Klötze

Labrador/Queensland, 24.4.2012

Da dräuen sie in der Ferne, die Hausklötze. Die von „Surfers Paradise“. OMG, wie man hier sagt, „oh, my gawd!“.  Da tun sich Abgründe auf, nicht nur, weil die Hochäuser an dieser Urlaubsküste so hoch sind. Vor der Tür unseres Motelzimmers braust der Strandstraßenverkehr und morgen treten wir die Flucht ins Hinterland an.

Kulturschock Gold CoastKulturschock „City of Gold Coast“

Gestern von Alice Springs nach Brisbane geflogen, haben wir heute den City-Katamaran auf dem Brisbane River in die Stadt genommen, haben in einem leicht von den 70er-Jahren angehauchten Lokal gefrühstückt („The Groove“, alles hübsch braun und orange… ) und sind kurz durch die Stadt durchlatscht – und ein ganz klein wenig beschleicht mich so ein Aborigine-Gefühl: dieses Erstaunen über diese unverständliche Welt von Leuten, die wie die Irren durcheinanderrennen. Im (angenehm luftigen und grünen ) Park führt man in knackige Sportdress gekleidet Klappmesser, Bankdrücken und Liegestütze vor,  boxt unter dem Skandieren eines personla trainers frenetisch aufeinander ein:“Come on, keep going! You CAN do it. Keep going!“  – oder man vergießt in der Mittagspause ein paar Liter Schweiß, indem man die Flußpromenade auf- und abrennt. Bei den hochhackigen Damen im Kurzrock frage ich mich ebenso wie bei den Graukitteln mit Krawatte, was die eigentlich treiben, und es kommt mir nur aborigine-mäßig in den Sinn, dass ich diese Betriebsamkeit kaum verstehe. Quintessenz scheint mir zu sein, dass jeder jedem irgendwas andrehen will und ihm dafür die Kohle aus der Tasche locken will.  Bloß weg hier…  In rin in die Urlaubsindustrie… The City of Gold Coast. Deprimierend, ein bisschen jedenfalls. Wir hatten von ein bisschen Coral Sea-Idylle geträumt, aber das war wohl naiv.

Nun denn, schauen wir lieber zurück ins Red Center. Schön war’s – zu kurz war’s.  Das Allradauto durfte sich bewähren, auf dem (trockenen) Mereenie-Loop zwischen Hermannsburg und Kings Canyon ebenso wie auf dem schmierig-feuchten Ernest Giles-Road auf dem Rückweg, denn am Sonntag fing es an zu regnen.  Und dazwischen: viele große und kleine Überraschungen. Als da wären: Kings Canyon Rim Walk – den wir durch zahllose Staun-Stopps gekonnt auf 4 1/2 Stunden dehnen, der Blick geht in fast unendliche Weiten, bleibt aber im Vordergrund an den unterschiedlichsten und abenteuerlichsten Felsformationen hängen. Das Gegenstück zu dieser luftigen Tour der bodenständige Kings Canyon Creek Walk. Das Stück Draht, das uns einen Reifen zerstach, glücklicherweise als wir zum Anmelden am Campingplatz in Yulara anstanden. Die Flut der Camper (nun auch mal wieder internationalen Camper) auf dem Campingplatz in Yulara. Die Didgeridoo- und Tanzvorführungen ebendort – zwar nicht duch die ortsansässigen Anangu, aber „immerhin“ ein paar Leute, die kleine Stückchen vom Aboriginalleben preisgeben. Ganz kleine.  Wir wussten zum Beispiel nicht, dass „Didgeridoo“ ein lautmalendes Wort ist, dass die Weißen für dieses Instrument erfunden haben, und ganz viele unterschiedliche Bezeichnungen in den Aboriginalsprachen hat, zum Beispiel yiraki. Und dass es eigentlich das Instrument der Völker aus dem Norden des Northern Territory ist, nicht „das“ Instrument der Aborigines (obwohl uns, meine ich, Graham in Mildura schon so etwas erzählt hat).

