Jammern auf den Marquesas

Hana Mae Noa/Tahuata, 10.7.2010

Puh. Blauwasser! Endlich mal wieder – keine dunkelgrüne, abgrundtiefe Bucht wie in Fatu Hiva, kein grünlich-schlammiges Hafenbecken wie in Atuona. Obwohl heute das große Tanzfest auf Hiva Oa stattfindet, haben wir die Flucht ergriffen, und die Flucht hatte ihren Grund. 4 Tage haben wir uns gewundert, warum der ZENITUDE-Oscar geschrieben hatte: „… the anchorage is horrible…“. Naja, man kann halt nicht schwimmen, der Haie wegen und weil es auch nicht soo sauber erschien. Und dann lag man auch recht gedrängt, vor Bug- und Heckanker, aber eigentlich war es doch auch ganz nett, freundliche Segler ringsum, Infrastruktur von Butter bis Internet. Toll. Weiteres siehe unten.
Der Gang zum Einchecken ein bisschen länglich, zumal es Bindfäden regnete – der Eigner hatte sich für einen Bastel-Morgen entschieden, und ich versuchte derweil auf dem halbstündigen Weg bergauf eines der regelmäßig vorbeipatschenden Allradautos zum Anhalte(r)n zu bewegen. Vergeblich – die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Marquesaner scheint etwas abgenutzt, zumindest wenn es sich um pudelnasse Seglerinnen handelt. Kurz vor Toresschluss kann ich bei Simon, dem jungen Polizisten auf der Gendarmerie, unsere Aufwartung machen. Ziemlich easy für uns Europäer mittlerweile, keine Kaution, kein Agent, auch kene Frage, woher wir kommen (Galapagos halt, nix Fatu Hiva…) – wir können 2 Jahre bleiben, einfach so. So autark Französisch-Polynesien auch sein mag, man hat sich Europa ein bisschen genähert, und das macht es für arme wie reiche Segler aus der EU etwas einfacher – die Kollegen US- und Kanada-Yachties müssen sich schon ein bisschen mehr bemühen nachzuweisen, dass sie keine armen Schlucker sind, die sich hier samt ihrem Seelenverkäufer das Gnadenbrot geben wollen; und mehr als 90 Tage bekommen sie zunächst sowieso nicht. Allerdings: Nachweis von ausreichenden Barmitteln für den Lebensunterhalt ist trotzdem manchmal von allen gefordert: zum Beispiel VOR dem Bestellen des Dinners im Restaurant Moehau. Schlechte Erfahrungen mit nicht zahlungskräftigen Seglern… Peinlich.
Als ich fertig bin mit dem Gendarmen Simon und auch genügend Artigkeiten über Fussballmannschaften ausgetauscht habe (es ist ja noch VOR dem Spanienspiel!), guck‘ ich mich mal vorsichtig um, was man denn käuflich erwerben kann – was bedeutet, dass ich in einen kleinen Supermarkt und damit DIE Seglerfalle trete, die bekanntlich kaum jemand auslässt: frisches Baguette, französischer Käse, Paté de Campagne und Saucisson. Und ein paar hausgemachte Frühlingsrollen dazu. Aaaaaah! Lecker! Und da die Baguettes hier in (biologisch abbaubares…) Plastik gehüllt werden, kommen sie sogar noch einigermaßen knusprig auf AKKA an.
So nehmen die Tage auf Hiva Oa ihren Lauf. Das Spanienspiel sehen wir im Eisenwarenladen, zwischen Espace Jacques Brel und Gauguin-Museum, wir entdecken auch den Pickup vor der Police Municipal, von dem aus eine Bäuerin Gemüse verkauft, und dazu einen „richtigen“ Supermarkt, der den Bedarf für den französichen Postbeamten oder seine Kollegen vom Militär abdeckt. Confit de Canard, Rotwein, süße Butter, dunkle Schokolade. „Kolonialwaren“ andersrum, und all das macht samt dem Bezahl-Internet eine erfreuliche Ankersituation. Wir treffen auch Marie-Jo, Marquesanerin von Fatu Hiva, die Taxi fährt, unsere Wäsche wäscht und uns zu guter Letzt rund um die Insel karrt und mit Informationen über die Marquesas füllt – eine nicht ganz billige Tagestour, für die freundlicherweise der Regenzeit-Gott ein paar Stunden die Luft anhält, so dass wir uns auf dem Mae von Puamau vor großen Stein-Tikis die Beine zerstechen lassen, unter