Oban/Stewart Island, 3.3.2011
Wir sitzen in der Gästelounge des South Sea Hotels, Brandung donnert auf den Strand, der Sturm gischtet die fernen Inselchen Herekopare und Mutton Bird Island zu, sprich: es sieht heute ein bisschen anders aus als auf dem Bild oben. vom Frühstückstisch aus hatten wir noch den Sonnenschein genießen können, aber als wir mit Wasser und anderen Pcknicksachen aus dem 4 Square-Laden nebenan traten, hatte sich schwerer Regen zum Starkwind gesellt. Südlich von uns geht ein wirklich tiefes Tief durch – 964 HPa Zentraldruck, und die Isobarenabstünde für heute nacht verheißen nichst wirklich Gutes. Also sitzen wir geschützt, studieren das Heftchen über Tageswanderungen im Bereich Oban und – warten ab. Eigentlich sollten wir heute schon abreisen, wir hatten uns 4 Tage Stewart Island „gegeben“, aber gestern dachten wir, dass ein längerer Aufenthalt doch ganz ntet wäre. Leider ist am Freitag Schicht, weil zum Wochenende wieder alles ausgebucht ist – aber bis dahin kann Andreas noch ein paar Highlights nachholen, die er in seinem Husten- und Halsschmerzbett versäumt hat.
Als da zum Beispiel wäre:
Ulva, die große Insel, die das Paterson Inlet nach außen abschließt, ein für Besucher offenes Naturschutzgebiet.
Ich hatte mich umgehört, das DOC-Büro hatte gemeint, dass alle Ulva-Führer langjährig tätig und entsprechend gut seien, also machte ich mich auf die Suche. Das DOC ist das Department of Conservation – die über allem wachende Regierungsbehörde für das Natur- und geschichtliche Erbe Neuseelands, dort hat man seine Zeltplatzgebühren zu entrichten, wenn man entfernt von den großen Campingplätzen, den Holiday Parks, campen möchte, man bucht Wandererlaubnisse für bestimmte Tracks und Hüttenübernachtungen – alles ziemlich gut durchorganisiert.
Meine Suche nach einem Führer war schon auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu Ende – bei Ulva, die gerade die „Fernery“ hütete, den netten Souvenirshop ihrer Tochter. Ulva ist, glaube ich, eine typische Frau von Rakiura – erst auf den zweiten Blick sieht man den starken Maori-Erbteil. Wir werden später von ihr lernen, dass die Whaler sich sehr eifrig mit den ansässigen Maoris gemischt haben, bis hin zu blonden Maorifamilien; die Walfängerstationen auf Stewart Island waren fast ausschließlich norwegisch…
In einer kurzen Unterhaltung mit der – äußerst netten – Ulva buche ich ihre Tour für Dienstag. Um 08:30 h an der Golden Bay Wharf – kurz vor 8 mache ich mich auf den Weg, steil bergauf, den Fuchsia-Pfad entlang durch dichtes Gehölz mit Vogelgezwitscher, und Kaka-Gekrächze, während der Eigner seine Erkältung pflegt. Vorsicht! Kiwis!
Bergab zur Golden Bay geht der Blick auf ein paar Yachtmasten, 3 oder 4 Boote liegen vor Anker – ein eher seltenener Anblick. Wer hier ankert kommt meist aus Tasmanien, keine leichte Reise. An der Wharf werden sich 7 Menschlein auf das Wassertaxi verladen, 150 Yamaha-PS schaffen uns in 12 Minuten auf die Insel, nachdem wir gebrieft wurden, dass wir bitte weder Samen an den Schuhen noch Ratten im Gepäck haben. Die ersten 5 Minuten der Tour vergehen schon auf dem Anleger, wir schauen in glasklares, sicher kaltes Wasser, Ulva erklärt verschiedene Tangarten und weist auf Pinguinspuren hin – Kleine Blaue Pinguine haben hier ihre Rastplätze. Ein kühner Weka – ein kleiner Kiwi-ähnlicher Rallenvogel, ebenfalls flugunfähig – untersucht unsere Schuhe und schnüffelt hinter uns her. Dann geht der Finger hoch in den ersten Baum – wir horchen. Ein schwarzer Vogel ist zu sehen, mit dem albernen weißen Kehlpüschel: ein Tui , ganz klar. Und doch – der Gesang soll der vom Bellbird sein, wo doch der Tui ein treuer Nachahmer der Bellbirds ist. Wie soll man denn die unterscheiden. Aber erstens ist da auch noch ein extrem hübscher, olivfarbener Vogel unterwegs und außerdem: „… hört mal hin, da ist was, was der Tui nicht nachahmen kann…!