Harburg
Am Freitag stiess ich zufällig darauf, dass am Wochenende auf dem Werftgelände ein Astronomie-Seminar stattfinden sollte – ein Bereich der Naturbeobachtung, der mir bislang immer verschlossen geblieben war. Der Blick in die Sterne, rein optisch, ist mir spätestens seit den langen Nächten der Atlantiküberquerung besonders lieb, aber von Orientierung konnte bislang keine Rede sein, also hängen wir uns an.
Wir lernen gleich, wie man mit einer Sternenscheibe umgeht, wie man Sternenauf- und -untergänge ermittelt; Kulmination, Frühlingspunkt, Ekliptik – die alten Bekannten aus der Astronavigation kommen zu neuen Ehren.
Am Abend gibt es einen Ausflug in den Hamburger Stadtpark, wo wir die gerade stattfindende Saturnopposition beobachten wollen, kühl kalkuliert, nach Sternenscheibe und Uhr, kühl auch nach dem Thermometer; nur leider hält sich der Himmel völlig bedeckt. Aber wir lernten ja auch, dass wir diese Konstellation noch länger sehen können und hoffen so auf bessere Beobachtungsbedingungen in den kommenden Tagen.
Am Nachmittag war ichbei einigen Stichworten schon die ersten Male ein bisschen zusammengezuckt: Es ist zwar toll zu sehen, welchen Status die Astronomie historisch oder kulturhistorisch hatte; schließlich waren die Gesetzmäßigkeiten des Himmels bis in die jüngste Zeit einziger Fixpunkt für die Menschen, bis halt Uhren und nicht zuletzt die alles überstrahlende künstliche Beleuchtung diesen Bezugspunkt relativierte. Aber die immer wiederkehrenden Anklänge an Magie, an Fügung, kurz: an die Astrologie bereiten mir doch Unwohlsein. Ich habe zwar schon mal Gustav Holsts „Die Planeten“ gehört, aber als Untermalung zu einer – sehr eindrucksvollen – Computersimulation der Umlaufbahn des Saturn beschleicht mich doch leiser Zweifel. Das ist mir zu mystisch. Glücklicherweise fragt am Ende des ersten Abends ein teilnehmender Mathematiker, ob denn die Sonne ein Fixstern sei. Ich blöke sofort: „… natürlich!“ Der Seminarleiter: „…NEIIIIIIN!“. Nach ein paar Ja/Nein-Fragen einigen uns darauf, dass beide Seiten Recht haben. Aus astronomischer oder astronavigatorischer Sicht mag die Sonne kein Fixstern sein, wohl aber aus kosmologischer.
Auch am zweiten Tag schwingen astrologische Zusammenhänge immer wieder mit. Selbst wenn diese Assoziationen nicht unbedingt gewollt sein mögen, ergeben sie sich zwangsläufig aus den historischen Bezügen – Kriegsherren, Päpste, Entdecker, alle hatten sie einen Astrologen zur Seite. Dann allerdings verbinden wir die Zeitpunkte von Venuskonjunktionen ud bei der zweiten Gerade schwant mir, dass wir dabei sind, ein Pentagramm zu konstruieren. Das ist nun ebenso interessant wie gespenstisch, denn die zeitlich und räumlich weite Verbreitung von Pentagrammen als magische Zeichen deutet in vielen Kulturen weltweit auf frühzeitige und tiefgreifende Kenntnisse der Gesetzmäßigkeiten, mit denen Sterne und Planeten erscheinen. Aber selbst die Einspielung von Goethes Faust taugt mir nicht als Beleg für die Wirksamkeit eines Drudenfu?es… Zumal Pudel ja als äußerst intelligent gelten.
Wir drehen noch einen Schwenk über die Keplerschen Gesetze – ich sehe den Stern der Aufklärung wieder leuchten! – und dann ist unser astronomisches Wochenende vorüber. Für mich hat es sich gelohnt, es gibt mir zu denken. Es ist wahr: astronomische Kenntnisse sind weitgehend vergessen, und das ist ein Verlust, denn zu dieser Art von Naturbeobachtung hat jeder ständigen Zugang. Ich werde versuchen, mich fortan häufiger am Himmel zu umzuschauen und zu identifizieren, was ich sehe. Vorausgesetzt, der Himmel erlaubt mir den Einblick. Und ich hege nun eine noch tiefere Bewunderung für die vielen Menschen, die schon in Frühzeit und Altertum, auch ohne unsere vielf?ltigen technischen Hilfsmittel, die Gesetzmäßigkeiten des Sonnensystemes und der Sterne erkannt haben.
Um meine eigenen Kenntnisse zu erweitern, habe ich mich allerdings eines Idols besonnen, das mich schon zu Zeiten meines Jobs durch schlaflose Nächte begleitet hat: Statt an den Himmel zu schauen habe ich damals häufig ins TV geguckt und Harald Lesch zugehört. Also steht demnächst in unserer Schiffsbibliothek „Kosmologie für Fußgänger“. Auch Lesch verlangt naturphilosophische Sichtweisen, aber er ist Astrophysiker. Sonnenklar und wunderbar ist mir lieber als nebulös und wunderlich.