Port Vila, 31.8.2013
Endlich hat die Schipperin den Familienstandard erreicht: Schwester, Bruder, Eltern – alle waren sie schon mal nahe am Vulkan, in Island zumeist, und zwei der inspirierenden Erinnerungen aus meiner Jugend sind daher die Bilder vom Heklaausbruch und der Aschehaufen von Surtsey. Klar, auch für die AKKAnauten hat es schon Vulkanisches gegeben, da waren Rotorua/Neuseeland in den 80ern und „neulichst“, ein Besuch im frisch evakuierten Plymouth auf Montserrat in der Karibik oder Eierkochen im Geblubber am Lake Baringo/Kenya, nicht zu vergessen viele „tote“ Vulkane. Aber so richtig „Vulkan“… nee, das hatten wir noch nicht. Und da die notorisch faulen Segelsäcke auf der AKKA auf dem Weg von Neukaledonien den Halbwindkurs nach Port Vila vorgezogen hatten, statt geradeaus nach Aneytum oder Tanna zu bolzen, musste nun der Vulkanbesuch noch nachgebessert werden.
Gesagt, recherchiert. Auf Port Vilas Straßen wird man mit allerlei Angeboten zu Tagesausflügen oder auch Overnighties animiert, unser Moon-Reiseführer erläutert solche Möglichkeiten, und bei der Touristeninfo gab es den entscheidenden Hinweis: „… I think, Air Vanuatu is cheapest…“ – sicher nicht unbedingt im Sinne der Touranbieter, der Tipp, für uns aber zielführend. Schon der Termin bei Air Vanuatu war sehr lustig, denn der mit Packagetouren befasste Joseph war ein umfassend interessierter Mensch – drum kakelte er zunächst mal lang und breit mit Australiern, die wiederum nebenbei mit mir über Australien, das Outback und schlechte VWs, insbesondere Amarok, palaverten. So was kann dauern. (Und liest hier jemand von VW mit? Australischer Werkstattbesitzer lässt ausrichten, dass der Amarok zum Wegwerfen ist. Gemildert ausgedrückt.) Mit uns redete Joseph, als wir dann endlich dran waren, über Deutschland und Hamburg im Speziellen, die Welt im Allgemeinen, und von letzterer ließ er sich erst mal auf dem Globus unsere Route zeigen, sodann vom Amazonas erzählen. Ich sagte es schon: so was kann dauern. Bis wir dann zum eigentlichen Punkt vorstießen. Flug war schnell erledigt, sehr viele Optionen bietet der Flugplan nach Tanna nicht (morgens und abends halt), aber wir wollten im Gegensatz zu den Normaltouristen lieber zwei Nächte
verweilen und brauchten eine entsprechende Unterkunft. Eben dieser Normaltourist fliegt morgens ein, rollert zur „Evergreen Lodge“ nahe der „Hauptstadt“ Lenakel, wird nachmittags zum Vulkan gebracht , nach Einbruch der Dunkelheit dann zwei 4-Rad-Stunden lang zurückgerollert, und fertig ist der Tannabesuch. Wir fanden es eigentlich logischer, in der Nähe des Vulkans zu übernachten. „€¦ well, we have Jungle Oasis there. Very simple. Something for backpackers€¦“ sagt Joseph. Schlicht und für Rucksackreisende? Klingt doch AKKAnautengerecht, dachten wir, und buchten. Nicht ohne danach beim „Tripadvisor“ mal zu gucken, und dem entnahmen wir, dass die Unterkunft eine hohe Chance bot, dass es uns gefiel. Vor allem der Gast, der nach eigener Aussage eine volle DIN A4-Seite an Mecker im Gästebuch hinterlassen hatte, beeindruckte uns, vom Handtuch über das Moskitonetz bis zum Klopapier, unter der Überschrift: „Die längste Nacht“. Er habe stundenlang eine Ratte zunächst mit der Taschenlampe, dann, wegen Batterieschwundes, mit der Beleuchtung seines Mobiltelefons verfolgt. Naja, und Löcher im Mosikitonetz, das Essen, außerdem gab es auch keine Flauschhandtücher und das Klo war sowieso im Hof. Alles nach unserem Geschmack – zumal gute Kritiken auch verzeichnet waren. Nur ohne Ratte, bitte.