“ In der Tat, der Bellbird schließt seine kleine Strophe mit einem winzigen „miau“ ab, und wann immer wir an diesem Vormittag etwas auf Bellbirdisch hören, wird gelauscht. Und kommt das „miau“, ist alles klar. Wir können uns totlachen. Tui und Bellbird sitzen in einem großen Rimu, und nicht nur die. Ein großer Kaka macht sich an den Blättern zu schaffen, zwei Gelbstirnsittiche… Zu unseren Füßen hat sich ein Stewart Island Robin eingefunden, ein possierlicher Rumhüpfer, der in jedem Fall gegrüßt werden möchte, besser noch kratzt man mit einem Stöckchen den Boden frei, damit Mr. Robin ein kleines Frühstück einnehmen kann. er folgt uns auf Schritt und Tritt, man muss aufpassen, wo man hintritt – aber eines mag er allerdings nicht: sich fotografieren lassen. „Hallo, Robin! Bleib mal sitzen! Oh, ja, sehr schon so…!“ Fokussieren und – weg ist er. Bei einer dieser Aktionen ruiniere ich die Einstellungen der Kompaktkamera, die große hatte ich faulerweise zu Hause gelassen. Pech. Die restliche Tagesausbeute ist hoffnungslos überbelichtet (mittlerweile denken wir aber, dass ich nicht die Einstellungen ruiniert habe, sondern die ganze Kamera hinrerichtet…) Aber fotografieren ist ja auch nicht so wichtig – wir stehen im Bereich des alten Postamtes für Stewart Island, lassen uns Siedler- und Maorigeschichten erzählen, alle naslang springt ein Saddleback ins Bild… Kurz, nach einer knappen Stunde haben wir uns gerade mal 150 m vom Anleger entfernt. Ulva guckt schon ein bisschen belustigt-entgeistert, aber wir haben alle Spaß an sämtlichen Vorstellungen und vor allem ihrem lustigen Vortrag. Der „Bushmans Paper“-Strauch – bis 1978 die Regierung alle möglichen Schutzbestimmungen erließ, konnten Maori „Postkarten“ auf der weichen, weiß behaarten Rückseite der Blätter schreiben und verschicken. Und natürlich hat man immer ein „4-lagiges, biologisch abbaubares Öko-Klopapier “ zur Hand. Stinkwood, Lancetree, Moose, Farne, langsam arbeiten wir uns in den Wald hinein. Bis wir schließlich in einem Urwald stehen – „…this is Gondwanaland“ sagt Ulva. Wir sind ganz ehrfürchtig – die Insel Ulva ist, wie große Teile von Stewart Island, geologisch viel älter als die Süd- oder Nordinsel, eben Teile des alten Urkontinentes Gondwana, der sich dann in Australien, Südamerika und Antarktis teilte. Auch wenn die Maoris nichts mit diesem Ursprungskontinent zu tun haben, ist Ulva stolz, dass sie Bewohner von Teilen dieser alten Landmasse sind, und dann sprudeln wieder Informationen über Maorileben aus ihr heraus – von Konservierungsmethoden bis zur – im Gegensatz zu den nördlichen Maoris – matriarchalisch geführten Gesellschaft. Dazwischen wieder Saddelbacks, Kakas, Kiwi-Pickspuren, Urpflanzen, seltene Orchideen, durchscheinende Moose. Wir lernen, wie man die Trittspuren von Gelbaugen- von denen der Kleinen Blauen Pinguine unterscheidet und die der Weka (kurz!) von denen der Kiwis. Der Vormittag ist gar zu rasch um – wir haben längst nicht alle von Ulvas Standard-Punkten abgearbeitet. Aber da wir auch die abschließende Prüfung alle bestehen („… show me a Rimu“; easy, Rindenzeichnung wie rinnendes Wasser! „…and now a Miro!“ Rinde wie geklopftes Kupferblech) ist Ulva zufrieden, und wir noch mehr.
Leider, leider ist dieses kleine Paradies neuerdings bedroht: seit 1997 war die Insel Ulva frei von eingeschlepptem Ungeziefer, vor allem rattenfrei, und die Vogelwelt, vor allem die der Bodenbrüter, hat sich rasch erholt. Das hat sich geändert – nach den diesjährigen Weihnachtsferien entdeckte man eine sich rasant entwickelnde Rattenpopulation. Irgendwann muss ein ein anlandendes Boot Ratten mitgebracht haben – fast ein Todesurteil für ein so zerbrechliches Ökosystem wie dieses (und andere vergleichbare – die Kermadecs in den Suptropen, die subantarktischen Inseln wie die Aucklands, Campbells etc.) Ich muss an die empörten Aufschreie unserer Seglerkollegen denken, denen der Zutritt zu den Kermadecs verwehrt bleibt – es ist so einfach, diese mühsam bewahrten oder wiederhergestellten Ökosysteme zu stören – und zu zerstören. Lasst uns drauf verzichten, solche Stellen auf Biegen und Brechen besuchen zu wollen!
Ein bisschen nachdenklich beschreite ich den Heimweg, dieses Mal auf dem langen Küstenpfad; beim ersten Miauen eines Bellbirds muss ich aber wieder lachen, und schnaufe x mal bergauf und bergab.
Wiederholungswürdig, der Ausflug!