oder: Hinter Koumac wird es besser!
Nouméa, 25.6.2013
Da sind wir wieder, und Frau Fuchs schreibt von einem funktionierenden Rechner (vive la France und vive Jérà´me, der es möglich machte!). Klitzekleiner Schönheitsfehler: ich habe es fortan mit „Démarrage“ zu tun statt mit einem Startvorgang, ich muss „enregistrer les fichier“, muss das „panneau de configuration“ aufrufen und so fort. Nicht schlimm – es wird mich manchmal ein bisschen aufhalten, weil ich erst mal überlegen und übersetzen muss, was mir das französische Windows da abverlangen will. Auch hat es eine Weile gedauert, bis ich die Möglichkeit, die „Barre de langue“ wirksam zu verändern, so dass ich mein „clavier“ auf deutsche Tastaturbelegung umstellen konnte. Im Endeffekt finde ich es aber sogar ganz lustig, wer hat schon einen Rechner, der Französisch mit einem spricht. Alors, à§a marche…
Und „da sind wir wieder“ heißt aber auch, dass wir eine kleine Landreise unternommen haben. Kleines Chevrolet (=Daihatsu?!) -Leihauto für 4 Tage und mit den üblichen AKKAnauten-Utensilien gefüllt: natüüürlich, die Plastikkiste mit Fressalien und Zubehör, Klamotten, Zelt, Wanderstiefel, Isomatten, Kopfkissen. Da fehlt was? Da fehlte was: bevor wir in Boulouparis ins Landesinnere abbiegen, müssen wir noch im „Libre Service“ von Monsieur Than Duc anhalten. Ein paar Äpfel und Kekse und andere Schleckereien – aber vor allem auch eine schicke, chinesische mit Dacronwatte gefüllte Decke musste es sein, man weiß ja nie, ob man wirklich eine adäquate Unterkunft findet. Und siehe da – man wusste es tatsächlich nicht…
Vorbei an den ersten angekratzten Bergen – von wegen nickelig, hier wird Nickel abgebaut, dass es nur so kracht! Lange Transportbänder – viele Kilometer lang!- schlängeln sich zu Tal. Sagte ich es schön? Auf meiner inneren Landkarte war Neukaledonien eben Neukaledonien „irgendwo im Südwest-Pazifik und eine französische ex-Kolonie“. Dass dies die 4.-größte Insel des Süd-Pazifik ist, nach den beiden Neuseelandinseln und Papua-Neuguiniea, war uns nicht bewusst. Bis in den Norden haben wir knapp 500 bergige Kilometer vor .
In Thio sehen wir den Endpunkt eines solche Förderbandes, eine leere Hafenanlage und augenscheinlich eingelagerte erzhaltige Erde. Dazu einen vergitterten Laden und außer dem eigentlich (fast) nichts. Schlichte Behausungen für Minenarbeiter, ein paar einsame Verwaltungsbauten im Hüttenmaß. Ein bisschen – trostlos… Aber Thio hat Geschichte: es war 1984 das Zentrum des Aufstandes der Kanak – hier ließ man von der Politik der Gewaltfreiheit ab und die Nickelminen hochgehen, nachdem Siedler ein Massaker an 10 Kanak-Widerständlern angerichtet hatte.
Hm. Grauer Himmel, trauriger Ort – und die AKKAnauten noch ohne Platz für die Nacht. In Thio mochten wir nicht bleiben, es war auch so ganz augenscheinlich keine Unterkunft zu
entdecken, bis wir ein paar Kilometer nördlich die Beschilderung zu den Gà®tes von Ouroué entdeckten, der wir für ein paar holperige Kilometer Richtung Strand folgen. Die Besitzerin ist nicht da, aber Gäste, die wohl alle Freizeit hier verbringen, weisen uns stattdessen ein: die Gà®tes seien nicht so lecker, „Euch geht’s im eigenen Zelt besser“. Huch – da bauen wir doch schnell das Zelt auf und blicken unter den Kokospalmen hindurch auf den friedlichen Pazifik, die vorgelagerten Inseln und Riffe. Kokospalme?! Uaa – schnell noch das Auto so geparkt, dass es im Fall des Kokosnuss-Falles keine Beule gibt. Und tatsächlich macht es in der Nacht ab und zu „plopp“.
