Poe Ite Ite …

Fakarava, 30.7.2010

Tetamanu, das ist das Inselchen am Südpass von Fakarava und der frühere Hauptort des Atolls, das übrigens mal „Wittgenstein“ hieß, der baltische Entdecker Fabian von Bellingshausen wollte es so. Mittlerweile sind im Dorf nur noch 2 bewohnte Häuser zu sehen, an grasüberwachsenen breiten Wegen aus alten Zeiten; eine Kirche und der Friedhof, ein paar Steinhausruinen, alles verstreut unter Kokospalmen. Als es auf der Insel zu eng wurde, zog die ganze Bevölkerung 30 Meilen nach Norden, nach Rotoava am anderen Atollende, und hier kehrte die Ruhe ein, die wir jetzt genießen.

Wir waren „Drift-Schnorcheln“, zum wiederholten Mal, das Dinghy an der langen Leine und haben uns mit der Flut an der Riffkante entlang zurück ins Atoll tragen lassen, angefangen im Tiefblauen, wo man unter sich die Ammenhaie auf dem Grund schlummern sieht, ab und zu zieht auch ein grauer Riffhai dort unten vorbei. Wo es heller und grüner wird, steht ein freundlicher Riese, der große Napoleon, der uns mit seinen dicken Lippen (drum ist es ja auch ein Lippfisch!) anlächelt; täglich neu eine Sensation. Trompetenfische – eher unscheinbar oder knallig gelb. Königsblaue Schwärme von kleinen Riffbarschen. Eine Putzstation von Putzerlippfischen. Und überall Langnasen-Doktorfische, mit „Nasen“ in allen vorstellbaren Längen – die Alten kann man gut erkennen, dann werden Höcker auf dem Oberkopf so lang, dass das Abweiden von Algenrasen leider nicht mehr möglich ist; ein Diätwechsel muss sein: wir stellen um auf Plankton! Eine große Muräne, für die ich mir eigens nochmal die Kamera hatte reichen lassen, wird nicht abgelichtet. Ich gestehe, so groß, so ein zahnbewehrtes Maul in Greifdistanz und dieser unverwandte Blick – ich mochte einfach die Hand mit der Kamera nicht ausstrecken. Feigling!

Zum Schluss binden wir das Dinghy am Steg von TETAMANU Diving an. Glasklares, knöcheltiefes Wasser – so klar, dass es mir scheint, als flöge ein kleiner, knallig blauer Papageienfisch über trockenen Sand; da wo es wadentief ist, dreht ein Schwarzspitzenhai seine Runden – ich bin gerade an ihm vorbeigeschwommen, ein bisschen neugierig ist der Kerl, aber freundlich. Ein Bohlensteg, unter dem die Flut ins Atoll hereindrückt, führt zum Restaurant- und Kochhaus, das auf Stelzen im Wasser steht.
Jemand schlägt eine kleine Schiffsglocke an – Zeit für’s Mittagessen für die Taucher, und da heute nur ein Gast da ist – die anderen sind vor ein paar Stunden zum Flughafen abgereist – dürfen wir uns als Mitesser an den langen Tisch der Tauchbasis setzen, unter’s Palmblatt-Dach. Aus einem Lautsprecher dudelt Südseemusik; die gibt es abends sicher auch life, denn auf einem der Sofas lehnen drei Ukulelen. An die Dachstützen ist eine besondere Art der Pflanzendeko gebunden, Palmschösslinge „natur“, direkt aus der Kokosnuss, die man schlicht auf die Bodenbretter gelegt hat, und zwischen den Bohlen blitzt die blaue Tiefe herauf, mit all den blauen und violetten und cremefarbenen Korallen und dem ganzen bunten Fischreichtum, inklusive Schwarzspitzenhaien und anderen, die sich schon auf Fischgräten vom Mittagstisch freuen.
Dass Annabelle heute selbst kochen würde, hatte sie uns schon verraten. Hausmannskost – sind ja keine Gäste da, nur die Handvoll Mitarbeiter der Station. „Pure motu“, sagt sie, die wie ihr Mann Sane von einer der Nachbarinseln im Atoll kommt, „… vom nächsten Motu… “ wie sie sagt, und rattert los in ihrem schnellen, polynesisch gefärbten Französisch. Kokoswasser, Kokosmilch von der grünen Kokosnuss, Fisch – „… Kokosraspel und ein bisschen Mehl, etwas Zucker. Du formst Bällchen und kochst es in Kokosmilch – et voilà… Zu den Klösschen etwas gedünsteten Fisch, und jetzt nimmst Du etwas Salz, gießt etwas von der warmen Kokossuppe drüber und dann…“ – sie führt die Finger zum Mund und schlürft. „Muss man genau so probieren, mit den Fingern – das ist poe ite ite! Pure motu…“ Verschwiegen habe ich, dass es dazu eine große Schüssel „poisson cru“ gibt. Roher Fisch in Zitrone und Kokosmilch eingelegt. Unser Segelführer sagt, dass zu viel Kokosmilch abführende Wirkung hat (und dass man als Antidot vielleicht eine ordentliche Portion Guaven essen soll, das stopft dagegen…) Wir können das so nicht bestätigen – vielleicht sind wir schon dran gewöhnt. Hausmannskost à la motu.
Hinterher sitzt man auf den Brettern und lässt die Beine über diesem unbeschreiblich klaren Wasser baumeln. Unten Aquarium, am Horizont türkis und grün schillernde Untiefen, Sonne von oben. Und poe ite ite… Mehr von all dem!

