Fast hätte ich versäumt zu berichten, dass wir auf der Insel Gorée waren. Wenn man Dakar von Norden ansteuert, umrundet man die Insel (tunlichst) im Süden (wenn man nicht PRESENT heißt!) Dann sieht man, wenn denn der Sahara-Staubdunst es erlaubt, ein Kastell, eine Städtchen mit roten Häusern rund um eine Hafenbucht, ein Idyll …
und als ich eben dort unsere Ankunft im Senegal via Mobiltelefon nach Deutschland meldete, kam umgehend von Heiner ein Google-Ergebnis zurück, ein beeindruckender ZEIT-Artikel über diesen ehemaligen Schwerpunkt kolonialen Sklavenhandels. Wie steht so schön in einem unserer Reiseführer: „… der Sinn des Reisens ist, die Vorstellungen mit der Wirklichkeit abzugleichen…“ Gedacht, getan. Taxiverhandlungen, Taxifahrt zum Hafen, Gorée-Guide schon vor der Fähre abwimmeln – das übliche Programm, fast schon Routine. Wir gucken uns neugierig unter den anderen Fahrgästen der Fähre um. Wer wohl touristisch unterwegs ist, wer wohl dort wohnt?
Schließlich ist Gorée ein Pilgerort für amerikanische (und andere) Touristen auf der Suche nach ihren afrikanischen Wurzeln. Aber die Antwort ist doch eher einfach – so schöne Kleider, so schönen Kopfschmuck wie die Senegalesinnen haben amerikanische Touristinnen einfach nicht. Sie stillen auch nicht ihre Kinder und quackeln fröhlich auf Wolof. Und wenn denn die Frage doch nicht so einfach zu beantworten ist, dann sind Plastikfingernägel mit Stars and Stripes das Ausschlussmerkmal. „Chaloupe“ nach Gorée. Es gibt moderate Versuche, sich uns als Guide anzudienen, aber wir möchten gern allein gehen. Der erste Eindruck sind Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, an denen der Zahn der Zeit nagt, in denen dennoch die Goreaner mit Katz‘ und Ziege wohnen. Der Weg über die Insel ist einer durch eine ununterbrochene Souvenirausstellung – Kleider, Tücher, Halsketten, Bilder. Glücklicherweise hält sich die Zudringlichkeit der Anbieter in Grenzen – trotzdem wird man bestürmt, wenn man mal stehen bleibt und schaut, also bleibe ich lieber gar nicht erst stehen; ein Problem das sich durch meinen afrikanischen Alltag zieht. Schade um die entgangenen Eindrücke, denke ich, aber es fällt mir noch schwerer, all die Kaufangebote auszuschlagen oder zu erklären, dass meine Sandalen nicht geputzt werden möchten.
Das idyllische Gorée, das beschrieben wird, finden wir nicht – vielleicht gibt es das auch nur abends, wenn die letzte Chaloupe abgefahren ist. Der bleibende Eindruck ist weniger idyllisch – das „Maison des Esclaves“. Unbegreiflich, in welchem Umfang Europäer, Araber mit Hilfe afrikanischer Potentaten über Jahrhunderte Mitmenschen als Ware behandelt haben. Wie hat das funktioniert, dass hier oben auf der Balustrade die Hausherrin ihr normales Hausfrauenleben geführt (und ihre eigenen afrikanischen Wurzeln vergessen) hat und unter ihren Füßen Hunderte von Menschen unter übelsten Bedingungen eingepfercht auf ihren Abtransport nach Brasilien, Nordamerika oder in die Karibik warteten?
Unvorstellbar, dass dieses Sklavenhaus nur eines von vielen war: alle Häuser entlang dem Strand erfüllten den gleichen Zweck. Alle hatten sie zum Meer hinaus eine „Tür ohne Wiederkehr“,
und Goree war nur einer von vielen Sklavenhandelsplätzen entlang der afrikanischen Küste. Monsieur Ndiaye, der die Ausstellung arrangiert hat, ein distinguierter älterer Herr (sehr alt muss er sein, der Veteran der „Senegalesischen Schützen“ von 1939/40!) hält eine kleine Rede. Leider sprudeln die Fakten so schnell, dass unser Französisch nicht ausreicht, um all das zu erfassen; es ist die Rede von mindestens 10 bis zu 60 Millionen Afrikanern, die dem Sklavenhandel für die europäischen Kolonien anheimgefallen sind, von Menschenjagd, von Muskelmasse und Jungfräulichkeit als Auswahlmerkmale, von grauenhaften hygienischen Verhältnissen in den Sklavenhäusern und auf den Schiffen, von der französischen Revolution, die die Sklaverei bannte und von Napoleon, der sie 1805 wieder einführte. In Ndiayes Raum haben viele prominente Besucher ihre Bemerkungen zur Ausstellung hinterlassen, zumeist versöhnliche, und schon da zu verweilen lohnt sich. Übrigens: Gorée kommt auch im französischen Reiseführer Routard als beliebtes, idyllisches Ausflugsziel vor. Unter anderem soll es da auch ein Sklavenhaus geben…