Unterirdisch

Zum Gedächtnis an Thich Quan Duc - Betstätte im Verkehrsgewühl

Denkmal für Thich Quan Duc – viel genutzte Betstätte im Verkehrsgewühl

Hanoi, 26.2.2014

Ehe die Erinnerungen an Saigon gänzlich verblassen, schnell einen kurzen Rückblick auf Politik, auf Krieg, auf Museen und moderne Errungenschaften.
Viele erinnern sich sicher an die schrecklichen Bilder vom buddhistischen Mönch, der sich 1963 aus Protest selbst verbrannte? Sein Mahnmal hatten wir schon besucht – das Thema Vietnamkrieg begegnet einem in Saigon in vielen Formen.

Also gab es eine Exkursion in dieser Sache. Hatten wir gleich am Ankunftstag unsere 5-stündige Schnuppertour durch die Stadt auf Herrn Uts Moto hinter uns gebracht, ging es am Donnerstag mit gleicher Besetzung „auf’s Land“.  Herr Pham vom Hotel guckte ein bisschen zweifelnd, als wir ihm das Fahrtziel enthüllen, das der Normaltourist auf dem Mekong-Boot oder im Bus ansteuert: „… ganz schön weit dorthin!“.  Wir schwangen uns trotzdem zuversichtlich und mit Begeisterung auf die Moto-Rücksitze und entschwanden Richtung Cu Chi. Nach vielen und reichlich wilden Kilometern durch den morgendlichen Stadtverkehr beruhigte sich die Situation nach Abzweig Richtung Hoc Mon.

Spezialtransport

Spezialtransport

Viele schöne Szenen gab es zu sehen – meine Lieblings-Verkehrsteilnehmerin: eine Frau im „Ao Dai“, der traditionellen Bekleidung aus langer, seidener Flatterhose und hoch geschlitzem Schürzenkleid, natürlich mit dem kegeligen Reisstrohhut (oder sind es Palmblätter?).  Sie sitzt auf dem Fahrrad, hochelegant, undbalanciert  in der Linken ein riesiges Tablett mit (wahrscheinlich süßen) Kuchen.
Und so viele andere, „spezielle“ Transporte, von denen wir dann einige doch knipsen konnten.

Hinter Hoc Mon machen wir Pause, fläzen uns am Straßenrand in eine Hängematte, schlürfen vietnamesischen kalten Kaffee und geeisten Tee. Zeit uns einzustimmen. Dies ist Herrn Uts Land – er hatte schon am Vortag erzählt, dass er aus der Gegend zwischen Hoc Mon und Cu Chi stammt, auch, dass sein Onkel ein Kriegsheld sei.  Was für einer, konnten wir uns schon denken: Hoc Mon und Cu Chi waren Zentren der Vietcong-Aktivitäten.  Uts Erzählungen erstrecken sich von der Kinderzeit, wo er mit seiner Großmutter manchmal in genau dieses Straßenlokal gehen durfte, bis zu den elenden Hungertagen nach dem Krieg, wo über Jahre das Essen aus nicht enden wollenden Portionen Reis und Tapioca bestand. Mit nichts sonst. Sein Vater habe das – schon zuvor unterernährt – nicht mehr überlebt.
Ein bisschen gedankenschwer rattern wir weiter, Hoa kämpft zwischenzeitlich etwas mit dem Vergaser seines Motos, so dass Andreas und Herr Ut weit voraus entschwinden, aber nach gut 2 Stunden tut sich nach rechts ein großer Parkplatz auf. Cu Chi, Disneyland für Vietconggeschichte und ein Muss für alle Saigontouristen. Doch, wirklich ein Muss. Es ist ganz gleich, wie sehr man mit einem einleitenden Film ideologisch „eingestimmt“ wird auf die Untaten des imperialistischen Feindes, auf Teenager-Mädchen, die als Killerhelden ausgezeichnet werden, alles mit entsprechend heroischer Musikuntermalung …  In Cu Chi hat man Saigon Cu Chi Entrance 2

einfach ein Stück eines Tunnelsystems erhalten, das in den besten Zeiten 250 km lang war und das den Vietcong zu allem diente, was sie brauchten. Schutz, Unterstand, Unterkunft, Hospital, Munitionsfabrik.  Während unten, darauf ist man stolz, aus US-Munitionsschrott und Bombenhüllen Gewehre gebastelt werden, knödelt 20 m entfernt, oben drüber nämlich, Bob Hope zur GI-Weihnachtsfeier „White Christmas“. s

Einstieg ins Tunnelsystem

Einstieg ins Tunnelsystem

Es ist faszinierend, die Tunnel  anzuschauen, zu erfahren, dass hier nur einmal am Tag gekocht wurde, im Morgendunst nämlich. Rauchschwaden mussten natürlich verborgen bleiben und so leitete man sie viele Meter weit vom Tunnel weg in Laubhaufen, wo sie sich mit dem Nebel mischten.  Grauenhafte Mechanismen für Bodenfallen werden gezeigt. Man war sich bewusst, dass diese nicht unbedingt sofort tödlich wirkten, aber doch scheußliche Verletzungen hervorriefen. Das bereitete den GIs schwere Sorgen: ein gefangener,

Rollen-Falle.  Grrr.