Intuition gegen Mathematik

Fakarava, 26.7.2010

Es war ja versprochen: das neue Wochenrätsel. Ein bisschen peinlich, dass wir das hier unten im Pazifik immer noch nicht begriffen haben. Wir hoffen allerdings, dass die versammelten Schlauberger, zum Beispiel unsere frisch gebackenen Yachtmaster von der VIGO, vielleicht einen Hinweis, eine Lösung oder wenigstens einen Literaturtipp für uns haben könnten. Unsere Funkrunde sagt eher Sachen wie: „… ach, das muss ich gar nicht so genau wissen …“

Genug der Vorrede: Es ging um Tidennavigation, besser noch: Tidentheorie. Aufgabenstellung (für die Lösung haben wir eine EINS gekriegt!): Pass Süd Fakarava so zu treffen, dass einen weder die Flut mit 8 Knoten ins Atoll zieht, noch die Wind-gegen-Strom-Brecher vor dem Pass einen an der Einfahrt hindern; wir wussten ja, noch halb in den Marquesas, nicht, dass Fakarava Süd nicht nur auf dem Papier, sondern auch in Wirklichkeit perfekt betonnt, nicht so grauenhaft eng und insgesamt easy-peasy ist.
Als Ostseesegler hat man von Tidennavigation nur einen fernen Dunst, bis man in Brunsbüttel aus der Schleuse guckt, bei AKKA hieß das: Learning by doing. Zur Bewältigung des Problems hat man außer der persönlichen Erfahrung verschiedene Hilfsmittel: Tidentabellen, in unserem speziellen Fall die „Tide Tables 2010, Central and Western Pacific and Indian Ocean“ und diverses elektronisches Rüstzeug, kleine Tidenprogramme wie „WXTide“, leider kein „Total Tide“ (das steht auf der Ausrüstungsliste, falls es sich denn im Vergleich als wirklich fähiger erweist), und last but not least der Kartenplotter mit der Datenquelle von Navionics; und mit all dem sind wir ja auch weit gekommen. Die BR- und BK-Scheininhaber werden sich erinnern, dass man in die Tidentabellen geht, sich die Zeiten und Höhen von einem „Bezugsort“ oder Standard Port sucht, den eigenen Ort über eine – sehr fein gestaffelte – Liste der Anschlussorte sucht, alle paar Meilen einer, und daraus eigentlich minutengenau den jeweiligen Wasserstand ermitteln kann. Jedenfalls ist das so in der Nordsee und angrenzenden Ozeanen, à la „Harlesiel, Buhne A“. UNSER Standard Port ist Apia/Samoa, 1.500 Seemeilen entfernt, und der nächst gelegene Anschlussort ist das Atoll Rangiroa, 150 Meilen, der nächstweitere schon 300 Meilen nach Osten. Da heißt es „interpolieren“… und dann sieht man plötzlich, dass die Angaben der einzelnen Quellen weit auseinander gehen, das Atoll Ahé aus der Reihe der Tidendaten völlig herausfällt! Kann das sein – ist da was falsch?! Wann ist denn nun Hochwasser in Fakarava? So verfielen wir in tagelanges Grübeln über die schiere Theorie, Fliehkräfte, Gravitation, Systemschwerpunkt; von wo nach wo die Tide läuft, was die lokalen Unterschiede erzeugt, was der Mond denn nun wirklich damit zu tun hat. Und WikiTaxi fasst das in einem schönen Satz zusammen: „… somit erklären sich die Gezeiten allein durch die Kombination von inhomogenem Mondgravitationsfeld und konstanter Fliehkraft durch Revolution um den Systemschwerpunkt…“ Wir machen die Fragezeichen dazu…