Am nächsten Morgen treffen wir auch Francoise, eine Kanak-Frau, die den Campingplatz führt, entrichten unseren Obulus (1000 CFP pro Auto und nochmal 150 pro Person), das macht ganz grob 10 Euro für eine Schlichtest-Unterkunft, aber immerhin mit Klo und kalter Dusche (die Gasflasche für das warme Wasser fehlt, zum großen Bedauern des Eigners). Für Neukaledonien kein schlechter Deal. Wir hätten vielleicht dort frühstücken sollen – in größerer Runde, und mit der Möglichkeit, dem einen oder anderen ein Loch in den Bauch zu fragen, oder zwei, denn am Vortag hatten sich schon einige Fragen ergeben. Vertan, die Gelegenheit, und das ist schade, denn ab hier wird es ruhig, sehr ruhig. Zunächst mal die „Route à l’horaire“, eine alternierende Einbahnstraße durch’s
Minengelände nach Norden. Gerade Stunden südwärts, ungerade nordwärts, Ausfahrt jeweils um 10 Minuten vor der vollen Stunde. Angesichts des unglaublichen Verkehrsaufkommens (nämlich 0) nehmen das Risiko auf uns und fahren noch um 9 h 17 hinein („Fermeture des vitres obligatoire“ – Fenster sind zu schließen und die Belüftungsanlage auf Umluft zu schalten. Giftige Gegend, das…). Als das geschafft ist, geht es weiter die Ostküste hinauf. Leider ist das Wetter zum Heulen, es ist ein gritzegrauer Samstag, auch wenn es nicht regnet, und das macht nur bedingt Spaß. Und einsam ist diese Küste, jedenfalls, wenn man aus dem quirligen Nouméa kommt – dies ist Kanak-Land. Canala. Stop am Supermarkt, der „Alimentation“, sehr kanak, muss man sagen – der Lebensstil erinnert uns an eine Mischung aus Tonga und Samoa. Eine wichtige Sache lerne ich dort jedenfalls: Das Kleid das hier noch sehr viele Frauen tragen, nennt sich, man mag es kaum sagen; „robe mission“. Alles klar? Ui je.
Wir kommen an diesem Tag noch bis Houailou, einen längeren Stopp auf einer Brücke über den Koua inklusive, wo wir unsere Campingstühle (3 cheers for Warehouse New Zealand!) auspacken und uns das aus Canala mitgebrachte Hühnchen einverleiben. Und wieder: keine Unterkunft weit und breit, aber dafür der wunderbar weitläufige Campingplatz von Tiakan, wir sind völlig allein und genießen nun auch eine warme Dusche im frisch aufgestellten Klohäuschen. Na, toll! Nur leider – getroffen haben wir überhaupt niemanden an diesem Tag… Und das muss anders werden, beschließen wir.
Aber auch am nicht mehr ganz so trüben, aber doch immer noch grauen Sonntag wird das nix mit den zwischenmenschlichen Kontakten. Zumeist hockt Familie Kanak wohl daheim, man sieht einige – aber längst nicht so viele wie in Tonga – „bougnar“ qualmen, Erdöfen. Sonntag eben. Dann Hienghà¨ne. Ein winziges Örtchen und von allem Leben verlassen. Es gibt eine 6-Boote-Marina, Pharmacie, Patisserie, Bank, Andenkenläden – alles da, aber wohl nur für den gelegentlichen Ansturm von Cruiseliner-Touristen – am Sonntag jedenfalls ist hier keine Menschenseele (dafür eine interessant anzuschauende, echt schwierige Zufahrt über eine Barre). Wir verfallen langsam ins Fantasieren – der dritte Tag ohne einen guten Kaffee! Wir konnten zwar in Canala ein Paket „Cappucino-Sticks“ der Marke Maxwell ergattern, die wir mit kühlem Wasser aus der Flasche anrühren und uns als Kaffeeersatz zu Gemüte führen, mit Betonung auf „Ersatz“. Aber dann sehen wir in Poindimié ein Schild „Snack, 10 km“. Oh toll – das schaffen wir gerade noch so! Noch 2 km… Da gibt’s bestimmt einen Café au Lait! Noch 1 km – hier muss es sein! Zufahrt – zu einem Resort. Gesperrt, da Öffnung erst um 14:30. Aber nein! Da hinten, ein paar hundert Meter weiter, ist das Snack-Schild. Auch hier, wie schon in Poindimié mit dem Zusatzvermerk: „Fermé du 31 Mai au 3 Juillet!“. Ferienzeit. Schön blöd, die AKKAnauten, wenn sie so etwas übersehen, und leicht frustriert. Also weiter – wir sinnieren über die Kanak-Schulbildung, denn wir passieren einige größere Schulen, das Lycée Professionel in Puebo, ein College-Internat in Hienghà¨ne; am Wege liegt noch der Ort, wo Cook 1774 anlandete und später, 1847, auch die Missionierung der Kanak durch die Franzosen begann, eigentlich der Anfang der Kolonialisierung. Ein paar Wasserfälle zum Spazierengehen. Und schließlich eine weitere Dosis kalten Maxwell-Kaffee auf dem Col d‘ Amos. Da haben wir die Ostküste schon verlassen und sind auf dem Weg nach Koumac. Die Landschaft ändert sich – zwischen zwei Bergketten liegt eine frruchtbar erscheinende Ebene mit Weidewirtschaft, und ganz eindeutig weniger Kanak-Besiedlung. Zum Abend rollen wir in Koumac ein, gucken uns die dortige Marina an, und sehen, siehe da, Bootsbetrieb, Tauchbetrieb. Guess what. Natürlich! Wir sind zurück im „weißen“ Teil von Neukaledonien. Nicht so bedingungslos weiß, im Supermarché treffen wir auf eine Gruppe Kanak-Schüler, die sich noch mit dem Nötigsten versorgen (Cola, Schokolade, Baguette), ehe sie für die Woche ins Internat einrücken. Aber insgesamt: die Campingplatzverwalterin ist eine weiße Französin, das Städtchen voller Minenarbeiter und ihrer Familien… Kurz gesagt: Neukaledonien zerfällt einfach in zwei Hälften. Hie Kanak, dort Franzmann. Wobei es politisch nicht ganz so „Ost-West“ ist, wie es einem die Bevölkerungsverteilung vorgaukelt: Neukaledonien besteht aus einer kanak-lastigen Nordprovinz und der eher konservativ (bis front-national)-lastig gesonnenen Südprovinz, mit dem ganz starken, weißen Zentrum in Nouméa. Plus einer dritten Provinz, den àŽles de Loyauté, der Inselgruppe im Osten.
