Eine Kokosnuss!

Ha’afeva, 19.6.2012

Wir betrachten gerade etwas, was wir in Ha’afeva noch nicht gesehen habe: die ‚Otaunga’ofa wird entladen. ‚Otaunga’ofa ist das Schiff, das nach der Fährkatastrophe von 2009 in Dienst gestellt wurde *, und kommt wöchentlich einmal hierher, üblicherweise in der Nacht, so um 1 oder 2 Uhr – nur heute hatte sie ein bisschen Verspätung, und so konnten wir das Schauspiel beim Frühstück genießen. Schon putzig, wenn man sieht, dass auf See (nun gut, ruhiger See, denn wir liegen ja im Windschutz der Insel und innerhalb des Riffes…) die große Roll-on-Roll-Off-Rampe abgelassen wird, um den längsseits gehenden Kleinstbooten Gelegenheit zu geben, Kinder, Omas, ein Sofa, Gemüsesäcke und allerlei anderes zu laden und zu entladen. Und nochmals spannend zu sehen, wie die nun abenteuerlichst beladenen Kleinstboote an Land tuckern: weil sie so buglastig sind, müssen dann auch noch vorn zwei Leute stehen, damit die Ladung nicht über Bord geht. Was wiederum die Buglastigkeit nicht gerade veringert. Heil angekommen, freut sich die an Land stehende Dörflermenge: „… die Schwägerin aus Vava’u hat uns eine Kokosnuss geschickt!“ oder so ähnlich. Zu den „Schwägerinnen aus Vava’u“ gehört, wie wir gestern zu unserem Bedauern schon hören mussten, auch unsere Freundin Linda, die nach der Geburt ihres Kindes dort geblieben ist. Aber immerhin ist sie für uns in Reichweite, nur ein paar Inseln weiter, während die Tatsache, dass Bruder Auka nicht ans Telefon geht, einen anderen Grund hat: neue Rufnummer, neue Vorwahl +1. USA. Wir hatten es im letzten Jahr schon geahnt, dass der Exodus aus Ha’afeva bei den Mataeles im vollen Gange ist und sind jetzt gespannt, was heute nachmittag Afa und Mary zu erzählen haben.

Am Sonnabend hatten wir noch einmal Nuku’alofa genossen, das sich zum Wochenende hin kaum vom Samstagsbesuch bei Real-Kauf Altwarmbüchen unterscheidet: voll und laut, viele Autos, die durcheinander kurven, hier allerdings auf dem ziemlich bunten Fisch- und Melonen/Taro/Maniok-Markt am Anleger. In der Stadt(?!) plärrt es marktschreierisch und polynesisch aus den Lautsprechern vor der neuen Filiale des MOLISI-Supermarktes; mehr Markt als super, aber für hiesige Verhältnisse und für uns ganz prima. Wie viele der modernen Gebäude war auch der Supermarkt den Unruhen 2006 zum Opfer gefallen, und obschon die Zeitung dieser Tage gerade „Tonga in Crisis“ schreit, werden doch viele Gebäude nach und nach neu errichtet. Das neue „Café“, das zu diesem Supermarkt gehört, ist eigentlich eine dem Eiskrem-Tresen („TipTop New Zealand“) angeschlossene Espressomaschine. Und zu beobachten, wie man versucht, dieser Mschine nun die von uns bestellten „Flat White“-Kaffees zu entlocken, war allein schon einen Ausflug in die Stadt wert. Ich war, während Andreas die Bestellung aufgibt, beim Bäcker UND auf dem Markt, um noch ein paar Äpfel und Möhren zu ergattern, und als ich zurückkomme, steht er noch immer diskutierend da. Schließlich wird aus dem Hintergrund die Frau herangerufen, die ich vom „alten“ Molisi als die kenne, die mir Gemüse abwiegt und außerdem im Kämmerlien das Fleisch verpackt – die auch gleich mit der Milch wieder nach achtern verschwindet – wer weiß, wie diese Milch erhitzt wird?! Mit der großen, glänzenden und fauchenden Maschine jedenfalls nicht. Bis wir endlich im Besitz unseres Kaffees sind, haben wir reichlich Zeit, in tonganische Rhythmen gehüllt, das vorbeiblubbernde Leben zu begutachten. Ein paar Touristen in Bergstiefeln, jede Menge Dorf- und Landbevölkerung, tonganische Nobles, die Kindermädchen und ihren noblem Nachwuchs im Schlepptau haben, Trauermatten aller Art (was mich ja doch immer wieder fasziniert), dicke Damen, die mit uns an den Tischen sitzen, ihre dicken Sitzpolster im Takt über die Ränder ihrer (tonganertauglichen) Plastikstühle wippen lassen und zur hawaiianisch angehauchten Musike ein TipTop-Eiskrem schlecken. Schön! Ach, was die dicken Sitzpolster betrifft… Das liebe ich so an Tonga – man fällt als Übergewichtige kaum auf. Als ich im Kramladen anstehe und warten, dass Caroline Schneider (!! „I am half German!“ erzählt mir die junge Frau später…) mir Stoffe zuschneidet, die ich den diversen Damen auf den Inseln zugedacht habe, lasse ich mich nebenbei von einer anderen Kundin beraten, wie viel Stoff man denn für einen „wrap-around“, einen Rockwickel, braucht. 1 Meter 80 ist die Auskunft, und dann: „… or is it for you?! Then 1.50 m… You are not fat!“ Ich habe es im Kalender vermerkt.

Abends ein letztes Bier mit Fish and Chips bei Ana „Big Mama“ und Earle – wir hatten viel länger in Nuku’alofa gesessen als gedacht, aber das Wetter war einfach zu bescheiden. Landesgerecht werden wir verabschiedet mit einer Tonganer-Einladung: „… wenn Ihr nach Niuatoputapu kommt: die Insel im Norden vom Ankerplatz ist meine – Ihr könnt sie benutzen…“, sagt Ana.

Sonntagmorgen bei bester Laune in Nuku’alofa ausgelaufen, erreichten wir unser Tagesziel gegen 15 Uhr und freuten uns schon auf möglicherweise ein Ferkelessen am Strand… aber was wir sehen sind lediglich Brecher vor der Insel. Südschwell und – wie wir jetzt im Nachhinein denken – Hochwasser lassen uns nicht mal die kleinste Möglichkeit, die Riffdurchfahrt auch nur zu erkennen. Ein bisschen zögerlich laufen wir drauf zu um dann, etwas gedämpfter Stimmung, abzudrehen. Keine Chance, durch diese Roller durch den Pass zu laufen. Und da dieses ein ekelhaftes Seegebiet ist, mit reichlich Riffen gespickt und nicht unbedingt 100%igem Verlass auf die Seekarten, laufen wir ein Stück ab Richtung Westen, drehen, als die Distanz uns sicher erscheint, für die nächsten Stunden bei und laufen in der Nacht langsam nach Norden, Ziel Ha’afeva. Und da sind wir nun. Lange werden wir dieses Mal nicht in Ha’apai bleiben. Samoa ruft – heute früh kam schon die erste Vorschau via Kurzwelle von der CUL8R: „… heiß ist es! Das Wetter in Tonga fanden wir besser!“ Alles klar: hier regnet es…

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* ein Mahnmal für dieses Fährunglück zwischen Tongatapu und den Ha’apais kann man auf dem kleinen Friedhof gegenüber dem Anleger in Nuku’alofa ansehen. Die Geschichten, die man sich erzählt sind gruselig: Gieriger Noble schickt eine Fähre auf die  Reise, deren Reparatur noch nicht abgeschlossen war.

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