Glücklicher- wie tröstlicherweise stand in einem der Cruising Guides für den Pazifik, dass es wenigen Leuten bekannt sei, dass man den Zeitpunkt des Stillwassers – also unseren idealen Einfahrtpunkt in Fakarava – ermitteln kann, indem man dem Monduntergangs- bzw. Mondaufgangszeitpunkt feststellt, und dann heißt es: Slack Water 4 Stunden vor Mondaufgang (oder auch nur eine!), dann einlaufendes Wasser, 5 Stunden nach Mondaufgang Slack Water und ablaufendes Wasser usf. Wie man sieht, gibt es auch dafür 2 ziemlich unterschiedliche Rechenmodelle. Aber ein bisschen Spaß muss bekanntlich sein, und es sind ja nur 2 Modelle.
Und: Wir waren absolut pünktlich, die Einfahrt ein Kinderspiel.

Und heute? GANZ was Neues: Ermittlung Stillwasser im Pass Fakarava Süd! Wir wollen mit dem Dinghy raus, uns ins Wasser fallen lassen und mit der einlaufenden Flut an der Riffkante entlangschnorcheln. Und sitzen schon wieder über dem WIKITAXI und Tidentabellen, dieses mal wegen der Tidenverspätung. Warum tritt manchmal die Flut mal nur eine halbe Stunde verspätet auf und dann wieder die planmäßigen 55 Minuten – na klar, Nippzeit und Springzeit sind die Stichworte. Aber jetzt können wir einfach ins Wasser gucken, Empirik heißt so was.
Unser Schnorcheltour war toll, und wir waren schon wieder pünktlich. Morgen machen wir das Gleiche noch einmal, es ist einfach zu schön, Korallen, Haie, bunte Fische. Und Annabelle, die seit vielen Jahren am Pass die Tauchstationsidylle TETAMANU betreibt (ob das zu finden ist bei Google!?) sagt auf Befragen zum Wochenrätsel: „Attend!“ und nimmt die Finger: „Un, deux, trois… à 16 heures!“. Von wegen Tidenverspätung und Mond und Gravitation und Rechenmodelle…
Genau wie WikiTaxi sagt: Intuition vor Mathematik!

Suppe vom Huhn – mit Kokos und Tun

Fakarava, 24.7.2010

Der Titel reimt sich übrigens… So eine Wochenrückschau könnte auch „Ein Kessel Buntes“ heißen, aber eine Kokos-Hühnersuppe mit Tunfisch ist ja auch eine wilde Mischung, und die gibt es jetzt.
Wir sind in den Tuamotus gelandet, auf Fakarava, und haben damit unseren ersten Pass in ein Atoll geschafft – aber davon später mal mehr.

