… zu kurz, aber gut…

Niua Akka in Blau

Neiafu, Vava’u/Tonga, 21.10.2011

Zu kurz, aber gut. Vielleicht wäre das auch ein Resumée für das Leben von Stefan – wir sind doch immer wieder geschockt über seinen gewaltsamen Tod, aber wir sind auch berührt von den vielen positiven Äußerungen anderer Segler und Freunde – möge das Heike ein bisschen helfen.

Eigentlich jedoch meinte ich mit „kurz und gut“ unseren Ausflug nach Niuatoputapu. Dass der sich so kurz gestalten würde, hatten wir nicht gedacht, aber am Donnerstag tat sich ein Wetterloch auf, das wir nutzen „mussten“, wenn wir in absehbarer Zeit zum Absprung zurück nach Neuseeland bereit sein wollen. Ganz kurz sah es gestern so aus, als hätten wir doch noch ein paar Tage anhängen können, aber nur ganz kurz, heute schon zeigt sich ein steter, frischer und für die Segelrichtung Niuas-Vava’u ekliger Südostpassat für die ganze kommende Woche. Wir sitzen also in Neiafu, sind’s zufrieden, denn wir hatten die perfekte Überfahrt, 30 Stunden zwischen leichten Am-Wind- und Raumschotskursen, bei nicht so garstiger See wie befürchtet, und wir lassen den schönen Aufenthalt auf Niuatoputapu revue passieren.

... und Schweine und  Hunde besorgen den Rest...

... und Schweine und Hunde besorgen den Rest...

Wir wären wirklich gern länger geblieben – ganz zum Schluss, auf dem Abschiedsgang durch Falehau, lernten wir noch die besonders nette Theresa kennen, Volksschullehrerin an der Staatlichen Schule in Vaiapo, und angesichts der vielen ungestellten Fragen oder der verpassten Gelegenheiten, zum Beispiel mal einen deutsch-tonganischen Kochabend zu veranstalten, fällt es einem schwer abzureisen.

Bei Ankunft hatten wir gleich Sia getroffen, die so eine Art Segler-Patin ist (und damit offensichtlich auch das Misstrauen oder gar den Neid der Nachbarn auf sich zieht), aber sie kümmert sich eben um diese Handvoll Touristen, die nach dem Tsunami von 2009 noch übrig geblieben sind, um die Segler nämlich; nachdem der Tourismus auf Niuatoputapu mit der unsicheren Flugverbindung ohnehin sehr bescheiden war, ist das einzige Touristenresort der Welle zum Opfer gefallen und nicht wieder errichtet worden. Familienanschluss gibt es bei Sia frei Haus, entweder begleiten die großen Söhne, gerade im Highschool-Abschlussstress, Wanderer auf den Bergkamm der Hauptinsel oder man geht, wie wir am Sonntag, zu Sia und Nico zum Mittagessen – siehe Bilder. Man sitzt auf dem Boden (es war auch ein Palangi-freundliches Bänkchen bereitgestellt) und isst tonganisch-schlicht, Tarotaschen mit Hühnchen oder Fisch, Papaya-Gemüse und die unvermeidliche Portion Kumara, Brotfrucht und Maniok. nicht zu vergessen unseren Karamelpudding und den Marmorkuchen, den ich mit etwas Schlagsahne und einer Schokoladenfrischkäsecreme aufgepeppt hatte. Ich glaube, wir haben es alle sehr genossen.

Vic ky und William öffnen den Sonntag-Umu

Vic ky und William öffnen den Sonntag-Umu

... und wir essen alles auf

... und wir essen alles auf

Die MAMBO, ein österreichischer Katamaran, hatte uns aufgetragen, eine kleine Fotodokumentation mit nach Niuatoputapu zu nehmen, die an die Geschehnisse rund um den Tsunami erinnern sollten, und zum Nachtisch schaute sich die Familie gespannt die Bilder dieser dramatischen Tage an – „… oh guck‘ mal, Lupe’s Haus! Und hier – da schwimmt unser Dach…“ Gesprächsstoff für Stunden.

Das Buch zum Tsunami. Sia und Nico mit William und Vicky.

Das Buch zum Tsunami. Sia und Nico mit William und Vicky.

Des Abends fand sich die ganze Familie zum Gegenbesuch an Bord der AKKA ein – viel haben wir nicht zu bieten, kaltes (!) Wasser, ein Karton kühler Fruchtsaft, aber unsere Vorräte an Bhujia, hülsenfruchtbasierter, indischer Knabberkram, werden begeistert getilgt.

