Ustupu, Kuna Yala/Panama, 24.1.2010
Da steh‘ ich auf dem Vorschiff und lasse mich begucken. „Hola“, „Buenos Dias/Tardes“ oder in der Kurzform „… buenos…“. Ein Einbaum nach dem anderen, „Ulu“ genannt, gleitet vorbei. Palmschoesslinge, Feuerholz, Baumaterial, Kochbananen. Wirklich fleissig sind die Kunas hier, in Ustupu, Kuna Yalas groesster Siedlung; der Segelfuehrer schreibt dazu: „8.000 Kunas plus the children“. Und eben diese Kinder sind wirklich zahllos. Noch mehr „Hola! Hola!“, zumal derzeit auch grosse Ferien sind.
Die 10 Schiffe, die mehr oder weniger zeitgleich aus Kolumbien hergekommen waren, haben sich aufgeteilt: AKKA plus 2 weitere sind von der Isla Pinos hierher gefahren, aber die Mehrheit hat sich gegen „hohe Bevoelkerungsdichte und fortschrittliche Lebensweise“ entschieden und sorgt nun daf�r, dass der Ankerplatz im wohl sehr traditionellen Mamitupu, ein paar Meilen weiter, aus den Naehten platzt.
Wir moegen es hier in Ustupu, auch wenn tatsaechlich 1 bis 2 mal am Tag ein Buschflieger auf dem nahen Airstrip landet; der ist nur mit Einbaum (wahlweise auch motorisiert), zu erreichen, das Abfertigungsgeb�ude eine palmgedeckte H�tte – das Plumpsklo, das nach Kunasitte auf Stelzen im Wasser steht, bitte nur mit g�ltigem Flugticket benutzen! Scherz beiseite: Gestern und heute habe ich in der Tat lange Zeit auf dem Vorschiff gestanden, meine kleine Plastikwaschmaschine betrieben und wie immer ein bisschen geflucht: Wasser einfuellen, Waesche auswringen, Wasser ablassen, Waesche wieder einfuellen, Wasser drauf, spuelen, wringen, spuelen… Derweil verwandelt der Wassermacher das Seewasser in Waschwasser,die notwendige Energie liefern Solarpanel und Windgenerator. Aber wenn dann diese Kunafrau vorbeipaddelt, muehsam gegen den starken Wind, das Ulu randvoll mit Kokosnuessen und ueberschwappendem Seewasser – dann wird mir schlagartig klar, dass es nichts zu fluchen gibt. Es ist mir fast unangenehm unsere Schaetze auf der Waescheleine zur Schau zu stellen: dicke Frotteetuecher, Bettlaken, all die Blusen, Hemden, Hosen. Jahrhunderte scheinen zwischen uns zu liegen – es mir noch nie so direkt vor Augen gef�hrt worden, wie reich wir doch sind, wir Segler alle miteinander, mit unseren voll ausgestatteten Schiffen, und seien sie noch so klein…
Die letzten Tage waren wir zum Abendessen drueben im Dorf – Wasser, Reis, Huhn, Linsen. Bier gibt es nach bester Kuna-Sitte nicht, nur Pepsi, das geht schon mal, oder richtig eklige Limonaden; Alkohol ist in vielen Kuna-Orten verpoent, nur zu Festivitaeten wird die Chicha angesetzt, ein angeblich sanft beduselndes Gebraeu aus vergorenem Zuckerrohrsaft… Kein Wunder, dass diese Festivitaeten angeblich eine betraechtliche Laenge erreichen! Wenn man Glueck hat, verfuegt das Restaurant ueber ein Solarmodul und kann eine Energiesparleuchte betreiben, ein Privileg in nur einer Handvoll unter Hunderten von Haeusern. Fisch, um zum Menu zu kommen, gibt es derzeit nicht – zu viel Wind zum Fischen; und die Langusten… Naja, die moegen wir nicht so, wir sahen die Kaefige mit dem Fang in der Lagune liegen, umrundet von Kuna-Huetten, vor jeder Huette das oben beschriebene Stelzen-Klo; ab und an ist auch noch ein kleiner Schweinestall dazwischen, echt praktisch, da selbstreinigend! Sehr nahrhaftes Wasser. Daher also Huhn auf unserem Teller. Aber, wo wir schon beim Essen sind: Kuna-Brot ist ein echtes Broetchen-Wunder. Und ausserdem verkauft der Baecker unseres Vertrauens auch noch viele andere Sachen, ein echter Kraemer halt: Stoffe f�r Molas, einzelne Windeln (nach denen immer die groesseren Geschwister geschickt werden!), Schulmaterial, Kochbananen, Desinfektionsmittel, Oel, Macheten. Und, als ultimative Geschaeftsidee, das Aufladen von Handy-Batterien. Steckdosen sind hier, wie man sich vorstellen kann, Mangelware, nicht so jedoch Mobiltelefone. Baecker Andres erklaert uns endlich auch die Sache mit dem Nationalsymbol der Kunas, dem „cruz gamada“… Das war VOR den deutschen Nationalsozialisten, darum ist IHR Hakenkreuz das richtige. Was er verschweigt, ist, dass das Kreuz wahrscheinlich von einem nordamerikanischen Siedler namens Marsh hierher gebracht wurde, und dass die Kuna-Revolution von 1925 Folgen hatte, die man als Rassenhygiene beschreiben kann; so wurden Kinder aus Mischehen zu Hunderten umgebracht. Ob es da einen Zusammenhang gibt? Wir sind der Wahrheit noch auf der Spur. Wie dem auch sei: keine „shakiras“ f�r die AKKA, das sind die breiten Perlenb�nder, die alle Frauenbeine und -arme schm�cken, in den Nationalfarben, rot und gelb und meist mit Hakenkreuz. Es ist ein Kreuz… Das sehen andere Seglernationen nat�rlich viel lockerer, und so weht es fr�hlich rot-gelb unter australischen und britischen Salingen. Mit Kreuz.
Dunkel, aber nicht duesterer Stimmung geht der Abend auf dem Dorfplatz zu Ende: auch hier eine Energiesparleuchte, die die versammelte Dorfjugend befunzelt. Und waehrend sich einige einen Spass mit und ueber uns machen, die wir uns im Dustern auf einer der Betonbaenke gepflanzt haben, werden wir von Naika ausdauernd und ernsthaft befragt. �ber den grossen Ozean, mit so einer Yacht!? Habt Ihr Karten?! Woher kommt das Wasser?! Der Proviant?! Wie weit ist das? Wie lang?! Wie ist das in Europa? „… ich dachte immer, dass all die Yachten, die hier anhalten, aus Panama kommen…“ Naika hat jetzt ein neues Lieblingsfach: Geografie, und er geht naechstes Jahr nach „Panama“ – in die hoehere Schule: “ …weit weg!“
Wir auch. Zurueck zur AKKA. Ganz nah und doch Jahrhunderte von einem Kunadorf entfernt.