Chronologisch gesehen war die Woche so:
Sonntag: Lösung des Elektrowunder-Rätsels. 5 mal durfte ich den Eigner ins Masttopp befördern, zu mehreren Testzwecken und dann zur feierlichen Einsetzung eines neuen Leuchtmittels, das auch dort oben leuchten würde. Für die, die es interessiert: Wir hatten beabsichtigt, die Lampe noch besser zu machen als zuvor, aber nun leuchtet dort oben wieder eine LED-Leuchte des gleichen Typs wie vorher. Der neue Birnentyp wäre zwar heller gewesen, aber leider ist er falsch, oder besser: anders herum gepolt; mal abgesehen davon, dass es ein Weilchen gedauert hat, bis wir das gemerkt haben, ließ sich weder lampen- noch leuchtmittelseitig daran irgendwas ändern. Aber Masttoppwinschen ist gut für die Kondition der Schipperin und deren Ärmchen (und gut gegen „allit“, wie die Finnen sagen*).
Montag: AKKA als Kauffahrteischiff. SANNY hatte aus dem Tahuatas Inseldorf gemeldet, dass buchstäblich NICHTS zu kaufen sei, drum nahmen wir Bestellungen auf und machten wir uns auf den Weg nach Hiva Oa, der dann so beschwerlich gar nicht war. Nach zwei Stunden Segeln und Bolzen waren wir in Atuona. Anker schmeißen im deutlich geleerten Ankerfeld, Andreas bleibt an Bord, und ich unternehme eine Eilfahrt in den Ort; schließlich ist es schon fast 11 Uhr, und auf den Marquesas wird die Mittagsruhe streng gehandhabt. Hitchhiking mit französischen Beamtenfrauen bergauf, das kostete mich nur ein paar in den Bauch gefragte Löcher – was eine gelangweilte Expat-Frau eben eine „Abenteurerin“ so fragt, sehr nett. Aufkaufen, was die Gemüsefrau noch anzubieten hat, Pak Choy und Kohl, Gurken und Tomaten, Salat, na alles halt, was AKKAnauten auf den eher unterversorgten Tuamotus brauchen könnten, und die ENOLANER auf ihrer Reise zu den nördlichen Marquesas. Nach mir die S…ervicewüste: Pampelmusen – ausverkauft. Gurken: ausverkauft, dito Auberginen und grüne Bohnen. Von der Fischfrau im Truck nebenan 3 kg Tun und Maki=Schwertfisch. Glückstag! Ich deponiere die schweren Taschen und Rucksäcke gleich am Platz und eile weiter zum Supermarkt: Buying wild, Käse, Wurst, Sahne, Terrine de Campagne, Zwiebeln, Kekse, Kartoffeln, Butter – nicht zu vergessen Eier für das halbe Ankerfeld in Tahuata. Es ist VIEL, eindeutig und es kostet… Taxi suchen: Fehlanzeige! Es ist 12 Uhr, der Marktbesitzer scheppert schon mit dem Schlüssel, ich schleppe mich (und meine Taschen) zurück zum Gemüse- und Fischberg, mit all dem Supermarkt-Gerödel. Was finde ich?! Gemüse ja – Fisch: nein! Truck weg, mein Fisch auch… Mist, und ganz billig war der nicht. Aber die Polynesier SIND nett und gastfreundlich, kaum einer, der nicht sofort das Handy zücken würde, um schnell ein Taxi herbeizurufen (oder einen Freund, der schnell mal zum Taxifahrer mutiert…), und so klärt sich die Situation: der Standplatz neben dem Gemüsetruck an der Police Municipale ist nur ein Marketing-Gag, die Leute betreiben in Laufentfernung in ihrer Garage (siehe Fatu Hiva, ungefähr so…) einen richtigen Fischladen und wollten meinen Fisch nicht ungekühlt im Schatten des großen Mangobaumes stehen lassen. Umsichtig. Fehlt noch was?! Brot. Das allerdings gab es heute leider nicht, pas de baguette… Die Gemüsefrau hat, während ich dem Fisch hinterher renne, eine Bäuerin überzeugt, dass auf ihrer Ladefläche Platz für meine Einkäufe ist, und so schmeißt mich nach erstaunlichen 80 Minuten die freundliche Dame wieder am Anleger raus. Nicht unentgeltlich. 1000 Francs waren fällig – ob die mit ihrem LKW eine Taxilizenz hatte?! BESTIMMMT!

Geschwinde Rückreise nach Tahuata, die Besteller warteten schließlich schon. Und weil Andreas während meiner Einkaufstour eMails geladen hatte, gab es einen Grund, den Tag feierlich zu beschließen: Gute Familiennachrichten – eine Hochzeit wurde in Aussicht gestellt. Wenn das kein Grund ist, eine Suppe vom Huhn aufzusetzen, mit Kokos und Tun. Das ist nämlich nicht nur eine wilde Mischung, sondern unsere traditionelle Festtagsspeise, Fischfondue AKKA. Auf Euch, Ihr Berliner!