Am Montag fängt es dann endgültig an zu regnen, und wir entscheiden nach Zeltabbau im Feuchten, ohne weitere Übernachtung bis nach Nouméa zurückzufahren. Zumal die Landschaft – bis auf interessante, riesige Minennarben im Berggelände, auch wenig Abwechslung bietet. Aber immerhin hat Koné ein richtiges Café, die Schipperin bricht – außer über den Kaffeegenuss – in Begeisterungsstürme aus, weil die Deko sich aus Putumayo-World-Music-Plakaten zusammensetzt und in der Ecke ein wunderbares Photo von Compay Segundo hängt. Und dann ist da noch die nette Bedienung, mit der man endlich, endlich mal über das Leben hier reden kann. Vor allem über das anstehende Unabhängigkeitsreferendum, und was da so an Hoffnungen und Befürchtungen dran hängt. Diese junge Frau weiß nicht so recht: es wäre schön, unabhängig zu sein, aber wenn die ganzen Franzosen dann weggehen… Und was wird aus den Minen? Schwer wird das alles, und schwer zu beurteilen, ob und wie es gut wird.
Gegen Ende der Reise sagt der Eigner: Ah! Ein Fort – Téremba, das schauen wir uns noch an, dieses Highlight leisten wir uns. So ist er halt, immer zu einem Scherz aufgelegt an solchen trüben Regentagen… Und was ist? Es ist ein Highlight! Ein ehemaliges Gefängnis für französische Verbannte, das man 1878 zum Fort befestigt hat, um sich nach einem weitreichenden und heftigen Aufstand gegen weitere Kanak-Angriffe schützen zu können. Denen wurde es nämlich plötzlich zu eng mit der zunehmenden französischen Besiedlung: ehemalige Häftlinge, Neuankömmlinge aus dem Mutterland, alle wollte sie Land, und als es zu einer Trockenheit kam, entschlossen sich die umgebenden, oder besser umzingelten Kanakstämme zur Gegenwehr. Den Erfolg der im Endeffekt obsiegenden Franzosen kennen wir: weitreichende Bewegungseinschränkungen für die Kanak-Bevölkerung, Verdrängung aus den angestammten Gebieten, mit „Nacktheitsverbot“ (siehe „robe mission“…) und Fisch- und Jagdverbot belegt, und bis 1953 hatten Kanak keine Bürgerrechte… 1984 flammte die letzte Revolte der Kanak auf – FLNKS (die Front de Libération National Kanak et Socialiste) hatte eine provisorische Regierung eines unabhängigen Kanaky geplant, und das rief brutalen Widerstand der Franzosen hervor – so brutal, dass Neukaledonien auf der UN-Liste der zu entkolonialisierenden Länder erschien.
Die Vorgeschichte dazu und noch mehr sehen wir in der Ausstellung im Fort und können mit dem Museumsdirektor sprechen, auch darüber, wie er die Chancen für (oder gegen!) die Unabhängigkeit sieht. Und nun sitzen wir wieder in Nouméa – zum Regierungsgebäude können wir spucken, und AKKA liegt unter einem haushohen Plakat: „1988-2013. 25 Jahre Frieden“. Heute nämlich jährt sich der Vertrag von Matignon zum 25. Mal. Und nächstes Jahr, oder übernächstes, spätestens aber 2018 wird abgestimmt: Frankreich ja oder nein. Neukaledonien ist ein deutlich gespaltenes Land – wir rätseln noch an den politischen Verhältnissen. Trotz der beiden freundlichen Herren…
Aber vielleicht sollten wir nicht so… nickelig sein?!





