Palmerston Island, 20.10.2010
Wir warten auf Abholung – Edward bringt gleich uns auf die Insel. Seit 2 Tagen liegt AKKA vor Palmerston, einem Atoll allein auf weiter Meeresfläche, 300 Meilen von jedem weiteren Land, und es ist ziemlich anders als auf den Inseln, die wir in Polynesien bislang besucht haben. Nicht, dass sich Korallen, Haie oder Papageienfische von den anderen unterschieden – einziger Unterschied ist vielleicht die Menge der Papageienfische – die ist so groß, dass auf dem Verkauf von deren Filets der bescheidene Reichtum der Insel beruht. Gestern nachmittag war für Edward und seine erweiterte Familie Filettier-Termin. 42 kg wanderten anschließend in die Tiefkühltruhe – dort bleiben die Filets, bis der nächste Versorger herkommt und die Ladung nach Rarotonga mitnimmt, ungefähr eine Tonne pro Familie. In 3-4 Monaten.
Was ist hier anders?! Wir tun uns schwer mit dem Urteil – es ist jedenfalls kein typisch polynesisches Leben. Ungefähr eine Stunde vor Ankunft haben wir uns gemeldet: „Palmerston, Palmerston for sailing vessel AKKA!“ Das war gleich der erste Lacher auf der Insel, weil „Mama Aka“ hat ihr Haus gleich an der Kirche; verwundertes „… what was that?! Aka calling?!“ Hier spricht man Englisch und nicht Cook-Maori. Das Mooringprozedere für uns war wohl typisch. Von „Alpha Juliette“ kam ein verhaltenes: „…bitte irgendeine Mooring nehmen, wer immer Euer Gastgeber ist, wird Euch zu seiner Boje bringen!“ Das war gar nicht nötig, wir sahen schon ein Aluboot nahen, im Zick-Zack durch einen der völlig unübersichtlichen Pässe, Edward und seine beiden Söhne John und David. Die Regel ist: wer zuerst bei der neu ankommenden Yacht ist, wird der Gastgeber.
Gestern kriegten wir mit, wie das läuft: wir warteten auf unser Mittagessen, das ist in der „Mooringgebühr“ enthalten, und die LARABECK meldete sich (große Freude übrigens, „… noch eine Yacht! Wir dachten schon Ihr seid die letzten in diesem Jahr!“). Auf „Palmerston, Palmerston“ meldete sich zunächst niemand, wir warteten gespannt. Dann erhob sich Edward: „… somebody will give à½ou a hand…“. Somebody, jemand… Das war nur die halbe Wahrheit, Edward kratzte schon mit den Hufen, da war LARABECK noch Meilen weit weg, und er hielt immer ein scheeles Auge auf den Strand, ob nicht doch noch einer der beiden anderen Hosts sein Motorboot ins Wasser schiebt. Aber er machte das Rennen. Gut für ihn. Wir Yachties hinterlassen außer der Mooringgebühr allerlei Dinge, die auf einer Insel ohne nennenswerte Versorgungsmöglichkeiten knapp werden können. Das meiste davon wird geteilt, aber ein kleines bisschen verbleibt dann wohl doch direkt beim Gastgeber. Zum Beispiel die AKKA-Bonbons. Konfisziert und in Gemeinschaftsarbeit von den Familienmitgliedern unverzüglich vernichtet.
Unterscheidungsmerkmal für die Bevölkerung ist der Vorname, oder das Funkrufzeichen – da ist Edward „Alpha Echo“. Marsters heißen sie sowieso alle. 70 mal Marsters. Und sofern sie nicht eingeheiratet haben, stammen auch alle von ein und demselben William Masters ab, der Mitte des 19. Jahrhunderts hier, auf den damals unbewohnten Inseln, gelandet ist, mit polynesischen Frauen 3 Familien gründete, die Insel und die Motus in 3 Teile teilte und auch die Fortpflanzung der Großfamilie durch eine Mischehen-Regelung kontrollierte. Irgendwann änderte er den Namen in Marsters.
Manche, aber nicht allzu viele von ihnen haben die Insel verlassen; die meisten kamen irgendwann zurück, und der Familienname scheint für Zusammenhalt zu stehen. Yvonne, halb Kiwi, halb Holländerin, ist die Schulleiterin und erklärt am eigenen Beispiel: „… meine Tante hatte einen Marsters geheiratet, also war ich der Insel und der Familie schon immer verbunden. Dann wurde ich Lehrerin hier und habe schließlich Tere Marsters geheiratet. Aber ich bin schon länger auf der Insel als er…“
Wir sitzen mit Shirley, Edwards Frau, unter dem großen Dach vor dem Familienhaus, diese polynesische Tradition wurde übernommen – ein zentrales Haus für die Großfamilie und für jedes Ehepaar samt Kindern ein oder mehrere Schlafhäuser. Shirley hat die Mullets, die wir gemeinsam mit Simon und Edward gefangen haben, köstlich zubereitet, dazu gibt es, Luxus über Luxus, von AKKA beigesteuerten Kohl als Salat.