Vicky beim Wickeln von Pandanusstreifen

Vicky beim Wickeln von Pandanusstreifen

Dafür dürfen wir am Montag Vicky beim Wickeln von Pandanusstreifen beobachten, die Elektrikanlage des Hauses in Augenschein nehmen – und außerdem machen wir uns auf den langen Marsch nach Hihifo, wo Muli nun sein Fotobuch erhalten soll. Alle nas’lang muss man stehenbleiben, Kinder begrüßen, Passanten nach den Feldpflanzen befragen; die Kindergärtnerin kriegt eine Portion Buntstifte, Spitzer und Radiergummis, im Gegenzug lassen wir uns etwas über das Schulsystem erzählen, die Kindergarten- und Vorschulkinder bleiben nämlich bis zum Abschluss der ersten Klasse in ihrer Obhut; und es gibt etwas zu sehen, was es auf Niuatoputapu gar nicht gibt: Tapa-Produktion! Die Insel ist berühmt für besonders feine Pandanusmatten, das sieht man auch des Sonntags, wenn alle Kirchbesucher in glänzenden und dezent farbigen Ta’ovalas zur Kirche schreiten. Aber Tapa – Baststoffstreifen aus Maulbeerbaumrinde – das gibt es hier nicht. Nicht?! Klar gibt es das! Mafi sitzt mit ihrem Vater unter den Bäumen und trennt äußere Rinde vom Bast – besonders der Herr Papa macht das mit stoischer Ruhe, viel Routine und Erfolg, ohne dass die Streifen einreissen. Aber es ist eine Importkunst: die Familie ist aus Tongatapu zugezogen, der älteste Sohn ist der Priester der katholischen Gemeinde, und so pflegt man hier „Heimattraditionen“, während in vielen anderen Häusern eben Pandanusblätter verarbeitet werden. Weiter – Besichtigung der ehemaligen Resortinsel und der Versuch, sich auf Grund der Trümmerreste eine Vorstellung zu machen, wie Hihifo wohl vor September09 ausgesehen hat. Und die Suche nach Muli, dem Fotobuchadressaten. Eine Nichte von Muli gabeln wir zufällig auf, die uns natürlich persönlich lotst, und dabei ein wenig schüchtern, aber doch offen über Schule und Schulkarrieren auf den Inseln erzählt. Da gibt es wohl sehnsüchtige Wünsche, die Heimatinsel zu verlassen, und gleichzeitig viel Heimatverbundenheit, aber über einige Spezialaufgaben hinaus – im schulischen Bereich, in der Verwaltung oder Telekommunikation oder Paeas Job als Gemeindeschwester – gibt es wenig Perspektive. Außer Umu, Kinder, Kirche, natürlich – für die Frauen. Hängematte, Fischen, Gärtnern auf der Männerseite, wobei die Frauen durchaus auch gärtnern und fischen. Und Matten flechten … Nach einem langen Marsch durch den Busch und entlang der Gärten am Fuß des Berges laufen wir wieder in Falehau ein, das sich hier deutlich ein zwei Teile teilt: einige Häuser, genannt „das neue Dorf“, sind am Hang angesiedelt, tsunamigeschützt, aber viele der angestammten Dorfbewohner haben ihre alten Häuser wieder aufgebaut oder neue an die alten Stellen gesetzt. Die Krankenstation steht ungefähr in der Mitte zwischen den Siedlungsteilen. Wir bleiben für ein Gespräch bei Paea stehen und stellen fest, dass sie sich über die Weitergabe unserer Medzinkisteninhalte unglaublich freuen würde. Ciprofloxacin hast Du?! Oh… Antibiotische Ohrentropfen?! Sie strahlt, als wir versprechen, am nächsten Tag mit den Kisten vorbeizukommen. Wenn der Versorger wirklich nur alle paar Monate kommt, ist die Medikamentenversorgung hier wirklich schwierig, und für uns ist es kein Beinbruch, unsere Vorräte in Neuseeland wieder aufzufrischen. Dafür kriegen wir dann Papaya und Banane „satt“.

Der Tonganer an sich ...

Der Tonganer an sich ...

