Ailigandi/Kuna Yala, Panama, 1.2.2010
Sanft naehern wir uns dem westlichen Panama, und mit ihm wird der Einfluss der Kunakultur geringer, auch wenn wir hier vor der Schule stehen, die nach Semral Colman (viel schöner auf Kuna: Olo Kinbipilele) benannt ist, dem „großen Fuehrer“ der Revolution von 1925, damals lockere 85 Jahre alt. Revolution. Gemetzel eigentlich, ein Gemetzel, bei dem die Kunas dank der Intervention der USA die Oberhand in ihrer Provinz behielten, und seitdem ist gluecklicherweise Ruhe. Ailigandi heisst unser derzeitiger Standort: diverse Betonhaeuser erzeugen schon ein etwas neuzeitlicheres Bild von einem Kuna-Dorf; auch Ustupu hatte ein paar, aber hier sind es doch – ueber die Klassiker wie Klinik, Polizei (!) und Schule – hinaus ein paar mehr: der grosse Kramladen zum Beispiel, eine Bibliothek, sogar ein paar Wohnhaeuser. Dennoch sind die meisten noch traditionelle Huetten , und die sind wie überall: gestampfter Sandboden (erstaunlich fest und sauber!), ein paar Hartholzstuetzen aus dem Urwald mit den allgegenwaertigen Ulus herangeschippert, dazwischen Zuckerrohr als luftiges Wandmaterial, ein Dach aus den Blaettern einer ganz speziellen Palme. Letzteres ist wirklich bemerkenswert: Haltbarkeit 15 bis 20 Jahre, das ist VIEL länger, als ein schnoedes Blechdach hier in tropisch-mariner Gegend braucht, um dahinzurotten. Damit der Passant (Meriki oder nicht) keinen direkten Einblick erhaelt, sind die „Waende“ von innen oft mit Stoff zugehaengt; dass das eine akustische Sperre waere, kann man nicht unbedingt sagen. Campingplatzakustik, sozusagen. Die Gassen sind ohnehin so schmal, dass wir gerade mal so durchpassen, meistens jedenfalls, es gibt auch „Prachtgassen“… Auf dem Beton-Basketballplatz mitten im Dorf verbringt die Jugend den Samstagabend, den frühen zumindest, bis zum „Licht aus“ um 18:30; was sie tut, wenn irgendwann der Stromgenerator ansprint und hier und da ein elektrisches Licht aufleuchtet, wissen wir nicht. Volleyball und Basketball sind jedenfalls ungeachtet der geringen Koerpergroesse der Kunas sehr beliebt, aber all diese Ballspiele lassen sich offensichtlich besser in Jeans, T-Shirts und fetzigen Tops spielen. Nix Molabluse und Wickeltuch… Beim Schwaetzchen mit Morris Anecleto, einem älteren Herrn in den späten Siebzigern, angetan mit weißem „Marriott Panama“-Polohemd, kommen wir drauf, dass wir nun seit mehr als 3 Wochen keine Autos mehr gesehen haben (nichts gegen unseren Broetchengeber, aber autofrei ist auch mal fein). Anecleto erzaehlt aus alten Zeiten, als kurz nach der Revolution amerikanische Missionare nach Ailigandi kamen, die Marvels, er Kuna, sie Amerikanerin, und die jungen Leute mit Religioesem, aber auch mit medizinischer Versorgung und der Vermittlung englischer Sprachkenntnisse beglueckten. Das ist heute anders, wir konnten es hautnah beobachten. Die Missionare von heute vertreten die texanische Baptistenkirche und sprechen Spanisch mit den Kunas. Mittwoch kommen sie her, wir haben sie schon in Ustupu getroffen, 30 an der Zahl, Laien-Missionare auf 5-woechiger Kunareise; wir sahen es mit Skepsis. Wie uns aber der Pfarrer der hiesigen „Marvel Iglesia“ glaubhaft machen konnte, gibt es tatsächlich viel zu klagen, und darum ist ihm auch gleich, welcher Konfession Missionare oder andere Hilfswillige sind. Von den 2400 Dörflern paddeln nur noch wenige hinaus zur Feldarbeit auf dem Festland; kaum jemand geht zum Fischen. Reis gibt es statt Yams, Tomaten kauft man beim Kolumbianer, der gelegentlich mit dem Schiff vorbeikommt, stattdessen laesst man die Kochbananenpflanzen vergammeln. Das Geld fuer’s Alltaegliche kommt aus Panama City, wo viele Verwandte leben. Waehrenddessen verteilen finstere Gestalten hier auf den Inseln von irgendeinem Strand aufgelesenes Kokain, Bier ist sowieso frei verkaeuflich. Die Pfarr- und Lehrersfamilie versucht gegenzusteuern, und wenn denn kein Gottesdienst oder Schulunterricht ansteht, stehen alle mit auf dem Feld und baut mit einer Handvoll motivierter Doerfler Limonen, Orangen, Bananen und Kokos an, und versuchen neu zu vermitteln, dass man doch hier eigentlich im Selbstversorgerparadies lebt. Auch Yams gibt es von Pfarrers Feldern, und so gibt es morgen Yams auf AKKA – wir kriegten eine Probierportion geschenkt, mit einer Gebrauchsanleitung aus erster Hand.
