Luganville, 17.10.2013
Zeit für Restposten. Höchste Zeit!
Und da es heute so wunderbar schwül-warm ist bei bedecktem Himmel (aus dem es auch tropft), kann mit der Resteverwertung nichts schief gehen. Zunächst mal: ich habe gekocht, und zwar einen kleinen Nachschlag Hackfleisch im Glas und Köttbullar, denn auch an der Stelle waren wir bei „Restposten“ angekommen, bei den mageren Resten des Gläservorrates nämlich. Gähnende Leere im Schapp – nix mehr Roulade, Huhn oder Gulasch. Also muss vor Australien doch noch einmal Vorrat geschaffen werden, wer weiß, wie lange wir hier noch hängen?! „Ganz prima“, die Kocherei, bei 3-stelligen Luftfeuchtigkeitsprozenten und der entsprechenden Wärme, vom Ofen und von draußen. Ganz prima aber tatsächlich in Luganville, denn für gutes Rindfleisch ist Vanuatu berühmt, die Insel Santo gilt als die Rinder-Insel, und Luganville ist das Filetstück des Rindfleischhandels, sozusagen. Das geben wir uns – und werden uns bemühen, vor Einreise nach Australien wieder auf Resteverwertungsniveau zu sein., die Australier wollen keine selbst gemachten Konserven sehen. Und schon gar nichts Frisches, aber das kennen wir ja schon. Warum wir Fleisch einkochen? Weil alle anderen Boote fleißig Bisse an der Angel haben – wir nicht. Zweimal in den letzten Wochen hatte sich jemand an unseren schönen Köder verirrt, konnte sich aber losmachen. Der Eigner sieht es mit einem lachenden („… ich kann die nicht totmachen!“) und einem weinenden Auge („… Salade Tahitienne wäre auch mal wieder schön…“). Wir probieren’s weiter.
Restposten müssen natürlich auch bei den Reiseerlebnissen abgearbeitet werden, schließlich waren wir in Loltong stehen geblieben, und da muss ich glatt grübeln, was an Erinnerungsresten noch verblieben ist. Ach, ja – wir hatten uns am Sonntag mit Marie und Mathew zum Lunch verabredet, ein kostenpflichtiges Vergnügen im „Yachtclub“, das sich als echtes Vergnügen und als äußerst füllend herausstellte. Es wurden uns 10 unterschiedliche lokale Gerichte präsentiert. Favorit: die frisch grünen Röllchen aus Island Cabbage, dem wilden Kohl, die mit Maniok-Laplap gefüllt waren. Auch nicht schlecht: Island Cabbage in dicker Kokosmilch. Und der Watertaro! Doch, das war nicht nur sehr nett, sondern lehrreich und lecker. Danach noch ein Weilchen „storiem“, erzählen und dann ab in die Mittagspause.
Am nächsten Morgen hatten wir uns nochmals verabredet, denn die beiden wollten uns unbedingt das kleine Haus zeigen, das vor Kurzem mit Hilfe der TAURUS oben am Berg entstanden ist. Und wurden natürlich gleich zur Gartenarbeit eingeteilt: es war Taro zu pflanzen und Kohl. Tiefe Löcher graben, und „bitte die Steine entfernen“ (ein schöner Mix aus Vulkan und Koralle…). Der Taro wurzelt nämlich ungern auf Stein. Wird gemacht. Junge, Junge, ganz schön heiß… Während Mathew und ich mit spitzem (Rost)Spaten und Grabstock werkeln (der Eigner beschränkt sich auf die Fotodokumentation) steigen aus dem Gartenhäuschen Rauchfahnen auf: Marie brät frisch geerntete Maiskolben und Bananen, und wir können mit unserer Flasche gekühltem AKKAWasser erfreuen; „kühl“ geht immer gut, auch wenn es kein Softdrink ist. Leider haben Marie und Mathew am Abend schon wieder „Gäste“, dieses Mal zum Dinner, denn neben uns liegt die TIGER LILY, und da sie die Australier bekochen müssen, schreiten sie frühzeitig davon – was uns zum Aufstieg zur Bergkante veranlasst. Da oben hat die Gemeinde von Loltong ein neues Gartenareal geschaffen und dazu eine ganze Bergkuppe gerodet. Jetzt wächst dort zwischen den verbliebenen Kokospalmen alles, was das Pentecostlerherz begehrt. Ihr wisst schon: Taro, Maniok, Yams. Und Kaaaava.