Pinien am Meer ein Picknick genießen und die atemberaubende Berglandschaft bewundern können; mir haben es die Fargata angetan, Schirmakazien, deren platte Wipfel die Berge überragen und die Grate mit einer Art Spitzenbesatz versehen. Ein wirklich schöner Tag. Sehr häufig lassen wir AKKA ja nicht lange allein, und bei der Rückkehr sitzen wir noch ein bisschen verträumt auf dem Dock, bis wir Alex von der ARTEMO wild winken sehen. Ach, die wollen ja los, wir fahren mal helfen, Heckanker ziehen… Als wir näher kommen – ich habe noch immer meinen duftenen Blütenkranz, den Lei, um den Hals hängen, den Marie-Jo mir geschenkt hat – deuten die ARTEMOs allerdings auf die AKKA. Oh, alte Gans… Man kann Dich nicht alleine lassen. 4 Tage ist Ruhe, dann geht der Heckanker auf Slip – und AKKA kuschelt mit der australischen MISTRAL. Lei ab, mittlere Hektik; ich versuche, das Heck dank Radeffekt von Mistrals Ankerkette freizuziehen, was nicht funktioniert. 1 Sekunde, bevor unsere Windsteueranlage „Kontakt“ macht, sagt Andreas in diesem ganz bestimmten Tonfall:“… vorwärts…“ Hebel auf den (nicht vorhandenen) Tisch, blaue Rauchwolke. Geschafft… So was brauchen wir wirklich nicht. John von der KEHUALANI hilft uns, den Heckanker neu auszubringen – irgendwie brauchen wir uns alle gegenseitig hier. Ian kommt von der MISTRAL rüber und macht sich Sorgen um sein Unterwant, an dem unser Solarpanel gescheuert hat (wir machen uns – Edelstahl gegen Alurahmen! – umgekehrt Gedanken um unser Panel…) – , und wir wundern uns immer noch was eigentlich passiert ist. Hat jemand beim Manövrieren unseren Heckanker versehentlich aufgefischt? Gut gegangen, einigermaßen jedenfalls, und abhaken, das Ganze. Nachtruhe. Um 2 geht Andreas mal raus… Waaah! Ich weiß nicht warum ich auch aufwache, es ist ein bisschen rollig geworden, vielleicht drum, und irgendwas zieht mich auch an Deck – irgendwas?! AKKA liegt friedlich am Platz, mit der KEHAULANI auf 20 cm Abstand. Der Eigner knallt schon mit dem Bootshaken auf deren Deck herum: „Kehualani! John! Wake up!“ Das dauert… Und es dauert auch, bis sie begriffen haben, dass ihre Heckankerleine durchgescheuert ist, dass sie ankerauf gehen müssen – von 0 auf 100 um 2 Uhr nachts… Uns ginge es nicht anders. Leider liegt ADAMAS ziemlich unglücklich vor uns beiden, also dauert das Manöver noch länger, so kommt auch schon der nächtliche Squall rechtzeitig; wir tragen Fender durch die Gegend sind klatschnass, und als die Amerikaner schließlich frei sind, kommt ADAMAS uns auf 3 Meter nahe. Wir geben auf. Geben Kette auf dem Buganker und verholen uns mit dem Heckanker nach achtern. Und das bedeutet: Ankerwache… Am Morgen pisst es immer noch, ich eile ins Dorf, um Gemüse zu kaufen – und dann: bloß weg hier! The anchorage IS horrible! 2 Stunden Motorsegeln und hohe Wellen später fällt der Anker in den Sand. Die ENOLA strahlt uns vanillegelb auf türkisem Grund an, Sabine und Frank winken und freuen sich auf’s mitgebrachte Gemüse. Funkruf ARTEMO: „…we are glad you made it here – come over to the beach and bring something to eat…“ Blauwasser. Alles völlig easy. Alles vergessen. X Kinder von vier „kids boats“ wuseln durch weißen Sand und lassen sich von den Wellen auf den Strand tragen – wie quietschendes Treibgut. Ein Feuerchen kokelt, auf einem ausgebreitetn Pareo lächeln aus den Tupperschüsseln allerlei Leckereien. Bei Kartoffelsalat und (ihh! Nicht für uns, Ciguateragefahr!) gegrilltem Grouper erzählen wir unsere Abenteuergeschichten.

Jacques Brel sagt: „Gêmir n’est pas de mise aux Marquises!“ Jammern ist auf den Marquesas nicht angesagt. Gestern dachte ich noch anders – aber er hat Recht…

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