Am Sprungbrett

Tja, ja – es gibt doch immer noch viel zu üben. Zum Beispiel pantryseitig. Alles nichts Unbekanntes, aber doch immer wieder neu.
Donnerstagmorgen, nach langer Nacht wird es langsam hell, nämlich um 06:30 Uhr – wir sind hier tief im Westen, seit diversen Meilen zeigt das GPS nicht mehr östliche, sondern westliche Längen. Wir befinden uns im etwas rolligen Anschleichen an den „Chenal du Four“, das ist ein schmales Fahrwasser zwischen felsbewehrter Bretagne-
Küste und der Insel Ouessant, „Ushant“, wie die Engländer sagen. Zeit für das Frühstück, das uns schon gestern nach der ersten Nacht unserer Reise nach Brest so nett aufgemöbelt hat. Wieder soll es Rührei geben, mit einer extra Portion Schinkenstreifen. Der Kaffee ist schon fertig, die Eier gerührt, die Brotscheiben getoastet. Nach der Pfanne graben – da gerät der Rührbecher in Fahrt und entleert sich – zäng!- auf den Boden.
Ja, sch…ade. Mal abgesehen davon, dass die Pampe natürlich zwischen die Bodenbretter sickert und einen entsprechenden Kollateralschaden anrichtet, waren das auch noch die letzten Eier. Ach, nee, da waren ja noch zwei hart gekochte übrig. Na, dann die. Einfach dämlich, wenn man diese Routinehandgriffe noch nicht wieder drauf hat – eine Hand für Dich, eine für’s Schiff, oder, besser: den Hintern zum Festkeilen in der Pantry (was
Übergewicht doch wert sein kann!) und die freien 2 bis 3 Hände für die Küchenutensilien. Mit dem Knie kann man ja noch die Backofentür halten. Das Wasser wird ohnehin mit den Füßen gepumpt.
Aber es gibt auch positive Meldungen aus der Pantry. Die „Kuchen im Glas“ gehen ja schon seit geraumer Zeit wie die warmen Semmeln. Nun gesellen sich zur Hitliste aus der Einmachglasecke noch die selbst eingekochten Köttbullar (zu deutsch: Mini-Buletten), die uns die – diesmal mit mehr Sorgfalt bereitete – Kartoffelsuppe
aufgepeppt haben, und die Filetstreifen aus dem Glas. Sehr lecker. Mal gucken, wie sich das Chili con Carne macht.
Und dann geht es weiter mit Fischkonserven. Näheres dazu später.

Den Chenal du Four „meistern“ wir mit Bravour, dank unserem immer besser werdenden Tidentiming. Schade, dass wir die Region demnächst verlassen. Tidennavigation hat ja doch was. Aber zugegeben, ohne elektronische Hilfen wäre das alles ungleich schwieriger, das denken wir öfter in letzter Zeit. Dauernd Peilen (erst mal was zum
Peilen finden vor Lachen!), Stromdreiecke berechnen, Winkel vorhalten, neu peilen, Kurskorrektur… Heutzutage steuert man einen GPS-Track. Danke, das war’s. Vielleicht ist das der Grund, warum die ganze Bucht hier voll ist mit Seglern: es ist halt alles viel einfacher geworden. Und trotzdem fällt uns angesichts der Stromkabbelungen vor Le Conquet heute der Unterkiefer runter. Wir laufen unter Vollzeug so um die 6 Knoten
durch’s Wasser, keinesfalls sensationeller Wind, aber nett – und loggen satte 10 Knoten und mehr. Und das Wasser sieht, sagen wir, gewöhnungsbedürftig aus. Ich möchte nicht wissen wie das hier ist, wenn richtig Wind gegen die Tide steht. Siehe das schöne, bekannte Bild vom „Le Four“. Ein Leuchtturm, fast schon von der Welle
überspült, der Leuchtturmwärter steht noch vorn in der Tür. Das ist hier. Le Four. La Jument…

Aber diese Gegend werden wir nun doch schleunigst verlassen – nicht weil wir die Bretagne nicht mögen, ganz im Gegenteil, sondern weil wir uns doch bald an die Biscayaüberquerung machen wollen. Für Interessierte und alle,
die mit Aphrodite die Luft angehalten haben, gibt es gerade den Bericht von Sönke und Judith (www.hippopotamus.de) zu lesen. So kann es halt auch sein. Das bestellen wir mal so für uns. Bevor wir abspringen gibt es aber noch Langoustines à la mayonnaise. Danke Eva, für den Tipp! Und dann: runter vom Sprungbrett namens Le Camaret sur Mer.