Eigentlich wären wir gern noch geblieben, zumal auch auf dem Weg bergan sich freundliche Kontakte ergaben – man hat ja auch reichlich Zeit, zu schwatzen, denn der Weg „in den Garten“ ist weit. Im ni-Van-Tempo gelaufen braucht man mindestens eine Stunde. Und dann muss man immer noch anhalten – es ist wirklich grottensteil! – und mal versonnen die Aussicht genießen (tatsächlich!). Oder abbiegen, weil die mitgebrachten dicken Bambusrohre mit Trinkwasser gefüllt werden müssen – da helfen wir dann natürlich gern tragen und lassen uns befragen. Das Übliche: woher, wie lang, wie viele Kinder? Wir lernen, dass man beginnt, den Bevölkerungsdruck zu spüren – immer mehr Kinder, immer weniger Gärten in der Umgebung. Und natürlich immer mehr Abwanderer… Es ist ein toller Marsch mit Patrick und Liza und diversen anderen. Vanuatu ist schon sehr schön – auch so ganz persönlich gesehen.
Aber für uns ist Weiterreise angesagt – es soll demnächst westlich wehen, also sucht man sich einen der wenigen geschützten Plätze für diese Wetterlage, und genau so einer ist „gleich um die Ecke“, auf der Insel Ambae. Nur 20 Meilen weg, ein hochgefährliches Vulkangebilde von fast 1500 m Höhe. Und nicht zu sehen – typisch Ambae, denn ihren „Rauch- und Nebelmantel“ legt die Insel nur ab, wenn es geregnet hat. Lolowai heißt der kleine Ort und bietet eine kreisrunde Bucht – geschützter geht’s kaum. Wenn man mal
davon absieht, dass zum Wochenende der Inselfrachter „Tina1“ einläuft und ganz schön um uns herum zirkeln muss. Der Käpt’n signalisiert uns zwar „alles klar“, aber wir rücken doch lieber ein paar Bootslängen vom Landestrand ab. Das wiederum freut die MAKILA, die am nächsten Tag ihren Besuch in Lolowai macht und die wir schon in Epi als Frachter mit Motorschaden kennengelernt hatten. A propos geschützt – wenn man sich die Reste der eingefallene Mole und das Wrack davor anschaut, muss wohl doch – cyclonbedingt? – hier mal eine brutale Welle hereingelaufen sein. Auch die Korallen auf der Innenseite der schützenden Felsinselchen sind kaputt. Aber sonst: ein prima Platz. Man kann nach Saratamata, ins Verwaltungszentrum laufen. Sehr schick: World Vision veranstaltet einen Kindertag mit Sport und Spiel, und wir kriegen vom Lunchbuffet was ab, Hühnchen mit Reis und dazu eine Kokosnuss zum Trinken, gegen Spende, versteht sich. Leider sind wir ein bisschen früh, denn während wir schon stopfen, werden ganze Ladungen an kunstvoll in Bananenblatt gehüllte Laplaps angeliefert.
Auf der Straße nach Hause gibt es dann zweierlei Gespräche: Patrick, seines Zeichens Pastor und Verwaltungsangestellter mit Rechts-Hintergrund, berichtet von den alten Zeiten, als man noch unliebsam auffallende Personen auf der Straße fragen musste, ob sie frankphon oder anglophon seien (um dann auf den jeweiligen Polizisten, den britischen oder den französischen, zu warten! Ein schönes „Condominium“, das…). Und er berichtet uns mit Begeisterung, dass man auf Ambae versucht, das alte Chefsystem wieder mit Leben zu füllen. „Wir brauchen das! Im Nakamal muss entschieden werden – da geht es nicht um geschriebenes Recht, das immer nur einen Gewinner und einen Verlierer produziert. Im Nakamal wird entschieden, und dann reicht man sich die Hand und alle sind glücklich!“ Wenn das mal nicht am Kavarausch liegt. Und daran, dass die Frauen außen vor sind.