Am Mittwoch war die unruhige Nacht – wir entwickeln eine gewisse „wir werden doch wohl nicht verschlafen?!“-Nervosität! – wieder einmal um 04:30 zu Ende, aufstehen, kalte Dusche, Tass€˜ Kaff€˜ und dann mit dem Dinghy zum Waterfront-Anleger. Der Abholer namens „Atmosphere“ kam dann, wie wir nicht anders erwartet hatten, nicht um 05:30, sondern um kurz vor 6, aber bei einem 12-Sitzer-Flugzeug auf einem Dorfflugplatz ist eine lange Check-in-Vorlaufzeit sowieso eher Theorie. Von Interesse auf dem Flugplatz 1. die Tatsache, dass man sich nach pazifischer Übergewichtlersitte samt Gepäck wiegen lassen muss, was den Eigner feixen und einen langen Hals machen ließ (ich bin so dick wie immer, aber auch nicht dicker!) , ein Haufen Leute, die vielerlei Pakete als Fracht aufgaben, ein paar UNICEF-Mitarbeiter auf Dienstreise, und Touristinnen, die teils mit Entsetzen, teils mit Interesse die Riesen-Schaben verfolgten, die in der Halle ihre Bahnen zogen (man sagt, das südpazifische Schaben auf Wunsch gesattelt werden können€¦).
Abflug – sehr schönes 2-Propeller-Hochdecker-Flugzeug, auf dessen Tür eine Notiz klebte, dass diese Harbin-Maschine der Air Vanuatu gehöre (wohl um zu erklären, dass draußen noch „Real Tonga“ stand; unsere Theorie dazu ist, dass die Maschinen von Generation zu Generation, von armem Staat zu ärmerem Staat weitervererbt werden). Nichtsdestotrotz saßen zwei melanesische Piloten im Cockpit, die eine Unzahl von Hebelchen und Knöpfchen bedienten (man sitzt ihnen ja im Nacken€¦), ganz wie bei den Großen. Start. So richtig viel Propeller sind wir ja noch nicht geflogen, insofern war diese chinesische Harbinmaschine ein echtes Erlebnis. Allein dieser kurze Start! Ein Riesen-Gebrumm und schon war das Ding in der Luft. Und eigentlich auch schon angekommen, 1 Stunde dauerte der Hopser.
Am Flugplatz in Tanna – noch dörflicher als in Port Vila, versteht sich – nimmt uns Kelson, der Besitzer der „Jungle Oasis“ in Empfang und verfrachtet uns auf einen Toyota-Pickup Doublecab, wir dürfen drinnen sitzen. Erst geht€™s mal in die Hauptstadt Lenakel, Kelson muss Geld besorgen und einkaufen, es ist auch ein Reifen zu reparieren, also haben wir reichlich Zeit, uns den bescheidenen Markt anzuschauen, einen Strauß Erdnüsse zu
erwerben , diese nebenbei als Frühstück zu verspeisen und sonst die „Stadt“, die man dort auch wegen des Fehlens von chinesischen Händlern „Blackman€˜s Town“ nennt (von Weißen sowieso keine Rede€¦), unsicher zu machen. Zum vereinbarten Zeitpunkt – na gut, ein bisschen später – druckst Kelson rum, ob wir wohl Bargeld dabei hätten und pumpt uns an; die Bankerin sei krank und habe zum Medizinmann gemusst (! – richtig verstanden, Medizinmann, witch doctor). Mit unseren 5.000 Vatu lässt sich dann aber trefflich shoppen, eine
Handvoll Tomaten, Gurken etc. für unsere eigene Versorgung der nächsten Tage. Für den Erwerb von Fleisch oder Hühnchen müssen wir noch ein, zwei Geschäfte abklappern, aber dann geht es los auf die knapp 40 km auf die andere Seite der Insel. Was vielleicht Segler, die in Port Resolution direkt unter dem Vulkan ankern nioe erfahren: die holperige Straße, die von dort zum Vulkan führt, ist überall so schlecht; befestigte Straße sind auf Tanna Fehlanzeige. 2 Stunden braucht€™s€¦ Zweit-Shopping an einem Dorfmarkt und ein oh-und-ah-Stopp beim ersten Blick auf den Vulkan inklusive.
Die Oase sitzt tatsächlich im Dschungel und überrascht mit einem
ungeheuer sauberen – gefegten! – Garten aus vielen Pflanzen auf schwarzem Lavasand, in dem die traditionell gebauten Hütten für die Gäste verteilt sind. Uns wird aus der Reihe der drei blau-weiß verzierten die mittlere zugewiesen, stabile Betten mit „Peking2008“-Wolldecke (also müssen doch irgendwo die Chinesen ihr Unwesen treiben, von wegen „Blackman€˜s Town“) und unversehrten
Moskitonetzen. In einer „Nambawan“ -Bierflasche steckt ein Sträußchen mit Hibiskusblüten. Im Gemeinschaftshaus serviert uns Joyce, deutlich weniger wortkarg als ihr Mann Kelson, einen leckeren Lunch aus Omelett und Gemüsen, erzählt ein bisschen zum weiteren Verlauf und dass man zum Vulkan hinauf laufen könne. Mann, dieser Vulkan€¦ zum ersten Eindruck aus der Ferne (Ohhh!), dem zweiten bei der Überfahrt über die Aschewüste (aaah!) kam nun das „uii!“: ein konstantes Gewitterdonnern. Eindrucksvoll. Zum Mittagsschläfchen ins Häuschen zurückgezogen, bemerken wir schnell („aha!“) die Druckwellen, die das Donnern begleiten, und die Vorhänge vor den Fenstern ruckartig wehen lassen.