Rollen-Falle. Grrr.

verletzter Amerikaner brauchte mindestens 3 oder 4 weitere, um den Mechanismus ausser Kraft zu setzen und ihn zu befreien, wohl wissend, dass hier mehr Fallen lauern, oder auch selbst gebaute Minen – eine äußerst wirksame Aufhaltetaktik. Natürlich hat man genau hier die Amerikaner „besiegt“ und rühmt sich, der einzige Gegner zu sein, dem das je gelungen ist Kein Wort von Tet- oder anderen Offensiven, keines über die nordvietnamesische Armee, auch kein Wort natürlich über

Westtourist im Vietcong-Tunnel

Westtourist im Vietcong-Tunnel

die Südvietnamesen auf der Gegenseite. Wir kriechen durch (für Touristenleiber erweiterte) Tunnelgänge und probieren die Klaustrophobie erzeugenden Einstiege. Unser netter, junger Führer – der mit seinen 20 Jahren klingt wie ein stolzer Vietcong-Veteran – erklärt auch etwas dazu, was wir als endgültige Perversion empfinden:  die Atmosphäre wird untermalt Schüssen, denn hier konnen Touristen Maschinengewhre und anderes ausprobieren. Dafür bezahlt „man“ einen (Material)preis, der eine Familie in der Gegend für einen Monat mit Reis versorgen würde, ungefähr eine halbe Million Dong. Die Ballerei wird mit großer Begeisterung von „Helden“ aller Länder genutzt. Und es werden auch reichlich Aschenbecher und Brieföffner aus Patronenhülsen verkauft…
Ein gemeinsamer Tee aus Ananasblättern (nicht die Ananas, sondern eine Pflanze gleichen Namens) serviert mit Tapiokastücken gedippt in Erdnussstückchen mit Salz und Chili –  die kleine klassische Vietcong-Mahlzeit sorgt für einen versöhnlichen Abschluss.

Rückweg. Kurz vor Hoc Mon biegen wir von der Straßen ab, Herr Ut lädt uns auf einen Tee zu seiner Familie ein, die mittlerweile eine bescheidene Milchfarm betreibt; die Milch wird nach dem Melken auf dem Motoanhänger nach Hoc Mon auf den Markt gefahren, beschwerlich, aber für hiesige Verhältnisse recht einträglich. Wir schauen ein Bombenloch von 1972 an, lassen uns erzählen, wie nervenzehrend es war, die Männer im Widerstand zu wissen, sich vor Bombenangriffen schützen zu müssen und anzusehen, wie die fruchtbare Umgebung peu à  peu dem Erdboden gleich gemacht wurde.  Herr Ut zeigt uns das alles stolz und im Bewusstsein, dass das alles vorbei und nun alles gut ist.  Wir fahren zurück; wir sind auch wirklich platt.

Abends – Entspannung ist angesagt und wir schauen uns erst einmal eine Runde Fuß-Federball an! – geht es übrigens ins Tu Bi, mit einem Berliner Schwesterlokal quasi eine Vietnamesen“kette“. Fast hätte uns die deutsche Speisekarte abgeschreckt, aber das wäre ein Fehler gewesen… Ihr Berliner, guckt mal in der Leibnizstraße 62 in Charlottenburg  vorbei.
Sehr leckeres Essen und zwei Tiger-Biere tun jedenfalls bei uns ihre Wirkung.
Das Thema Vietnamkrieg hängt trotzdem noch ein bisschen nach. Wir hatten schon das ebenfalls sehr ideologisch durchsetzte Museum für Kriegshinterlassenschaften angeschaut (ganz witzig: mit zwei mageren BRD-Bildern zu Protestaktionen, aber erwartungsgemäß einer ganzen Wand von DDR-Propagandamaterial). Ein grauenerregender Raum zur Wirkung von Agent Orange, Purple und Napalm – und, neben vielen erschreckenden und interessanten Fakten, wieder mit „heldenhaft“ vor „Chinook“-Transporthubschraubern posierenden Touristen-Knallköppen. Zum Abschluss sehr sehenswert eine eindrückliche Fotoausstellung mit dem Namen „Requiem“, Bilder von internationalen Pressefotografen; dieses Mal nicht im politischen Sinn einseitig, höchstens im pazifistischen Sinn. Damit waren wir dann auch „voll“.  Wer, nebenbei bemerkt, nach Cu Chi fährt, sollte unbedingt auch das Stadtmuseum Saigon besuchen, das in seiner ersten Etage die gesamte Geschichte der Unabhängigkeitsbewegung und der Indochina- bzw. Vietnamkriege zeigt.

Wo man mit seinem Moto schlafen geht...

Wo man mit seinem Moto schlafen geht…

Mit diesen Eindrücken vollgepumpt marschiert man dann in den Folgetagen durch die Stadt und entdeckt ganz „neue“ Viertel. Zum Beispiel das an der Oper – ein Konglomerat von so schicken wie gigantischen Luxushotels mit noch luxuriöseren Einkaufsgelegenheiten bei Louis-Vuitton, Gucci, Cartier und Co. Und an der Ecke winkt Onkel Ho freundlich in die Menge.

Wir verziehen uns in unseren Phuong, ins richtige vietnamesische Leben. Es geht ja ohnehin bald los. Mit der Bahn nach Hanoi – davon dann demnächst mehr.

Wir schließen uns an und winken aus Hanoi!

Wir schließen uns an und winken aus Hanoi!

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