Cherbourg

Die Tage in Cherbourg haben wir vor allem mit allgemeinem Gebastel verbracht – die Nähmaschine wurde herausgeholt, die alten langärmeligen Büroklamotten auf „Kurzarmhemd“ umgearbeitet etc. Und: für 3 volle Tage sah es endlich mal wieder nach Winter aus. Winter heißt: Bodenbretter hoch, Vorschiffskojen abgebaut, und endlich kann der Eigner mal wieder für viele schöne Stunden in die Elektrik abtauchen. Umbau der
Absicherung für Ankerwinde und Bugstrahlruder ist angesagt, das war von Anfang an ein bisschen unterdimensioniert, und die Schwierigkeit ist nicht, einfach mal ein Kabel zu ziehen, sondern das 24V-Bugstrahlruder und 12V-Ankerwinde automatisch umschaltend zu kombinieren. Ach, wie haben wir das vermisst! Unnötig zu sagen, dass der einzig verbleibende Nähplatz im Cockpit ist. Der Salontisch ist vollflächig bedeckt mit Kabelschuhen, Werkzeugen und Zeichnungen. Irgendwie kämpfe ich mir den Naviplatz frei, damit ich Versuche starten kann, dass Pactormodem, Amateurfunkgerät und Rechner sich endlich unterhalten.
Die Verschnaufpausen verbringen wir mit Steg-Gekakel. Es hat sich rund um uns eine Hallberg-Rassy-Show gebildet, mit jeweils wechselnden Darstellern. Engländer mit französischer Frau, HR 37. Finnisches Ehepaar (Rallyefahrer!), HR 43, pfuschneu… Engländer mit einer 36er. Und überall gibt es was zu gucken. Abzugucken.
Oder scheinbar gute Ideen abzuwählen.

Am Montag eine Landpartie im Leihauto auf dem Cotentin. Wohin wohl? Natürlich, D-Day gucken. Und das ist nun – nach der tollen Ausstellung in Dunkerque – ein zweischneidiges Schwert. In St.e Mère LÉglise hängt ein Fallschirm samt Fallschirmjäger am Kirchturm, viel geknipst, viel bestaunt. Voller Parkplatz, Touristengewühle. Ein paar Kilometer weiter schauen wir uns die Batterie von Crisbecq an – eine riesige Verteidigungsanlage der Deutschen. Es lässt uns ziemlich schaudern, diese gigantischen Bemühungen, dieser wahnwitzige Aufwand an Material und Arbeitskräften. Zwangsarbeiter. Kriegsgefangene. Mörderische Verteidigungsbemühungen.  Und dann liegen in der Krankenstation viele, viele Kleinigkeiten aus, die ich nur allzu gut aus meiner Kindheit kenne und was mich sehr anrührt.
Weiter zum Utah Beach. An der Stelle seiner Landung in den Dünen ein großes Denkmal für General Leclerq, umwuselt von Surfern und Strandbesuchern, die ihren Kindern die Eimerchen und Schäufelchen hinterhertragen. Eine merkwürdige Mischung. Ein paar Kilometer weiter ein amerika-lastiges Museum direkt am Strand.
Es ist schon berührend und informativ, aber insgesamt doch zu sehr auf Show und zu wenig auf Geschichte ausgelegt, und eben sehr auf die Leistung der Amerikaner zugeschnitten. Hoffentlich kommen die anderen Beteiligten in den anderen Gegenden der Invasion besser weg. Es scheinen sich alle Orte rund um den D-Day ihren Teil sichern zu wollen, und so gibt es diverse Schauplätze – Musée de la Libération in Cherbourg, Utah
Beach, Airborne Museum etc. etc. Wir kaufen jedenfalls keine Camouflage-T-Shirts, keine Landungsbootbaus?tze, keine Videos. Dafür nehmen wir mit Erstaunen zur Kenntnis, dass S&S, Sparkman and Stevens, Koryphäen des gehobenen Bootsbaus, auch ein
Exponat beisteuert. Ein Amphibienfahrzeug.

Zurück am Boot fragt der Nachbar: „… where have you been?“ und so bildet ein unangemessen beiläufiges Gespräch von Reling zu Reling den Abschluss dieses „historisch wertvollen“ Tages. Über die Deutschen, die Europäer und ihre Geschichte, WW1 und 2. Mit David. Und seiner französischen Frau. Aus dem Elsass. Urrgs. Schwierig.
Sprachlich und inhaltlich.
Der Folgetag geht dann noch einmal mit den Restarbeiten an der Elektrik dahin (das Aufräumen nicht zu vergessen!) und Andreas steht ein bisschen der Angstschweiß auf der Stirn, als wir die Sicherungen einschalten, denn diese Anordnung war nur mit einer eher komplizierten Zeichnung herzustellen. Anruf bei Michael, unserem Berater in
Bootselektrikangelegenheiten in Hannover. „..es funktioniert!“ Vollzugsmeldung per Roaming und Freude auf allen Seiten.
Dienstag, 22 Uhr. Wir unterbrechen unsere frisch angekommenen belgischen Nachbarn, die sich zu uns ins Päckchen gelegt hatten, beim Dessert. „On va démarrer!“ Während wir uns rückwärts rausziehen, fährt ein Belgier vorbei. „Vouz allez ou?“ „… Brest!“ „… la Belgique…“ Wir gucken uns an. Das ist ja nun tidenmäßig diametral entgegengesetzt – sollten wir uns verrechnet haben? Aber nach ein paar Stunden Vollmondsegeln wissen wir: Perfekt! Um 3 Uhr zieht uns ein gigantischer Strom – schließlich Springzeit! – an Alderney vorbei. Eigentlich kenne ich diese Gegend ja wie aus meiner Westentasche – von all den Übungs- und Prüfungsaufgaben für den Sporthochseeschifferschein. Wir winken den Alderney Races, die ich so gern in natura gesehen hätte, zu und den Kanalinseln – wir kommen auf der Rückfahrt für einen längeren Stopp. In ein paar Jahren. Man muss sich ja auch noch ein paar Highlights aufsparen.