Yulara ist eine kleine Ansiedlung von Hotels und Geschäften, ungefähr 35 km vom berühmten Uluru, ehemals „Ayers Rock“, entfernt.  Als wir mit unserer Reifenreparatur fertig waren – es gibt auch ein winziges Industriegebiet, in dem eine Reparaturwerkstatt angesiedelt ist, immerhin ja 450 km von Alice Springs als nächstem größeren Ort entfernt! – als also der Reservereifen wieder an Bord war, machten wir uns ebenfalls zum obligatorischen Touristenritual auf, das da heißt: Sonnenuntergang am Uluru. Reisebusse bitte rechts raus, PKWs und Campervans bitte links parken. Und der „richtige“ Ulurutourist riggt dazu sein Champagnerglas…  Oh, nee. Wir nicht! Wir tun uns zunächst mal eine ausgiebige Runde im Kulturzentrum an, was wieder den Eindruck verstärkt , dass die Aborigine-Kultur schwer zu verstehen ist (und, wie zu erwarten, ist auch niemand „Betroffenes“ da, der einem mehr erklären kann, „white-fellas“, wahlweise Asiaten, wohin das Auge blickt). Zum Sonnenuntergang rollen wir langsam zum Eingang des Nationalparks zurück und schauen uns das Schauspiel – wie am folgenden Morgen den Sonnenaufgang – fern der „Massen“ an. Was den Vorteil hat, dass wir so ziemlich die ersten sind, die im Outback Pioneer Hotel zum BBQ (australisch: Barbie, deutsch: Grillen) einfallen, und es uns entsprechend früh in unserem Allrad-LandCruiser gemütlich machen können (Liegefläche ca. 1 m…  man gewöhnt sich schnell dran!).

Kata Tjutas im Morgenlicht

Kata Tjutas im Morgenlicht

Nach dem besagten Sonnenaufgang am Folgetag die nächste Überraschung: geschätzte 120 Menschen versammeln sich morgens um 8 am Mala-Parkplatz zum Ranger-geführten „Mala-Walk“. Bei den ersten Schritten habe ich mal wieder dieses „Hammelherde“-Gefühl, aber damit ist es schnell vorbei: Vanessa, unsere Führerin, macht ihre Sache ausgezeichnet.  So ausgezeichnet, dass die doch recht große Menge inklusive einiger Kinder mucksmäuschenstill sind. Vanessa gibt Erklärungen zur Natur, zur Kultur, zur Geologie – ein weiterer Beweis, dass sich geführte Touren fast immer lohnen. Natürlich hält sie auch einen kleinen Sermon zum Thema „Besteigung des Ayers Rock“ – ein heißes Thema, und, wie wir im persönlichen Gespräch mit ihr später erfahren, einmal mehr ein Hinweis darauf, wie Aborigines, oder hier die Anangu, ticken. An allen möglichen Stellen wird gebeten, es nicht zu tun. Es entspricht nicht der Anangu-Kultur, auf dem Felsen selbst herumzulaufen, der in gewissem Maße ein heiliger Ort ist (die wirklich heiligen Orte sind abgesperrt und man wird gebeten, keine Photos zum machen!), nebenbei ist es gefährlich, und damit eine weitere Belastung für die „traditional landowners“, weil sie sich als Gastgeber für Besucher verantwortlich fühlen, die dann möglicherweise verletzt oder gar tot geborgen werden müssen.  Als wir unsere Umrundung des Felsens – auch das ein Touristenmuss – beendet haben, sehen wir natürlich eine lange Kette von Kletter-Helden, denen solche Bitten am Arsch vorbeigehen. Für uns: unverständlich. Auch wenn in diesem Umfeld Aborigines wieder weitestgehend unsichtbar sind (ein paar Kinder gucken sich mit mir Insektenkästen an und im kleinen Café kaufen einige Erwachsene bunte Softdrinks und verschwinden damit im „Unsichtbaren“) – Vanessa kann auch einige Beispiele für das moderne Leben mit Aborigines nennen: den Anfang der Zusammenarbeit machte in den 70er Jahren ein riesiger Flächenbrand rund um den Felsen, der seinen Ursprung in der ungeregelt hohen Vegetation hatte – plötzlich entsann sich die Parkleitung, dass es hier doch mal Ureinwohner gab, die das über Jahrhunderte und Jahrtausende durch kontrollierte Brände verhindert hatten. Und fragten die mittlerweile über Hunderte von km verstreuten ehemaligen „Besitzer“ dieses Landstriches um Rat. Erfolgreich. Das Ende vom Lied war, dass die Anangu ihre Landrechte zurückerhielten, das Land aber dem Nationalpark verpachteten. Nur sie dürfen im Park leben – weswegen auch das Resort nahe am Felsen aufgegeben wurde und die kleine Retortenstadt Yulara errichtet wurde. Die Planung für die Brände macht man übrigens heute mit Vertretern der Ältesten – im Nationalpark-Hubschrauber.