... und der Palangi in Tonganerposition

... und der Palangi in Tonganerposition

Es ist warm, warm, warm, als wir auf die Mole hinauswanken, im Blauen schaukelt die AKKA. Pause. Kaum verschnaufen wir an Bord, krackelt das Funkgerät. Nico: „… can I come over and collect the radio??“ Puuh, der Eigner verneint, zu warm, zu faul (die o.a. Hängematte hat ihren Grund!), um nach dem alten Sailor-UKW-Funkgerät zu graben, das wir ihm versprochen haben, quasi als Umu-Lohn, aber dann lässt er sich doch erweichen, und ich tuckere schnell an Land und übergebe das für moderne Zeiten ein bisschen überdimensionierte, alte, aber doch sehr zuverlässige Teil. Ich klettere gerade zurück an Bord, als ich schon den höchst erfreut klingenden Funktionstest zwischen Nico und Andreas belauschen kann: „… I read you loud and clear…“ Na, das ist doch toll.

Niua Elektro

Ja. Toll. Am Folgemorgen steht Nico etwas bedröppelt in der Tür seines Hauses. „… ich glaube, ich habe was falsch gemacht…“ Das neue, alte Funkgerät schweigt beharrlich – verpolt hat Nico es, so ein Ärger, das kommt vom freien Anklemmen irgendwelcher Kabel an einer freistehenden Batterie. Andreas schluckt, das Teil war uns ja irgendwie doch was wert. Zurück an Bord. Der Eigner packt die „Grundausrüstung“ – Abisolier- und Krimpzange, Kabel samt Kabelschuhen, das Schraubendrehersortiment, Ersatzteile, und brechen auf zum Elektrowerkstatt-Teil unseres Inselbesuches. Ei, jei. Die Bilder zeigen es, und während drinnen ein gelangweilter Besucher aus Nuku’alofa auf der berühmten Tonganermatte liegt und sich eine grässliche US-Irgendwas-Stealthbomber-DVD – über Generator gespeist! Einem Gast kann man halt die Verschwendung von kostbarer Energie nicht abschlagen! – anschaut, baut Andreas, zunächst nicht so besonders hoffnungsfroh, das Funkgerät auseinander, ortet mit Schipperinnenhilfe, die den Dokumentationsteil übernommen hat, den Fehler und ganz konkret dann die Sicherung; des Tropenschraubers höchste Kunst ist, die Schweißtropfen nicht ins Werkstück fallen zu lassen. Aber: Ende gut, alles gut. Als i-Tüpfelchen wird noch eine kunstvolle Wandhalterung für das Gerät angebracht samt einer schönen deutsch-ordentlichen Verkabelung. Als Sia vom Verwaltungsbüro heimkommt, funktioniert alles perfekt.

Niua Sailor

Das war nun wirklich mitten im tonganischen Leben. Leider hatten wir vergessen, eine Trenndiode oder wenigstens einen Schalter für das Solarpanel mitzubringen, so wird auch weiterhin täglich das blanke Kabel ver- und wieder auseinander gezwirbelt werden. Und wenn man sich die UKW-Antenne des Hauses anschaut, die Nabelschnur zu den Seglern, heißt die Diagnose: Tsunamischaden, tonganisch. Ein echtes Schweineschwänzchen von Antennendraht kringelt sich da aus dem abgebrochenen Antennenrohr, aber es gibt Wichtigeres: Schließlich ist man froh, wieder ein Dach über dem Kopf zu haben. Nico verbringt jährlich mehrere Monate als Erntehelfer in Neuseeland und Australien, wobei natürlich ein Haufen Geld für den Transport drauf geht, und wenn er zu Hause ist, ist er mehrere Tage der Woche „drüben“, in den Gärten auf dem Vulkan, für Früchte, Gemüse und, Haupteinnahmequelle, Kava. 5 Meilen offene See, mit dem wackeligen Motorbötchen und mit einem unzuverlässigen Motor. Das ist Fleiß, Mut, Gelassenheit – und eine ordentliche Portion Gottvertrauen.

Nach dem Tsunami wieder aufgebaut: Nicos und Sias Haus

Nach dem Tsunami wieder aufgebaut: Nicos und Sias Haus

... und dazu gab es SPendenhilfe aus Deutschland!

... und dazu gab es SPendenhilfe aus Deutschland!

Wir könnten noch Tage und Wochen hier zubringen, schauen (Schweine, Pferde, Hängematten!), helfen (Medizin, Schule!), werkeln (Elektrik, Elektrik…) – mit viel Spaß.

Zu kurz waren wir dort. Aber gut war’s!

Mit Sia vor dem Haus

Mit Sia vor dem Haus

PS: Bilderkommen morgen aus dem Aquarium-Café – schneller als an Bord und dafür kostenfrei…

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