Dienstag bis Samstag: Seestrecke zu den Tuamotus. Was dieses Mal das Rätsel der Woche war, erfahrt Ihr in der nächsten Folge. Ich sag nur: Tidennavigation…

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*Die meisten Finnen wissen angeblich nicht mehr, warum die schlaffen Trizepse älterer Mädchen „allit“ heißen. Allit, das ist das, was wir Fledermausärmel nennen oder die Amerikaner „bingo wings“, und Alli war die Frau vom Präsidenten Paasikivi in den 50er Jahren, und die trug mit ihren 80 Jahren die gewagtesten Ballkleider. Und eben berühmt-berüchtigte „bingo wings“ zur Schau… Ist es nicht toll, was man in der internationalen Gemeinschaft der Segler alles lernt?!

Tahuata

Hana Mae Noa, Tahuata, 18.7.2010

Immer noch… Eben kam eine Mail: „Ob es Euch gut geht? Aus dem Blog lesen wir nichts Gegenteiliges…“ Das sollte wohl ursrünglich „… lesen wir NICHTS…“ heißen. Tut uns leid, und tatsächlich, dem Eigner tatsächlich wird es langsam fad‘. Aber es kann nicht mehr so lange dauern mit der Abreise von den Marquesas, der Schwund an Frischsachen zwingt uns zumindest zu einem baldigen Standortwechsel, vielleicht noch einmal nach Atuona, und die Bummelei im Allgemeinen und die Paketsendung in Papeete im Besonderen erfordern die Abreise Richtung Tuamotus und Gesellschaftsinseln – wir haben, Schande auf unser Haupt, das Marquesas-Kurzprogramm gebucht, „an (3) ausgewählten Ankerplätzen“. Nuku Hiva lassen wir aus, obwohl es sehr schön sein soll, von abgelegenen Plätzen wie Ua Huka ganz zu schweigen; dafür haben wir die Zeit hier besonders genossen. Geschwommen, Kokosnüsse gesammelt, Limonen geklaut. Genäht, geschraubt, gebastelt. Computerprobleme (nicht) gelöst, umhergefunkt, Postsendungen arrangiert. Das Ankerfeld hatte sich schon am vergangenen Sonntag auf 2 bis 3 verdünnt, SANNY, ENOLA, AKKA. Alles sehr geruhsam.

Heute steht nochmals „action“ auf dem Programm – nachdem ich Andreas gestern schon zweimal ins Masttopp gewinscht hatte, geht es heute nochmals hinauf, ein weiteres Rätsel aus der Reihe „Elektrowunder der Erde“ ist zu lösen. Die Ankerlaterne scheint höhenkrank zu sein – hier unten leuchtet sie, im Mast nicht. Und ja, Ihr Schlauberger, Strom kommt oben an, außerdem tun es Blitzleuchte und Dreifarbenlaterne ja auch. Bei dieser Mastfahrt konnten wir auch gleich kontrollieren, was sich während der langen Passage am Rigg getan hat: gar nichts, sehr fein. Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Seglern, bei denen unterwegs reihenweise die Fallen durchgescheuert waren oder die Verstagung nachgegeben hatte.

An die Arbeit!und dann demnächst Weiteres von den Tuamotus.

