Nette Nachbarn

Die ARC naht, die „Atlantic Rally for Cruisers“, die Teilnehmer nähern sich immer eiliger den Kanaren. Die HIPPO mit Sönke und Judith ist schon aus Marokko auf Lanzarote angekommen, wie viele andere auch, die wir auf dem Weg hierher getroffen haben. Lagen wir letzte Woche noch in einem Norweger-Nest mit ARC-Absichten, scheinen jetzt die Engländer hier durchzureisen. Gerade wird gegenüber die Regatta-Flagge hochgezogen, und an was für einem Boot: hier wird mein alter Traum im großen Stil verwirklicht, eine Runde mit einem Folkeboot – aber nicht in der Ostsee, nein, die gehen einfach über den Atlantik damit. Klasse!
Der Beispiele sind mehr, und reichlich Gesprächsstoff lieferten uns die Jungs, mit denen wir uns bis gestern den Schlengel teilten. Eine alte Beneteau 47, geradewegs aus Peniche/Portugal eingetroffen. Engländer, eine Männer-Crew: 6 fidele Typen in den (späten) 60ern. Ziemlich fidel sogar: einer entschuldigt sich „for last night“. Wir haben keine Ahnung, warum. Klar – die „Tide Chase“-Crew auch nicht. „No clue what happened yesterday night!“ Zwischenzeitlich dröhnt mal die „Neue Welt“ von Bord, dass sich das Deck hebt. Man geht in Bowler und Fliege ins Restaurant, feines Oxford-Englisch mixt sich mit haltlosem Gelächter, und als die Weinkartons über die Reling gehievt werden, zeigt sich, dass die Reise von England hierher auch fremdsprachlich ein Erfolg war – aus jedem Land einen Brocken: „Ouubreegadouuu, monn shearree!“. Nett ist er , dieser Honoratiorenclub, daheim sicher „very decent“. Wir fragen uns allerdings, wie das mit dem Frohsinn auf der Atlantik-Passage wird – und noch viel schlimmer: auf den ganzen ARC-Feten vor und nach der Regatta. Wehe, wenn sie losgelassen. Immerhin können wir uns auch mal als nette Nachbarn profilieren und machen schnell Kopien aus Segelführern für die ARC-Kandidaten. Und vielleicht sehen wir uns ja in Las Palmas.
Nette Nachbarn gibt es aber auch landseitig. Nach einer langen und mal wieder so anstrengenden wie beeindruckenden Wanderung über die Ponta da Sao Lourenco, die östliche Landspitze Madeiras, gleich hier um die Ecke, kriege ich gestern gerade noch so eben den 17-Uhr-Bus nach Machico, während Andreas runter zum Boot läuft. Als ich mit knackevollem Rucksack und an jeder Hand 4 Plastiktüten aus dem Pingo Doce trete, bestürmen mich gleich die Taxifahrer – 15Euro nach Quinta do Lorde trifft allerdings nicht ganz meine Vorstellungen. Ein kurzer Weg zur Busstation – dreimal die Tüten absetzen und verschnaufen inklusive – und eine halbe Stunde warten macht zusammen: 14€ Ersparnis. Ich mache mich daran, meine 8 Tüten auf 4 zu reduzieren, da tippt mir einer der Taxifahrer auf die Schulter: „12,50??“ Nein, vielen Dank. Ich zeige ihm meine schmutzige Hand mit den 90 Cent Busgeld. Verstanden. Kaum ist der weg, steht der nächste da – zu Fuß, man gibt ja ungern seinen Standplatz auf. „10???“. Das wird nix, tut mir wirklich leid, zumal es hier ja auch kurzweilig ist: die Frau, die mit mir auf der Bank sitzt, hilft mir beim Tütensortieren, über den Platz brüllen ein paar Enduros und auf Rennen getrimmte Motorräder und auch die tiefergelegten und auspuffgetunten Autos holt man am Samstagabend gern raus. Gute Show, auch akustisch – das Tal ist eng und gibt den Sound anhaltend wieder. 19:05 ist der allerletzte Bus zur Marina, und ich bin ab Canical auch der allerletzte Fahrgast, aus meinem Rucksack- und Tütenberges dünstet ein deutlich duftendes gebratenes Klapphuhn dem Fahrer in den Nacken. Ob er wohl deswegen so auf’s Gas tritt und die Tür ab und zu öffnet?? Egal, er schmeißt mich nicht an der Bushaltestelle raus, sondern als „special service“ ein paar Meter weiter am Tor, und während ich den Rucksack buckele und versuche, die Tüten aufzusammeln, hupt es hinter mir: Mercedes 220 E, noch mit dem schwarzen Kennzeichen aus den vor-EU-Zeiten: „…para Marina?“ Oh ja, gern! Der Catering-Service für unseren Nachtwächter:
Opa und Enkelkinder bringen eine große Tüte Proviant.
So kommt es, dass ich 15 Minuten früher am Hafen bin. Mein nettester Lieblingsnachbar, der AKKA-Eigner, hatte sich gerade eben zur Bushaltestelle aufgemacht, um seinen Dienst als Träger abzuleisten. So braucht er nur noch die aus dem Rucksack rieselnden Früchte und Konservendosen hinter mir aufzusammeln. Und das Klapphuhn aufzuessen. Ein Tag voller netter Nachbarn.

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