Simon lagert auf einem der Betten – ganz polynesische Haltung, nur dass er, im Gegensatz zum Bruder Edward, britischer aussieht, ein kurzer Gregory Peck als Kapitän Ahab… Schweine wetzen um die Tischbeine, der 11-jährige John fängt einen protestierenden Hahn, der sich ins Küchenhäuschen geschlichen hat. Neffen und Nichten kommen vorbei und bekommen ihr Mittagessen, es ist eben das Familienhaus.
Mama Tuahine, die 80-jährige Patriarchin, sitzt mit am Tisch und erzählt von ihren 14 Kindern, von denen noch 11 leben, und wer bei wem Hebamme war. Und wie beschwerlich das Leben geworden ist, seit man Funk und – seit ein paar Wochen! – Telefon hat. DAUERND klingelt es und dann muss man laufen („das kann ich doch so schlecht!“) oder rufen, denn die anderen sind ja beim Fischen… Ach, moderne Zeiten. Ich habe die Idee entwickelt, dass mein englisches WIKITaxi sinnvoll für die Schule sein könnte und würde gern nochmals mit Yvonne sprechen. Das muss vermittelt werden, nicht dass ich da einfach so hinstiefele. Schon der Gang zur Telecom-Bude, wo es seit ebenfalls ein paar Wochen WLAN gibt (manchmal jedenfalls), ist erst dann möglich, nachdem wir eine gemeinsame Runde mit Edward gedreht haben. Immer wieder kommt „… wir haben Regeln auf der Insel!“. Alle wichtigen Positionen sind fest vergeben: Simon ist der Regierungsvertreter („.. next to the Prime Minister!“), Edward hat Polizeifunktionen. Es gibt einen Zoll- und Einreisebeauftragten, das ist Alex, und der wieder sitzt mit seinem Chef Tere in der properen Gemeindeverwaltung, in deren Werkstatt eine grotesk anmutende Reihe von fluoreszierenden Arbeitswesten unter gelben Schutzhelmen hängt, Ausrüstung für das Leichtern des Versorgungsschiffes, alles vorschriftsgemäß. Es gibt eine Krankenschwester, die Gemeindesekretärin, den Mitarbeiter für Kommunikationsangelegenheiten, und natürlich einen Verantwortlichen für Energie, denn ein Dieselgenerator brummt 18 Stunden am Tag vor sich hin. Muss auch, denn es gibt sogar Straßenbeleuchtung, besser: Palmenhain-Beleuchtung. Nebenbei bemerkt, einem kleinen Video am Abend, nach der Andacht, ist man nicht abgeneigt und auch dafür braucht es Strom. Der Verwaltungsapparat umfasst mindestens 50% der erwachsenen Bevölkerung; nur „Fischer“, das sind sie alle zusammen. Am beeindruckendsten fand ich die Schule: ein Heimunterricht-Projekt unter einem neu gebauten, großen, luftigen Dach. Personalmäßig heißt dies: zusätzlich zu Schuldirektorin und Gemeindesekretärin Yvonne kommen noch 2 „Lehrerinnen“ hinzu, die eigens auf der Insel angelernt wurden, um den Heimunterricht zu unterstützen und anzuleiten. Nur die ganz kleinen Kindergartenkinder bekommen in der alten Schule, einem separaten Häuschen, eine Portion Frontalunterricht, um Buchstaben, Laute, Zahlen zu lernen. Alle anderen Schüler, derzeit 29, sitzen an Einzelplätzen und arbeiten an einem (amerikanischen) Heimunterrichtpensum. Wer nicht weiterkommt, kann ein Fähnchen aufstellen: „Hilfe!“, die dann rasch naht. Auch wenn das nicht oft vorkommt – im Endeffekt kann dieses Programm bis zur Collegereife führen.
Am Ende dieser Woche führen die Lehrerinnen die neuen Technologien in der Schule vor – das frisch eingeführte Internet und Skype. Große Aufregung – schade, dass wir Palmerston dann schon verlassen haben werden. Bis dahin gucken wir noch ein bisschen neugierig in die Ecken. Das mit dem Weitergeben des WikiTaxis hat übrigens nicht geklappt. Mit dem Angebot habe ich wohl unsichtbare Autorisierungsgrenzen überschritten. Schwierig, interessant und doch easy: Palmerston…