Um 4 holt uns unser Guide Philip ab, und wir wandern los. Mit etwas Geld in
der Tasche, denn den im Package enthaltenen und mit über 50 Euro nicht unbeträchtlichen Eintritt, den eigentlich nun Kelson zahlen müsste, kann er eben wegen der beim Schamanen befindlichen Bankerin nicht entrichten („€¦ kriegt Ihr dann wieder, ich fahre morgen in die Stadt und versuche es neu!“ **). Wir tun€™s aber gern, denn dieses Vulkangerummel war ja schließlich der Sinn der ganzen Reise. Wir stiefeln los, bergan durch den Wald auf einem ausgefahrenen bis ausgewaschenen Weg. Philip hatte schon gesagt, dass wir sicher eine Fahrt „hitchen“ können auf unserem Fußmarsch, schließlich fährt er täglich als Führer hier hinauf, mit Gästen von den anderen Lodges – und so ist es dann auch. Wir klemmen uns auf die Ladefläche eines der nächsten Pickups. Keine schlechte Idee – dieser Marsch wäre uns noch ganz schön in die Beine gegangen€¦
Naja, und dann nahm die Show ihren Lauf. Schon beim Aussteigen sehen wir große, glühende Lava-Flatschen über den Kraterrand fliegen, ungefähr wie nasse rote Lumpen, es stinkt und qualmt beträchtlich. Die erste Stunde beobachten wirgenau, wohin die „Bomben“ fliegen, schließlich will niemand getroffen werden; die Geräuschkulisse ist verwirrend: Grollen, Fauchen, Zischen und eine Art schwappende Wellen.
Als die Sonne untergeht rückt das Häufchen Schaulustige ein Stück weiter den Rand hinauf – und erhält vollen Blick ins Inferno.Je mehr das Licht schwindet, umso beeindruckender wird das Feuerwerk und umso erschreckender wird es auch – man hört das Gas-Lavagemisch druckvoll und rotglühend entweichen und tritt von der (übrigens ungesicherten!) Kraterkante automatisch einen Schritt zurück,wenn die Explosion
gar zu erschreckend ist.
Da fehlen einem die Worte. Leider fehlte uns auch ein Stativ, wie der Eigner geradeeinwirft, dann hätte man sicher schöne Langzeitbelichtungen aufnehmen können. Ein echtes Erlebnis.
Wir hitchen natürlich auch eine Fahrt bergab, denn der Rückweg im Stockdustern auf dieser Straße wäre eine Strafe gewesen. Noch dazu mit den möglichen Bomben im Nacken.
Und dann ist Jungle Oasis-Zeit: kleines Fisch-Gemüse-Reis-Dinner (Richard Chesher sagt im Segelführer, dass er niemals/never Fisch in Vanuatu isst, den er nicht selbst gefangen hat! Wir haben 2mal ciguaterafrei überlebt, toi.toi€¦) und ab in Hütte mit den wackelnden Wänden. Von den Druckwellen, wohlgemerkt.
