-klapprig – sind wir standhaft geblieben und haben nur geguckt und uns gefreut; mir wäre es auch irgendwie peinlich gewesen, Cruiselinergast-mäßig in Bonbonrosa durch die Stadt kutschiert zu werden. Sonnenbrille, Strohhut, Blümchenkleid, Zigarre und viel Frohsinn; wahrscheinlich auch das eine oder andere Glas „Habana Club“ intus… Rent a fantasy –  ein nachvollziehbarer Slogan. Ich sagte ja schon, dass diese Vehikel ein zweischneidiges Schwert sind: mit der Revolution ging im Endeffekt ab 59/60 die gesamte Oberschicht ins Exil – später auch die Mittelschicht – und ließ alles zurück, inklusive der zuvor massenweise importierten Buicks und Oldsmobiles, Chevrolets, Ford… In den 50ern hatten sich ja viele Prominente Stimmen zu und gegen die amerikanische Kultur in Kuba geäußert (Hemingway, selbst dem Alkohol nicht abhold: „Die große Hure“, Einstein: „abstoßende Ungleichheit besonders die Schwarzen betreffend“), die Autos waren eines der äußeren Zeichen für den – überbordenden – Tourismus aus den USA; Prostitution, Alkohol, Casinos, was das vergnügungssüchtige Herz begeht, und alles im Übermaß.  Da mit der Revolution bzw. den Enteignungen sofort die Wirtschaftssanktionen der Amerikaner einsetzten, blieb die Automobiltechnik am Ende der 50er Jahre stehen: bis auf Sowjetprodukte keine Neuimporte mehr, keine Ersatzteillieferungen. Sieht nett aus, hat Charme, und es ist auch ein technisches Wunder, die Dinger so lange am Laufen zu halten, aber für die Kubaner ist es ein Kreuz. Es gibt Schauergeschichten insbesondere über die echten Taxen; eine meiner liebsten ist eine Fahrt von Havanna nach Trinidad, auf der alle x Kilometer frischer Sprit aus den im Kofferraum hin- und herrutschenden und -schwappenden Kanistern angesaugt werden musste „… der Tank ist schon seit vielen Jahren defekt!“. In der Geschichte heißt es auch, dass die Türen nicht schlossen, die Fensterkurbeln fehlten, und dass die Bremsen zu wünschen übrig ließen, spielte bei der erzielten Geschwindigkeit eine geringere Rolle (der Fahrer hatte auch keinen Führerschein…). Aber es geht eben doch vieles, was in anderen Ländern unter „unmöglich“ laufen würde. In solche Taxen passen gewöhnlicherweise 6-7 Fahrgäste: 4 hinten, mindestens, mindestens 2 auf der Vorderbank (+ Fahrer). Ich bewundere die Kubaner für ihren Erfindungsreichtum und ihre Widerstandskraft.
Wir fahren mit dem Hotelbus durch die Stadt – das kostet 10 CUC pro Nase und man darf dafür den ganzen Tag „hop-on/hop-off“ genießen. Wir hopsen insbesondere am Cemeterio Colón runter und genießen einen riesigen Stadtfriedhof. Ibrahim Ferrer haben wir leider nicht gefunden, aber dafür schöne Geschichten gehört, zu begrabenen Feuerwehrleuten oder anrührende Mutter/Kind-Stories. Eine Ehesache ist besonders nett: schwierige Anbahnung einer nicht standesgemäßen Ehe. Die Frau stirbt recht jung. Da das höchste Grabmal des Friedhofs den o.a. Feuerwehrleuten als den Opfern eines Explosionsunglückes vorbehalten ist, muss sich der trauernde Ehemann etwas ausdenken und ersinnt ein gigantisches Mausoleum aus Marmor und Granit, vor das er – ganz unschuldig – zwei kleine Königspalmen setzen lässt. Wer die Grabstellen sucht, muss nur nach dem hohen Marmorengel und den beiden noch höheren Königsplamen Ausschau halten… Unter dem Engel werden heute noch die Hanaveser Feuerwehrleute begraben, und  Helden der Revolution gibt es natürlich auch reichlich.
Das Ganze ist der Recoleta in Buenos Aires nicht unähnlich. Nur ohne Evita.
Im Umfeld des Friedhofs das ganz normale Havanna – das sich durch „gibt’s nicht“ auszeichnet. Nicht mal eine Kaffeestation. Ah! Doch! Ein Laden in einem Treppenhaus! Serviert uns schnell noch einen Kaffee um dann schnell – es sit 13 Uhr! – zu schließen. Soll erfüllt, wahrscheinlich.