Australiens berühmtester Klotz.  Der Uluru

Australiens berühmtester Klotz. Der Uluru

Nochmals 40 km westlich von Uluru erheben sich, wie man beim Sonnenaufgang gut sehen konnte, die Buckel der „Kata Tjuta“, früher „The Olgas“.  Man sollte meinen, dass dies das gleiche in Grün ist wie Uluru, aber weit gefehlt: gleicher geologischer Hebungsvorgang, aber ein ganz andere Quelle für die Ablagerungen, die zur Gesteinsbildung geführt haben. Uluru ist zwar gefurcht und „schuppig“, das Gestein aber insgesamt ziemlich homogen. Die Kata Tjuta (=“viele Köpfe“) bestehen aus kleinen bis großen Kieseln, und da hat die Erosion dann einen ganz anderen Effekt: während der Uluru langsam „schmilzt“ (sehr langsam!), sind die Kata Tjuta in viele einzelne Klumpen zerfallen, zwischen denen man umherläuft. Hinreißend und natürlich viel abwechslungsreicher als der Uluru. Und schweißtreibend, denn es geht ganz schön auf und ab – die Wanderung durch The Valley of the Winds (nomen est omen!) ist ein unbedingtes Muss.

In den Kata Tjutas. Nein, der Horizont ist nicht schief!

In den Kata Tjutas. Nein, der Horizont ist nicht schief!

Am Samstag treten wir dann die Heimreise nach Alice an. Noch einmal „Bushcamping“ irgendwo an der Straße nach Kings Canyon. Australier-Spaß mit Lanzeitcampern unter Eukalyptusbäumen „… die vielen, gewaltigen Grizzlies in der Gegend…“ und ähnliche Scherze machen die Runde; aber dass wir substanzielle Information zum Befahren des Mereenie-Loops beisteuern können, wird dann doch ernst genommen und ist mehr als willkommen. Macht echt Spaß mit den Ozzies. Mittlerweile hat sich der Himmel völlig zugezogen, es fegt ein ordentlicher Wind durch die Baumwipfel. Wenn das man nicht regnet morgen…

In der Früh besuchen uns zunächst mal 50, 60 Mayor Mitchell-Kakadus, die zart rosafarbenen mit den kräftig orangen Unterflügeln und der albernen pinkfarbenen Haube. Es hat ein paar Tropfen geregnet, und jedes Pfützchen wird gern zum Trinken benutzt; und was für eine Aufregung das ist…

Wir fahren los, ins Graue, und biegen auf die Ernest Giles Road ab, die letzte unbefestigte Straße dieser Reise, fettes Lateritrot und wegen des Regens wenig Staub. Wir fotografieren noch ein paar Raupenkokons, die uns nun schon so lange begleiten, und von denen wir nun endlich wissen, dass es die Kokons eines Prozessionsspinners sind. Und dann geht der Regen los. Ich steige aus um die Vorderräder für 4-Radantrieb zu verriegeln und habe gleich doppelt so große Schuhe an: die Straße ist sofort schmierig, der Boden verklebt, ich muss erst mal dicke Schlammklötze abstreifen.  Mit 4 Rädern geht’s zu den Henley Meteoriteneinschlägen, die wir aber wegen des Regens dann nicht anschauen. In Alice Springs gießt es massiv. Wir packen und geben am Montag das Allradfahrzeug ab.

Flug nach Brisbane. Kleiner Kulturschock – zurück in der „westlichen Welt“.

Übrigens: wir sind mittlerweile schon in Port Macquarie. Der Kulturschock, der große, währte nur kurz, nur bis zum Auslaufen der City of Goldcoast. Der kleine hält an:  ganz schön europäisch hier, nur mit ganz vielen Eukalyptus. Wir gehen morgen erst mal ins Koala-Hospital gegenüber und gucken uns die Patienten an.

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