Ein bisschen Bedauern schwingt nun mit, wenn wir an die viel zu schnell vergangenen letzten Tage denken – man braucht doch viel mehr Zeit, um mehr als nur einen fluechtigen Eindruck von wirklicher Kunalebensart zu gewinnen. Der letzte Abend in Mamitupu brachte uns ein paar Einblicke mehr. Da sitzen wir mit Pablo und Jacinto zusammen, hoeren ueber Mindesteinkommen (20 Kokosnuesse pro Monat = 20×25 US-Cent); waehrend die Kokospalmen und ihre Ernte einzelnen Familien gehoeren, sind die vielen Fruechte des Waldes frei fuer alle, und 20 an AKKA verkaufte Limonen (1 Dollar) sind ein gewaltiges Zubrot fuer eine Mamitupu-Familie. Guy von der MOANA hat einen Mamitupiano gebeten ihm Tagua-Nuesse zu bringen, zum Schnitzen. Als er die 50 Nuesse in Empfang nimmt und die verabredeten 25 Dollar uebergibt, rennt die Hausfrau mit einem bis Achitupu sichtbaren Lachen im Gesicht los: ein HUHN muss her an diesem Feiertag. 25 Dollar, das heißt „Monate lang ausgesorgt“. Pablo Nunez ist ein Kuna, der eine Weile in England gelebt hat und sogar mit einer Englaenderin verheiratet war (das ist absolut Kuna-Pfui!), und der betreibt auf der „boesen“, ich erwaehnte es bereits, Landspitze der Insel Mamitupu ein „Resort“. Fangen wir mal mit dem neuzeitlichen Teil des Resorts an: man koennte auch sagen, Pablo betreibt ein mit Porzellanschüssel, – handwaschbecken und Wasserspuelung ausgestattetes Toilettenhaeuschen, klassisch auf Stelzen über dem Wasser, und dazu gehoeren 4 Kuna-Huetten mit Haengematten; 100% Kuna, denn andere Moebel außer Sitzklötzen sind hier unbekannt; mal abgesehen von den Huetten der Baecker, da steht mittlerweile ein großer Gasherd neben einer Propangasflasche (übrigens zahlen wir in Mamitupu wie in Ailigandi einen Merikipreis für Brot: 10 Cent statt 5 für die Einheimischen). Pablos Resort gruppiert sich um ein offenes Gemeinschaftsdach mit zwei richtigen Tischen und Stuehlen – hier kocht sein Schwager, Jacinto, was er am Tage einheimsen konnte. Sollten mal Gaeste da sein – Yachties werden mehr nach dem Lustprinzip bewirtet. Wenn es nichts zu fangen gab, dann gibt’s Reis mit Kokosnuss oder Yams mit Kochbananen und Linsen. Sonst Fisch („…zu viel Wind!“), Langusten („…zu aufgewuehltes Meer!“), alternativ Meeresfruechte der leichter auflesbaren Art. Wir kriegten handgesammelte Meeresschnecken mit Tomaten-Bananensauce. Lecker. Getraenke: Wasser, Weisswein (AKKA, Tetrapak aus Chile), Rotwein (MOANA. Frankokanadier, klar: Pomerol. Zugegeben, nicht ganz – PomerolFLASCHE, gefuellt mit suedafrikanischem Chateau de Carton). Alkohol aus Kunahand (und in Kunablut) ist, bis auf die schon frueher erwaehnte Feiertags-Chicha, auf den traditionellen Kunainseln absolut verpoent. Nur