Nach der zweiten Nacht eröffnet uns unsere Vermieterin, dass sie uns leider nicht weiter beherbergen kann – die Mutter ist krank, sie brauchen jeden Tropfen Wasser für sich selbst, denn der Wasserwagen ist am Vortag nicht gekommen und die Zisterne, die sie mit anderen Hausbewohnern teilen, fast leer – in großen Teilen der Altstadt gibt es keine zentrale Wasserversorgung Es ist uns wirklich unangenehm, dass wir ihre Hilfsbereitschaft überhaupt in Anspruch genommen haben, dabei ist diese noch nicht zu Ende, denn natürlich hat sie uns schon an eine Freundin weitergereicht. Die neue Landlady ist eine Kinderäztin im Ruhestand, bietet uns ein schönes Zimmer mit einem noch prächtigeren, pfuschneuen Bad. Kleiner Willkommenskaffee inklusive. Beim prachtvollen Bad stellt sich die Frage, woher die Technik kommt: ein Regenwasserduschkopf. Was  zu neuem Grübeln über die wirtschaftlichen Verhältnisse führt: die Ärztin mit dem Luxusduschkopf (Lohnniveau „Standard“ = < 50 CUC) treffen wir auf der Straße wieder, sie sucht ausdauernd nach Kartoffeln; zugegebenermaßen sind Kartoffeln „Luxus“, da Frühlingsgemüse und absolute Saisonware, trotzdem kann man sich schwer vorstellen, dass z.B. der Hannoveraner im Mai/Juni auf Wanderschaft gehen muss, um wenigstens ein bisschen Spargel zu ergattern… Anderes Obst und Gemüse wird allerdings am Straßenrand reichlich verkauft, von kleinen Handkarren aus.

Gemüse – aus dem Osten oder auch aus städtischen Gärten!