Jammern auf den Marquesas

Hana Mae Noa/Tahuata, 10.7.2010

Puh. Blauwasser! Endlich mal wieder – keine dunkelgrüne, abgrundtiefe Bucht wie in Fatu Hiva, kein grünlich-schlammiges Hafenbecken wie in Atuona. Obwohl heute das große Tanzfest auf Hiva Oa stattfindet, haben wir die Flucht ergriffen, und die Flucht hatte ihren Grund. 4 Tage haben wir uns gewundert, warum der ZENITUDE-Oscar geschrieben hatte: „… the anchorage is horrible…“. Naja, man kann halt nicht schwimmen, der Haie wegen und weil es auch nicht soo sauber erschien. Und dann lag man auch recht gedrängt, vor Bug- und Heckanker, aber eigentlich war es doch auch ganz nett, freundliche Segler ringsum, Infrastruktur von Butter bis Internet. Toll. Weiteres siehe unten.
Der Gang zum Einchecken ein bisschen länglich, zumal es Bindfäden regnete – der Eigner hatte sich für einen Bastel-Morgen entschieden, und ich versuchte derweil auf dem halbstündigen Weg bergauf eines der regelmäßig vorbeipatschenden Allradautos zum Anhalte(r)n zu bewegen. Vergeblich – die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Marquesaner scheint etwas abgenutzt, zumindest wenn es sich um pudelnasse Seglerinnen handelt. Kurz vor Toresschluss kann ich bei Simon, dem jungen Polizisten auf der Gendarmerie, unsere Aufwartung machen. Ziemlich easy für uns Europäer mittlerweile, keine Kaution, kein Agent, auch kene Frage, woher wir kommen (Galapagos halt, nix Fatu Hiva…) – wir können 2 Jahre bleiben, einfach so. So autark Französisch-Polynesien auch sein mag, man hat sich Europa ein bisschen genähert, und das macht es für arme wie reiche Segler aus der EU etwas einfacher – die Kollegen US- und Kanada-Yachties müssen sich schon ein bisschen mehr bemühen nachzuweisen, dass sie keine armen Schlucker sind, die sich hier samt ihrem Seelenverkäufer das Gnadenbrot geben wollen; und mehr als 90 Tage bekommen sie zunächst sowieso nicht. Allerdings: Nachweis von ausreichenden Barmitteln für den Lebensunterhalt ist trotzdem manchmal von allen gefordert: zum Beispiel VOR dem Bestellen des Dinners im Restaurant Moehau. Schlechte Erfahrungen mit nicht zahlungskräftigen Seglern… Peinlich.
Als ich fertig bin mit dem Gendarmen Simon und auch genügend Artigkeiten über Fussballmannschaften ausgetauscht habe (es ist ja noch VOR dem Spanienspiel!), guck‘ ich mich mal vorsichtig um, was man denn käuflich erwerben kann – was bedeutet, dass ich in einen kleinen Supermarkt und damit DIE Seglerfalle trete, die bekanntlich kaum jemand auslässt: frisches Baguette, französischer Käse, Paté de Campagne und Saucisson. Und ein paar hausgemachte Frühlingsrollen dazu. Aaaaaah! Lecker! Und da die Baguettes hier in (biologisch abbaubares…) Plastik gehüllt werden, kommen sie sogar noch einigermaßen knusprig auf AKKA an.
So nehmen die Tage auf Hiva Oa ihren Lauf. Das Spanienspiel sehen wir im Eisenwarenladen, zwischen Espace Jacques Brel und Gauguin-Museum, wir entdecken auch den Pickup vor der Police Municipal, von dem aus eine Bäuerin Gemüse verkauft, und dazu einen „richtigen“ Supermarkt, der den Bedarf für den französichen Postbeamten oder seine Kollegen vom Militär abdeckt. Confit de Canard, Rotwein, süße Butter, dunkle Schokolade. „Kolonialwaren“ andersrum, und all das macht samt dem Bezahl-Internet eine erfreuliche Ankersituation. Wir treffen auch Marie-Jo, Marquesanerin von Fatu Hiva, die Taxi fährt, unsere Wäsche wäscht und uns zu guter Letzt rund um die Insel karrt und mit Informationen über die Marquesas füllt – eine nicht ganz billige Tagestour, für die freundlicherweise der Regenzeit-Gott ein paar Stunden die Luft