auf unserem Plaetzchen da draußen, wo sowieso die boesen Geister hausen und nur Meriki-Boote ankern, spielt Alkoholgenuss keine Rolle, und so greifen Jacinto und Pablo bei den mitgebrachten Bierdosen (unsere letzte aus St. Vincent!) zu. Was die Nuchus wohl dazu sagen… Tja, Nuchus. Wir waren eben doch schon nah an den Kunas dran. Ein Nuchu ist ein Amulett, und das gibt es hier in jedem Haus, in vielfacher Ausfertigung, kleine, große, schwache, kraeftige. Nuchus kann der Tourist kaufen, aber gekaufte Nuchus haben keinen Geist und keine Macht. Ich las im Bauhaus-Sailing Guide, dass man vor einer Weile seiner Crew Nuchus geschenkt habe, und seitdem sei Schuldzuweisung an Bord leicht: Grundberuehrung?! Der Nuchu hat lange keinen Kakaodampf mehr gerochen. Streitigkeiten?! Nuchu im Seegang umgefallen. Kopfschmerzen? Nuchu guckt aus dem Fenster statt auf die Koje..
Zurueck nach Ailigandi. Gestern sind wir mit dem Dinghy den Fluss hinauf gepaddelt, dorthin, wo die Ulus verschwanden. Als wir uns in der Flussmitte an einem Baumstamm festmachen um zu verschnaufen und genießen, kommen zwei Frauen in vollem Kunagewand vorbei (nicht nur die Maenner paddeln gut und ausdauernd, auch die Frauen koennen das hervorragend). Das Ulu ist leer, also sind sie auf dem Weg zum Feld. Denken wir. Aber sie kommen bald mit ebenso leerem Ulu wieder vorbei… ?!?? Als wir eine Flussbiegung weiter sind, loest sich das Raetsel ihrer Fahrt: es tut sich ein weitraeumiges Friedhofsgelaende auf, mit – wichtig! – schoenem Blick auf den Fluss. Kein Mensch weit und breit, dafuer aber gedeckte Tische, volle Flaschen, Fruechte unter den Palmdaechern, die die Graeber beschatten. Das war wohl eine Fahrt zur Totenversorgung. Es ist ein bisschen – gespenstisch?! Haetten wir vielleicht ein Nuchu mitnehmen sollen?! Uebrigens sind wir gerade beim Dorfspaziergang zusammen mit der der Crew der HIGH STATES einem kleinen Desaster entkommen. So neuzeitlich die Ailigandianos sein moegen – der Initiationsritus fuer die Maedchen ist klassisch: eine große Chichazeremonie, und die ist heute. Neugierig stecken wir den Kopf in die Chichahuette – Alkoholdunst wabert uns entgegen, nicht unaehnlich deutschen Schuetzenfesten. Schon wankt ein freundlicher alter Herr, den wir gestern auf dem Fluss trafen, auf uns zu: „Ah, los Alemanes!“. Er hat zwei Trink-Kalebassen in der Hand… Mit knapper Not koennen wir darauf verweisen, dass wir erst mal unsere Yamswurzeln sichern muessen. Jetzt hoeren wir von fern Getrommel, mit dem schon der Tag begonnen hatte, abgeloest von tiefen Wummerbaessen Marke „Disko“. Neuzeit?! Ja. Nein. Ob Nuchus wohl gegen KATER helfen? Das wird uns so verborgen bleiben wie manches andere hier in Kuna Yala.