Wir haben Mangozeit, Ananas und Guaven gibt es wohl rund ums Jahr. Möhren sind ein bisschen mickrig, aber erhältlich, Zwiebeln und Knoblauch gibt es immer, auch von mit Zwiebel-/Knoblauchzopf behängten Straßenhändlern. Schwierig ist die Lage bei normalen Haushaltsdingen – Landlady 1 war am Wochenende bevor wir kamen 150 km weit mit dem Bus nach Varadero gefahren, um Speiseöl und Klopapier zu suchen; da hilft dann auch die „libreta“ nichts, was es nicht gibt kann auch nicht rationiert werden. „Butter“ und „Kaffee“ aus der Bodega, die die Rationen verteilt, sind Mischprodukte, und nur was nach dem Verteilen der Rationen an die Nachbarschaft übrig ist, steht zum freien Verkauf; das System sichert wirklich nur das Allernötigste (und ob Reis mit Bohnen auf die Dauer gesund sind?). Was Löhne angeht: ein zugänglicher Kellner klärt uns über die Restaurant-Schlepper, die an allen Ecken lauern, auf: er lebt wie diese ausschließlich vom Trinkgeld, in den Paladares verdient man gewöhnlich kein Grundgehalt. Seine Mutter ist aktive Ärztin (Gehalt siehe oben!), und er macht in der Woche ein Mehrfaches von ihrem Verdienst. Eine Schieflage, wie wir finden, und besonders schlimm in Touristengegenden.
Wir wandern durch die Stadt, erleben mehrfach „no hay“, vornehmlich in den staatlichen Restaurants, wo es dann kein Trinkwasser gibt (und auf dem Klo wird auch gespart…), ganz zu schweigen von Angeboten von der Speisenkarte – ein Eis zum Kaffee? No hay helado – das ist dann im ehemals beste Hotel. Dabei ist es auf der Terrasse des Gran Hotel Inglaterra lustig (wenn auch nicht „hübsch“), eine etwas ältere Sonero-Gruppe macht Musik, die Passanten gehen hüftschwenkend vorbei, zwei kleine deutsche Kindergartenmädchen tanzen zur Musik. Der Kaffee läuft unter „geht so“ . Wir sagen zu solchen Etablissements schon nach Kurzem „Gaviota, oder?“ Gaviota ist die staatliche Tourismusagentur, deren Geschäftsführung Raúl dem Militär überantwortet hat, die haben ja Erfahrung in schlichter Ernährung und strikter Regulation. Der privatwirtschaftliche Witz ist, dass wir gleich ums Eck von unserem Zimmer auf der Calle Aguiar in einem der baufälligen Häuser das „Helad’Oro“ finden, ein Eisladen mit so gutem Eis wie schon lange nicht mehr gegessen. Dieses Erdbeereis! Was fragt sich der aufmerksame Gast?  Wo kommen bloß die Erdbeeren her?! (Und die Sahne und all die anderen Ingredienzien). Die Bude ist dementsprechend dauernd voll, vornehmlich mit Kubanern, bei denen die CUC etwas reichlicher fließen. Ein wirklich schönes Eis – für die allermeisten aus der Nachbarschaft allerdings eines: unerschwinglich. Wer sich etwas leisten kann, braucht Nebeneinnahmen, und neben privaten Nebenjobs (siehe Zimmervermietung) kommen viele davon als Überweisung von Auslandskubanern. Dazu gibt es einen Scherz: man braucht „fé“. Den Glauben? Das vielleicht auch, aber im Wesentlichen „Familia Extranjera“ – Familie im Ausland.
Je weiter man in der Altsadt nach Süden vordringt, umso augenfälliger wird die Diskrepanz zwischen Luxusläden (hehe! Montblanc-Füller gefällig?) und einer Bausubstanz, die man schon gar nicht mehr als solche bezeichnen kann. Es ist mir geradezu peinlich, als ich die Kamera auf einen Fenstersims richte, unter dem der Farn hervorwuchert – und im selben Moment ein Bewohner herausschaut. Ich würde diesen neugierigen Touristen was… Einen Abend sitzen wir einem kleinen Restaurant auf  dem Balkon, bekommen leckeres Essen serviert und schweben über den Massen, die sich auf eines  bzw. das Saufloch von Hemingway zubewegen – und auf dem gegenüberliegenden Balkon sitzt eine Bewohnerin, die sich niemals einen Besuch in der (überteuerten) „Bodega del Medio“ leisten kann, und die auch nicht den Blick von unseren Maissuppentassen wenden kann. Fisch mit Bohnen und Reis (ja, klaro, al cubano nicht wirklich „fancy“). Zum Nachtisch Käse mit Guavenmarmelade und Espresso. Lecker war’s – aber die Zuschauerin führt uns unseren unverschämten Reichtum vor Augen.

Was zu dem dämlichen Embargo führt. Es ist nicht alles „Gold“ in Kuba, fürwahr. Menschenrechte werden missachtet, Pressefreiheit existiert nicht, Dissidenten werden verfolgt. Haben wir aber auch in anderen Ländern, oder? Uns beschäftigt das Thema jetzt seit Wochen, denn das Handelsembargo, das da seit 60 Jahren aufrecht erhalten wird, trägt wesentlich zur Verschlechterung der Lage bei. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten, medizinischen Hilfsmitteln oder Diagnosegeräten wird planmäßig behindert oder unterbunden, andere Importe ebenso. Fast die gesamte UN ist für die Aufhebung des Embargos, nur ein Mitglied nicht, im Gegenteil, Erleichterungen werden wieder rückgängig gemacht, für „mehr Demokratie“. Ziemlich undemokratisch. Gnadenlos.
Drum fahren wir nochmal hin, nach Havanna. Vielleicht lernen wir noch mehr.

Gruß vom Cabo de San Antonio, 250 Meilen nach der letzten Internetstation (immerhin!)