anhält, so dass wir uns auf dem Mae von Puamau vor großen Stein-Tikis die Beine zerstechen lassen, unter Pinien am Meer ein Picknick genießen und die atemberaubende Berglandschaft bewundern können; mir haben es die Fargata angetan, Schirmakazien, deren platte Wipfel die Berge überragen und die Grate mit einer Art Spitzenbesatz versehen. Ein wirklich schöner Tag. Sehr häufig lassen wir AKKA ja nicht lange allein, und bei der Rückkehr sitzen wir noch ein bisschen verträumt auf dem Dock, bis wir Alex von der ARTEMO wild winken sehen. Ach, die wollen ja los, wir fahren mal helfen, Heckanker ziehen… Als wir näher kommen – ich habe noch immer meinen duftenen Blütenkranz, den Lei, um den Hals hängen, den Marie-Jo mir geschenkt hat – deuten die ARTEMOs allerdings auf die AKKA. Oh, alte Gans… Man kann Dich nicht alleine lassen. 4 Tage ist Ruhe, dann geht der Heckanker auf Slip – und AKKA kuschelt mit der australischen MISTRAL. Lei ab, mittlere Hektik; ich versuche, das Heck dank Radeffekt von Mistrals Ankerkette freizuziehen, was nicht funktioniert. 1 Sekunde, bevor unsere Windsteueranlage „Kontakt“ macht, sagt Andreas in diesem ganz bestimmten Tonfall:“… vorwärts…“ Hebel auf den (nicht vorhandenen) Tisch, blaue Rauchwolke. Geschafft… So was brauchen wir wirklich nicht. John von der KEHUALANI hilft uns, den Heckanker neu auszubringen – irgendwie brauchen wir uns alle gegenseitig hier. Ian kommt von der MISTRAL rüber und macht sich Sorgen um sein Unterwant, an dem unser Solarpanel gescheuert hat (wir machen uns – Edelstahl gegen Alurahmen! – umgekehrt Gedanken um unser Panel…) – , und wir wundern uns immer noch was eigentlich passiert ist. Hat jemand beim Manövrieren unseren Heckanker versehentlich aufgefischt? Gut gegangen, einigermaßen jedenfalls, und abhaken, das Ganze. Nachtruhe. Um 2 geht Andreas mal raus… Waaah! Ich weiß nicht warum ich auch aufwache, es ist ein bisschen rollig geworden, vielleicht drum, und irgendwas zieht mich auch an Deck – irgendwas?! AKKA liegt friedlich am Platz, mit der KEHAULANI auf 20 cm Abstand. Der Eigner knallt schon mit dem Bootshaken auf deren Deck herum: „Kehualani! John! Wake up!“ Das dauert… Und es dauert auch, bis sie begriffen haben, dass ihre Heckankerleine durchgescheuert ist, dass sie ankerauf gehen müssen – von 0 auf 100 um 2 Uhr nachts… Uns ginge es nicht anders. Leider liegt ADAMAS ziemlich unglücklich vor uns beiden, also dauert das Manöver noch länger, so kommt auch schon der nächtliche Squall rechtzeitig; wir tragen Fender durch die Gegend sind klatschnass, und als die Amerikaner schließlich frei sind, kommt ADAMAS uns auf 3 Meter nahe. Wir geben auf. Geben Kette auf dem Buganker und verholen uns mit dem Heckanker nach achtern. Und das bedeutet: Ankerwache… Am Morgen pisst es immer noch, ich eile ins Dorf, um Gemüse zu kaufen – und dann: bloß weg hier! The anchorage IS horrible! 2 Stunden Motorsegeln und hohe Wellen später fällt der Anker in den Sand. Die ENOLA strahlt uns vanillegelb auf türkisem Grund an, Sabine und Frank winken und freuen sich auf’s mitgebrachte Gemüse. Funkruf ARTEMO: „…we are glad you made it here – come over to the beach and bring something to eat…“ Blauwasser. Alles völlig easy. Alles vergessen. X Kinder von vier „kids boats“ wuseln durch weißen Sand und lassen sich von den Wellen auf den Strand tragen – wie quietschendes Treibgut. Ein Feuerchen kokelt, auf einem ausgebreitetn Pareo lächeln aus den Tupperschüsseln allerlei Leckereien. Bei Kartoffelsalat und (ihh! Nicht für uns, Ciguateragefahr!) gegrilltem Grouper erzählen wir unsere Abenteuergeschichten.