Der nächste Gesprächspartner knüpft indirekt an dieses Gespräch an… Thema: Pastor. John ist ein freiwilliger Helfer aus Neuseeland und kann sich wunderbar über die Gesellschaftsstruktur der Ni-Van aufregen. Das Schlimmste: „… und die erhalten ihren gesellschaftlichen Rang alle durch die Kirche – wer Pastor ist, hat das Sagen, auch wenn er nix zu sagen hat. Und das haben die meisten nicht, denn von Sachfragen haben sie keine Ahnung!“ Unnks; das sitzt. Eine nachvollziehbare Klage. John kann aber gleich auch noch nachlegen: „… und dann muss man sich mal die Kiwis vorstellen. Das sind Christen, und die spenden natürlich; ganz großmütig. Zum Beispiel stumpfe, rostige Sägen, alles was man so auf dem Flohmarkt und bei Haushaltsauflösungen findet. Für die Inseln gut genug – davon haben wir also kistenweise. Was wir brauchen, sind kiloweise Nägel, Schrauben. Funktionierende Werkzeuge. Und gute Lehrer… meine „Lehrlinge“ hatten in 2 Jahren Tischlerausbildung noch nicht einmal ein Werkzeug geschärft. Und der Hammer: der Pastor, der mein Großprojekt leitet, hat den Mann, den ich zum Ausbilder ausbilden sollte, für 16 Monate nach Fiji geschickt. Pastorenausbildung. Naja, vielleicht isses ganz gut so, ich bilde jetzt die Jungen aus, und die geben dann fundierte Kenntnisse weiter…“ Klerikaler Frust im Tropenparadies.
Da kümmern wir uns doch gleich mit besonderer Hingabe um die Restposten am Strand: seit unserem Ankunftstag stehen am Schiffslandeplatz im Halbschatten 3 Schweinekäfige, 6 größere und kleinere Bewohner inklusive (und ein paar Säcke Kava, aber da geht nix mehr ein). Wir geben die hilfreichen Europäer und erregen sicher ein bisschen Verwunderung. Unsere Gemüsereste und Obstschalen werden verfüttert, wir bringen den „Patienten“ Wasser ans Holzgestänge, und zumindest bis wir 7 Tage später abreisen, sind die Herrschaften Schwein noch lebendig. Um nicht zu sagen: fröhlich. Ob die nun noch jemand weiter gefüttert hat? Die Nachricht hatten wir im nahe gelegenen Hospital hinterlassen, bei den Kindern am Strand, beim Lädchen. Wahrscheinlich ein Fall für durchgeknallte tuturangis. Weiße. Über was sich die alles aufregen ! Sind doch nur Schweine!
Und nun sind wir in Luganville. Espiritu Santo. Was macht man da? Man liest pflichtschuldigst Micheners „The Tales of the South Pacific“, und es gefällt, was für eine Überraschung. Das Ende dieser Erzählungen ist – wie bei Kriegsgeschichten nicht anders zu erwarten – deprimierend, aber ansonsten hat Michener Stimmung und Charaktere der US-Navy hier im Pazifik sehr schön festgehalten, fast maughamhaft. All die schrägen Typen. Die Pflanzer und ihre Gepflogenheiten. All die verbissenen Bemühungen, der Japaner Herr zu werden. Die immensen finanziellen und personellen Mittel für diesen Krieg. Und natürlich die Erzählungen von den gelangweilten Soldaten, die auf den großen Schlag warteten – und die gruseligen Einblicke in die Schlachten, wo es dann nicht mehr ganz so langweilig war. Michener sagt dazu, dass es ein Roman sei, aber nichts davon sei wirklich Fiktion. Drum findet er abgesehen von den großen Orten wie Vila oder Nouméa oder Guadalcanal für alle „seine“ Plätze eigene Namen – sonst könnte man die geschilderten Blödheiten und Heldentaten ja nachverfolgen. Interessant!
Luganville entstand tatsächlich 1942 an der Stelle eines kleinen Urwalddörfchens, und hatte nach 5 Monaten Hafenanlagen, 3 Bomberlandebahnen sowie Furz und Feuerstein.
Also wandeln wir durch Luganvilles Straßen (die Hauptstraße ist Vanuatu-untypisch so breit, dass Panzerfahrzeuge wenden konnten!) und sehen überall „Restposten“, z.B. die Quonset Huts, die Weiterentwicklung der Nissenhütten, die heute noch genutzt werden, als Lagerhalle, Reifenwerkstatt etc.
Restposten, die man nicht auf den ersten Blick sieht, gibt es auch: am „Million Dollar Point“ haben die Amerikaner nach Abschluss des Krieges ihre gesamte Ausrüstung ins Meer gekippt. Die Pflanzer wollten es nicht haben (bzw. bezahlen), die Ni-Van konnten es nicht gebrauchen, also „hau weg den Scheiß“. Was davon übrig ist – und die auf eigene Minen gelaufene „President Coolridge“ – stellt heute eine der Hauptattraktionen dar. Taucher aus aller Welt gucken sich das an.
Mit dieser Art Restposten haben wir’s nicht so – O-Ton Eigner: „Unterwasser-Schrotthalde“. Aber vielleicht halten wir ja doch unsere Schnorchelbrille noch in diese Richtung.