Zum Frühstück serviert Joyce uns Bananen aus dem Garten und von den eigenen Hühnern gelieferte Eier. Kaffee ist eigentlich nicht das Ding für die Ni-Vanuatu, zumindest nicht auf Tanna, obschon die Insel Kaffee produziert, als Exportartikel. Die Einheimischen, besagte Ni-Vanuatu, beschränken sich zum Frühstück auf in heißem Wasser aufgegossene Zitronenblätter, vielleicht eine Scheibe gekochte Tarowurzel, eine Pampelmuse oder Banane (von denen es derzeit nicht viele gibt – off season) und ab und zu eine Tasse Milch (aus Milchpulver!). Es ist hier wie überall auf den pazifischen Inseln – der eigene Garten bietet eigentlich das Nötigste, und was man nicht selbst anbaut, hat vielleicht der Nachbar. Oder die Frau auf dem „Markt“. Nur die ganz großen Dinge, die muss man gelegentlich zukaufen: Diesel (hier, wie in alten deutsch-belgischen Rennautotagen „mazut“ genannt!), vielleicht Lampenöl oder Holzkohle. Nicht zu vergessen das Mobiltelefonvolumen (eine der meistgehörten Klagen ist, dass gerade kein Guthaben vorhanden ist€¦). Eine weitere Variante von „besonderem Bedarf“ hat Kelson uns am frühen Morgen vorgeführt€¦ Den Schuss haben wir nicht gehört, aber einen Pickup mit vielen, kakelnden und lachenden Leuten drauf. Was war los? In Port Resolution wurde gerade eine Hochzeit vorbereitet, und Kelson hat dazu, man höre und staune, eine Kuh im Wald geschossen und verkauft. Und das gibt umgerechnet 500 Euro auf die Kralle. Dafür muss frau auf dem Markt lange Taroblätter verkaufen€¦
Der Tag gehört dem Dorf und der Umgebung, wir erliegen nicht der Versuchung uns „custom dancing“ vorführen zu lassen – dafür wandern wir zur Ascheebene hinaus und beobachten nochmals den spuckenden Vulkan, von unten. Und junge Leute, die mit Snowboards auf den Aschehängen abrutschen – nein, kein großer Rummel, nur ein Späßchen für einige wenige. Und danach nochmals Dorfleben: Agnes, die wir mit Töchterchen Asial auf der
Straße treffen, folgen wir auf ihrem langen Marsch durch den Wald bis zum Fluss – sie trägt ein riesiges Bündel auf dem Kopf und ist auf dem Weg zum Wäschewaschen. Bei meinen zaghaften Versuchen, einen entlastenden Beitrag zu ihrer Arbeit zu leisten, redenwir über Waschmethoden „bei uns“, über Waschpulver, Kernseife und heißes Wasser. Und Waschmaschinen. Agnes rubbelt, bürstet und schlägt die Wäsche (übrigens nicht ihre, sie verdient sich so ein paar Vatu) auf die Steine, sie wringt und spült und wringt. Ich verstumme langsam – das Leben hier ist ziemlich beschwerlich. Irgendwann merken wir, dass eigentlich auch Andreas€˜ Anwesenheit eher stört, eine weitere Wäscherin windet sich, weil sie nicht weiß, wies sie ihr „Waschkleid“ anziehen soll, und tut das dann blitzschnell, als
er sich abwendet um etwas zu fotografieren. Ziemliche „Frauensache“, das Geschäft. Wir entschwinden in den Wald. Wie das wohl ist, die „paar Kilometer“ auf dem Waldpfad ins Dorf zurück zu laufen? Das Bündel ist ja nicht gerade leichter geworden, jetzt wo die Wäsche nass ist.
Als wir am nächsten Tag auf die Abholung zum Flugplatz warten, wird in der Jungle Oasis unsere gerade Bettwäsche gewaschen. Riesenerleichterung: es gibt €¦ nein, keine Maschine. Es gibt eine Wasserleitung, die die „Oase“ direkt mit dem Bergbach verbindet (die aber nicht immer Wasser leitet€¦), man muss die Wäsche zum Handrubbeln nicht immer an den Fluss tragen.
Aber: wie an so vielen anderen Plätzen, die wir verwöhnten Westler für arm und damit trübsinnig halten, herrscht ein anhaltender Frohsinn. Und der kleine Luxus hält ja auch Einzug auf Tanna. Man kann zum Beispiel, wenn man das Feuerholz geholt hat, sich (vielleicht) von einem vorbeifahrenden Pickup kutschieren lassen und dabei mobil telefonieren. Wenn man ein Mobiltelefon hat. Und Guthaben vorhanden ist.
So ist die Welt am Vulkan: zwischen Holzkohlenfeuer und SIM-Karte. Und der Tourist fliegt dank Kerosingestank in den Schwefeldampf.
Hinauf auf den Vulkan – der Mt. Yasur heißt, und das bedeutet auf Nafé „Gott“! – gehen übrigens nur die Wenigsten. Weniger wegen der akuten Gefahr – es ist schlicht unheimlich. Nicht fassbare Mächte. Geister.
Der witch doctor der Bankerin? Die natürlichste Sache der Welt.
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**PS: Ja, wir haben das Eintrittsgeld wiederbekommen! Allerdings… wir vermuten, dass die später erwähnte Kuh auch nicht cash bezahlt wurde, denn der Fahrer des Pickup, der uns zurückbrachte, erwähnte, dass er „eigentlich“ Geld zum Tanken hätte bekommen sollen. Grenzen der Subsistenzwirtschaft…

