Jacques Brel sagt: „Gêmir n’est pas de mise aux Marquises!“ Jammern ist auf den Marquesas nicht angesagt. Gestern dachte ich noch anders – aber er hat Recht…

Marquesanisches

Hanavave / Fatu Hiva, 4.7.2010

Fauler Sonntag. Oder besser: mittel-faul – lange getaucht haben wir, Rumpf säubern, Anoden kontrollieren. Ziemlich viel „Salat“ an der Wasserlinie…

Mar Hull Fu

Und Zitrussalat zubereiten und essen, schliesslich haben wir gestern 2 Säcke mit Pampelmusen und Orangen nach Hause geschleppt. Eingetauscht gegen – beim Lieferanten sehr beliebt, nicht so beim „Gesetzgeber“ – eine Flasche Rum, und für ein paar Zigaretten gab es noch eine Staude Kochbananen dazu. Den Tauschpartner fanden wir eher zufällig, als wir nach einer kleinen Wanderung durch das – zu 80 % aus neuen Holzhäusern bestehende! – Dorf schlenderten, mein Rucksack schon ziemlich beladen von einer in den Bergen gefundenen Kokosnuss samt ein bisschen aufgelesenem Fall-Obst. Limonen. Ein kleiner Junge, mit der typischen vo-ku-hi-la-Frisur, der eigentlich nach Bonbons fragte , hatte uns in „seinen“ Garten gelotst, eine junge Frau im gelben Pareo, Jasminblüte hinterm Ohr, bot an, uns Tapas zu zeigen; so landeten wir im Hof der Familie. Unter einem großen Dach die Küche, alles zusammen: Wohnküche, Kochküche, Waschküche, Esszimmer, Ruheraum, Tapawerkstatt. Schweinchen steht angepflockt unter einem Baum und mampft Kokosraspeln (wie die meisten Haustiere hier!), die Hunde machen lange Hälse, ob was übrig bleibt (nicht doch!), oder Schweinchen vielleicht etwas danebenferkelt (ja,klar!). Um einen riesigen Tisch sitzt die Familie, undefinierbar welche Verwandschaftsverhältnisse sich da zusammenscharen. Die Alte, die sich eine dünne Zigarette nach der anderen dreht (so klingt sie auch!), scheint die Dame des Hauses zu sein. Eine junge Frau fertigt Blüten aus gefärbten Tapa-Stückchen „für die Tanzkostüme“. Tapa ist eine Spezialität von Fatu Hiva, flach geklopfte Rinde des Papiermaulbeerbaumes, die mittlerweile zu Dekorationszwecken mit grafischen Mustern oder (gruselig!) mit Südseeschönheiten bemalt werden, immerhin nur „schwarz auf Bast“. Nun, wir geben unserer schon bekannten Kaufhemmung nach und sagen freundlich „non, merci!“. Dafür kriegen wir einen Tanz-Bikini vorgeführt, aus unbemalter Tapa, das klassische „Baströckchen“, der steht aber nicht zum Verkauf. Aber irgendwie wollen sie ja doch mit uns ins Geschäft kommen und bieten für den Nachmittag eine Lieferung Pampelmusen zum Tausch an. Als wir um 16 Uhr pünktlich wie die deutschen Maurer wieder eintrudeln, ist die Situation kaum verändert, lediglich lagert nun auch der Hausherr mit am Tisch und lässt sich von einer der Töchter einen Splitter aus der Fußsohle prokeln. Ziemlich entspannt, das alles. Viel Leibesfülle, farbige Pareos, hochgesteckte Haare mit lustigen Holzpfeilen und -stäbchen, sonores Lungengeräusch von unserer Raucherin, dazu marquesanisches Geplapper, gemischt dem Französischen, das an uns gerichtet ist. Die Begeisterung über die EINE Flasche Rum hält sich zunächst in Grenzen, man hatte sich wohl mehr erhofft, aber die Zigarettendreingabe scheint auch etwas wert zu sein. Während wir auf den Zitruslieferanten warten, klönen wir äber Fußball, Essen und Tauschartikel. Mit Munition Kaliber 22 können wir leider nicht dienen – dringend benötigt für die Schweine- und Ziegenjagd! Parfum und Lippenstift hatte ich wohl bedacht, aber für „nicht so dringend“ erachtet – Fehler! Duschgel wäre auch willkommen und Angelhaken, da werden wir mal nach graben, für die nächsten Stationen… Und dann kommt er, der 12-jährige Sohn, aus irgendeinem Garten in den Bergen, und schleppt einen kleinen Berg an Pampelmusen und Orangen an, die wir gern einsacken – und ebenso gern werden unsere Tauschartikel einkassiert. Allseitige Zufriedenheit. Die Situation war – so wie man es sich vorstellt. Fröhlich und entspannt. Mit einem Schuss Trägheit. Gauguin lässt grüßen. Wie schön wenn man Vorurteile bestätigt findet!